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Robert Blum
In dieses über alle Erwartung glückliche Leben schlug plötzlich wie ein Wetterstrahl aus heiterem Himmel die Ordre, Robert solle sich unverzüglich zur Ableistung seiner Militärpflicht in Prenzlau beim vierundzwanzigsten Infanterieregiment stellen. Selbstverständlich mußte er Ordre pariren, obwohl dieser Gehorsam voraussichtlich gleichbedeutend war mit dem Verluste seiner Stellung und dadurch auch mit der plötzlichen Vernichtung seiner schönsten Fortbildungshoffnungen. Damals, auf der Fußwanderung von Berlin nach Prenzlau (30. März 1830) schrieb er das „traurig und einförmig, kurz preußisch“ in sein Reisejournal. In Prenzlau erging es ihm weit besser, als er erwartet hatte – denn er sehnte sich niemals darnach, zu untersuchen, ob er einen Marschallsstab im Tornister trage – nach sechs Wochen schon (15. Mai 1830) hatte man sich überzeugt, daß der Rekrut Blum zu schwache Augen habe, um einen ordentlichen Vierundzwanziger abzugeben, und entließ ihn daher zur Reserve. Er hat des Königs Rock nie wieder angezogen.
Am 17. Mai schon traf er wieder in Berlin ein. Er hoffte Schmitz so vernünftig zu finden, ihn nicht für die allgemeine Wehrpflicht – die einem holländischen Gemüth allerdings ein Gräuel war und heute noch ist – verantwortlich zu machen. Aber Schmitz war in Geschäften eben in Holland und Frankreich abwesend. Seine Geschäfte gingen schlechter und schlechter. So beging er die Ruchlosigkeit, seinen treuesten Mitarbeiter gänzlich mittellos in Berlin zu lassen, ohne auf seine Briefe zu antworten. Robert wußte freilich von der mißlichen Lage des Principals nichts. Alles, was der treue Mensch eingenommen, hatte er, selbstlos denkend, und Anderen vertrauend wie immer, dem Principal vorher eingesendet. Endlich, nachdem in zwei Briefen Schmitz’ die dringende Bitte Robert’s um Geld ganz unberücksichtigt gelassen, schrieb Robert am 1. Juli 1830 unter Anderem: „Es wird überflüssig sein, Ihnen eine Schilderung von meinen jetzigen Umständen zu entwerfen, da Sie sich selbst leicht vorstellen können, wie dem zu Muthe ist, der bei einem, wie Sie selbst wissen, impertinenten Wirthe eine Zeit lang seine Bedürfnisse borgte, und nun am Ende des Monats nicht im Stande ist zu zahlen. Außerdem daß ich schlechtes Essen für einen zu theueren Preis“ – er zahlte für Kost und Logis elf Groschen pro Tag – „nehmen muß, wird mir nun jede Mahlzeit mit verächtlichen und mißtrauischen Blicken vorgesetzt und Spottreden und Sticheleien als Gewürze aufgetragen. Denn ohne Geld ist es unmöglich auszuziehen. – Hätten Sie die Güte gehabt, mir nach Prenzlau zu melden, daß Sie hier mit Niemandem wegen meines Unterhaltes ausdrücklich gesprochen hatten, so hätte ich mir die mich hier erwartenden Unannehmlichkeiten eher vorstellen können und würde auf militärische Kosten meine Reise nach Köln gemacht haben; ich hatte alsdann pro Meile einen Groschen, und wenn auch Dürftigkeit mich auf der Reise drückte, so war ich doch jetzt der Gefahr nicht ausgesetzt, die mich nun bedroht, nämlich: daß mein Wirth mir den ferneren Unterhalt verweigert und mir die Thür weist. Wenn ich durch Ausschweifungen in Vorschuß gerathen wäre oder durch Nachlässigkeit der Gesellschaft einen Schaden von einigen tausend Thalern verursacht hätte, so würde ich das jetzige Verfahren als eine Vorsichtsmaßregel von Ihrer Seite und als Strafe für meine Fehler betrachten; da ich mir aber nichts dergleichen vorzuwerfen habe, &c.“
Darauf antwortete Schmitz von Köln am 18. Juli: „Lieber Blum. Ihre Klagen vom 1. dieses thun mir sehr leid und sind gegründet. Ihr früheres Schreiben schien mir Vorwürfe oder einen der Sache nicht angemessenen Ton zu enthalten, und da ich Sie übrigens gern habe und Sie selten zurecht zu weisen habe, zerriß ich es lieber, als es zu beantworten. Verlieren Sie den Muth nicht, ich habe manche Schwierigkeit überstiegen… Ich konnte bis jetzt weder Kleinigkeiten noch große Summen berichtigen. Jetzt werden Sie nicht lange mehr warten und alle Bedürfnisse erhalten… Ich hoffe nur, Ihr jetziger Müßiggang wird auf Ihr ferneres Betragen keine nachtheilige Wirkung haben und daß ich Sie wie zuvor zurückfinden werde.“
Noch ehe Blum diese Antwort besitzen konnte, schrieb er am 20. Juli 1830, daß er sich wundere und erstaunt sei, daß Schmitz auf einen Brief von Blum’s Eltern „ganz kaltblütig einige Bemerkungen niedergeschrieben habe, ohne es der Mühe werth zu halten, über meine Erhaltung nur ein Wort zu erwähnen, und man braucht doch gewiß keine großen logischen Kenntnisse zu haben, um zu wissen, daß der Lebensunterhalt, den Sie als eine nicht bemerkenswerthe Nebensache zu betrachten scheinen, zum Fortbestehen durchaus nothwendig ist… Es scheint mir die Pflicht eines jeden Mannes zu sein, für die in seinen Diensten stehenden Leute zu sorgen … und ich glaube, daß es gewiß gegen die Billigkeit ist, einen Menschen mit in der Welt herumzuführen und ihn dann plötzlich an einem fremden Ort brod- und hoffnungslos sitzen zu lassen, wenn er sich keines Fehlers schuldig machte, der solches Verfahren rechtfertigen könnte.“
Um diese Rechtsdeductionen zu würdigen, muß auf Grund der mir vorliegenden Abrechnung Blum’s für die Jahre 1828 bis 1830, die Schmitz später anerkannte, constatirt werden, daß Blum schon am 30. März 1830 ein Guthaben von acht Thaler elf Silbergroschen zwei Pfennig an Schmitz hatte, welches neuerdings auf fast siebenundzwanzig Thaler gestiegen war, wie Schmitz später gleichfalls anerkannte. Der Gehalt, den Blum bescheiden immer „Lohn“ nennt, war am 30. März 1830 seit sechszehn ein viertel Monaten nicht mehr baar gezahlt worden! Daher war das weitere Verlangen Blum’s in diesem Briefe, in Zukunft möge pünktlicher gezahlt werden, gewiß gerechtfertigt; „sonst müsse er seine Stelle aufgeben, da er gar nichts besitze, um zuzusetzen.“ Er verlangte deshalb schriftlichen Vertrag und betonte, daß er Arbeitsüberstunden bisher nie berechnet habe.
Die Antwort (etwa vom 28. Juli) auf diesen Brief war überschrieben: „N. für R. Blum“ und lautete: „Wenn man Leute zu ernähren hat, die nichts verdienen, und von denen, die man für schönen Vortheil betheiligt, hinterrücks verlassen wird, bis man ihnen mit eignem Fond wieder Courage macht, so bieten sich leicht viele Schwierigkeiten… Sie sind eben aus dem Dienst entlassen worden. Ich erneuere Ihnen Solches hierbei… Ich finde es auch nicht für gut, für die Dienste, die Sie mir bis heran zu leisten fähig waren, mehr als das nothwendige Unterhalt zu geben. Auch bin ich weit entfernt, Ihnen einen schriftlichen Vertrag als Sinecure zu geben.“ Wenn Blum für Ueberstunden keine besondere Vergütung gefordert habe, „so mögen Sie dies gegen Monate müßig sitzen compensiren, während welchen mancher Sie entlassen hätte. Geht es Ihnen bei anderen gut, so werde ich diesen Verlust, sowie den eines anderen Jungen Mannes, den ich früher erzogen hatte, gern ersehen… Später können Sie einmal bei mir anfragen, nachdem Sie eine bessere Schule der Erfahrung durchgegangen seyn werden, als die, deren Sie sich jetzt rühmen. Hr. Grebin wird Ihnen zustellen, was Ihnen gebürt. Schmitz.“
Robert war zu arm, das schnöde hingeworfene Almosen auszuschlagen. Am 5. August quittirte er Herrn A. L. Grebin in Berlin über sechsunddreißig Thaler, mit welchen der „Lohn“ vom 18. Mai bis „ultimo July d. J.“ und die „Reisekosten von hier nach Cölln“ beglichen waren, und machte sich am 9. August über Potsdam, Brandenburg, Genthin, Magdeburg, Helmstedt, Braunschweig, Hildesheim, Hameln, Paderborn, Soest, Lennep zu Fuß auf den Heimweg nach Köln. Am 22. August langte er hier an, nachdem er neunundsiebenzig ein halb Postmeilen in dreizehn Tagen zurückgelegt.
Das Verhältniß zu Schmitz war für immer gelöst, der Riß unheilbar geworden. Es nützte nichts, daß Robert auf die Rückseite einer leeren Schulheftseite seiner ältesten Stiefschwester, die sich auf der Vorderseite abmühte, den Worten: „Mit dem Maß, womit ihr messet, wird auch euch gemessen werden“ einen bedenklich unkalligraphischen Ausdruck zu geben, das Concept eines rührend-versöhnlichen Briefes schrieb.
Die Geschäfte des Beleuchtungsmannes gingen noch zu schlecht. Das Rüböl war soeben auf’s Haupt geschlagen. Das Gas triumphirte. Das war der Grund von Roberts Entlassung, alles Andere Vorwand.
Nichts charakterisirt aber wohl den Egoismus und die unedle Empfindung des Herrn Schmitz besser als die Thatsache, daß er nach einer solchen Behandlung Blum’s es wagte, schon nach einem halben Jahr, als Blum literarische Verbindungen in Köln gewonnen hatte, sich unverfroren an den mißhandelten jungen Mann zu wenden, um von diesem eine Reclame für eine von Schmitz neu herausgegebene Zeitschrift zu erlangen. Blum war großmüthig genug, die Unterstützung des Unternehmens zuzusagen.
Vorläufig aber, d. h. im August 1830, verdankte Blum dem nämlichen Herrn Schmitz den Blum leider nicht mehr ganz unbekannten Zustand der Brodlosigkeit.
5. Theaterdiener und Dichter
In tiefster Kümmerniß sahen wir Robert Blum jene Julitage des Jahres 1830 verleben, welche für die geistige Bewegung von ganz Europa im Laufe der folgenden achtzehn Jahre tonangebend werden sollten. Während der Thron der Bourbonen zusammenstürzte und das Triumphlied des siegreichen Bürgerthums in allen Landen ein frohes Echo weckte, weil hier zum ersten Male seit fünfzehn Jahren die geistlose Metternich’sche Politik des absoluten Stillstandes, die den Continent beherrschte, eine furchtbare Niederlage erlitt, sahen wir Robert Blum mit seinem harten Brodherrn um die nothwendigsten Bedürfnisse des Lebens kämpfen; die Jubelwochen des Bürgerkönigthums fanden Robert auf einer mühsamen Fußreise von Berlin nach Köln begriffen, hier brodlos. Aus purer Barmherzigkeit warf J. W. Schmitz dem jungen Manne, dem er in seinem Dienstzeugnisse nachrühmte, daß er „fleißig und willig zu jeder Arbeit sei, und daß seine erprobte Treue, Gehorsam, bescheidenes und gesittetes Betragen das ausgezeichnetste Lob und Empfehlung verdienen“, in Köln noch vier Thaler zu. Das war aber auch Alles, was Robert vom 22. August bis 1. October 1830 einnahm. Und an diesem Tage trat er mit einem Monatsgehalt von acht Thalern (vom December ab von zehn Thalern) und fünf Thalern Neujahrsgeschenk in die Dienste des Schauspieldirectors Ringelhardt als Theaterdiener.
Man sollte kaum für möglich halten, daß ein Mann in solcher Lage, so schwer gefesselt an die niedersten Erdensorgen, so tief gestellt in der menschlichen Gesellschaft, den sittlichen Muth und die kühne Schwungkraft besessen hätte, in den wenigen Stunden seiner Muße rein geistig, ja dichterisch zu schaffen, und allen Wandlungen der großen Zeitgeschichte mit gespanntestem Interesse zu folgen. Und doch hat Robert Blum dies gethan. Um die Charakterstärke völlig zu würdigen, die dazu gehörte, einen so tiefen Gegensatz zwischen der Wirklichkeit und der Welt des Dichters zu überwinden, muß man die traurige Lage, in der Robert Blum damals lebte, doch etwas näher in’s Auge fassen. Nach seinen eigenhändigen Buchungen[7] hatte er in Berlin an Kostgeld durchschnittlich acht Thaler pro Monat bezahlt, einschließlich des Logisgeldes elf Thaler. Daß er für diesen Preis nichts Vorzügliches erhielt, haben wir früher in einem seiner Briefe an Schmitz von ihm selbst erfahren. Hier in Köln aber hatte er seinen Eltern für Kost und Logis bis October 1830 nicht mehr als – einen Thaler pro Monat zu bieten. Von der Zeit seines Engagements bei Ringelhardt an konnte er anfangs vier, 1831 bis 1832 (bis 20. Juli) fünf Thaler und schließlich sechs Thaler an seine Eltern pro Monat zahlen. Wir sind aber wohl berechtigt anzunehmen, daß in diesem Betrage mehr gegeben wurde, als er dagegen empfing[8]. Denn zu allen Zeiten hat er Eltern und Geschwister nach Kräften unterstützt, und gerade damals war seine Familie der Unterstützung bedürftiger als je: der Stiefvater und die Mutter kränklich, die Stiefschwesterchen noch nicht erwerbsfähig; sogar zu gerichtlichen Klagen scheint es gekommen zu sein, denn im Monat Mai 1829 bucht Robert drei Thaler „an meine Eltern für Gerichtskosten“. Man kann sich also denken, wie kümmerlich Robert in jenen Jahren für seine materiellen Bedürfnisse sorgen konnte – ohne deren reichliche Fülle nach Ansicht unserer heutigen Materialisten nicht einmal die gemeine Gehirnsubstanz normal functioniren, geschweige denn einen solchen Ueberschuß an Durchschnittsleistung zu Tage fördern kann, wie ihn die Beschäftigung mit dem allgemeinen Wohl und poetisches Schaffen unter allen Umständen darstellt.
Man vergegenwärtige sich aber weiter auch die Niedrigkeit und Widerwärtigkeit der Dienste, aus denen Robert Blum seinen Lebensunterhalt gewann. Mit jenem unverwüstlichen Humor, der dem Manne in allen Lagen des Lebens treu geblieben ist, hat er selbst später seine damaligen Leistungen für die Kölner Schaubühne also geschildert: er mußte als Theaterdiener alle Bestellungen des Directors und der Schauspieler besorgen – sie enthielten nicht immer Liebenswürdigkeiten – Rollen, Geld austragen, Vorstellungen und Proben ansagen und dabei alle Anmaßungen und Plackereien der „Künstler“ ruhig und lammfromm hinnehmen. Er mußte „dem überstolzen Schauspieler die Grobheiten des Directors“ – möglicherweise, schalten wir ein, auch der Frau Directorin, denn Madame Ringelhardt war eine sehr energische und geschäftseifrige Dame – „dem zweiten Liebhaber die Ungezogenheiten des dritten Bösewichts hinterbringen, bald der Primadonna den Hund bewachen, bald einer anderen Dame einen andern Dienst besorgen.“ Zudem behandelte und benutzte ihn Ringelhardt zwar ohne jede herrische und verletzende Form, doch nur als Theaterdiener, das heißt als einen der untersten Angestellten seiner Bühne.
Dem stolzen Gefühl, Berather und Mitarbeiter des Chefs zu sein, das Blum in den letzten Jahren seiner Stellung bei Schmitz hegen durfte, war hier schlechthin zu entsagen. Der üble Geschäftsgang in Köln hat zudem den Director jedenfalls nicht mit der rosigsten Laune erfüllt. Gleichwohl hat Blum auch diesem Brodherrn mit größter Treue und Dankbarkeit gelohnt. Ohne ein Wort vorher zu verrathen, schrieb Blum anonym gegen Ende des Jahres 1830 in einem der gelesensten Kölner Blätter mehrere Zeitungsartikel unter der Ueberschrift „Ein Wort zu seiner Zeit“, in welchen er den schweren Druck, der auf dem Theaterunternehmer durch die enorme Armenabgabe von einem Zehntel jeder Brutto-Einnahme, die fast unerschwingliche Miethe von zwanzig Thalern pro Abend, die vielen Freibillets &c. lastete, mit warmen Worten und großer Sachkenntniß darlegte. Als Ringelhardt erfuhr, aus welcher Feder die tapfere Vertheidigung seiner Interessen geflossen war, hat er seinem Theaterdiener alles Liebe und Gute gethan, was er konnte, vor Allem ihm die Theaterbibliothek zu freiester Benutzung angeboten und ihn für außergewöhnliche Arbeiten durch Geld besonders entschädigt, auch später bei seiner Uebersiedelung nach Leipzig dafür gesorgt, daß Robert ihm dahin nachfolgte.
In dieser Stellung und Lage fand nun Robert Blum die Freude und den Muth zu dem eifrigsten poetischen Schaffen.
Schon in Berlin, vom Jahre 1829 an, hatte er sich schriftstellerisch versucht. Sein erstes Werk war freilich der reinsten Geschäftsprosa gewidmet, der Straßenbeleuchtung[9]. Aber hauptsächlich war seine schriftstellerische Thätigkeit doch auf „poetische Versuche“ gerichtet. Die Gedichte, die er unter diesem Titel selbst zusammengestellt, umfassen im Manuscript 308 Ouartseiten und vertheilen sich auf die Jahre 1829 bis mit 1834. Einige derselben sind schon 1829 und 1830 in der von Saphir herausgegebenen „Schnellpost“ erschienen, andere von 1831 an in Kölnischen Zeitungen, das Meiste erst später in der „Abendzeitung“, der „Eleganten Welt“ von G. Kühne, in „Unser Planet“ und anderen belletristischen Blättern.
Das einzige unübersteigliche Hinderniß der Herausgabe dieser Gedichte war jene fluchwürdige Einrichtung, welche in Deutschland damals noch auf fast jeglichem literarischen Schaffen, mindestens aber auf der Presse lastete: die Censur. Denn der bei weitem größte Theil dieser Gedichte ist politischen Inhalts. Und so maßvoll uns Deutschen von heute die Freiheitsbegeisterung, so natürlich uns die Vaterlandsliebe des dreiundzwanzigjährigen Dichters erscheinen muß, so war doch der Censor, der über diese Blüthen der Dichtkunst sein maßgebendes Urtheil abzugeben hatte, ganz anderer Meinung. Er strich Blum’s politisch-poetische Offenbarungen unbarmherzig zusammen und gerieth über die Unermüdlichkeit, mit welcher der junge Dichter immer neue Kinder seiner patriotischen Muse überreichte, schließlich in solche Wuth, daß er Allem, was nur Blum’s verhaßte Handschrift trug, schlechthin die Druckerlaubniß versagte. Um sich volle Gewißheit über das parteiische Vorurtheil und die leidenschaftliche Pflichtwidrigkeit dieses Wächters des Staatswohls zu verschaffen, beging Blum die Bosheit, ihm, von seiner Hand geschrieben, unter einem recht verdächtigen Titel einige Gesangbuchsverse zur Censur zuzuschicken – und richtig, der Censor strich auch diese Verse als staatsgefährlich und wiederholte dasselbe noch zweimal, als Blum ihm die nämlichen Verse, die in jeder Kirche zur Erbauung der Gemeinde gesungen wurden, noch zweimal unter anderer Ueberschrift zusendete. Von solchen Menschen hing damals die Entscheidung darüber ab, was das deutsche Volk gedruckt sollte lesen dürfen.
Von den politischen Ereignissen der damaligen Zeit stehen dem Dichter die französische Revolution, dann die große Erhebung Polens und natürlich die Verhältnisse des eigenen Vaterlandes im Vordergrunde des Interesses. Doch verfolgt er auch ferner liegende Dinge mit größter Aufmerksamkeit. Eine der schwungvollsten Dichtungen der Sammlung ist z. B. die ergreifende Klage um den Tod Bolivar’s, des Befreiers Südamerikas vom spanischen Joche († 10. December 1830):
Bolivar ist nicht mehr! klagte der Glockenton,Bolivar ist nicht mehr! brauste der Ocean,und von den Andes rückhallte die KlageUeber den Erdball.Sinkt denn der Gott dahin, fragt’ ich erschüttert mich,So wie der Wurm des Staub’s? Ist Er, der seinem VolkMehr gab als Leben: die heilige Freiheit!Sklave des Todes?So übertrieben, wie alle liberalen Zeitgenossen, pries auch Blum die Helden der Pariser Julitage. Vom gesündesten politischen Urtheil zeugt dagegen das Scherzgedicht über Griechenland, das er unter dem Titel „Literarische Anzeige“ schrieb, und von dem so Vieles noch heute auf den Staat der Hellenen paßt:
„Im Jahre ein Tausend acht Hundert und dreißigErschien, nachdem man erst lange und fleißigZu London daran war, mit Drucken und Pressen —– Auch hat man es nicht zu beschneiden vergessen —Ein Werkchen, betitelt: Neugriechischer Staat,In einem sehr niedlichen Taschenformat.Dasselbe ist ganz nach der neuesten Mode,So zierlich als möglich, und kurz, die Methode,Nach der man zu Werk ging, ist eigener Art,Und überall Ordnung mit Schönheit gepaart.Zwar wagte der Neid schon von manchen GebrechenUnd Fehlern, die drinnen sein sollen, zu sprechen;Doch können dies höchstens nur Druckfehler sein,Und diese sind dann um so mehr zu verzeih’n,Da mehrere Setzer am Werkchen gezimmert,Und Niemand um die Correctur sich gekümmert.Man suchet nun Jemanden, der den VerlagDes Werkchens gleich zu übernehmen vermag.“Ganz überraschend klar und kräftig tritt aber bei Blum der deutsch-nationale Gedanke hervor. In einer Zeit, in der fast Alle, gelegentlich auch er selbst, berauscht waren von einem unbestimmten Freiheitsdrang und kosmopolitischer Schwärmerei und die Erkenntniß, daß erst auf dem Boden eines festen, einigen, deutschen Staatslebens alle höheren Güter der Nation, vor allem die Freiheit, errungen werden könnten, höchst vereinzelt, von Männern wie Pfizer und Dahlmann ausgesprochen wurde, während Männer wie Börne und Heine nur Hohn und Spott für ihr Vaterland hatten, in dieser Zeit erscheint ein Gedicht wie dasjenige, das Blum 1831 „an Germania“ schrieb, als ein hervorragendes Zeugniß politischer Einsicht und nationaler Klarheit. Es heißt darin unter Anderem:
„Völker siehst Du auferstehen,In des Freiheitsodems Wehen,In der Zeiten hehrem Lauf;Erntend längst gestreute Saaten.Treten sie im Feld der ThatenKühn als Nationen auf.Ach, der Hebel aller Staaten,Die Erzeug’rin großer Thaten,Aller Völker Kraft und Macht.Die allein nur Muth und StärkeGeben kann zum großen Werke: —Einheit – ist Dir ja versagt!In die einzeln schwachen GliederGießt sie Kraft und Fülle wieder;Einheit ist der Staaten Mark.Kein Erob’rer stellt verwegenDann sich lüstern uns entgegen;Werdet eins, dann sind wir stark.Deutsche, nützt die hehren Stunden!Wenn sie einmal hingeschwunden,Sind sie ewig uns vorbei;Laßt das große VölkerringenEtwas wenigstens uns bringen:Werdet eins! dann sind wir – frei!“Ueberhaupt ist der gesunde Realismus, der bei aller Begeisterung des jungen Herzens aus diesen Gedichten spricht, doppelt wohlthuend in einer Zeit, die sich anschickte, mit Heine einem krankhaften sentimentalen Weltschmerz sich zu ergeben. Nirgends fingirt Blum Liebesleiden, die er nicht kannte, nirgends zeigt er sich mit der Welt zerfallen, lebensmüde, obwohl er hierzu mehr Grund haben mochte, als mancher Andere. Dagegen dringt wiederholt die bittere Klage über das harte Geschick, das ihm gerade die Erreichung der höchsten Lebensziele so unendlich schwer machte, mit der vollen Kraft eines gewaltigen Naturlautes aus seiner gepreßten Brust. Aber immer richtet ihn auf der felsenfeste Glaube an den Sieg der idealen Mächte, denen er sein Streben geweiht, und damit auch an die eigene Sendung, die er zu erfüllen bestimmt ist.
Besonders merkwürdig für seine Weltanschauung ist dabei, zumal bei dem rein rationalistischen Glauben, den er z. B. in seinem „Glaubensbekenntniß“ ausspricht, die feste Ueberzeugung an die Unsterblichkeit der Seele, die er in diesen Gedichten wiederholt ebenso deutlich bekennt, wie – in dem letzten Briefe an seine Gattin, den er Angesichts des Todes schrieb. In einem seiner frühesten Gedichte „An die Zeit“ (1829) heißt es am Schlusse:
„Du veränderst und wechselst nur jede Gestalt,Die im Staub sich erzeugte vom Staube;Doch dem Geiste droht nie der Zerstörung Gewalt,Er wird nie der Verwesung zum Raube.Zerstöre Du nur ohne Ende und Ruh’ —Ein Theil meines Wesens ist ewig, wie Du.“In der That bedurfte es eines so festen Glaubens an das Walten der sittlichen Mächte und solcher Bedürfnißlosigkeit, wie Robert Blum sie gewöhnt war, um auch in jenen bösen Tagen den Kopf oben zu behalten, als Ringelhardt Anfang Juni 1831 gezwungen war, plötzlich „aus Geschäftsrücksichten“, das heißt mit Rücksicht auf die Geschäftslosigkeit, die Bretter, die die Welt bedeuten, in Köln abzubrechen und Robert Blum zu entlassen. In dieser traurigen Lage griff dieser nach dem ersten Erwerb, der sich ihm bot – er wurde Schreiber beim Gerichtsvollzieher Kümpeler und bezog in dieser Stellung einen Monatsgehalt von – sechs Thalern! Davon war Alles zu bestreiten. Glücklicher Weise dauerte diese harte Prüfung nur bis 15. September. Da engagirte ihn Ringelhardt von Neuem für den früheren Gehalt.
Eine erhebliche Förderung verdankte Robert Blum diesem Dienstverhältnisse durch die bereits erwähnte freie Verfügung über die Theaterbibliothek des Directors. Bereits im Winter 1830 auf 1831 wurde der größte Theil der hier vorräthigen dramatischen Werke geradezu verschlungen, später mit Muße das Beste – vor Allem Schiller, Goethe, Lessing, Shakespeare und was an antiken Dramen da war, wieder und wieder gelesen, halb auswendig gelernt. Mit Schiller vor Allen gewann Blum die größte Vertrautheit. Aber auch Goethe lernte er mehr und mehr schätzen. Als der deutsche Dichterfürst starb, schrieb Blum ein tiefempfundenes „Sonett auf Goethe’s Tod“ in seine Gedichtsammlung. Daneben regten die dramatischen Novitäten des Tages den kritischen Theaterdiener an, sein Urtheil über dieselben in kurzen scharfen Distichen auszusprechen. Viele dieser Urtheile über Stücke, die heute noch auf dem Repertoire stehen, sind noch jetzt recht interessant.
„Dummheiten, Malicen und Xenien“ hat Robert Blum selbst die kleine Sammlung überschrieben, aus der hier einige Beispiele folgen.
Sonst und jetztDerbe Komik, kräft’ge Witze,Leicht und treffend wie die Blitze,Traf man sonst im Lustspiel an.Aber jetzt sind wir verwöhnt,Alles Kräft’ge ist verpönt,Weil man’s – nicht mehr schaffen kann.RaupachAls er noch Dichtungen gab, da waren die Stücke zu tadeln,Jetzt sind die Stücke zwar gut, doch ach! nicht Dichtungen mehr.Moderne KritikReiße den Einen herunter, erhebe den Andern zum Himmel;Beides mit Brutalität, doch ohne Sinn und Verstand.Schreibe das Ganze – aus Scham, aus Furcht theils auch, ohne Namen,Nennt man Dich bald ein Genie, denn das heißt heute Kritik.Das OrchesterWelche unendliche Zahl von Musikern und Instrumenten!Schade, daß durch das Gewühl man die Musik nicht mehr hört.Die Stumme von PorticiGlänzend brichst Du Dir Bahn in allen Ländern Europa’sWeil Du mit sprachlosem Mund, sprichst aus dem Herzen des Volks.MozartWürde Musik vom Unsinn auch ganz verdrängt von der Erde,Deine Werke allein geben ihr ewig Asyl.GleichnißWie die Fische ewig dürsten,Bei beständ’gem Ueberfluß,Schlürfen Schmeichelei die Fürsten,Ohne Maß und Ueberdruß.Schwere WahlAllopathie! Homöopathie!Ich schwanke schon seit vielen TagenUnd bitte, Freundchen, sagen Sie,Mit welcher darf ich es wohl wagen?Das ist Geschmack, der wechselt ab,Und richtet sich nach Zeit und Mode;Merkt nur den Unterschied vorabUnd wählt dann selber die Methode:Die Eine bringt uns in das Grab,Die Andre aber blos zum Tode!Der ReformatorThebaldus will die Welt verbessern;Was da besteht ist ihm zu schlecht,Er will ein neu Gesetz und RechtUm Glück und Wohlfahrt zu vergrößern;Doch eine Plag’, die – wenn auch klein —Doch alle bessern Menschen fliehen,Die will er nicht der Welt entziehen;Er ist es selbst mit seinem Schrein!LehreMeidet das starke Getränk, es schadet den Nerven, dem Geiste!So spricht der Weise und wahr. Merkt den erhabenen Spruch!Wasser hat furchtbare Kraft; es treibet das Schwungrad der Mühle,Brüder, das ist uns zu stark, darum – so rath ich – trinkt Wein.Glück und UnglückFeindlich getrennt, im Thun und Wirken unendlich verschieden,Wandelt Ihr dennoch vereint, Hand stets in Hand durch die Welt.Nützlich seid Ihr uns Beide, die Tiefen des Lebens zu kennen:Lehrt uns das Glück den Genuß, lehrt uns das Unglück den Werth.Stolz und HochmuthStolz, wenn er würdig ist, hält uns in ehrerbietiger FerneHochmuth stößt uns zurück, füllt mit Verachtung die Brust.Liebe und TreueLiebe hält mit zärtlichen Armen das Leben umschlungen,Treue kettet sich fest, sei es auch an – den Tod.Tugend und SchamUnzertrennliche Genien durchwandeln sie liebend das LebenDiese voll Anmuth und Reiz, jene voll Würde und Kraft.Fällt die Scham, sie reißet die Tugend mit sich zu Grabe;Sinket die Tugend, die Scham hält sie mit kräftigem Arm.Bald aber drängte die Begeisterung zu dramatischem Schaffen, die er dem Studium der Ringelhardt’schen Theaterbibliothek dankte, jede andere Dichtung zurück; glaubte er sich doch zum Theaterdichter ganz besonders vorbereitet durch die tiefen Blicke, die er als Theaterdiener hinter die Coulissen, in die Mache der Bühnentechnik gethan zu haben meinte. Pilzartig schossen die Lust-, Schau- und Trauerspiele unter seiner Feder in’s Kraut. Die wenigen „Literaten“, die ihn ihrer Freundschaft würdigten, Dr. Rave, Köhler, der Schauspieler Porth, der mit ihm viele Jahre später noch von Dresden aus treu correspondirte, natürlich auch Ringelhardt selbst, wurden von ihm unablässig mit der unheilverkündenden Bitte heimgesucht, wieder ein neues Drama von ihm zu lesen. Diejenigen, welche diese Freundschaftsprobe bestanden, sind ihm für’s Leben treu geblieben. Sie haben ihm auch als gute Freunde offen und stets von Neuem erklärt, daß seine Dramen nichts taugten. Er soll eine ungemessene Zahl seiner dramatischen Schöpfungen in’s Feuer geworfen haben, nachdem ihnen so das Todesurtheil gesprochen worden. Wären doch alle unberufenen dramatischen Dichter so reich an Selbsterkenntniß!