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Robert Blum
Da begünstigte ihn zum ersten Male in seinem Leben ein fast wunderbarer Glücksfall. Als er hoffnungs- und aussichtslos die Zeitung durchblätterte, um nach irgend einer Stellung zu suchen, welche ihm wenigstens ermöglichte, seiner guten Mutter die Sorge für seine Ernährung abzunehmen, fand er die Anzeige eines Herrn J. W. Schmitz, eines Lieferanten der vor Kurzem neu eingeführten Straßenlaternen mit einem Licht. Dieser Vertreter der öffentlichen Aufklärung suchte „einen jungen Mann mit hinlänglichen Schulkenntnissen, der in Arbeiten in Metallen erfahren und geneigt sei, Arbeiten zu beaufsichtigen und selbst mit zu arbeiten“. Robert bot sich sofort bei Schmitz an. Er gefiel dem Manne und Schmitz nahm ihn gleich an. Als die Mutter, die wohl kaum an das gute Glück ihres unglücklichen Kindes glauben mochte, nun auch zu Schmitz eilte, um einen „Accord“ mit ihm zu machen, sagte der Straßenbeleuchter: „Liebe Frau, es bedarf keines Accordes. Ich habe in Ihrem Sohne einen Schatz gefunden. Ich kenne ihn erst sehr kurze Zeit, aber ich habe seine herrlichen Eigenschaften erkannt und weiß sie zu würdigen. Für die Beschäftigung, zu der ich ihn anfangs anzunehmen gedachte, ist er zu gut. Seine Ausbildung und seine Zukunft nehme ich auf mich. Ich habe ihn lieb gewonnen.“
So glücklich und verheißungsvoll eröffnete sich Robert’s Stellung bei einem Manne, der trotz der widersprechendsten Anlagen seines Charakters und trotz der schroffsten Wandlungen in seinem Verhalten Robert gegenüber doch eine der bedeutsamsten Rollen im Leben desselben gespielt hat. Denn Schmitz hat dem jungen Manne zum ersten Male Gelegenheit gegeben, sein Vaterland kennen zu lernen, es sorgenlos und behaglich beobachtend zu durchmessen. Er hat Robert zum ersten Mal Muße, Anregung und – wenn auch dürftige – Mittel geboten, um an seiner wissenschaftlichen Fortbildung zu arbeiten. Er hat ihn die reichen Bildungsmittel, welche schon der bloße Anschauungsunterricht des damaligen München und Berlin bot, monatelang benützen und genießen lassen. Und derselbe Mann hat dann andererseits seinen treuesten, begeistertsten und dankbarsten Mitarbeiter tiefer gedemüthigt und härter behandelt, als irgend ein Anderer, von dem Robert mit seiner Existenz abhing. Schon vom psychologischen Standpunkte aus verdient daher dieser merkwürdige Mensch besondere Beachtung, hier aber insbesondere auch darum, weil der Dienst bei ihm für Robert’s Lebensziel und Ausrüstung nach dem Obigen von größter Bedeutung war. Daher scheint es gerechtfertigt, daß der Dienstzeit Blum’s bei J. W. Schmitz ein besonderer Abschnitt gewidmet wird.
4. Bei J. W. Schmitz
J. W. Schmitz war, als Robert Blum am 8. Juni 1827 bei ihm engagirt wurde, ein Mann in der Vollkraft seiner Jahre; höchst unternehmungslustig, den Gewinn, wie alle Sanguiniker, im Voraus nach den denkbar höchsten Sätzen discontirend, auf Verluste und andere böse Chancen gänzlich unvorbereitet, und darum durch jedes Mißgeschick, das ihn traf, in die übelste Stimmung versetzt, nur allzu bereit, in mißlicher Lage Andern sein Wort so wenig zu halten, wie das Glück ihm Wort gehalten. Dabei war er in gewisser Hinsicht, nämlich in der Mechanik und Astronomie und in einigen anderen Zweigen der Naturwissenschaft gut unterrichtet. Sein ganzes Leben hindurch betrachtete er die Beseitigung des allgemeinen Vorurtheils, welches seit Kepler und Newton an die Schwerkraft der Erde glaubte, als die wichtigste Unterbeschäftigung neben seinem eigentlichen Lebensziele, der Straßenbeleuchtung. Seine Opposition gegen die Anziehungskraft der Erde bildete gewissermaßen die noble Passion seines ganzen Daseins. Er bediente sich zur Beseitigung dieses Vorurtheils der im Kampfe gegen Naturgesetze auch heute noch etwas zweifelhaften Angriffswaffe der Broschüre im Selbstverlage. Ungeheure Stöße Maculatur hat er in seinem langen Leben für diese Ueberzeugung auf eigene Kosten drucken lassen. Glücklicher Weise folgten auch diese Stöße dem von ihm gehaßten Gesetz und blieben liegen, wo sie lagen. Schmitz war in den Niederlanden aufgewachsen und erzogen und hat immer in seinem Stil, seinem Charakter und seinem Geschäftsgebahren einen stark mynheerlichen Accent bewahrt.
Als Robert Blum bei Schmitz eintrat, glitt dessen Glücksschiff eben mit voller Fracht und vollen Segeln auf hoher Fluth vor dem Winde dahin. Schmitz’ Erfindung, die Straßenbeleuchtung durch Laternen mit einem Lichte zu besorgen, schien für ein Jahrhundert die Concurrenz auf diesem Felde auszuschließen. Eine große Anzahl speculativer Männer heftete sich an seine glückverheißenden Schritte. Nicht lange nach Blum’s Eintritt bei Schmitz wurde dessen Geschäft in eine Actiengesellschaft umgewandelt. Auch mit Robert schloß der Principal eine seltsame Art von Gesellschaftsvertrag. Mir liegt ein Originalvertrag vor vom 1. September 1828, unterzeichnet von J. W. Schmitz und dessen Ehefrau Antoinette Schmitz, neé Astrupp, in welchem Schmitz bekundet, daß Robert ein Viertel der Versicherungssumme von zwölftausend Franken, die laut Versicherungsvertrages vom 9. August 1828 bei Schmitz’ Ableben von der Pariser Compagnie d’assurances générales zahlbar seien, zu fordern habe, „weil ein Viertel dieser Versicherung für Blum und aus seinen Mitteln bestritten worden sind, und ein Viertel von der jährlichen Prämie selbst bezahlt.“ Das Letztere wird aus den von dieser Zeit an bis 1848 beinahe vollständig mir vorliegenden Buchungen Blum’s über seine Einnahmen und Ausgaben[5] bestätigt.
Indessen sehr bald stellte sich für die Unternehmungen Schmitz’, die auf Rüböl als Beleuchtungsstoff basirten, ein sehr böser Concurrent ein, der nach kurzem theoretischem Zweikampfe einen wahrhaft glänzenden Sieg davontrug: das Gas. Schmitz und seine Actiengesellschaft blieben bankerott auf dem Platze – Schmitz natürlich nur, um im Bunde mit dem siegreichen Gegner, dem Gase, neue Siege zu erfechten. Aber die Erzählung dieser Schicksale seines Lebens liegt jenseits der Aufgabe dieser Blätter. Robert Blum ist bei Schmitz nur zur Propaganda für die Laterne mit einem Licht und Rübölflamme verpflichtet gewesen und ist mit diesem Panier gestiegen und gefallen. Das Gas hat er in einer ganz anderen Berufsstellung, beim Stadttheater zu Leipzig, schätzen gelernt – aber erst viel später.
Bei diesen kurzen Mittheilungen über Schmitz’ Charakter und Lebensschicksale ist sein Hauptverdienst um Robert Blum, die Förderung der geistigen Ausbildung des jungen Mannes, bisher nicht berührt worden, um dieses Verdienst dem Leser nun um so eindringlicher vorzuführen. Daß Schmitz selbst in seinem Greisenalter für dieses hohe Verdienst keine Erinnerung mehr gehabt, kann bei seinem bewegten Leben kaum Wunder nehmen. Er sandte mir am 3. Februar 1865 auf meine Anfragen zwar eine vollständige Sammlung der Schriften seiner Opposition gegen Ihre Majestät die Schwerkraft, antwortete mir aber auf meine Fragen über den Einfluß, den er auf die geistige Entwickelung Robert Blum’s geübt, wörtlich nur Folgendes: „Er war Gelbgießer und klagte über schlechte Behandlung in diesem Stande. Gelesen hatte er von Allem nichts. Es mag wohl eine erste Veranlassung (zu seiner Fortbildung) gewesen sein, daß ich ihn häufig aus der Werkstatt zu meinen Bureaugeschäften rief. Er so wenig wie ich dachte an andere Kenntnisse, als die Straßenbeleuchtung. Wir dachten nicht an Bücher zu lesen. Es gab keine Zeit zum Reisen. Im Jahre 1827“ – soll heißen 1828 (und zwar erst am 23. December) – „begleitete er und ein Kutscher (!) mich nach Berlin, das damals nur hundertsiebenzigtausend Einwohner hatte. Er verwünschte alle Täuschungen, wie ich auch. Es hat gewiß manche Veranlassung gegeben, zu Correspondiren, ich finde aber keine Spur davon wieder.“
Für Schmitz freilich hatte die Correspondenz mit Robert Blum, wie wir sehen werden, durchaus nichts Reizvolles, da Blum in seinen Briefen an Schmitz rein geschäftlich blieb, andere Fragen gar nicht berührte, und die Wendung dieser Geschäfte, wie die Entschlossenheit, mit welcher Blum schließlich auf seinen von dem Herrn Principal todtgeschwiegenen Ansprüchen bestand, zu den unangenehmsten Erinnerungen gehöre, die Schmitz in seinem langen Leben angesammelt haben mochte. Die interessante Correspondenz dieser späteren Conflictszeit hat Robert Blum, mit einem Papierstreifen umschlossen, auf welchem nur der Name „J. W. Schmitz“ steht, hinterlassen. Sie offenbart besser als bogenlange Abhandlungen den Charakter der beiden Männer, die sich dabei gegenüberstanden. Da sie zugleich das Dienstverhältniß Blum’s zu Schmitz abschloß, so steht sie am Ende dieses Capitels.
Als Robert Blum seinen Dienst bei Schmitz antrat, störte kein Wölkchen den beiderseitigen Frieden. Täglich mehr überzeugte sich der Principal, daß er in dem neuen Gehülfen einen wahren Schatz gefunden habe. Die complicirtesten Aufträge und Arbeiten erledigte Robert geschickt, umsichtig, rasch, zu Schmitz’ vollster Zufriedenheit. Eine Treue, einen Fleiß und Eifer entwickelte Robert im Dienste, eine so glückliche Auffassungsgabe und ein solches Talent zu eigener Initiative, daß Schmitz ganz erstaunt war. Gern gab er seiner Zufriedenheit durch freiwillige Gehaltszulagen Ausdruck. Zuletzt, 1830, war der Gehalt Roberts, bei freier Station, auf – fünf Thaler pro Monat gestiegen. Mit dieser Summe hat Robert seine Wäsche und Garderobe beschafft, das Hoftheater in München und später Vorlesungen an der Berliner Hochschule besucht, seine Eltern und Geschwister unterstützt und alle seine unschuldigen Vergnügungen bestritten. Mit diesem Einkommen hielt sich Robert für einen Krösus; demjenigen, der es ihm gewährte, hat er sein ganzes Leben, trotz der schmählichen Behandlung, die derselbe Mann ihm später angedeihen ließ, die aufrichtigste Dankbarkeit bewahrt.
Das Leben bot ja Robert auch in dem neuen Dienste ein so heiteres, glückliches Antlitz, wie der Arme es bisher noch nie geschaut hatte. Jetzt durchflog er das blühende Rheinland, das er früher mühsam und sorgenvoll am Wanderstabe durchmessen, dazu den ganzen sonnigen Süden Deutschlands in einem bequemen Reisewagen, an der Seite eines leidlich gebildeten, ihm zugleich aus Eigennutz und natürlicher Regung gewogenen Mannes, der viele Menschen und Länder gesehen, der in den Naturwissenschaften zu Hause war, der dem erstaunten jungen Manne sogar offenbarte, daß Erde, Sonne, Planeten und Fixsterne eigentlich auf ganz falschen Bahnen wandelten und reuig umkehren würden, wenn er, Schmitz, ihnen das schriftlich bewiesen haben würde. Dazu nun das Robert bis dahin unbekannte herrliche Gefühl völliger Freiheit von drückender Erdensorge, das Bewußtsein, daß er und seine Arbeit geschätzt werde von Demjenigen, von dem sein Wohlergehen abhing, bald nachher auch zum ersten Male die stolze Befriedigung, daß ihm wichtige fremde Interessen allein, zu selbstständiger verantwortlicher Erledigung übertragen wurden. Man kann sich denken, welches Maß von Glückseligkeit und Dankbarkeit in dieses reine arme Herz einzog.
Schon am 9. Juni 1827 verließ Robert mit Schmitz Köln und fuhr nun wochenlang durch das frühlingsgrüne reiche Land; das ganze Entzücken über die herrliche Reise mit wenig Worten in sein „Reisejournal“ eintragend[6]. Am 10. Juni ist Mainz, am 12. Juni Frankfurt erreicht. Hier wird einige Tage gerastet, die alte Kaiserstadt – in der später der „Gelbgießer“ Blum seinen Sitz im deutschen Parlament finden sollte – mit Andacht durchwandert. „Hier wurden ehemals die römisch-deutschen Kaiser gewählt und jetzt ist sie der Sitz des deutschen Bundestages. – “ Der Gedankenstrich steht wirklich im Reisejournal. „Zu den vielen Merkwürdigkeiten der Stadt gehören besonders das Rathhaus, der Dom &c., die herrlichen ‚Neuen Anlagen‘ und die schöne Brücke, wodurch sie mit der Vorstadt Sachsenhausen zusammenhängt; auch wurden Goethe und Klinger hier geboren.“ Charakteristisch für den späteren Begründer des Leipziger Schillervereins ist es, wie viel wärmer als hier Goethe’s er wenige Seiten später in seinem Reisetagebuch Schiller’s gedenkt. Er schreibt da neben „Ludwigsburg“ bei Stuttgart: „vom Hohenasperg Aussicht auf Marbach, Geburtsort unseres unsterblichen Schiller’s.“ Am 16. Juni ging es weiter nach Darmstadt, den folgenden Tag bis Heidelberg. „Von hier,“ schreibt er bei Darmstadt, „beginnt die schon von den Römern angelegte Bergstraße, welche sich bis nach Heidelberg hinzieht. Das alte Rheinthal zwischen Darmstadt und Heidelberg ist einer der reizendsten und fruchtbarsten Landstriche Deutschlands; die Berge im Osten sind mit Wein und stolzen Waldungen bedeckt, und das Thal prangt bis an das Ufer des Rheines allenthalben in der üppigsten Fülle.“ Bis zum 21. Juni wird Württemberg (Stuttgart, Eßlingen, Göppingen bis Ulm) durchfahren, dann zwei Tage später, über Günzburg, Augsburg und Dachau, München gewonnen.
In München ist Robert vom 23. Juni bis 29. November 1827, also über fünf Monate geblieben. Er hat den größeren Theil dieser Zeit allein den Schmitz’schen Geschäften vorzustehen gehabt, die in der Hauptsache darin bestanden, die Laterneneinrichtung im königlichen Schlosse zu leiten. Bei dieser Gelegenheit hatte Blum eines Tages eine flüchtige, aber bedeutsame Unterredung mit König Ludwig dem Ersten von Baiern.
Viel Zeit blieb Robert übrig, um seinem Wissensdrange zu genügen und welche Fülle von Anregung gewährte hierfür München! Ein Gang durch München schon bietet, wie Moritz Carrière mit Recht einmal bemerkt, dem Nachdenkenden ein Bild der Bau- und Kunstgeschichte von zwei Jahrtausenden; ein Gang um München zeigt die unendliche Gestaltungskraft der Natur in aller Fülle und Mannigfaltigkeit. Im Jahre 1814 erst hatte König Maximilian der Erste begonnen, das enge und traurige Nest, das in seinem Aeußeren seit 1791 noch immer aussah wie eine geschleifte Festung und sich seit 1806 noch nicht ordentlich als Residenz hatte fühlen lernen, in eine stattliche, heitere Königsstadt umzuschaffen. Und dieses Werk hatte König Ludwig der Erste mit augusteischer Freigebigkeit und kunstsinniger Prachtliebe fortgesetzt. Eben als Robert in München eintraf, war unter Klenze’s Leitung das neue Hoftheater nach dem Brande von 1823 in vollendeter Schönheit aus dem Schutte erstanden, die herrliche Glyptothek ihrer Vollendung nahe, dem öffentlichen Besuch bereits geöffnet, der Königsbau des Alten Schlosses am Max-Joseph-Platz, die Alte Pinakothek und andere Prachtbauten im Entstehen begriffen. Durch den Reichthum und die Bedeutung seiner Kunstschätze, vor Allem durch die Sculpturensammlung der Glyptothek, überragte München damals unstreitig alle anderen deutschen Städte bei weitem, obwohl die Stadt kaum mehr als fünfzig- bis sechszigtausend Einwohner gezählt haben mag. Dazu nun das ganz eigenthümliche, von den Gewohnheiten des Rheinländers so weit abliegende und doch jeden Fremden so gemüthlich anheimelnde Volksleben des altmünchener Bürgers, mit seinem trockenen Humor, seiner biederen Schwerfälligkeit und genußfreudigen Behaglichkeit. Alles das hat Robert lebhaft angezogen und gefesselt. Die Architektur- und Kunstschätze der schönen Kirchen Münchens, die Hoftheater, die Gemäldegallerie und Glyptothek, das polytechnische, anatomische und naturhistorische Museum, vor Allem aber die königliche Bibliothek hat er, nach seinem Reisejournal, fleißig besucht.
Alle Freistunden des Tages widmete er dieser Bereicherung seines Wissens, seiner Geschmacks- und Kunstbildung; der Abend wurde so oft als möglich im Theater, ein guter Theil der Nacht in ernsten Studien in allen möglichen Fächern des Wissens, in denen Robert bei sich Bildungslücken entdeckt hatte, hingebracht. In dieser Hinsicht war die Reise mit Schmitz von Köln nach München von großer Wichtigkeit für Robert gewesen. Sie hatte ihm bei sich selbst überall eine, wie er meinte, fast bodenlose Unwissenheit enthüllt, an deren Ausfüllung er nun mit eisernem Fleiße arbeitete. Leider sind auch aus diesen Tagen Briefe Robert’s an die Seinen nicht erhalten. Dagegen finde ich in seinem „Stammbuche“ Blätter von den wenigen jungen Männern, mit denen er in München Anknüpfung suchte, welche beweisen, daß er damals mit größtem Eifer insbesondere philosophischen Studien nachgegangen sein muß und das Bedürfniß empfand, das in der Stille der Nacht beim Lampenschein aus weltweisen Büchern in sich Aufgenommene mit den Freunden zu durchsprechen. Einige der Genossen scheint der metaphysische Gelbgießer, nach ihren Stammbuchblättern zu schließen, beinahe bis über die Grenzen vernünftiger Erkenntniß hinaus gefördert zu haben. Sicher ist, daß Robert sich sowohl in München, wie später in Berlin, seiner sorgenlosen Freiheit vollkommen würdig gezeigt, von jeder Verirrung, welche die fröhliche Großstadt nahelegen und leicht verzeihen mochte, ferngehalten hat.
Auf demselben Wege, den er auf der Hinreise genommen, kehrte Robert Ende November nach Heidelberg, von dort über Mannheim und Worms nach Hause zurück, wo er am 12. December eintraf; jedoch nur, um bereits am 15. Elberfeld aufzusuchen, wo er bis zum 20. September 1828 in der Gesellschaft Schmitz’ verweilte, da dieser sein Geschäft dahin verlegt hatte. Hier wußte er sich seinem Principal immer unentbehrlicher zu machen. In jeder Freistunde aber, namentlich in der Nacht, wurde an der Erweiterung des Wissens und der Bildung gearbeitet, auch die erste sehr bescheidene Grundlage einer eigenen Bibliothek gelegt. Nur ganz vorübergehend ist er im September und October 1828 auf einer Geschäftsreise nach Coblenz und Kreuznach bei den Seinen in Köln gewesen. Auch dort hatte sich inzwischen Manches besser gestaltet. Die garstige Mutter des Stiefvaters Schilder war schon seit zehn Jahren todt, die eine der beiden zänkischen Stieftanten war ihr bald in’s Grab nachgefolgt, die andere hatte Köln verlassen. Dadurch war das Verhältniß seines Stiefvaters zu seiner Mutter ein wesentlich besseres geworden. Im November 1819 hatte diese das erste lebende Kind zweiter Ehe, Elise, und nach zwei weiteren bösen Wochenbetten am 20. März 1827 das letzte Kind, Agnes, geboren. Dadurch war freilich auch neue Sorge in das Elternhaus eingekehrt. Am 12. October theilte Robert den Eltern mit, daß Schmitz beabsichtige, einen Theil seines Geschäfts nach Berlin zu verlegen, und ihn dorthin mitnehmen wolle. Auf unbestimmte Zeit nahm er Abschied von den Seinen.
In der That wurde dieser Aufenthalt in Berlin zu dem längsten, freudigsten und bedeutsamsten, den Blum seiner Verbindung mit Schmitz verdankte. Am 24. November 1828 wurde die Reise von Elberfeld aus angetreten. Sie führte über Iserlohn, Paderborn, Warburg nach Kassel – dessen herrliche Umgebungen tiefen Eindruck auf Robert machten – dann nach Münden, Göttingen, Mühlhausen, Langensalza, Gotha, „Erfurth“ und Weimar – mit Behagen verzeichnet er in seinem Reisejournale jede landschaftliche Schönheit, welche ihm die Winterreise durch Norddeutschland bietet. Nirgends sucht er seinen Genuß zu verkümmern durch Vergleiche mit dem so viel verschwenderischer ausgestatteten, im Sommer besuchten Süden. Vom Weine Naumburgs sagt er höflich, er sei „dem Moselwein an Geschmack ähnlich“. Mit Andacht erblickt er bei Merseburg in der Ferne das Schlachtfeld von Lützen, tritt er in Wittenberg an Luther’s und Melanchthon’s Gruft. Dann aber schreibt er in sein Reisejournal am 21. December: „Jenseits der Elbe nimmt die Fruchtbarkeit allmählich ab und nicht weit von ihren Ufern beginnen die einförmigen, traurigen und unabsehbar-flachen Sandwüsten, die sich bis zur Ost- und Nordsee fortziehen und nur selten von einzelnen Hügeln desselben Stoffes unterbrochen werden. Auf den reizenden Fluren dieser deutschen Sahara erblickt man nichts als elende Dörfchen, magere Tannenwälder und nur zuweilen pflanzen sich auf kleinen, sehr mühsam bearbeiteten Sandflächen verkrüppelte Haber- und Kornähren und etwas Kartoffeln fort, die den genügsamen Bewohnern ihre kärgliche Nahrung geben; nicht selten aber giebt es auch unabsehbare Strecken, auf welchen weder ein Strauch noch ein Gräschen fortkommen kann. Daß es Ausnahmen und einzelne fruchtbare Stellen giebt, ist bekannt; allein sie sind selten!“ Von dem heldenmüthigen Kampfe, den in dieser „deutschen Sahara“ das preußische Volk mit der Ungunst der Elemente durch Jahrhunderte geführt, um den Boden überhaupt culturfähig zu machen, und wie durch diesen Kampf nicht am wenigsten die Entwickelung des Charakters jenes deutschen Volksstammes möglich wurde, der vereint mit seinem hochsinnigen Fürstenhause die ebenso feindseligen Naturgewalten bändigte, welche der Gründung eines deutschen Nationalstaates entgegenstanden, davon konnte der heißblütige junge Rheinländer freilich damals noch keine Ahnung haben. Er urtheilte vorläufig so herb und verächtlich über Preußen, wie die meisten seiner Heimathsgenossen damals thaten. Und noch nachdem er Berlin kennen gelernt, und dieser Stadt die wichtigste Förderung seiner Kenntnisse verdankte, schrieb er, allerdings in tiefster gemüthlicher Depression, in Oranienburg in sein Reisejournal: „Die Gegend ist sandig, traurig und einförmig, kurz preußisch.“
Noch in ganz anderem Maße als in München wurde ihm in Berlin Gelegenheit geboten, seine Kenntnisse zu vervollkommnen, alle Lücken seiner Bildung zu ergänzen. Mancherlei Ursachen wirkten hierfür zusammen. Trotz seiner noch nicht 200,000 Einwohner und der gegen die „Präsidialmacht“ Oesterreich in deutschen Angelegenheiten – mit Ausnahme der Zoll- und Handelspolitik – äußerst vorsichtigen Politik der Regierung Friedrich Wilhelm’s des Dritten, war Berlin doch schon damals unzweifelhaft die geistige Hauptstadt Deutschlands. Solche Vielseitigkeit von Interessen vertrat keine Stadt in so vorzüglicher Weise wie Berlin. Es ist ein schönes Zeugniß sowohl für die Klarheit der Beobachtung, wie für die Gerechtigkeit Robert Blum’s, daß er sehr bald nach seiner Ankunft in Berlin in sein Reisejournal schrieb: „Prächtige Haupt- und Residenzstadt, ohnstreitig die schönste in Deutschland.“ So schrieb der junge Mann, der noch begeistert war von den Kunstschätzen und Kunstbauten Münchens und sehr gering dachte vom „traurigen preußischen Wesen“. In der That hatte aber auch Berlin damals eben durch Schinkel’s und Rauch’s geniale Schöpfungen auch in künstlerischer Hinsicht ein ganz neues Gepräge gewonnen. Alle die monumentalen Bauten und Bildwerke, die sie bis zu Robert’s Ankunft in Berlin geschaffen, feiert dieser begeistert in seinem Journal. Ebenso entzückt ist er von den älteren Meisterwerken Schlüter’s und Anderer, dem Brandenburger Thor, den Kunstsammlungen Berlins, für deren Schätzung sein Verständniß in München geschärft war. Freudig ergeht er sich in den einzig-schönen Anlagen des Thiergartens, die Lenné kurz zuvor in einen der herrlichsten Parks der Welt umgeschaffen hatte. Hier überkommt ihn auch ein Begriff von der gewaltigen, fast heroischen Arbeit, die dazu gehörte, auf solchem Boden diese Stadt und Umgebung zu schaffen. „Man wähnt sich in diesen Pflanzungen wirklich auf einen ganz anderen Boden versetzt,“ schreibt er, „es macht daher einen ganz eigenen Eindruck, wenn man aus dieser künstlichen Ueppigkeit heraustritt und auf einmal die mageren, einförmigen Sandflächen vor sich sieht.“ Bei einem Besuche in Charlottenburg spricht er gerührt von dem Grabmal „der verewigten Königin Louise“.
Zu dieser Freude an den Kunstschöpfungen, die seinen in München gebildeten Schönheitssinn vollauf befriedigten, trat nun hinzu die Wahrnehmung, daß der Volkscharakter der Berliner weit entgegenkommender, redelustiger, in Vielem mit seinem eigenen Naturell weit übereinstimmender sich erwies, als der Münchener. Den energischen Fleiß, den durch keine Widerwärtigkeit zu störenden fröhlichen, immer zu einem Scherz bereiten Gleichmuth, die durchaus realistische, immer kritische und vorsichtige Beobachtungsgabe des Berliners gewahrte er mit Vergnügen an dem Völkchen der Hauptstadt. Er fühlte sich wohl da, wie zu Hause, denn er fand hervorragende Eigenthümlichkeiten seines Wesens hier allgemein verbreitet. Daß er alle Bildungselemente, die Berlin bot, so vollständig und segensreich in sich aufnahm, verdankt er außerdem der Länge seines dortigen Aufenthaltes. In München hatte er nicht ein halbes Jahr zugebracht. In Berlin blieb er mit kurzen Unterbrechungen fast zwanzig Monate, bis zum 9. August 1830.
Den allerbedeutendsten Einfluß aber dankte er der Berliner Hochschule. Sie war in den schlimmsten Jahrzehnten, welche die Reaction über Deutschland gebracht hat, immer der Freistuhl der deutschen Wissenschaft und Forschung geblieben. Kein Censor und kein Demagogenriecher durfte es wagen, das freie Wort des Katheders in Fesseln zu schlagen. Die Redefreiheit, die heute für die deutschen parlamentarischen Versammlungen gewährleistet ist, bestand damals eigentlich nur für die Lehrstühle der Hochschulen, gewiß für die Berliner. In allen Facultäten lehrten die gefeiertsten Namen deutscher Wissenschaft. Im Jahre 1829 hatte man in Berlin auch formell gebrochen mit dem System argwöhnischer Ueberwachung, welches die unseligen Karlsbader Beschlüsse seit einem Jahrzehnt auch Preußen scheinbar zur Pflicht gemacht hatten. Von da ab übten Rector und Universitätsrichter die Ueberwachung, die bis dahin einem Regierungsbeamten übertragen war. Von 1830 an wurde auch Nichtstudenten der Besuch der Vorlesungen gestattet: vierhundertsechsundfünfzig machten sofort davon Gebrauch, unter ihnen Robert Blum. Die systematische und rein wissenschaftliche Behandlung der Lehrfächer, zu denen Robert sich besonders hingezogen fühlte, machten seine fleißigen nächtlichen Studien erst wahrhaft fruchtbar.