bannerbanner
Die Träger des deutschen Idealismus
Die Träger des deutschen Idealismus

Полная версия

Die Träger des deutschen Idealismus

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
Добавлена:
Настройки чтения
Размер шрифта
Высота строк
Поля
На страницу:
3 из 3

Zeigt diese Stelle einmal, wie tief eine religiöse Überzeugung in Kants Gemüte wurzelt, so bekundet sie nicht minder die eigentümliche Art des von ihm entwickelten Idealismus. Bisher suchte die Philosophie aus dem Ganzen der Weltanschauung dem Leben seine Richtung zu geben, es hatte seine Ziele und Güter aus der mit dem All befaßten Wissenschaft zu empfangen. Darin vollzieht nun Kant eine völlige Umkehrung. Ein spekulatives Eindringen in die letzten Gründe ist nach seiner Überzeugung dem Menschen schlechterdings versagt, aber deshalb brauchen wir nicht auf allen Sinn der Wirklichkeit zu verzichten, wir finden ihn und zugleich die Richtung des Lebens vom Handeln her, von einem Handeln, das sich selbst zu einer Welt erweitert, aus seiner Tätigkeit eine Welt der Freiheit hervorbringt.

Ein Idealismus, der daraus hervorgeht, scheint unserem Denker weit kräftiger und lebensvoller als einer, der einer verwickelten Weltanschauung entspringt; auch hat er den Vorteil, sich auf etwas zu gründen, was jedem Menschen nahe und gegenwärtig ist, was daher jeder ohne viel gelehrtes Wissen bei sich beleben kann. Es ist der Mensch als Mensch, den diese Denkweise aufruft.

Nachdem so die Weltmacht der Moral völlig gesichert ist, darf sie ihr Maß an das vorgefundene Dasein legen, darf sie den ganzen Umkreis des Lebens an sich zu ziehen und von sich aus zu gestalten suchen. Sie wird dabei vor allem eine völlige Unabhängigkeit vom Stande der Menschen wahren, nicht ihre Vorschriften danach einrichten und darauf herabstimmen, was im Durchschnitt getan wird; für »höchst verwerflich« wird es erklärt, »die Gesetze über das, was ich tun soll, von demjenigen herzunehmen oder dadurch einschränken zu wollen, was getan wird«. Die Moral hat ihr Gesetz und ihr Gericht in sich selbst, das Tun und Treiben der Menschen ändert daran nicht das mindeste. »Wenn ein jeder löge, wäre deswegen das Wahrreden eine bloße Grille?«

Das radikale Böse

Bei solcher Unabhängigkeit der Moral kann es in keiner Weise erschrecken und niederdrücken, wenn der Mensch sich in weitem Abstande von ihr befindet. Das aber ist nach Kants Überzeugung in der Tat der Fall. Sein Urteil über den moralischen Stand der Menschheit ist wenig günstig. Er beklagt vor allem die Unlauterkeit des Menschen, seinen Mangel an Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit, er findet in ihm einen Hang zum Bösen, der nicht zu vertilgen, sondern nur zu überwiegen ist, er meint, daß das Böse nicht bloß in den Neigungen, sondern im Willen liege, indem man jenen nicht widerstehen wolle. So hat Kant die Lehre von einem »radikalen« Bösen, und er spricht wohl von einer Bösartigkeit der menschlichen Natur; auch seine näheren Ausführungen zeigen ein starkes Mißtrauen gegen die moralische Haltung des Menschen. »Aus so krummem Holz, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.«

Da dies aber seine Hochschätzung des Menschenwesens als eines Trägers sittlicher Freiheit in keiner Weise vermindert, so entsteht eine starke Spannung, und es erklärt sich auch, wie Kant weniger darauf bedacht ist, eine Verständigung zwischen der sittlichen Forderung und dem Menschen der Erfahrung herbeizuführen, als das sittliche Gesetz in seiner vollen Reinheit und Strenge aufrechtzuhalten; alle Laxheit, alle Neigung zu Kompromissen findet bei ihm entschiedenste Ablehnung.

Es bringt ihm daher echte Moral einen fortwährenden Kampf mit sich, einen Kampf zwischen Neigung und Pflicht, zugleich aber eine hohe Schätzung der Tapferkeit, wie er denn die Tugend geradezu als moralische Tapferkeit bezeichnet, deren Fahne es hochzuhalten gilt. So ist das Leben, das hier entsteht, wahrlich nicht leicht und bequem, es verlangt unaufhörliche Anspannung aller Kraft, es verlangt fortwährende Selbstüberwindung, aber es erlangt in dem allen auch eine unvergleichliche Größe und Freude, es hat seinen Lohn in sich selbst, braucht ihn nicht von draußen her zu empfangen, es hebt über das gewöhnliche Glück hinaus und trägt in sich selbst eine hohe Befriedigung.

Wenn Kant von der Moral als der herrschenden Macht alle Lebensgebiete gestaltet, so mag das eine große Gefahr für die Entfaltung der Eigentümlichkeit dieser dünken. In Wahrheit ist eine Verengung nicht zu leugnen, da Kant die Moral lediglich auf das Verhältnis zu Menschen beschränkt, nur Pflichten des Menschen gegen Menschen kennt. Andererseits verhindert die hohe Fassung der Moral als eines Reiches der Freiheit und Selbsttätigkeit mit Sicherheit ein Sinken zu einem bloßen Moralismus, der alles nur daraufhin ansieht, wie weit es der Besserung der Individuen nütze; die Moral greift hier weniger in den näheren Bestand der Gebiete ein, als sie ihrem Ganzen die Richtung auf höchste Zwecke, auf jenes Reich der Freiheit gibt; so wirkt sie konzentrierend, klärend und kräftigend auf den ganzen Umfang des Lebens.

Kant und die Religion

Am wenigsten erlangt wohl ihr volles Recht die Religion, wenn sie als »die Erkenntnis aller unsrer Pflichten als göttlicher Gebote« verstanden wird. Denn streng genommen würde sie damit ein bloßes Mittel zur Verstärkung der Moral, und es wäre dabei nicht einmal gewiß, ob das bloß eine Hilfe für menschliche Schwäche wäre, die ein Starker wohl auch entbehren könnte, oder ob sie eine Wahrheit aus eigenem Rechte besitzt. Was aber den Inhalt betrifft, so liegt nach Kant in der Religion aller Wert am Tun. Dabei läßt sich vollauf anerkennen, daß der eigentümliche Charakter der Religion wenig zur Geltung kommt, und doch die Energie bewundern, mit der die moralische Seite der Religion hervorgekehrt, allem Scheinwesen in ihr widerstanden, ihr Leben vor allem in unmittelbare Gegenwart gestellt wird. Bezeichnend sind hier die Worte: »Alles was außer dem guten Lebenswandel der Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes,« und die anderen: »daß ein Geschichtsglaube Pflicht sei und zur Seligkeit gehöre, ist Aberglaube.« Es ist aber »Aberglaube der Hang, in das, was als nicht natürlicherweise zugehend vermeint wird, ein größeres Vertrauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären läßt, – es sei im Physischen oder Moralischen«. Kant ist darum besorgt, daß die Selbständigkeit der Moral durch ihre Verkettung mit der Religion Schaden leide; so dringt er mit höchstem Eifer darauf, daß nicht die Moral auf die Religion, sondern die Religion auf die Moral gegründet werde. Kants persönliche Religion war ohne Zweifel weit reicher und tiefer als die von ihm in Begriffe gefaßte, ein Bewußtsein der Abhängigkeit von einer höheren Macht und ein Vertrauen auf diese Macht geht durch alle seine Schriften. Ein bloßer Moralist konnte nicht sagen, daß, wenn man von einem letzten Zwecke der Welt sprechen dürfe, er nicht in der Glückseligkeit der vernünftigen Wesen zu suchen sei, sondern in der Ehre Gottes.

Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit

Zu größerem Reichtum entfaltet sich die moralische Grundanschauung Kants in der Gestaltung des menschlichen Zusammenseins. Hier haben sich in allen Verhältnissen die beiden Tugenden zu bewähren, die ihm als die höchsten gelten: Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit. Die Pflicht der Wahrhaftigkeit geht in erster Linie nicht gegen andere, sondern gegen uns selbst, in der Lüge und Unaufrichtigkeit schaden wir vornehmlich uns selbst, indem wir dadurch die Achtung zerstören, die wir uns selbst als einem moralischen Wesen schulden. Zur Pflicht der Wahrhaftigkeit gehört auch, daß wir überall aus selbständiger Entscheidung und eigner Überzeugung handeln, auch uns davor hüten, blinde und äußere Bekenntnisse nachzusprechen. Gewiß schützt auch strenge Gewissenhaftigkeit uns nicht vor Irrung, aber diese trifft dann nicht unsere Gesinnung. »Es kann sein, daß nicht alles wahr ist, was ein Mensch dafür hält (denn er kann irren), aber in allem, was er sagt, muß er wahrhaft sein.«

Das Verhältnis der Menschen untereinander werde aber durch die Idee der Gerechtigkeit bestimmt, sowohl im privaten Verkehr als im Staate als im weltbürgerlichen Verkehr der Völker. Wie hoch Kant von der Gerechtigkeit denkt, das zeigen die Worte: »Wenn die Gerechtigkeit untergeht, hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben«; von der Ungerechtigkeit aber sagt er: »Niemals empört etwas mehr als Ungerechtigkeit, alle anderen Übel, die wir ausstehen, sind nichts dagegen.«

Demnach empfiehlt es sich, das Verhältnis von Mensch zu Mensch mehr auf Gerechtigkeit und gegenseitige Achtung als auf Liebe zu stellen. Liebe kann nicht geboten werden, und Mitleid ist kein großes Gegenmittel gegen den Eigennutz. Es fällt hier stark ins Gewicht, daß Kant wenig von den Neigungen des Menschen hält und sie viel zu veränderlich findet, um auf sie unser Leben zu bauen.

Aus der Selbstachtung aber, die ich als Glied eines Reiches der Freiheit haben darf, geht unmittelbar eine Achtung auch der anderen hervor; umgekehrt läßt sich sagen, daß, wo diese Achtung fehlt, es im Grunde auch an echter Selbstachtung gebricht. »Der Hochmütige ist jederzeit im Grunde seiner Seele niederträchtig.«

Kants Staatsideal

Im Staatswesen aber wirkt die Kantische Grundüberzeugung zur Voranstellung der Ideen Recht und Freiheit. Die hohe Schätzung der Freiheit, welche Kant im Ganzen des Lebens bekundet, muß natürlich auch hierher wirken; vom Recht aber sagt er, daß es der Augapfel Gottes auf Erden sei. Der enge Zusammenhang von Recht und Freiheit erhellt aus der Definition des Rechts als »des Inbegriffs der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann«. Den Staat aber definiert er als eine »Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen«. So ist der Staat hier vor allem Rechtsgemeinschaft, er gilt als von den Individuen her entstanden; mag Kant seine Entstehung aus einem Vertrage als Faktum bekämpfen, als Idee hält er sie fest. So kann hier von einem nationalen Staate, auch von einem Kulturstaate nicht die Rede sein; diese Begriffe blieben einer späteren Entwicklung vorbehalten. In die nähere Ausführung wirken Gedanken ein, welche die Französische Revolution, namentlich ihr Beginn, auch in Deutschland weiten Kreisen zugeführt hatte. Die Forderungen der Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit spielen bei Kant eine große Rolle, aber er hat sie ethisch vertieft und auch in der näheren Ausführung maßvoll gestaltet. Sein politisches Ideal ist eine Repräsentationsverfassung, »alle wahre Republik ist und kann nichts anderes sein als ein repräsentatives System im Volke«. Bei aller Freiheitsliebe hat er wenig Sympathie für die Demokratie, er sieht in ihr eine Gefahr für die Freiheit des einzelnen, die ihm besonders am Herzen liegt, »Volksmajestät« erklärt er für einen »ungereimten Ausdruck«. Eine nahe Verwandtschaft mit den Lehren des englischen Liberalismus ist in diesem Aufbau des Staates von den Individuen her nicht zu verkennen, aber solche Verwandtschaft darf erhebliche innere Unterschiede nicht übersehen lassen. Dort ist es der Mensch, wie er leibt und lebt, dem die Freiheit und mit ihr ein hoher Wert zuerkannt wird, bei Kant ist es die Persönlichkeit als Glied einer sittlichen Welt; dort ist das höchste Ziel das Wohlergehen der Gesellschaft, bei Kant dagegen die Begründung eines Reiches der Freiheit und Gerechtigkeit auf dem eigenen Boden der Menschheit; dort mußte man, um die eigenen Ziele erreichbar zu finden, den Menschen moralisch vortrefflich denken und ihn damit idealisieren, bei Kant verhindert, wie wir sahen, alle Hochschätzung der Vernunft im Menschenwesen nicht die volle Anerkennung schwerer Mängel und Schäden. Es hängt damit eng zusammen, daß seine Art der Freiheit keine Weichheit kennt, vielmehr einen strengen Charakter hat; dafür ist z. B. bezeichnend die entschiedene Verteidigung der Todesstrafe als einer Forderung der Gerechtigkeit.

Das Verlangen einer Ordnung der menschlichen Verhältnisse aus der Idee der Gerechtigkeit hat Kant auch auf das Verhältnis der Völker ausgedehnt und auch für die äußere Politik eine Leitung durch die Idee des Rechts verlangt. Hier stößt er besonders hart mit den Durchschnittsverhältnissen und auch mit den Durchschnittsmeinungen zusammen, aber hier zeigt er auch besonders deutlich die unbeugsame Festigkeit seiner Überzeugung, sein Vermögen, unbeirrt durch allen Widerspruch mit ruhiger Kraft den eigenen Weg zu verfolgen. Mit größter Energie tritt er dafür ein, daß nie das Recht der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Rechte angepaßt werde. Was eine vom Rechte absehende Politik an äußeren Vorteilen etwa gewinnen lassen kann, das wiegt nach seiner Überzeugung weitaus nicht den Schaden auf, der aus der Geringachtung dessen hervorgeht, was dem menschlichen Leben allein einen Wert zu geben vermag. Wohl ist, so meint er, Ehrlichkeit nicht immer die beste Politik, aber sie ist besser als alle Politik. Politiker, die nur auf den Erfolg ausgehen und sich dabei ihrer Menschenkenntnis rühmen, mögen die Menschen kennen, nicht aber kennen sie den Menschen und was aus ihm gemacht werden kann.

Der ewige Friede

Aus solchem Zusammenhange ist auch die Schrift vom ewigen Frieden zu verstehen, der das 18. Jahrhundert von früh an beschäftigt hatte, der aber von Kant mit besonderem Nachdruck vertreten wird. Er entwickelt diesen Gedanken nicht bloß in jener Schrift, er verficht ihn eifrig auch sonst, er erklärt dabei den Krieg als »das größte Hindernis des Moralischen«, er stellt die Forderung, den Krieg erstlich nach und nach menschlicher zu gestalten, ihn darauf seltener zu machen, ihn endlich als Angriffskrieg ganz verschwinden zu lassen.

Sein Ideal ist ein »allgemeiner Staatenverein (analogisch mit dem, wodurch ein Volk Staat wird)«, nur er vermöge einen wahren Friedensstand herbeizuführen. Die Schwierigkeiten dessen entgehen Kant freilich nicht, in seiner Rechtslehre führte ihn ihre Erwägung sogar dahin, den ewigen Frieden eine »unausführbare Idee« zu nennen. Aber er bleibt ihm doch das letzte Ziel des ganzen Völkerrechts, und für ausführbar erklärt er die »politischen Grundsätze, die darauf abzwecken, nämlich solche Verbindungen der Staaten einzugehen, als zur kontinuierlichen Annäherung zu denselben dienen«. An einer anderen Stelle erklärt er, der ewige Friede sei »keine leere Idee, sondern eine Ausgabe, die, nach und nach aufgelöst, ihrem Ziele (weil die Zeiten, in denen gleiche Fortschritte geschehen, hoffentlich immer kürzer werden) beständig näher kommt«.

Beim Fortschrittsgedanken, der uns hier begegnet, ist Kants Stellung eigentümlich genug. Seine Geringschätzung der moralischen Beschaffenheit des Menschen, namentlich seine Überzeugung von der tiefen Wurzel des Übels, macht es ihm schwer, einen Fortschritt anzunehmen, spricht er doch von einem »traurigen Anblick, nicht sowohl der Übel, die das menschliche Geschlecht aus Naturursachen drücken, als vielmehr derjenigen, welche die Menschen sich untereinander selbst antun«. So erklärt er es für unmöglich, daß der Fortschritt zum Besseren »durch den Gang der Dinge von unten hinauf« erfolge. Andererseits kann er nicht auf den Fortschritt gänzlich verzichten, da ohne eine Hoffnung besserer Zeiten »eine ernstliche Begierde, etwas dem allgemeinen Wohl Ersprießliches zu tun, nie das menschliche Herz erwärmt hätte«. So müssen wir notwendig auf einen Fortschritt zum Besseren hoffen, aber er ist nicht sowohl von dem zu erwarten, was wir tun, »sondern von dem, was die menschliche Natur in und mit uns tun wird, um uns in ein Gleis zu nötigen, in welches wir uns von selbst nicht leicht fügen würden. Denn von ihr, oder vielmehr (weil höchste Weisheit zur Vollendung dieses Zweckes erfordert wird) von der Vorsehung allein können wir einen Erfolg erwarten, der aufs Ganze und von da auf die Teile geht.« Ähnlich sagt Kant an einer anderen Stelle, daß die Hoffnung des »Fortschreitens nur in einer Weisheit von oben herab« begründet sei.

So sehen wir Kant auch bei diesen Fragen eigene Wege verfolgen.

Das Reich des Schönen

Die Energie, welche Kant an die moralische Aufgabe setzt, und der schwere Ernst, den er dem menschlichen Leben gibt, könnten erwarten lassen, daß er das Reich des Schönen geringschätzig oder doch nebensächlich behandelt hätte; die stoische Gesinnung, der doch Kant eng verwandt ist, war im allgemeinen der Kunst wenig hold. In Wahrheit steht es bei ihm völlig anders. Er hat nicht nur im einzelnen viel Interesse für künstlerische Leistungen und Probleme, er sucht auch das gesamte Reich des Schönen in seine Gedankenwelt aufzunehmen und es tiefer in der Seele zu begründen. Mag er schließlich das Schöne dem Guten als »Symbol des Sittlichguten« unterordnen und den Geschmack als ein »Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen« verstehen, in die Erörterung selbst greift das wenig ein, sie behandelt das Schöne als ein eigenes Reich und befreit dies von herkömmlicher Vermengung mit anderen Gebieten. Das Schöne wird weit über das Angenehme der Sinne hinausgehoben und schon dadurch von ihm deutlich geschieden, daß das Angenehme Sache des Einzelnen ist, während das Schöne als Gegenstand eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird. Gegen das Gute aber grenzt es sich dadurch ab, daß das Gute vermittelst der Vernunft durch den bloßen Begriff gefällt und mit Interesse verknüpft ist, während das Wohlgefallen am Schönen interesselos ist und ohne Begriffe entsteht. Dieser Anspruch des Schönen auf Allgemeingültigkeit wird für Kant ein großes Problem und führt ihn wiederum zu einer Verschiebung von der Außenwelt in die Seele; das Schöne liegt nicht in den Dingen, sondern es hat seinen Ursprung im Geiste, wir erfahren in ihm nicht eine Harmonie der Dinge, sondern eine Harmonie unserer eigenen Geisteskräfte; auch hier ist es die Form, worin die geistige Leistung besteht, auch hier wird damit das Erlebnis über einen niederen Seelenstand hinausgehoben. Wie das Gute eine Überlegenheit gegen alle Neigung besaß, so wird das Geschmacksurteil als völlig unabhängig von Reiz und Rührung erklärt und ganz und gar auf die Form gerichtet; es entspringt nicht aus der Lust, sondern es geht ihr vorher. Auch damit gewinnt das Leben an Selbständigkeit, es befreit sich am Sinnlichen selbst durch die Macht der Form vom Drucke bloßer Sinnlichkeit. So wird dieses Reich ein unentbehrliches Bindeglied zwischen dem erhabenen Reich der Moral und der bunten Fülle des sinnlichen Daseins, und das Ganze gestaltet sich letzthin zu einem Gewinne der Freiheit. »Der Geschmack macht gleichsam den Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse ohne einen gar zu gewaltsamen Sprung möglich, indem er die Einbildungskraft auch in ihrer Freiheit als zweckmäßig für den Verstand bestimmbar darstellt und sogar an Gegenständen der Sinne auch ohne Sinnenreiz ein freies Wohlgefallen finden lehrt.« Solche Emporhebung des Schönen über alle niedrige Lust, solche Anerkennung seiner Selbständigkeit, solche Verlegung seines Ursprungs in die innere Werkstatt des Geistes wirkten zusammen dahin, unsere großen Dichter mit Kant zu verbinden und sie mit größter Schätzung seiner zu erfüllen; so konnte auch Goethe trotz vielfachen sonstigen Gegensatzes die großen Hauptgedanken der Kritik der Urteilskraft seinem eigenen Schaffen, Tun, Denken »ganz analog« finden. Die Behandlung des ganzen Gebietes empfängt aus solchem Verstehen von innen her den Antrieb, die inneren Bedingungen und das innere Gewebe des Schaffens zu voller Klarheit herauszuarbeiten.

Schön und Erhaben

Wie sich damit der Anblick verwandelt, das zeigt mit besonderer Deutlichkeit die Behandlung des Erhabenen, dem Kant von früh an viel Aufmerksamkeit zugewandt hatte. Das Gefühl des Erhabenen enthält augenscheinlich einen Kontrast. Diesen Kontrast erklärte man bisher als einen Zusammenstoß von menschlichem Vermögen und Außenwelt, Kant aber verlegt ihn ganz und gar in die eigene Seele des Menschen. »Erhaben ist die Natur in denjenigen ihrer Erscheinungen, deren Anschauung die Idee ihrer Unendlichkeit mit sich führt. Dieses letztere kann nun nicht anders geschehen als durch die Unangemessenheit selbst der größten Bestrebung unserer Einbildungskraft in der Größenschätzung eines Gegenstandes.« Wenn aber so das Erhabene daraus entsteht, daß die ganze Macht der Einbildungskraft den Ideen der Vernunft unangemessen befunden wird, so liegt die wahre Erhabenheit nicht im Naturobjekte, sondern im Gemüte des Urteilenden. Damit ist wiederum der Schwerpunkt des Lebens in die Innenwelt verlegt.

Kants einzigartige Größe

Zum Rückblick und Abschluß seien nur einige Worte gestattet. Wie immer man sich zu den einzelnen Problemen stellen mag, eine einzigartige Größe Kants wird kein Unbefangener bestreiten. Eine ungeheure Kraft erweist sich darin, alle Wissensgebiete nicht nur, sondern auch alle Lebensinteressen der Menschheit mit offnem Blick zu umspannen und sie doch zur Einheit zusammenzuzwängen, zugleich aber ihnen den eigenen Stempel aufzuprägen. Kant stand überall auf dem Boden strenger, ja strengster Wissenschaft, aber die Wissenschaft ist ihm, um einen Ausdruck von ihm selbst zu gebrauchen, »die enge Pforte geworden, die zur Weisheitslehre führt«. Das Ganze seines Werkes ist bei aller Ruhe und Gründlichkeit seiner Arbeit voll innerer Bewegung, verschiedene Strömungen entstehen und scheinen zunächst einander zu widerstreiten, aber es gelingt, sie nicht nur miteinander auszugleichen, sondern sie zu gegenseitiger Verstärkung zu verbinden. Ein wunderbares Gleichgewicht der Stimmung entsteht daraus, daß dem Menschen nicht nur sowohl eine Größe als eine Grenze zuerkannt wird, sondern daß beides aufeinander angewiesen wird und sich gegenseitig zu fördern vermag: nur die Grenze unseres Wissens macht die Größe unseres Handelns möglich, und diese Größe selbst gibt der Begrenzung einen Wert. Dem entspricht auch der Ton der Darstellung: durchgängig schlicht, klar bestimmend, scharf scheidend, besonnen abwägend, nicht selten schulmäßig schwerfällig; dann aber auf den Höhepunkten ein Durchbrechen eines reinen und echten Enthusiasmus und zugleich eine ergreifende Wärme und Einfalt der Darstellung. Überall der vollste Ernst, die lauterste Wahrhaftigkeit, das Ganze wie ein offnes Bekenntnis von den höchsten Dingen. Als Gesamtergebnis eine Befreiung des Menschen vom Drucke der Außenwelt, eine unermeßliche Steigerung seiner Tätigkeit, aber nicht in der Richtung nach außen hin, sondern in der gegen sich selbst, eine Vertiefung des Seelenlebens, ja eine Entdeckung und Belebung einer ganzen Welt in der Seele. Zugleich ein gewaltiger Ansporn des Lebens, ein Aufruf zur Erringung seines eigenen Wesens und zum unermüdlichen Kampf gegen alles, was draußen und mehr noch drinnen unseren höchsten Aufgaben widersteht. Kant hat mehr in dem Menschen sehen gelehrt und mehr aus dem Menschen gemacht. Das können nur große Denker, und er ist einer der größten. Uns Deutschen aber hat er, ohne daß er viel vom deutschen Wesen sprach, den eigentümlichen Idealismus ausgebildet, auf den unser Wesen angelegt ist. Das ist ein anderer Idealismus als der indische mit seiner Verflüchtigung der Welt und seinem Ersehnen tatloser Ruhe, ein anderer auch als der griechische mit seiner Schätzung der Welt als eines herrlichen Kunstwerkes und seiner Erfüllung des Lebens durch die lustvolle Anschauung der ewigen Zier. Vielmehr ist es ein herber und kräftiger Idealismus, ein Idealismus der Tat, der die Welt um uns voller Verwicklung findet, der aber in uns das Vermögen entdeckt, eine neue Welt zu entfalten, der in solcher Entfaltung eine schwere Aufgabe findet, aber dabei auch eine innere Erhöhung erfährt und aus ihr stark genug wird, allen Gegnern draußen und drinnen zu trotzen und mutig den Kampf gegen die Unvernunft unseres Daseins aufzunehmen. Dieser Idealismus, der von alters her in uns Deutschen wirkt, hat durch die Befreiungstat Kants auch einen festen wissenschaftlichen Boden erhalten; auf diesem Boden haben die Nachfolger weitergebaut, und auch wir wollen ihn nicht verlassen.

Конец ознакомительного фрагмента.

Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

Конец ознакомительного фрагмента
Купить и скачать всю книгу
На страницу:
3 из 3