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Moderne Geister
Moderne Geister

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Moderne Geister

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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Man würde Heyse indess sehr Unrecht thun, wenn man aus dem bis jetzt Hervorgehobenen schliessen würde, dass er nichts Höheres als die elementare Natur und ihre Triebe anerkenne. Mit dem Worte Instinct ist hier etwas von dem einzelnen Triebe völlig Verschiedenes gemeint. Der Instinct ist der Drang, sich ganz zu bewahren. Darum kann Heyse auch sehr wohl eine freie Sympathie über die Bande des Blutes und selbst über das nächste Verwandtschafts-Verhältniss triumphiren lassen. In der Novelle „Der verlorene Sohn“ versteckt und pflegt eine Mutter, ohne es zu wissen, den unschuldigen Mörder ihres Sohnes, und als dieser durch seine Liebenswürdigkeit sowohl das Herz der Mutter wie der Tochter gewinnt, lässt der Dichter ihn die Tochter als Braut heimführen. „Der verlorene Sohn“ wurde in ehrlicher Nothwehr getödtet und sein Gegner hat nicht einmal seinen Namen gekannt. Selbst als die Mutter das Nähere über den Tod des Sohnes erfährt, legt sie darum der Heirath kein Hinderniss in den Weg, sondern trägt allein und ohne Jemand ihr Geheimniss zu vertrauen, das Unglück, das sie getroffen hat. Hier ist also mit voller Zustimmung des Charakters ein rein geistiges Band an die Stelle der Blutsbande getreten; die Mutter nimmt den als ihren Sohn an, durch dessen Hand ihr eigener Sohn gefallen ist; aber indem sie das thut, handelt sie in Uebereinstimmung mit ihrer tiefsten Natur und bewahrt ihre Seele ungetheilt. Das Gleiche gilt in allen Fällen, wo bei Heyse die Persönlichkeit aus Pflichtrücksichten eine wirkliche Leidenschaft, eine tiefe Liebe zurückdrängt. Wo es geschieht (wie im Drama „Marie Moroni“, in der Novelle „Die Pfadfinderin“, oder in dem Romane „Die Kinder der Welt“), da geschieht es eben, um die Treue gegen sich selbst zu bewahren, um nicht die Ganzheit und Gesundheit seines eigenen Wesens einzubüssen, und man sieht die Pflicht dem eigenen Born der Natur entströmen, indem als höchstes Pflichtgesetz das Gebot gilt, nicht in Zwiespalt mit dem eigenen Ich zu gerathen. So weit ist Heyse davon entfernt, die Natur als feindlich gegen Geist und Pflicht aufzufassen.

Für ihn ist sie alles: Alles was in unserer Macht steht, was wir ausführen oder vollbringen, trägt, insofern es etwas werth ist, untrüglich ihren Stempel, und über alles, was nicht in unserer Macht steht, über unser ganzes angeborenes Schicksal gebietet sie direct, unmittelbar, allmächtig und unumschränkt. Selbst die unglücklichste Persönlichkeit, die er geschildert hat, findet, wie übel sie auch vom Schicksal behandelt worden ist, einen Trost darin, dass sie ein Kind der Natur, d. h. dass sie nicht beeinträchtigt worden ist. „Wenn die Elemente meines Wesens, die mich vom Glück ausschliessen, durch eine grosse blinde Fügung des Weltlaufes sich gefunden und vereinigt haben und ich an dieser Constellation zu Grunde gehen muss – so ist das fatal, aber kein unerträglicher Gedanke. Ein Gottvater aber, der mich unseliges Geschöpf de cœur léger oder auch aus pädagogischer Weisheit so traurig zwischen Himmel und Erde herumlaufen liesse, um mir später einmal für die verpfuschte Zeit eine Gratification in der Ewigkeit zukommen zu lassen – nein, lieber Freund, alle durchlauchtige und undurchlauchtige Theologie kann mir das nicht plausibel machen“.6

So nimmt bei Heyse selbst der, dessen Leben am qualvollsten verfehlt ist, seine Zuflucht zum Naturbegriff wie zum letzten beruhigenden Gedanken, und so hat er selbst in den schmerzlichsten Stunden seines Lebens dazu seine Zuflucht genommen, und die wunderbaren Gedichte „Marianne“ und „Ernst“, das Tiefste und Ergreifendste, was er geschrieben hat, sind als Zeugnisse davon zurückgeblieben. Die Natur ist sein Ausgangspunkt und sein Endziel, die Quelle seiner Poesie und ihr letztes Wort, sein Eins und Alles, sein Trost, sein Credo.

III

Was er verehrt, anbetet und darstellt ist also, ganz allgemein ausgedrückt, die Natur. Aber wie er seiner eigenen Natur folgt, so stellt er auch seine eigene Natur dar, und ihr Grundzug ist der, ursprünglich harmonisch zu sein. Eine solche Bezeichnung ist sehr weit und vag. Sie lässt, unbestimmt wie sie ist, Heyse wohl nächstens als einen Nachfolger Goethe's erscheinen und passt eben so gut auf den grossen Meister. Jene Harmonie ist indessen, näher bestimmt, nicht eine weltumspannende, sondern eine verhältnissmässig enge, sie ist eine aristokratische Harmonie. Es gibt Vieles, das sie ausschliesst, Vieles, das sie nicht versöhnt, ja nicht einmal berührt. Nicht als Naturforscher, sondern als Schönheitsanbeter betrachtet Heyse das bunte Treiben des Lebens. Es ist ersichtlich genug, dass er nicht begreift, wie man Lust dazu verspüren kann, als Künstler mit Vorliebe solche Gestalten zu schildern, denen man im Leben seine Thür verschliessen würde; ja er hat selbst mit grosser Offenheit ausgesprochen, dass er nie eine Figur habe zeichnen können, die nicht irgend etwas Liebenswürdiges gehabt hätte, nie einen weiblichen Charakter, in den er nicht bis zu einem gewissen Grade verliebt gewesen wäre.7 Darum besteht auch seine ganze Gestaltengallerie mit wenigen Ausnahmen (wie Lorinser oder Jansen's Frau) aus gleichartigen Wesen. Sie haben nicht blos Race, sondern edle Race, d. h. angeborenen Adel. Ihre gemeinsame Eigenschaft ist, was Heyse selbst als Vornehmheit bezeichnet. Er nimmt das Wort in dem Sinne, dass die Vornehmheit bei allen seinen Charakteren die angeborene Unfähigkeit ist, etwas Niedriges oder Schmutziges zu begehen, bei dem Naturkinde durch die einfache Güte und Gesundheit der Seele bedingt, bei dem Culturmenschen mit dem bewussten Gefühl seines Menschenwerthes, mit der Ueberzeugung von dem Rechte eines vollen und kräftigen Menschenlebens versetzt, das seine Norm und seinen Richterstuhl in sich selber hat und mehr vor Halbheit als vor Irrthum schaudert. Heyse hat selbst einmal seinen Lieblingsterminus definirt. Im „Salamander“ heisst es8:

Ich habe meiner Tugenden und FehlerMich nie geschämt, mit jenen nie geprunkt,Und meiner Sünden macht' ich nie den Hehler.Denn dies vor Allem, dünkt mich, ist der Punkt,Wo Freigeborne sich vom Pöbel scheiden,Der feig und heuchlerisch herumhallunkt.Den nenn' ich vornehm, der sich streng bescheidenDie eigne Ehre gibt und wenig fragt,Ob ihn die Nachbarn lästern oder neiden.

Und mit fast ähnlichen Worten spricht die früher von aristokratischem Schein geblendete Toinette diesen Grundgedanken aus: „Es gibt nur Eine wahre Vornehmheit: sich selber treu zu bleiben. Gemeine Menschen kehren sich an das, was die Leute sagen, und bitten Andere um Auskunft darüber, wie sie selbst eigentlich sein sollen. Wer Adel in sich hat, lebt und stirbt von seinen eigenen Gnaden und ist also souverän“.9 Diese Art von Adel ist denn der Stempel, den die ganze, diesem Dichtergehirn entsprungene Menschenrace trägt. Sie besitzen ihn alle, vom Bauer bis zum Philosophen, und vom Fischermädchen bis zur Gräfin. Die einfache Kellnerin in der „Reise nach dem Glück“ spricht eine Lebensansicht aus, die genau mit der eben angeführten zusammenfällt10, und wer sich nur die Mühe geben mag, die Schriften Heyse's zu durchblättern, wird entdecken, dass das kleine Wort „vornehm“ oder ein Aequivalent dafür immer eins von den ersten ist, die er anbringt, sobald es gilt zu charakterisiren oder zu preisen. Man sehe z. B. in einem einzigen Band der Novellen die Anwendung des Wortes „vornehm“, um die äussere Erscheinung, Blick und Haltung zu bezeichnen (in „Mutter und Kind“, in „Am todten See“, in „Ein Abenteuer“ VIII. 44, 246, 331). Oder man durchblättere, um sich von der durchgreifenden Bedeutung dieses Charakterzuges zu überzeugen, Heyses zwei erste Romane. In „Kinder der Welt“ bezeichnen alle die dem Leser sympathischen Personen sich gegenseitig als adlige Geister: Franzelius nennt Edwin und Balder die wahren Aristokraten der Menschheit, Edwin findet in der höchsten Schwärmerei der Leidenschaft kein höheres Lob für Toinette und Lea als das, dass sie das Adelsgepräge tragen, und da Toinette nach der Begegnung mit Lea diese als die würdige Gattin Edwin's anerkennt, ist es wieder derselbe Ausdruck, der sich ihr zu allererst darbietet; sie bezeichnet in ihrem Briefe Lea als Edwin's „so vornehme, kluge und holdselige Lebensgefährtin“.11 Und in dem Roman „Im Paradiese“, dessen ersten Entwurf wir vermuthlich in dem versificirten Fragmente „Schlechte Gesellschaft“ haben, steht durchgängig die sogenannte „schlechte“ Künstlergesellschaft als die wahrhaft gute und vornehme der sogenannten vornehmen Gesellschaft gegenüber.12 Von den Künstlern ist keiner im gewöhnlichen Sinne des Wortes Aristokrat. Ihre Herkunft ist, wie die der Helden in „Kinder der Welt“, durchgehends äusserst unansehnlich. Aber die Vornehmheit liegt ihnen im Blute, sie gehören zu den Auserkorenen, die gut und richtig handeln, nicht aus Pflichtgefühl oder durch mühsame Ueberwindung schlechter Triebe, sondern aus Natur. Was Toinette irgendwo „den redlichen Willen, der Menschheit keine Schande zu machen“ nennt, hat auch der Roman „Im Paradiese“ als den natürlichen Adel im Gegensatze zu der auf künstlichen Principien beruhenden Noblesse aufgestellt.

Wenige Dichter haben deshalb eine solche Reihe von Charakteren ohne Falsch und ohne Gemeinheit geschildert, wie Heyse. Niemand hat einen besseren Glauben an die Menschen gehabt. Den triftigsten Beweis dafür, wie lebendig sein Bedürfniss ist, überall das edle Erz in der Menschennatur hervorzuheben, liefert der Umstand, dass, wo bei ihm ein Umschlag im Charakter des Handelnden dem Leser oder dem Zuschauer eine Ueberraschung bereitet, die Enttäuschung immer darauf beruht, dass die Erwartung übertroffen wird und die Persönlichkeit sich weit besser und tüchtiger, weit edelgesinnter erweist, als Jemand geahnt hatte. Bei fast allen andern Dichtern ist die Enttäuschung die entgegengesetzte. In den Novellen, wie z. B. in „Barbarossa“ oder „Die Pfadfinderin“, wird die Versöhnung dadurch bewirkt, dass die schlechte Person der Erzählung zuletzt in sich geht, und da der Kern ursprünglich gut ist und der Betreffende wohl manchen hitzigen und schlechten, aber keinen eigentlich bösen Blutstropfen in sich hat, kommt eine Art Friedensschluss zwischen ihm und dem Leser, zur Verwunderung des letzteren, zu Stande. Weit bedeutsamer jedoch als in den Novellen tritt dieser charakteristische Optimismus in Heyse's Dramen hervor. Sie verdanken ihm ohne Frage ihre besten und wirkungsvollsten, vielleicht ihre entschieden dramatischsten Scenen. Ich will ein paar Beispiele anführen. In „Elisabeth Charlotte“ hat der Chevalier von Lorraine unedle Mittel aller Art benutzt, um die Heldin zu stürzen und die männliche Hauptperson des Stückes, den deutschen Gesandten Grafen Wied, aus Frankreich zu entfernen. Von dem Grafen gefordert, ist er schwer verwundet worden, und als jener von politischen Intriguen umstrickt, in die Bastille geschickt worden ist, tritt er im fünften Act im Audienzzimmer des Königs auf. Was kann er wollen? Den Grafen noch ärger anklagen? Sein unehrenhaftes Betragen fortsetzen, das seinem Gegner schon so viel Unglück und ihm selbst eine Wunde eingetragen hat? Wird er sich rächen, die Lage ausnutzen? Nein, er kommt, um die feierliche Erklärung abzugeben, dass der Graf wie ein echter Edelmann gehandelt hat, und dass er selbst an dem Duelle Schuld ist. Er wünscht sogar, selbst in die Bastille gesandt zu werden, damit sein Gegner nicht glaube, er hätte ehrlos einen unrichtigen Grund des Duells angegeben; mit anderen Worten: sogar in diesem verderbten Hofmanne lebt das Ehrgefühl als Rest des altfranzösischen Rittergeistes, ersetzt bis zu einem gewissen Grad das Gewissen, und zwingt ihn im entscheidenden Augenblick sich von seinem Schmerzenslager zu erheben, um zu Gunsten des Feindes einzuschreiten, den er rachsüchtig und rücksichtslos verfolgt hat. – In dem schönen und volksthümlichen Schauspiel „Hans Lange“ findet sich eine Scene, die bei der Aufführung die Zuschauer in athemloser Spannung hält, und deren Ausgang immer vielen Augen Thränen entlockt: es ist die Scene, wo das Leben des Junkers auf dem Spiele steht. Er ist verloren, wenn die Reiter ahnen, dass er es ist, der als Sohn des Juden verkleidet auf der Bank liegt. Da tritt der Grossknecht Henning auf, von Reitern geführt, die ihn im Stalle haben brummen hören, er wisse wohl, wo der Hase im Pfeffer liege. Henning ist vom Junker verdrängt worden; bevor dieser nach Lanzke kam, war er wie ein Kind im Hause, jetzt ist er weniger als Stiefkind geworden und er hat immer einen Groll auf den Vorgezogenen gehabt. Mit grösster Kunst wird die Scene nun so geführt, dass Henning trotz der Bitten und Verwünschungen der Eingeweihten immer deutlicher zu verstehen gibt, dass er sich an dem Junker rächen wolle, dass er wisse, wo derselbe sei, und dass keine Macht in der Welt ihn davon abhalten werde, seinen Feind zu verrathen – bis er, feurige Kohlen auf des Anderen Haupt sammelnd und sich mit dem eingejagten Schrecken begnügend, endlich das Blatt vom Munde nimmt, um die ihm jetzt natürlich blindlings vertrauenden Verfolger vollständig auf die falsche Spur zu bringen. – Und genau von derselben Natur ist endlich die entscheidende und schönste Scene in dem patriotischen Drama „Colberg“. Es wird Kriegsrath gehalten, aber auch die Bürger sind berufen, denn die Wichtigkeit des Augenblicks macht es wünschenswerth, dass alle Stimmen gehört werden. Alle Hoffnung für die belagerte Stadt scheint aus zu sein. Der französische General hat ein Schreiben gesandt, um Gneisenau zu einer ehrenhaften Capitulation aufzufordern. Das ganze Officiercorps erklärt sofort, dass von Uebergabe der Festung keine Rede sein kann, und Gneisenau legt dann der Bürgerschaft die Frage vor, ob man sich vom Feinde eine Frist erbitten solle um den Bürgern, Frauen und Kindern den Auszug aus der allen Schrecken preisgegebenen Stadt zu sichern. Da erhebt sich der alte pedantische Schulmeister Zipfel, ein echter altmodischer deutscher Philologe, um im Namen der Bürgerschaft die Antwort zu ertheilen. Mit vielen Umschweifen, mit lateinischen Redensarten spinnt er unter allgemeiner Ungeduld seine Rede aus. Man unterbricht ihn, man gibt ihm zu verstehen, dass man wohl wisse, er denke nur daran, dem Commandanten und den Truppen die gefährliche Vertheidigung der Stadt zu überlassen – endlich gelingt es ihm, die Ansicht zu erklären, die er mit der langen Erzählung vom grossen Perserkriege und Leonidas mit seinen Spartanern im Sinne gehabt; die Ansicht nämlich, dass es Allen, ohne Unterschied gebühre, dazubleiben und zu sterben. Diese Scene hat Heyse con amore geschrieben. Sie enthält, so zu sagen, sein ganzes System. Denn nirgends triumphirt sein guter Glaube an die Menschheit so, wie dort, wo er im Spiessbürger den Helden enthüllen, im armen Pedanten den unbeugsamen Mann aufweisen kann, den kein Anderer in ihm gefunden hätte als der Dichter allein, der es weiss, dass jede seiner Gestalten im tiefsten Grunde der Seele ein unauslöschliches Adelsgepräge trägt.

IV

Den Schriftstellern, die, wie Spielhagen z. B., am häufigsten bei den Kämpfen des Bewusstseins und des Willens verweilen, und die am liebsten die grossen socialen und politischen Conflicte schildern, werden selbstverständlich die Männerfiguren besser gelingen als die der Frauen. Ein Mannescharakter wie Leo in dem Romane „In Reih' und Glied“ sucht seines Gleichen, aber eine ebenso vorzügliche Frauengestalt hat Spielhagen nicht gezeichnet. Der dagegen, dessen Geist den Adel und die Anmuth des unmittelbar Natürlichen, die sichtbare und seelische Schönheit sucht, wird selbstverständlich lieber und besser Frauen schildern, als Männer. Hierin ist Heyse seinem Meister Goethe ähnlich. In fast allen seinen Productionen steht der Frauencharakter im Vordergrunde, und die männlichen Gestalten dienen hauptsächlich dazu, ihn hervorzuheben oder zu entwickeln. Da die Frauennatur in der Liebe ihr verborgenes Wesen entfaltet und die schönste Blüthe treibt, da in der Liebe die Natur als Natur durch tausend Illusionen zum Geist geadelt wird, so verherrlicht Heyse vorzugsweise die Liebe des Weibes. Er feiert die Liebe und er feiert das Weib, aber es ist seine höchste Freude, diese beiden Grossmächte im Kampfe mit einander darzustellen. Denn wenn die Liebe siegt, wenn sie als die Macht erscheint, deren Gebot das Frauenherz nicht Trotz zu bieten vermag, strahlt sie, den Widerstand überwältigend, wie eine Allmacht, und indem sie die Wirkung hat, dass das Weib unter ihrem Einflusse, im Trotz gegen sie, im Kampf wider sie, von ihr beseelt, sich im ganzen Stolz ihres Geschlechtes zusammenrafft, verleiht die Liebe ihr jene aristokratische Schönheit, welche Heyse am besten darstellt.

Der angeborene Mädchenstolz ist für Heyse das Schönste in der Natur. Eine ganze Gruppe seiner Novellen könnte die Ueberschrift „Mädchenstolz“ führen. Kierkegaard nennt irgendwo das Wesen des Weibes eine Hingebung, deren Form Widerstand ist. Dies ist wie aus Heyse's Herzen gesprochen, und dieser Widerstand ist es, der als Merkmal der adeligen Natur ihn interessirt und bezaubert. Es ist das ewig Festungsartige im weiblichen Gemüth, das ihn fesselt, das Sphinxartige, dessen Räthsel er immer wieder errathen muss. Der süsse Kern ist doppelt süss in seiner harten Schale, der feurige Champagner doppelt heiss in seiner Umwallung von Eis. Es liegt um die weibliche Natur, wie Heyse sie schildert (von L'Arrabbiata bis Julie und Irene im „Paradies“) ein Eispanzer, der verbirgt, abweist, irre führt, zerbricht und schmilzt. Die Frau behauptet ihren Adel, indem sie so lange wie möglich sich weigert, ihr Ich aus den Händen zu geben, indem sie den Schatz ihrer Liebe aufspart und aufbewahrt. Sie erhält sich ihren Adel, indem sie ihr Ich ausschliesslich in die Hände eines Einzigen legt und der übrigen Welt gegenüber abweisend dasteht. Sie ist keiner blinden Macht unterworfen. Ist der Mädchenstolz gebrochen und besiegt, so findet sie sich selbst auf der anderen Seite des Schlundes, und gibt sich frei, naturfrei möchte ich sagen. Nie kommt bei Heyse eine Verführung vor; wird eine solche ein einziges Mal als vergangenes Ereigniss erwähnt („Mutter und Kind“), so dient sie nur dazu, die stolze Selbstbehauptung und die ebenso stolze, bewusste Selbsthingebung in das schärfste Licht zu stellen.

Diese Selbstbehauptung, diese Widerstandskraft (Rabbia) wird in der Schilderung auf's mannigfaltigste variirt: Atalante in dem Drama „Meleager“ hat die ganze frische Wildheit des Amazonentypus; sie zieht das Leben und das Spielen in der freien Natur, Wettlauf, Speerkampf und das Geschäft des Waidwerks weichlicher Zärtlichkeit und schmeichelnder Liebkosung, den Siegeskranz dem Brautkranze vor. In Syritha wird die erste Schamhaftigkeit geschildert, die aufgescheucht von der Hochzeit entflieht; in L'Arrabbiata der Mädchenstolz, der es weiss, wie nahe bei der schüchternen Bitte in der Seele des Mannes das rohe Verlangen liegt; im Mädchen von Treppi die instinctive Weigerung der Jungfräulichkeit; in Marianne („Mutter und Kind“) der Frauenstolz, der bei dem sogenannten gefallenen Weibe sich unter dem Gefühl der unverschuldeten Schmach verdoppelt; in Madeleine („Die Reise nach dem Glück“) das Pflichtgefühl gegen den von Kindheit an eingeprägten Sittlichkeitsbegriff; in Lore („Lorenz und Lore“) das Schamgefühl des jungen Mädchens, dem Angesichts des Todes das Liebesgeständniss entschlüpft ist; in Lottka die melancholische Verschlossenheit im Gefühl angeerbter Erniedrigung; im schönen Käthchen der verzweifelte Unwille darüber, Allen zu gefallen, welcher alle Bewunderer und die eigene Schönheit zum Kukuk wünscht; in Lea die Scheu des entwickelten und reservirten Weibes, ihre Schwäche ahnen zu lassen; in Toinette der Abscheu des eingefrorenen Herzens, eine Leidenschaft zu heucheln, die es noch nicht fühlt; in Irene die Sittenstrenge einer kleinen Prinzessin; in Julie die Kälte einer Cordelia-Natur – bis der Augenblick kommt, da alle diese Bande gesprengt werden, da alle diese Herzen flammen, da der Männerhass der Amazone und die Schüchternheit des Mädchens und die Schamhaftigkeit der Jungfrau und der Stolz der Frau und die Pflicht der Strengerzogenen und die Schwermuth der Erniedrigten und die Hülle der Schneekönigin, Alles, Alles als Holz eines einzigen ungeheuren Scheiterhaufens in süssem Rauch auf dem Altare des Liebesgottes aufgeht.

Denn nicht im Widerstande, der nur Form und Schleier ist, sondern in der Hingebung sieht Heyse das Wesen des Weibes und ihre wahre Natur; und Naturanbeter, wie er ist, preist er Eros als den Unwiderstehlichen, der alle Schranken durchbricht. Das Weib bereut es nie, sich seiner Macht unterworfen zu haben, aber es kann seinen Trotz bereuen. Bettina sagt irgendwo in ihren Briefen ungefähr so: „Die Erdbeeren, die ich pflückte, hab' ich vergessen, aber die, welche ich stehen liess, brennen mir noch auf der Seele“. Heyse hat mehr als eine Variation dieses Themas gegeben: nachdem das Mädchen von Treppi sieben Jahre hindurch ihre jugendliche Sprödigkeit bereut hat, überwindet sie, als der Geliebte durch einen Zufall wieder in ihr Dorf kommt, kraft einer begeisterten und abergläubischen Ueberzeugung von der Macht und dem Recht ihrer Liebe, alle äusseren und inneren Hindernisse, die sich ihrem Glücke in den Weg stellen, sogar die Gleichgültigkeit und die Kälte des Zurückgekehrten. Madeleine in der „Reise nach dem Glück“ hat, wie oben erwähnt, in einer Nacht ihren Geliebten von ihrer Thür fortgewiesen, und da er in der Finsterniss wegreisen muss, ist er mit dem Pferde gestürzt und auf der Stelle gestorben. Die Reue über ihren Trotz gegen die Liebe lässt ihr keine Ruhe: „Was half mir meine Tugend?“ sagt sie; „sie war heil und ganz, und durchaus nicht fadenscheinig, und doch fror mich darin bis in's innerste Herz“.13 Doch nicht genug damit, dass sie es bereut, der herkömmlichen Moral gefolgt zu sein: das Bild des Todten verfolgt sie Jahr aus Jahr ein; eifersüchtig scheint er über sie zu wachen. Jedes Mal in ihrem Leben, wenn sie glaubt, das Geschehene vergessen und das Glück auf's neue finden zu können, hört sie den Finger des Todten an die Thür klopfen, wie er klopfte in der Nacht, als er abgewiesen wurde. Streng straft Eros den, der nicht auf seinem Altare opfert. Und Heyse führt in anderen Dichtungen diesen Gedanken noch weiter aus. Hier hat der abgewiesene Liebhaber den Tod doch nur als zufällige Folge der Strenge gefunden, welche die Heissbegehrte gegen ihn erwiesen hat. Lasst uns den Fall setzen, dass er sich nicht als Bittender, sondern als Gewaltthäter nähert, und dass der Widerstand des stolzen Weibes statt auf einem Pflichtgefühl zu beruhen, das die Versuchung besiegt, nur Nothwehr gegen eine gefürchtete Ueberrumpelung ist, was dann? Auch dann straft Eros wie ein eifriger Gott. Das Drama „Die Sabinerinnen“ hat Heyse augenscheinlich um einer einzigen Gestalt willen geschrieben. Wie konnte er sonst darauf verfallen, diesen für die Tragödie so wenig geeigneten, rein burlesken Stoff sich zu tragischer Behandlung zu wählen! Jene Gestalt ist Tullia, die sabinische Königstochter. Von einem römischen Krieger geraubt, in seinem Hause eingeschlossen, tödtet sie ihn, da er in der Brautnacht es wagt, sich ihr zu nähern. Wenn ein tragisches Leid jetzt als Rache der Römer die Tollkühne träfe, würde sich Niemand darob wundern; aber die psychologische Pointe ist in Uebereinstimmung mit der ganzen Erotik Heyse's die, dass sie durch Ermordung ihres Gatten die erwachenden Triebe ihres eigenen Herzens zu tödten versucht und sich dadurch irreligiös gegen Eros empört hat.

Er neigteSein Angesicht herab zu meiner Stirn,Dass mich des Athems Hauch umrieselte,Und seine leise Stimme mir wie GiftSchleichend durch alle Adern rann.

Jetzt schaudert sie mit zersplitterter Seele über ihre so echt weibliche, so tief berechtigte That. Die Erscheinung des Todten verfolgt sie überall, aber noch mehr als der Anblick seiner Leiche die Erinnerung an seine Liebkosungen. Nur Tag und Nacht, sagt sie, ist's her, dass jene That vollbracht wurde, und doch liegt's hinter mir, wie tausend Jahre und tausend Tode. Eins nur ist gegenwärtig und ich werd' es immer empfinden: sein Kuss auf meiner Wimper, seine Hand in meiner. Gegen den Schluss spricht sie dann zu ihrer Schwester die Grundidee des Stückes in diesen Worten aus:

Flieh' vor der Liebe nicht,Sie holt dich dennoch ein. Geh' ihr entgegenUnd beuge dich vor ihr. Denn tödtlich zürnt sieDem der ihr trotzt, und saugt das Blut ihm aus.Hat nicht der grimme Gott die Jungfrau'n alleSich unterworfen? Ich allein, o Schwester,Entgelt' es, dass ich frei mich aufgelehnt.14

Selbst den Gewaltthäter kann die Jungfrau nicht hassen. Er brach den Frieden; aber was thut Liebe anders? Er überlistete; aber die Liebe ist listig. Er höhnte: aber spottet nicht die Liebe selbst des Gewaltigsten und Freiesten? Mit andern Worten: ist nicht Eros selbst ein Gewaltthäter ohne Scheu und Scham, ein Verbrecher, der alle herkömmlichen Gesetze sprengt?

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