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Die Mormonen
Anfänglich scheint weder Rigdon noch Smith an die Stiftung einer neuen Religion gedacht zu haben. Man hatte lediglich den Zweck im Auge, der angeblichen Entdeckung eines Buchs aus der Urzeit Amerika's dadurch, daß man sie als von Engelserscheinungen begleitet und von einem Nimbus aus der Höhe umflossen darstellte, die Gemüther der zahlreichen Wundergläubigen im Lande zuzuwenden. Kurz vor dem Erscheinen des Buchs Mormon im Druck aber müssen die Ansichten der Beiden über den Weg, den sie einzuschlagen, eine Aenderung erfahren haben, indem am 6. April 1830 zur Gründung einer »Kirche aus den Heiden« verschritten wurde.
Ehe wir jedoch diesem Treiben unsere Aufmerksamkeit zuwenden, sei ein Ueberblick des Inhalts der Mormonenbibel gestattet, die gegenwärtig in englischer, walisischer, französischer, italienischer, dänischer und deutscher Sprache zu haben, ja selbst in die der Sandwichsinsulaner übersetzt und in mehr als einer halben Million Exemplaren verbreitet ist.
Das Buch Mormons zerfällt in die Bücher Nephi 1 und 2, Jacob, Enos, Jarom, Omni, Mosiah, Alma, Helaman, Nephi des Jüngern, Mormon, Ether und Moroni, die zusammen so viel Stoff enthalten als das alte Testament ohne die Apokryphen. Der Inhalt aber ist in Kurzem folgender: Als der Herr, um den Bau des Babelthurms zu vereiteln, die Sprachen der dort zusammengeströmten Menschen verwirrte, erbarmte er sich der Jarediten ob ihres frommen Wandels und beließ sie im bisherigen Gebrauche ihrer Zunge. Von Gott dazu angeregt, verließen sie das Land Schinear und wanderten nach der Westküste des Oceans, von wo sie in acht Schiffen nach dem nördlichen Amerika fuhren. Hier wohnten sie anderthalb Jahrtausende, wurden zu einer zahlreichen und mächtigen Nation, versanken aber allmälig in Unglauben und Laster und wurden in Folge dessen um das Jahr 600 vor Christi Geburt von Gott so vollständig vertilgt, daß von ihnen nichts übrig blieb, als die Trümmer ihrer Städte und die von ihrem Propheten Ether auf Goldplatten verzeichnete Geschichte ihres Aufblühens und Untergangs.
Um die Zeit ihrer Ausrottung wurde eine jüdische Familie vom Stamme Josephs, der fromme Lehi mit seinem Weibe Sariah und seinen vier Söhnen, auf wunderbare Weise aus Jerusalem nach der Westküste Südamerika's geleitet, und elf Jahre später brach ein dritter Zug von israelitischen Auswanderern, worunter etliche vom Stamme Juda, gleichfalls nach dem großen Festlande jenseit des Stillen Oceans auf. Sie landeten in Nordamerika, begaben sich indeß später nach dem Süden, wo sie nach Verlauf von ungefähr vierhundert Jahren von dem einen Theile der Frühergekommenen entdeckt wurden und mit ihnen zu einem Volke verschmolzen.
Die Nachkommen Lehi's nämlich schieden sich einige Zeit nach ihrer Ankunft auf amerikanischem Boden in zwei Stämme, eine Spaltung, welche dadurch veranlaßt wurde, daß einige von ihnen die Uebrigen wegen ihrer Gottesfurcht anfeindeten und verfolgten. Diese Frommen, die sich nach dem sie führenden Propheten Nephiten nannten, wanderten nach Centralamerika und von dort nach dem Norden aus, während jene Gottlosen, nach ihrem Feldherrn Lamaniten geheißen, im Süden zurückblieben.
Die Lamaniten brachten durch ihres Herzens Härtigkeit und Bosheit viele und schwere Heimsuchungen auf sich herab. Namentlich verwandelte der Fluch Gottes ihre von Natur weiße Farbe in ein schmutziges Roth. Sie waren Leute von roher und blutgieriger Sinnesart und ihren Brüdern, den Nephiten so überaus aufsässig, daß sie dieselben mehrmals in zahllosen Horden mit Krieg überzogen, Angriffe, die jedoch allenthalben siegreich zurückgeschlagen wurden.
Die Nephiten waren in allen Stücken das Gegentheil dieses bösen Volkes. Sie hatten in ihrem Besitze eine Abschrift des Gesetzes Moses und der Propheten bis auf Jeremia, in dessen Tagen ihr Stammvater Jerusalem verlassen hatte, und diese Ueberlieferungen aus dem Lande ihrer Vorfahren, die auf Erztäfelchen gegraben waren, erhielten eine Fortsetzung in anderen Tafeln, welche von den Weisen und Sehern der Nation mit den Thaten ihrer Könige und Helden, sowie mit den Gesichten, Wundern und Offenbarungen, deren Gott das fromme Volk würdigte, gefüllt wurden. Und der Herr segnete sie mit Gedeihen, und sie wuchsen und breiteten sich aus nach Osten, Westen und Norden, bedeckten die Thäler und Ebenen mit Städten und Dörfern, Tempeln und Burgen, erbauten alle Gattungen Getreide in Ueberfluß und zogen zahlreiche Arten von Hausthieren. Sie kannten zugleich die Gewinnung und den Gebrauch von Gold, Silber, Kupfer und Eisen. Künste und Wissenschaften blühten unter ihnen, ja selbst einige Zweige der Maschinenbaukunde waren ihnen bekannt. Die geistigen Interessen wurden durch Propheten besorgt, die in die fernste Zukunft schauten und nicht blos die Erscheinung des Messias im Fleische, sondern sogar seine Wiederkunft und die Errichtung seines tausendjährigen Reiches weissagten. Dessenungeachtet wichen auch die Nephiten endlich von den Wegen des Herrn, verfielen in Sünden und Laster und tödteten die Propheten, die sie davon abmahnten. Da ergrimmte der große Jehova über sie und suchte sie mit schweren Strafen heim. Finsterniß sank auf die Erde herab, ein grauenvolles Erdbeben wüthete von einem Meeresstrande zum andern, Berge sanken zu Thälern ein, Thäler schwollen zu Bergen, Seen flutheten an der Stelle verschlungener Ortschaften, und der größte Theil der Nephiten und Lamaniten wurde vernichtet. Die aber, welche diese furchtbare Katastrophe überlebten, wurden mit einer persönlichen Erscheinung Christi, der kurz vorher in Jerusalem gestorben, auferstanden und gen Himmel gefahren war, begnadigt. Er zeigte ihnen Seitenwunde und Nägelmaale, predigte ihnen das Evangelium, setzte die Sacramente ein, heilte Lahme und Blinde, erweckte einen Todten und machte dem frommen Volke alle Dinge bis ans Ende der Tage bekannt. Ein Theil seiner Reden und Thaten ist im Buche Mormons zu lesen; der größere und wichtigere Theil derselben aber wartet vorläufig noch der Uebertragung aus dem neuägyptischen Originale.
Nachdem der Erlöser sein Werk in Amerika vollendet, stieg er wieder (wer denkt bei diesem Auf und Ab nicht an die Papierdrachen, welche unsere Knaben steigen und sinken lassen, wie und wenn sie wollen?) in den Himmel. Die zwölf Jünger aber, die er gewählt, zogen durch das Land, predigten allenthalben die frohe Botschaft, thaten Wunder und bekehrten nicht blos alle bis dahin dem Gesetze Mosis unterthanen Nephiten, sondern auch viele Lamaniten. Der dadurch hervorgerufene gottselige Zustand des amerikanischen Volkes erhielt sich länger als dreihundert Jahre in seiner Reinheit. Allmälig jedoch rissen wieder Unglauben und Ungerechtigkeit ein, und gegen das Ende des vierten Jahrhunderts der christlichen Aera hatte die Ruchlosigkeit einen solchen Grad erreicht, daß die Langmuth des Herrn sich in strafenden Zorn verwandelte. Ein schrecklicher Krieg brach zwischen den Lamaniten im Süden und den jetzt nur noch in Nordamerika wohnenden Nephiten aus, und dessen Ausgang war die beinahe gänzliche Ausrottung der letzteren auf dem Berge Cumorah, wo sich der Rest der Nation in einem meilenlangen Lager verschanzt hatte.
Unter den Ueberlebenden waren der Prophet Mormon und sein Sohn Moroni, von denen der Erstgenannte einen Auszug aus den Ueberlieferungen seiner Vorväter gemacht hatte, den er vor seinem Tode dem Sohne zur Vollendung übergab, während jene Traditionen von ihm auf Gottes Geheiß im Berge Cumorah verborgen wurden. Moroni führte die Chronik seines Vaters noch einige Jahre fort, und wir erfahren von ihm, daß die unversöhnlichen Lamaniten die wenigen von den Kindern Nephi, welche jener Vertilgungsschlacht entronnen waren, so lange verfolgten, bis das ganze Geschlecht, ihn ausgenommen, vernichtet war. Er berichtet fernerhin, daß nach dem Untergange ihrer Gegner die Lamaniten unter sich selbst in Streit geriethen, und daß ganz Amerika lange Zeit nichts als ein großer Schauplatz von Gewalt, Raub und Blutvergießen war. Er schließt endlich seine Geschichte im Jahre 424 nach Christi Geburt, um die Platten, auf die sie geschrieben, ebenfalls in den heiligen Berg zu vergraben.
Drittes Kapitel.
Die Mormonen in Missouri und Ohio. – Zion im Westen. – Verfolgungen in Missouri und Triumphe in Illinois. – Die Wunderstadt Nauvoo und ihr Tempel. – Die Ermordung des Propheten und der Auszug aus Aegypten
Wir kehren nun zu der Geschichte Smiths und der von ihm am 6. April 1830 gegründeten neuen »Kirche« zurück. Dieselbe bestand anfänglich nur aus dem Propheten selbst, seiner Frau, der Familie seines Vaters und seinen Freunden Martin Harris und Oliver Cowdery. Nach dem Sprichworte, daß ein Prophet in seinem Vaterlande nichts gilt, fanden sich in Manchester nur Wenige, die der Predigt von dem erdentstiegenen Pseudoevangelium ein geneigtes Ohr leihen mochten. Dagegen wurden in den Grafschaften Fayette und Colesville Zweiggemeinden zu Stande gebracht. Trotzdem würde schwerlich etwas Bedeutendes erreicht worden sein, wenn die Helfershelfer Smiths nicht auswärts wichtigere Erfolge vorbereitet hätten.
Im August 1830 reiste (die Mormonen sagen: zufällig) ein Campbelliten-Prediger aus Lorrain-County in Ohio auf dem Canale durch Palmyra, hörte hier von der neuen Religion, besuchte den Propheten, las das Buch Mormons und wurde zum Glauben an seine Echtheit bekehrt. Dies war Parley Peter Pratt, später einer der beredtesten und feurigsten Vertheidiger und einer der fruchtbarsten Hymnendichter des Mormonenthums, jetzt Präsident seiner zahlreichen Gemeinden auf den Inseln des Stillen Oceans. Bei seiner Rückkehr nach Ohio, wohin ihn Cowdery begleitete, übergab er die »Goldne Bibel« dem in der Nachbarschaft lehrenden Rigdon, der dadurch zu einer Reise nach Manchester bewogen wurde, wo er sich nach einigem Sträuben gleichfalls bekehren ließ und sofort zum Aeltesten, Oberpriester und Schriftführer ernannt wurde. Heimgekehrt rief er unverzüglich seine Gemeinde zusammen, trug ihr in einer zweistündigen Rede voll glühender Begeisterung seine Erfahrungen im Staate Neuyork vor, ermahnte, flehte, weinte Zähren des Kummers und der Wonne, fiel einige Male in Ohnmacht, sah den Himmel offen und bewirkte durch diese und ähnliche Mittel, daß der größte Theil der Versammelten sich von ihm und Cowdery taufen ließ.
Um diese Vorgänge begreiflich zu finden, muß man wissen, daß Pratt ein alter Bekannter Rigdons war, und sich erinnern, daß Letzterer schon seit drei Jahren die buchstäbliche Deutung der biblischen Weissagungen, die bevorstehende Sammlung des Hauses Israel zum Empfange des wiederkommenden Messias, die Aufrichtung des tausendjährigen Reiches und die Nothwendigkeit wunderbarer Gnadengaben in einer Kirche, welche sich die rechte nenne, gelehrt hatte. Man wird dann auch die zufällige Reise Pratts zu Smith für eine verabredete, und das Sträuben Rigdons für ein blos scheinbares halten dürfen. Vor allen Dingen aber erklärt sich daraus die Fülle eigenthümlicher Dogmen, welche nun in der Form unmittelbarer göttlicher Eingebungen im Kreise der Jünger Smiths auftauchten, ein Conglomerat von Tollheiten, das später in dem zweiten großen Religionsbuche der Secte, dem »Book of Doctrine and Covenants« dem ersten an die Seite trat.
Die Zusammenkunft Rigdons und Smiths hatte im October 1830 stattgefunden. Im Januar des nächsten Jahres empfing der Letztere eine Offenbarung, in welcher den Gemeinden im Osten geboten wurde, nach der Stelle auszuwandern, welche, wie Rigdon schon längst erklärt hatte, »sich an der Markscheide des Erbes der Heiligen befand,« ein Erbtheil, welches sich von dort bis an das Stille Meer erstrecken sollte. Der Prophet und die Seinen zogen in Folge dessen nach dem Städtchen Kirtland in Nordohio, wo Pratt, Rigdon und Cowdery bereits eine Gemeinde von einigen hundert Seelen beisammen hatten. Hier entwickelte sich ein Schauspiel der seltsamsten Art, und eine Masse Neugieriger strömte von allen Gegenden herbei, um Zeuge dieser Vorgänge zu sein. Der Wahnsinn der methodistischen Lagerversammlungen tobte hier in gesteigertem Grade. Verzückungen waren an der Tagesordnung. Männer und Frauen fielen bei den öffentlichen Versammlungen zu Boden, stöhnten, kreischten, wälzten sich zuckend und zappelnd umher, wiesen gen Himmel, wo eine Wolke heiliger Zeugen schwebte, sprachen in Zungen, namentlich in denen der Indianer, zu deren Bekehrung sie aufbrechen zu müssen erklärten, fuhren wie besessen zu den Thüren hinaus und wieder herein, fielen in Ohnmacht, sprangen wieder auf, stellten sich predigend und singend auf Zäune und Baumstümpfe und verkündeten den Anbruch des jüngsten Tages. Einige hoben Steine auf und lasen auf ihnen sonderbar klingende Inschriften, wo Andere bloßes Moos erblickten. Einigen fielen plötzlich Pergamentrollen vom Himmel auf den Kopf, welche mit dem Siegel Christi gesiegelt waren, und welche sie nicht so bald abgeschrieben hatten, als sie wieder verschwanden. Die rasendste Aufregung herrschte in ihren Zusammenkünften, jedes einzelne Mitglied der Secte war durch diese »Ausgießung des heiligen Geistes« zum Schauer und Offenbarer geworden.
Diese Allgemeinheit des Prophetenthums konnte als Zeugniß für die Echtheit der neuen Religion gelten. Ihre Dauer jedoch war begreiflicher Weise nicht nach Smiths Geschmack, der so nur primus inter pares gewesen wäre. Er mußte den Brand, den er entzündet, mäßigen, dem Eifer der Brüder und Schwestern Schranken setzen, und so predigte er eines Tages, wie er eine Offenbarung empfangen habe, in welcher Gott die Heiligen warne, sich der Gewalt, die über sie gekommen, zu arglos hinzugeben, indem der Satan dabei die Hände im Spiele habe und die Gaben des heiligen Geistes zu seinen Zwecken verkehre. Verschiedene andere Offenbarungen folgten, von denen die eine die Gläubigen anwies, den »Seher« mit allem Nöthigen zu versorgen, da er nicht mehr für seinen Unterhalt weltliche Arbeit thun solle, die andere einige aufsässige oder lässige Gemeindeglieder tadelte, eine dritte endlich die Gabe des Schauens und Weissagens auf »Mr. Joseph Smith junior« beschränkte. Er allein sollte fürderhin das Vorrecht haben, mit Engeln zu verkehren, und ihm sollten Alle als dem Dolmetsch der Befehle Jehova's gehorchen.
Dies geschah. Um sich aber für die Zukunft sicher zu stellen, und einestheils dem Eifer der Schwärmer einen Abzugscanal zu schaffen, anderntheils die einflußreichsten und ehrgeizigsten Mitglieder der Secte auf eine Weile von sich zu entfernen, entwarf der schlaue Prophet einen andern Plan. Im Juni 1831 hatte er eine weitere Offenbarung, in welcher Gott die Aeltesten der Kirche anwies, paarweise nach Westen zu wandern, auf dem Wege zu predigen und zu einer bestimmten Zeit am Ufer des Missouri zusammenzutreffen, wo Cowdery vorher das Land nach einer passenden Stelle zur Gründung der zukünftigen Hauptstadt des Reiches Gottes auf Erden ausgekundschaftet hatte.
Diese Stelle war in der Nähe des in der Grafschaft Jackson in Westmissouri gelegenen Städtchens Independence. Sie war mit großer Umsicht gewählt, und nicht völlig unglaubwürdig klang es, wenn der Prophet verkündete, daß hier einst der Garten Eden und Adams Altar gestanden. Bei Weitem herrlicher aber war die Aussicht, welche Smiths Prophetengeist in die Zukunft dieses Neuen Jerusalems der Heiligen eröffnete. Hier sollten sich einst alle Gläubigen anbauen, hier alle Könige der Erde ihren Tribut entrichten, hier eine ungeheure Stadt sich erheben, deren Straßen mit Gold und Edelsteinen gepflastert sein sollten – und was dergleichen Ueberschwänglichkeiten mehr sind. Manche dieser Weissagungen würden sich, wie die Folge zeigen kann, wenigstens annähernd erfüllt haben, wenn die Führer der Secte sich nicht in den bereits hier wohnenden Hinterwäldlern verrechnet hätten und nicht gleich Anfangs mit unmäßigen Ansprüchen aufgetreten wären.
Die Sendboten Smiths zogen, dreihundert an der Zahl, seinem Befehle gehorsam nach Missouri. Das neue Zion wurde zu bauen begonnen, der Grundstein zum Tempel gelegt, und bald hatten sich von Denen, die unterwegs bekehrt worden waren, gegen zwölfhundert als Ansiedler in Jackson County niedergelassen. Smith und Rigdon, die bei der Grundsteinlegung zugegen gewesen waren, begaben sich bald nachher nach Kirtland zurück, welches sie in Shinear umgetauft hatten. Hier verbrachte der Prophet die Zeit bis zu Ende des Januar 1832 theils mit Predigen und der Anfertigung neuer Offenbarungen, die Rigdon stylisirte und Smiths Frau, Emma, »die auserwählte Dame« niederschrieb, theils mit Arbeiten in seinem Kramladen und seiner Mühle, theils mit der Leitung des Baus eines Tempels, der vierzigtausend Dollars kostete und noch heute steht. Die Secte wuchs noch immer, hatte jedoch schon jetzt mehrere Abtrünnige, die sich dann gewöhnlich in erbitterte Verfolger verwandelten. Von einer Rotte derartiger Bursche, die von dem Campbelliten-Prediger Rider angeführt war, wurden Smith und Rigdon, als sie in dem Dörfchen Hiram sich aufhielten, in der Nacht vom 25. bis 26. Januar überfallen, aus den Betten gerissen und so grausam getheert und gefedert, daß es Joseph gerathen fand, sich auf einige Monate zu den Brüdern in Missouri zu flüchten. Hier wurde er anfänglich mit allen Ehren empfangen, später jedoch monarchischer Gelüste bezüchtigt, eine Anklage, welcher er, als sie zu einer Spaltung zu führen drohte, unter dem 18. März 1833 von Kirtland aus mit einer Offenbarung entgegentrat, in der ihm Jehova gebot, »seinen Knecht Rigdon« und einen gewissen Williams durch Handauflegung zu »gleicher Macht und Würde mit ihm im Amte der Schlüssel zu Gottes letztem Königreiche« zu erheben. Diese Nachgiebigkeit stellte die Ruhe wieder her, und beide Niederlassungen fuhren fort zu blühen.
Um die Mitte des Jahres 1833 waren die Mormonen in Missouri durch Zuwanderungen aus dem Osten auf mehr als dreitausend Seelen angewachsen. Sie hatten mehrere Fabriken und Mühlen errichtet und besaßen in Independence ein gemeinschaftliches Magazin, »der Speicher des Herrn« genannt, sowie eine Zeitung, den »Evening and Morning Star.« An ihrer Spitze standen der Bischof Partridge und Elder Phelps, der Redacteur des ebengenannten Blattes. Es schien, als müßte Zion gedeihen, als sich plötzlich unter den Bewohnern von Jackson-County Demonstrationen feindseliger Natur vorzubereiten begannen. Das Volk hielt mehrere Versammlungen, in denen die Mormonen verschiedener Verbrechen angeklagt wurden, und in deren letzter man den Beschluß faßte, hinfort keinem Mitgliede der Secte die Niederlassung in der Grafschaft zu gestatten, von den darin bereits Angesessenen den Abzug binnen bestimmter Frist zu fordern, die unverzügliche Schließung der Arbeit in ihrem Magazine und ihren Fabriken zu bewirken und der Herausgabe der Zeitung ein Ende zu machen.
Wieviel von jenen Anklagen Wahrheit, wieviel Eingebung der Misgunst war, muß dahin gestellt bleiben. Daß die Mormonen unvorsichtig geprahlt haben mögen, das ganze Land sei ihnen von ihrem Jehova beschieden, scheint ausgemacht. Daß sich viele räudige Schafe unter der Heerde befanden, litte auch dann keinen Zweifel, wenn der Prophet sie nicht ausdrücklich in mehreren Offenbarungen getadelt hätte. Ebenso wahr jedoch ist, daß die Bevölkerung von Missouri den Jüngern Smiths schon deshalb, weil sie meist Yankees waren und mehr noch deshalb nicht wohl wollte, weil sie keine Sclaven hielten. Ebenso wahr ferner, daß Prediger, denen bei dem reißenden Zulaufe zu der Secte um ihre Gemeinden, das heißt, um ihren Brotkorb bange wurde, diese Abneigung zum Hasse schürten. Ebenso wahr endlich, daß die Hinterwäldler des westlichen Grenzlandes, »dieser Schaum, den die schwellenden Wogen der Zivilisation hierher gespült,« ungemein wenig Ursache hatten, über etwaige Viehdiebstähle und sonstige Ungehörigkeiten als über etwas unter ihnen Unerhörtes die Entrüsteten zu spielen. Das Schlimmste aber war, daß man, als die Mormonen der am 20. Juli an sie ergangenen Aufforderung nicht gleich Folge leisteten, zu Gewaltmaßregeln schritt und ihre Druckerei zerstörte, sowie den Bischof Partridge theerte und aus seinen eigenen zerschnittenen Betten federte.
Nach diesem Vorfalle verstanden sich die Führer der Secte dazu, zu Anfang des folgenden Jahres mit den Ihrigen die Grafschaft zu verlassen, und hiermit erklärten sich die Verfolger zufrieden. Als aber gegen Ende des October verlautete, die Mormonen dächten nicht mehr an Erfüllung ihres Versprechens, brach ein neuer Sturm gegen die »Heiligen« los. Der Pöbel von Jackson-County rottete sich zusammen, prügelte, theerte und federte mehrere Mitglieder der Secte, warf ihnen die Fenster ein und plünderte den »Speicher des Herrn« aus. Die Mormonen griffen nun zu den Waffen, und es erfolgte ein Zusammenstoß, bei welchem zwei von der Partei der Angreifer erschossen wurden. Dies rief eine ungeheure Aufregung im Lande hervor, und die Mehrzahl der Secte machte sich sofort zum Abzuge nach der jenseit des Missouri gelegenen Grafschaft Clay auf, wo das Städtchen Liberty ihr Hauptquartier wurde, und wo ihnen im Juni 1834 der Prophet an der Spitze des »Heeres von Zion«, einer wohlbewaffneten Leibwache von hundertfünfzig Aeltesten und Priestern, einen kurzen Besuch abstattete.
Die obersten Behörden des Staates und alle Freunde der Gesetzlichkeit waren empört über diesen Sieg des Pöbels und forderten die Mormonen auf, bei den Gerichten um Schadloshaltung einzukommen. Es wurde ein Proceß anhängig gemacht, allein die Stimmung der niedern Classen war den Heiligen so ungünstig, daß der Attorney-General selbst den Rath ertheilte, die Klage fallen zu lassen – in der That ein trauriges Zeugniß für die Rechtsunsicherheit in der vielgepriesenen Musterrepublik.
Jenseit des Missouri schienen die Verhältnisse der Latter-Day-Saints sich anfänglich befriedigender gestalten zu wollen, und bald waren weite Strecken der dortigen Wildniß in Felder und Fluren verwandelt. In Kirtland wurde im Jahre 1835 eine Theologenschule eröffnet, an welcher mehrere hundert Aelteste Unterricht namentlich im Hebräischen empfingen. Im Frühling des folgenden Jahres kamen einige dieser Herren mit zahlreichen Schaaren von Gläubigen nach Clay-County, und dieses Herzuströmen der Mormonen in Masse, sowie die treffliche Organisation der Secte, die sie stets planvoll und gemeinsam handeln und dadurch rasche Erfolge erzielen ließ, erweckte den Argwohn des Volkes auch hier. Man trat zu Versammlungen zusammen, wählte Ausschüsse und bewirkte durch Zureden, daß die Mormonen nach den benachbarten Grafschaften Davies, Caldwell und Carroll auswanderten. Hier wußten sie, in der Hoffnung, ferner nicht mehr gestört und vertrieben zu werden, mit ihrer rührigen, regsamen Weise und ihrem fast immer gut rechnenden Verstande sich's bald bequem zu machen. Wo das Jahr zuvor nur der unstete Jäger gehaust und der Urwald gerauscht, erhoben sich mit Maisfeldern und Mühlen, Werkstätten und Speichern die Städtchen Dewitt, Far West und (an der Stelle, wo der Erste der Menschen, einer Offenbarung Smiths zufolge, einst seine Kinder gesegnet) Adam-On-Diahman, und im Frühling 1837 war die Zahl der Gläubigen in Missouri bereits auf zwölftausend gestiegen.
Aber die Kirche war fortwährend von Zwistigkeiten zerrissen. Ehrgeizige Heuchler mischten sich in ihr mit ehrlichen Bethörten, ja selbst entschiedene Schurken und Verbrecher suchten in ihrer Mitte eine Zuflucht und einen neuen Wirkungskreis. Ein Theil der Brüder machte falsches Geld. Die Mehrzahl widersetzte sich dem, aber nicht eher wurden die Uebelthäter verjagt, als bis Smith selbst, der jetzt auf immer nach dem Westen kam, sich ins Mittel schlug.
Auch über Shinear-Kirtland nämlich war Unglück hereingebrochen. Die Yankeenatur des Propheten und seiner Freunde hatte ihn bewogen, ein Bankgeschäft zu errichten, das auf den nach einer Offenbarung den Mitgliedern der Secte auferlegten Zehnten von allem ihrem Besitze gegründet war. Diese Bank hatte, trotzdem daß ihr die gesetzlich erforderte Bestätigung vorenthalten wurde, Noten ausgegeben, beträchtliche Summen ausgeliehen, noch beträchtlichere aufgenommen u. s. w. Das war eine Weile trotz der ziemlich unbesonnenen Verwaltung des Geschäfts ganz leidlich gegangen. Aber plötzlich wendete sich das Blatt. Die Bank mußte ihre Zahlungen einstellen, die Gläubiger machten einen Proceß wegen Schwindelei anhängig, und Smith und Rigdon mußten, um dem Sheriff und seinem Verhaftsbefehle, ja vielleicht dem Zuchthause in Columbus zu entgehen, sich bei Nacht und Nebel aus dem Staate flüchten.
Sie gingen nach Zion in Missouri, wo es Smith sehr bald gelang, die etwas gelockerte Disciplin unter den Heiligen wiederherzustellen, wo aber andrerseits seine und noch mehr Rigdons Predigten dazu beitrugen, die Entladung des Gewitters, das auch hier über den Häuptern der Secte hing, zu beschleunigen. Lauter nämlich wie je vorher wurde jetzt verkündigt, daß der ganze Westen den Mormonen dereinst als Erbtheil zufallen und daß der Herr ihre Feinde durch das Schwert vertilgen und alle »Heiden«, d. h. alle Unbekehrten von dort vertreiben werde. Mancher Mormone mochte dadurch zu der Ansicht kommen, daß das Eigenthum Nichtgläubiger schon jetzt eigentlich den Kindern Zions gehöre und daß folglich eine Entfremdung desselben nur eine Vorausnahme der Zukunft, nur eine Herstellung des richtigen Verhältnisses der Dinge, nur eine Erhebung der schlechten Wirklichkeit in die wahre sei. So mögen hin und wieder Kuh- und Pferdediebstähle vorgekommen sein. Dazu kam der Umstand, daß die goldne Bibel die Indianer von den Hebräern abstammen und sie bei ihrer nahebevorstehenden Bekehrung ihre Wiedereinsetzung in ihren Besitz als Ureinwohner des Landes hoffen ließ, woraus die Missourier, von denen viele mit ihrem Blute den Rothhäuten ihren Grund und Boden bezahlt hatten, den erklärlichen, wenn auch nicht sehr logischen Schluß zogen, die Jünger Smiths hätten ein Bündniß mit den Wilden im Sinne, um einen Vernichtungskrieg gegen sie zu beginnen. Man sieht, es waren hier wie dort Misverständnisse. Alle Beschwerden auf Seiten der Gegner des Mormonenthums aber begleitete unzweifelhaft der Neid, der den Heiligen die Errungenschaften ihres Fleißes nicht gönnte, und die Habgier, welche dieselben gern ohne Kaufschilling an sich gebracht hätte.