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Reise in Südamerika. Zweiter Band.
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Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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Reise in Südamerika. Zweiter Band

VIII.

Die Cordillera (Chile)

Man trägt sich in Chile mit vielfachen Gerüchten über die Gefahren, welche mit Reisen in der Cordillera verknüpft sind, und in der That ist ein solches Unternehmen auch nicht ohne alle Gefahr. Abgesehen von den halsbrechenden Wegen, und von – obgleich selten – streifenden indianischen Räubern, kann selbst auf dem Wege von Santjago nach Mendoza, welches die gewöhnliche Straße ist, ein plötzlicher Schneefall Bedenkliches hervorrufen.

Ein deutscher Kaufmann, mit welchem ich häufig in der Fonda inglesa zusammentraf, ersuchte mich, als ich ihm meinen Entschluß mittheilte in die Cordillera zu gehen, höchst artig, im Falle ich seine große Zehe fände, welche er dort zurückgelassen, ihm dieselbe zu überbringen. Ich erfuhr, daß er mit einem Zuge von waarentragenden Maulthieren von Mendoza nach Santjago reisend, plötzlich von heftigem Schneefalle überrascht, Weg und Steg verloren und in Schluchten gerathen sei, aus welchen die kundigsten Führer, welche ihn begleiteten, keinen Ausweg mehr gewußt. Ein Theil der Thiere war bereits aus Mangel an Futter gefallen. Er selbst hatte in tiefem Schnee und heftiger Kälte sich die Füße und Hände erfroren, da nirgends Feuerung zu finden; da auch für die Menschen kein Mundvorrath mehr vorhanden, und Alle bereits der tiefsten Entmuthigung erlagen, so hatte man sich zum Sterben bereit gemacht und erwartete, in die Satteldecken gewickelt, den Tod. Da fand einer der Knechte in einer Satteltasche eine Flasche Portwein und einige Krumen Maisbrod. Man vertheilte dieses unter die sechs Männer der Gesellschaft und wurde durch den Genuß des Weins so belebt und aufgeregt, daß man beschloß, auf Tod und Leben einen letzten Versuch zu machen. Man bestieg die Pferde, welche noch am kräftigsten waren, klimmte auf die Gefahr hin zehnmal im Schnee zu versinken oder von den Felswänden zu stürzen, aufwärts, und gelangte nach einer halben Stunde auf ein Plateau, wo man Futter fand, und von welchem aus die Maulthiertreiber sich alsbald orientirten. Es gelang, den größten Theil der in der Schlucht befindlichen Thiere aufwärts und später auf die Straße zu bringen, und man erreichte nach einigen Stunden der äußersten Anstrengung eine entgegenkommende Caravane, welche Speisen mittheilte und die Vollendung der Reise ermöglichte.

Ein Engländer hatte einige Jahre vorher, ehe ich in Santjago war, sich vorgenommen, zu Fuße von dort über die Cordillera nach Mendoza zu gehen. Er machte sich trotz aller Abmahnung, mit einem Hunde und Schießbedarf versehen, auf den Weg; aber später nach Mendoza Kommende trafen ihn nicht daselbst, und man glaubte ihn sicher verloren. Nach etwa sechs Wochen erschien indessen der Reisende wieder in Santjago, fast unkenntlich und ohne Hund. Er hatte denselben in der äußersten Noth verzehrt. Nachdem er eine schwere Krankheit überstanden, kaufte er einen neuen Hund und machte sich wieder auf den Weg. Aber er erreichte weder Mendoza, noch kam er nach Santjago zurück; er verschwand spurlos in den Bergen.

Ich hatte mich besser vorgesehen als dieser Britte, und meine kleine Expedition war ganz nett ausgerüstet. Es begleitete mich der deutsche, bei Segeth in Diensten stehende Jäger, und außerdem hatte ich für die Dauer der Excursion zwei chilenische Knechte gedungen. Natürlich waren wir alle beritten und namentlich hatte ich durch die freundliche Gefälligkeit Segeth's ein vortreffliches im Klettern geübtes Pferd erhalten. Zwei Maulthiere trugen abwechselnd Mundvorrath und die nöthigen Instrumente; einige Reservepferde fehlten nach chilenischer Sitte ebenfalls nicht.

Der eine meiner Knechte war schon früh mit den übrigen Pferden und den Maulthieren vorausgegangen, und des Nachmittags folgten wir andern. Unser Aussehen mag so ziemlich die Mitte gehalten haben zwischen dem eines Jägers und eines Räubers, hatte aber für dort nichts Auffallendes.

Wir ritten scharf durch die Ebene von Santjago, um noch vor Nacht die Vorberge der Cordillera zu erreichen, und hielten nur einmal an, um rasch ein Glas jenes rothen Weines von Conception zu trinken, dessen ich bereits erwähnte. Die Gegend von Santjago ist wirklich reizend, indem sie vollkommen den Charakter der Fruchtbarkeit und Cultur trägt, ohne alles Romantische verloren zu haben, wie das sonst so häufig der Fall. Einzelne Landgüter, größere oder kleinere Besitzungen, erstere Reichthum verrathend, letztere voll malerischen Reizes, bilden auch dort, gegen das Gebirge zu, die Umgegend der Stadt, und sind häufig halb versteckt in Gruppen von Feigenbäumen und Pfirsichen, selbst die Orange fehlt nicht, den Typus des Südens vervollständigend. Einen zwar eigenthümlichen, indessen nicht eben angenehmen Anblick gewähren die Lehmmauern, mit welchen fast alle Grundstücke eingefriedigt sind, und welche sich mit hellbrauner monotoner Färbung allenthalben durch die Landschaft ziehen, so daß das Ganze in einiger Entfernung Festungswerken ähneln mag.

Aber auch abgesehen von den übrigen Schönheiten der Landschaft, überwiegt der großartige Rahmen, in welchen das Bild gefaßt ist, die Cordillera, kleinere Uebelstände desselben, und manchfache Staffage belebt das Ganze. Zwar ist das Thierreich eben nicht zahlreich vertreten, und selbst Vögel finden sich hier fast spärlich. Einige Raubvögel waren noch die zahlreichsten Repräsentanten derselben, und diese saßen meist ruhig, kaum sich um den Vorüberreitenden kümmernd, auf den erwähnten Lehmmauern; hier und da liefen der Turco und Tapaculo1 mit Blitzesschnelle über den Weg und der rothbrustige Staar und einige andere weniger zierlich gefärbte seiner Geschlechtsverwandten wiegten sich in den Zweigen der am Weg stehenden Bäume.

Desto häufiger aber begegneten wir Reitern auf Maulthieren und Eseln. Ganze Züge von Maulthieren bringen Holz zur Stadt, Esel mit Futter beladen, ziehen trotz des noch überdem zwischen demselben sitzenden Führers, ziemlich rasch ihre Straße, und dazwischen galoppiren lustig Männer, Frauen und Kinder nach allen Seiten hin. Man sieht in Chile kaum einen Fußwanderer, da jeder ein Pferd besitzt, und dort ist ein ganz anständig gekleideter Fußreisender etwa so angesehen, wie bei uns zu Lande ein Reisender, der barfuß und ohne Rock seine Straße zieht, und statt des Hutes etwa einen Knotenstock führt.

Als wir uns beiläufig sieben bis acht Stunden von der Stadt entfernt hatten, machte der freundliche Charakter der Gegend allmälig einem ernsteren Platz. Selbst die kleineren Hacienden und Ansiedelungen wurden immer seltener und verschwanden endlich plötzlich. Wald und Felsen begannen, und wir hatten kurz vor Anbruch der Dunkelheit die Vorberge der Cordillera erreicht. Wir hatten beabsichtigt, in einer am Fuße der Cordillera liegenden kleinen Ansiedelung zu übernachten, wo von den Bergen gebrachte Silbererze verschmolzen werden, und woselbst der Jäger vor Jahren einmal eingekehrt war. Es zeigte sich indessen bald, daß wir den Weg verfehlt hatten.

Der Rio Mapocho strömt dort, aus den Anden hervorbrechend, mit Heftigkeit durch seine felsigen Ufer, und wir mußten fortwährend stromaufwärts seinen Lauf verfolgen, da weiter oben jenes kleine Hüttenwerk liegen sollte. Bald aber waren wir gezwungen über den Fluß zu setzen, indem das bischen Weg, auf dem unsere Pferde weiter kletterten, aufhörte und zur steilen Wand wurde. Mittlerweile war die Dunkelheit vollständig eingebrochen, und trotz des klaren Sternenhimmels war es in der Bergschlucht, in welcher wir ritten, so finster, daß man kaum den vor sich Reitenden unterscheiden konnte. Es wurde deshalb der eine meiner Knechte, der einen Schimmel ritt, an die Spitze des Zuges gestellt; aber es dauerte nicht lange, so mußte wieder der Fluß passirt werden, da jetzt auf der andern Seite der Weg zu schmal wurde, oder eigentlich besser gesagt, ganz aufhörte, und dieses Uebersetzen wurde während der Nacht etwa 10 bis 12 mal wiederholt.

Der vorausreitende Knecht, der den Weg suchen mußte, wurde nicht selten eine Strecke im Wasser abwärts gerissen und mußte dann eine andere Stelle ausfindig machen, welche, besonders der Lastthiere halber, leichter zu passiren war. Aber dies alles geschah von Seite des Knechts unter Scherz und Gelächter, wenn gleich mit manchem Caramba, dem scherzhaften und unschuldigen Fluchworte der Chilenen.

Der Fluß strömt schnell dahin, und obgleich wir selten bis über die Kniee in's Wasser kamen, hatten die Pferde genug zu thun sich zu halten, und verloren nicht selten den festen Grund, hatte gleich der Knecht die seichtesten Stellen ausgesucht. Ritten wir längs des Ufers, so mußten die Thiere im buchstäblichen Sinne des Worts, sich durch die am Ufer angeschwemmten Felsenblöcke winden, andere überspringen, während sie auf kopfgroßen Geschieben des Flusses Fuß zu fassen gezwungen waren, wenn sie eine plötzlich erscheinende tiefere Stelle nicht bis an die Kniee versinken ließ.

Wir waren eine Zeit lang auf dem linken Ufer des Flusses fortgeritten, als wir, wie uns dünkte, an die gesuchte Stelle gekommen waren, um nach nochmaligem Uebersetzen des Flusses auf eine Art von Weg zu gelangen, welcher zu dem ersehnten Hüttenwerk führen sollte. Als wir aber uns anschickten, in's Wasser zu reiten, fanden wir bald, daß der Fluß so bedeutend angeschwollen war und so heftig strömte, daß an kein Passiren desselben mehr zu denken. Wir hatten nicht daran gedacht, daß fast alle die von der hohen Cordillera kommenden Flüsse des Nachts bedeutend anschwellen, da das des Tages über durch die Sonnenhitze geschmolzene Schneewasser ihre Masse bedeutend verstärkt.

Es stand uns jetzt die wenig tröstliche Aussicht bevor, hungrigen Leibes auf den Geröllen des Mapocho Nachtlager zu halten, und vielleicht von dessen stets steigenden Fluthen noch einen Besuch zu erhalten.

Da erinnerte sich der Jäger, gerade zur rechten Zeit, daß etwas weiter oben sich die Schlucht öffnen müsse und dort die Hütten einiger Landleute seien, bei welchen er früher einmal in dieser Gegend mit einem deutschen Naturforscher jagend, eingekehrt war. Wir eilten weiter und bald öffnete sich wirklich die Schlucht in etwas, und die Abhänge derselben wurden flacher, so daß die Pferde sie erklimmen konnten. Als wir uns auf der Ebene befanden und einen Weg vor uns hatten, der für deutsche Pferde lebensgefährlich gewesen wäre, für die chilenischen aber analog einer Chaussee war, wurden Cigarren und Pfeifen angezündet und im Galopp dem vorausleuchtenden Schimmel nachgeritten, in fast gänzlicher Dunkelheit und ohne irgend eine weitere Kenntniß des Weges als die, daß in einer gewissen Richtung hin menschliche Wohnungen befindlich sein sollten.

Endlich begann der Jäger sich etwas besser in der Gegend zurecht zu finden, indem ihm einzelne Felsenparthieen erinnerlich waren, und bald sahen wir Bäume und zwischen denselben Feuerschein leuchten. Das Unvermeidliche einer chilenischen Ansiedelung, eine Meute von etwa zwanzig Hunden, umringte uns bald kläffend und bellend und wir hatten in Kurzem das Haus und seine Bewohner erreicht.

Es kamen uns die Männer entgegen und boten uns auf unsere Frage, ob wir bei ihnen übernachten könnten, freundlich ihr Haus und ganzes Besitzthum an, mit jener in Wirklichkeit uneigennützigen Bereitwilligkeit, welche die überwiegende Mehrzahl jenes wackeren Volkes charakterisirt.

Vor dem Hause war aus rohen Baumstämmen eine Art Vorhalle angebracht, welche mit Baumzweigen2 gedeckt war und dort brannte das Feuer. Eine ältere Frau kauerte am Feuer, und vier bis fünf jüngere Frauen, alle in große Umschlagtücher gehüllt, waren, so wie mehrere Männer rings umher gelagert; Kinder, Hunde und Hühner, letztere durch unsere Ankunft aufgestört, durchkrochen die Winkel der Vorhalle, und das Ganze bildete ein zwar zigeunerartiges, aber nicht unschönes Bild.

Unsere Pferde und die Lastthiere wurden abgesattelt und sich selbst überlassen. Fast nie verläuft sich in solchen Fällen ein Pferd und die Thiere, welche nur ein paar Tage zusammen gelaufen sind, halten bald gute Kameradschaft. Wir baten um eine Hühnersuppe und Eier, was bald fertig war, als wir aber nach Wein frugen, war keiner vorhanden, indessen hieß es, daß in einem nahen Orte welcher zu haben sei. Ich gab einige Realen, und bald sprengte einer der jungen Leute mit einem Schlauche auf dem Pferde in die Nacht hinaus.

Während nun auf solche Weise alle Anstalten zum Mahle getroffen wurden, hatte ich Gelegenheit, den fast an Ostentation gränzenden Eifer meiner Knechte zu bewundern, mit welchem sie mich zu bedienen bemüht waren. Sie hatten unseren Gastwirthen erzählt, und hiebei half auch der Jäger getreulich, wie ich ein aus fremden Landen gekommener, ungeheuer reicher und gelehrter Herr, un mui grande caballero, sei, welcher die Cordillera zu besuchen gedenke, nachdem er schon alle anderen Länder der Erde bereist habe. Sie selbst reisten theils zum Vergnügen mit mir, theils weil sie von mir einen fabelhaften Lohn bekämen. Sie machten sich nun tausend Beschäftigungen um meine Person, zogen mir die Stiefel aus, boten mir aus der geöffneten Reisetasche ganz ungeeignete Kleider zu größerer Bequemlichkeit, wie sie sagten, stopften meine Pfeife, und hatten alle Augenblicke irgend eine Frage zu thun.

So dachten die beiden Schelme sich selbst in ein glänzendes Licht zu setzen, indem sie einen so vornehmen und mächtigen Herrn als Diener begleiteten3.

Nach Beendigung des Schmauses kam der junge Mann mit dem Weine (rothen Conceptionwein), und war bis über den Gürtel durchnäßt. Der nahe gelegene Ort war sicher eine Stunde, wenn nicht weiter entfernt, und er hatte irgend ein Wasser mit dem Pferde durchschwimmen müssen. Bald kreiste nun der Schlauch unter Männern und Frauen, und letztere verschmähten nicht die Zigarren, welche ich ihnen bot, so daß wir bald wie alte Bekannte ein munteres kleines Gelage hielten, und fast bedauerten, als wir es aufheben und uns zur Ruhe begeben mußten, weil wir des andern Tages mit dem frühsten uns wieder auf den Weg begeben wollten.

Wir, die Gäste, schliefen im Freien, unweit des stets glimmenden Feuers, auf unsern Satteldecken, obgleich wir auf's Beste eingeladen waren, im Innern des Hauses Platz zu nehmen. Allein theils wollten wir unsere Gastfreunde nicht vertreiben, oder wenigstens belästigen, anderseits fürchtete ich die Unzahl jener hüpfenden Insekten, welche ohne alle Uebertreibung wirklich eine Schattenseite Chiles genannt werden darf, wenn es auf Comfort oder nur einigermaßen auf Ruhe ankömmt. –

Noch vor Tages-Anbruch waren wir wieder auf, tranken Kaffee von unserem Vorrathe, da im Hause blos Paraguay-Thee vorhanden, und luden unsere Wirthe zum Mittrinken ein, was angenommen wurde. Aber nur mit Mühe konnte ich die Frau bewegen, einen Peso anzunehmen, indem sie sagte, wir hätten mit ihnen getheilt, und sie mit uns. So schieden wir als die besten Freunde und einer der Männer begleitete uns eine Strecke, um uns eine minder tiefe Stelle des immer noch stark angeschwollenen Flusses zu zeigen.

Ich sah jetzt, daß man bei der Nacht leichter eine solche Passage ausführt als bei Tage, denn mir wurde bei dem reißenden und rasch vorüberstürmenden Wasser fast schwindlich, obgleich ich sonst wenig zu dergleichen geneigt bin. Es verloren bisweilen die Pferde festen Fuß und wurden schwimmend rasch abwärts getrieben, bis sie wieder Grund fanden, und so kamen wir öfters aus der Reihe, welche wir eingeschlagen hatten. Ein Hund, welcher uns begleitete, wurde fortgerissen, und wir hatten ihn schon verloren gegeben, als er etwa nach einer halben Stunde, nachdem wir längst auf dem Trockenen, keuchend und triefend uns wieder einholte.

Das Thal, in welches wir nach Uebersetzung des Flusses gekommen waren, war am Anfange ziemlich breit und es standen dort ebenfalls einige vereinzelte Wohnungen, bald aber wurde es enger, und wir folgten einem seiner Abhänge, indem wir anfingen, ziemlich steil aufwärts zu reiten.

Bald sahen wir in der immer enger werdenden Schlucht nur noch hie und da den Fluß seinen Lauf verfolgen, und die Gegend nahm in kurzer Zeit einen andern Charakter an.

Die unendliche Masse von scheinbar wild und ohne alle Ordnung durcheinander geworfenem Gesteine, in manchfachen pittoresken Formen hier ansteigend, dort eine tiefe Schlucht, wieder an einer andern Stelle einen mauerartigen Kamm bildend, entzückt den Landschaftsmaler und begeistert ihn, während der Geognost verwirrt wird, und anfänglich die Hoffnung aufgibt, irgend eine anständige Theorie zu finden, wie alle diese unendlichen Abstufungen und Varietäten von Porphyr, Diorit, Dolerit und andere verwandte Felsarten so bunt durcheinander gewürfelt dorthin gekommen sind.

Mit etwas Phantasie und einigem guten Willen läßt sich Vieles leisten, so ist denn endlich eine nothdürftige Erklärung fertig. Da tritt uns plötzlich ein Granit entgegen, wir finden Gneis, Sienit an einer Stelle so friedlich und unbefangen dastehen und leider so wenig in die eben fertige Erklärung passend, daß wir uns endlich gestehen müssen, ein flüchtiger Blick auf jene colossale Natur sei wohl halbweg hinreichend uns ihre Größe erkennen zu lassen, keineswegs aber, sie nur einigermaßen genügend zu erklären.

Manchfacher Baumschlag decorirt die Landschaft, indem die Abhänge der Schluchten meist bewaldet sind. So ritten wir einmal eine ziemliche Strecke unter einem natürlichen Bogengange von Pfirsichbäumen dahin. Im Uebrigen aber waren verschiedene Laurusarten und einige Species von Berberis das Einzige, was ich erkannte, indem mir, dem leider ziemlich Unkundigen in botanischen Studien, deren Betrieb während des Vorübergaloppirens noch schwerer fiel, als die Auffassung geognostischer Verhältnisse.

An andern Stellen schien der große, dort nicht selten eine Höhe von 20-30 Fuß erreichende Cactus und einige andere kleinere ebenfalls scharf mit Stacheln bewehrte Pflanzen, die ganze Vegetation zu bilden. Dort aber fallen die Abhänge steil ab und man reitet nicht selten auf einem Pfade, der links von einer senkrecht ansteigenden Felswand begrenzt wird, während rechts ein tausend Fuß tiefer Abgrund uns entgegen gähnt. Häufig ist ein solcher Pfad, den meine verwünschten Knechte einen ganz vortrefflichen Weg nannten, so schmal, daß der eine Fuß an der Felswand streift, während der andere sammt dem Bügel über dem Abgrund schwebt. Bisweilen lösen sich durch den Hufschlag der Pferde Steine und Geröll ab, und stürzen neben uns in die Tiefe. Aber all' das schadet nicht, man reitet vorwärts und macht aus der Noth eine Tugend, denn Umwenden geht aus moralischen und physischen Gründen nicht mehr an.

Weniger gefährlich indessen als es aussieht sind diese Bergpfade wegen der Güte und Sicherheit der chilenischen Pferde, aber sie werden bedenklich in hohem Grade bei Begegnungen. Da nur in seltenen Fällen ein Reisender jene Vorberge der Cordillera besucht, so sind die Wege derselben meist nur von holztragenden Maulthieren und ihren Führern betreten, diese aber halten bestimmte Tageszeiten zum Hin- und Zurückgehen ein, weil für alle blos Santjago das Ziel der Reise ist. Gegenseitiges sich Entgegenkommen ist also bei diesen ein seltener Fall. Ein anderes war es mit uns, die wir gerade entgegengesetzte Richtung mit den zur Stadt ziehenden Holzverkäufern hatten, und mir wäre fast ein Unfall begegnet der üble Folgen hätte haben können.

Schon einige Mal waren wir solchen holztragenden Maulthieren begegnet, aber stets an breiteren Stellen, wo man ausweichen konnte4. Jetzt aber ritten wir einen der schmalsten Pfade, der noch dazu sich öfters um den Fels bog, und ich war eben der letzte im Zuge, als der vor mir reitende Knecht mir zurief, rascher zu reiten. Ich gab dem Pferde die Sporen, aber schon stand ein Maulthier vor mir mit den Holzbündeln, die auf beiden Seiten des Rückens befestigt, seine Last bilden. Einige hundert Schritte rückwärts war eine breitere Stelle des Weges, auch vorn, durch die Felsenecke verborgen, mußte eine solche sein, da die Vorausreitenden den Lastthieren ausweichen konnten, aber zwischen diesen und mir stand das Maulthier und der Kopf des zweiten war bereits sichtbar. Umwenden schien mir unmöglich. Links eine steile Felsenwand, rechts ein jäher Abhang, auf dem kaum Fuß zu fassen. Mein erster Gedanke war das Maulthier vor den Kopf zu schießen, aber dann, welcher Scandal mit den nachfolgenden Treibern, und ferner wäre mir das vorwärts stürzende Thier eben so gefährlich als vorher gewesen. So blieb ich unentschlossen einige Augenblicke haltend, ausweichend so weit als möglich auf der Seite des Abhangs. Das Maulthier aber rannte vorwärts und stieß mich mit der Holzlast dergestalt an die Kniescheibe, daß ich fast sammt dem Pferde in den Abgrund geworfen worden wäre. Meine alten deutschen Jagdstiefel von starkem Rindsleder und handbreit über die Knie reichend, schützten mich in so ferne, daß ich nicht argen Schaden litt, doch hatte ich durch das verwünschte Holz eine ziemliche Contusion erhalten. Ich begriff jetzt, daß ich auf irgend eine Weise ausweichen mußte, denn schon stand das zweite Maulthier vor mir. So sprang ich denn auf der rechten Seite des Pferdes herab und suchte mich auf dem steilen Abhange festzuhalten, so gut es eben ging, und das zwar zuerst am Zügel meines Pferdes, den ich in den Händen behalten hatte. Das Maulthier aber rannte mit seinen Holzbündeln so heftig wider dasselbe, daß die zwei obersten Decken in Stücke zerrissen, der Gurt gesprengt wurde und das Pferd das Gleichgewicht verlor. Aber es stürzte nicht, sondern bäumte sich hoch auf, drehte sich auf den Hinterfüßen, fußte wieder auf dem Pfade und lief rückwärts hinter den Maulthieren her, bis an die vorher erwähnte, bereits passirte breitere Stelle des Weges, wo es, den Lastthieren ausweichend, stehen blieb. Der Zügel, an dem ich mich festgehalten hatte, war ein nach europäischer Art gefertigter, und bereits alt, er riß, und dieß war ein Glück, denn bei dem abhängigen und lockeren Standpunkte, den das Pferd hatte, wäre es ohne Zweifel durch mein Gewicht hinabgezogen worden, und auf mich gefallen. Aber das mir gehörige Zaumwerk nach der schweren und haltbaren Weise des Landes gefertigt, war dem Pferde am Kopfe etwas zu enge, und deßhalb entlehnte ich von Segeth ein anderes, dessen Zerreißen hier zu meinem Vortheile stattfand.

Ich selbst kugelte hierauf, ohne mich irgendwie halten zu können, fünf und zwanzig oder dreißig Schritte abwärts, faßte aber dort einen Strauch und kletterte oder kroch vielmehr dann wieder den Abhang hinan. Zehn Schritte unterhalb des rettenden Strauchs fiel die Felswand senkrecht ab. – Dort, d. h. etwa 800 Fuß tiefer, fließt der liebenswürdige Mapocho zwischen zierlich zugespitzten Felsen, und hie und da zerstreut zwischen ihnen bleichen fragmentarisch die Gebeine von Menschen und Thieren, die oben ebenfalls das Gleichgewicht verloren und zufällig nicht an einem Strauche hängen geblieben sind.

Einer der Knechte warf mir seinen Lasso zu, mit dessen Hülfe erreichte ich die Höhe und dort war meine erste Beschäftigung, eine Unzahl von Stacheln aus den Händen zu ziehen, Ueberbleibsel des rettenden Strauches. Dann wurde Sattel und Zeug wieder in Ordnung gebracht und weiter geritten.

Bald nachdem wir jene Stelle verlassen hatten, begann der Weg sich in etwas zu verändern.

Statt daß früher auf der einen Seite Felswand, auf der andern Abgrund war, mußten wir jetzt über einen drei Fuß breiten Felskamm reiten, dessen beide Seiten senkrecht abfielen. Natürliche Stufen von ebenfalls drei Fuß Höhe bildeten die Straße und so mußten die Pferde sprungweise anklimmen. Ich war thöricht genug, mich über die unschuldige Klippe zu ärgern und mein Pferd erhielt wohl manchen nicht nöthigen Spornstich, indem ich auf den Unsinn schalt, über Mauern zu reiten, anstatt außen herum. Ich weiß indessen nicht, ob dies überhaupt angegangen wäre.

Oben angelangt, wo die Felswand ein kleines Plateau bildete, legte sich plötzlich unser lasttragendes Maulthier ganz ruhig auf den Boden, und war auf keine Weise zu bewegen, wieder aufzustehen. Das Thier hatte die Augen geschlossen und sein Kopf hing, sammt dem einen Packe der Last, die es trug, über dem Abgrund. Wenn Maulthiere ihren Führern erklären wollen, daß sie genug gearbeitet, und keine Lust hätten, weiter zu gehen, nehmen sie stets dieses Manöver vor, und unsere Knechte sagten, sie thäten dies immer an der gefährlichsten Stelle, wo sie keine Schläge zu erwarten haben, da eine einzige unglückliche Bewegung sie in den Abgrund stürzen kann.

In der That wurden oben auf dem Plateau auch blos Schmeichelworte angewendet, um das Thier zum Aufstehen zu bewegen, aber umsonst. Es lag wie verendet und rührte kein Glied. Nun blieb nichts übrig, als dasselbe möglichst auf die Mitte des Plateaus zu ziehen, abzuladen, und so gut es ging, das andere Thier zu belasten. Ich leistete hierbei hülfreiche Hand und bedauerte, in meiner Jugend neben andern nützlichen Künsten, nicht auch die des Dach- oder Schieferdeckers erlernt zu haben, welche mir dort von bedeutendem Nutzen gewesen wäre.

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