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Die Liebesbriefe der Marquise
Die Liebesbriefe der Marquise

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Die Liebesbriefe der Marquise

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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Zürnen Sie mir nicht, weil die Erinnerung mich fortreißt. Die schönen Pariserinnen werden Mühe haben, ihre schmerzhaften Spuren zu verwischen, aber ihre Süßigkeit und – die Hoffnung, die sie erwecken, werden sie nicht verscheuchen können. Sollte der heiße Atem von Paris das Eis um das Herz der reizenden Marquise nicht zu schmelzen vermögen?!

Darf ich erwarten, daß Sie mich mit einer Zeile von Ihrer schönen Hand beglücken werden, damit der Faden zwischen uns, der heute noch so spinnwebfeine, nicht ganz zerreißt? Als ein Bittender küsse ich diese Hand und hoffe, sie bald als ein Dankbarer küssen zu dürfen.

Graf Guy Chevreuse an DelphineParis, am 21. Februar 1774.

Endlich, schönste Marquise, ein Brief von Ihnen! Ich hatte schon aufgehört, darauf zu hoffen; ich kämpfte mit mir, ob ich Sie noch einmal an mich erinnern dürfe, ich fürchtete, als ein Zudringlicher von Ihnen abgewiesen zu werden. Nun ist es zwar nicht gerade schmeichelhaft, daß Sie mir »nur aus Langerweile« schreiben und ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird, diese Langeweile zu verscheuchen, um so mehr, als sie jetzt in Paris ein allgemeines Leiden ist.

Die Krankheit des Königs liegt wie ein Alp auf dem Hof von Versailles. Priester, wie der Abbé Beauvais, Nonnen wie Madame Louise gewinnen wechselnden Einfluß; allerlei dunkle Gestalten werden durch Hinterpforten eingelassen, denn Seine Majestät ist abergläubisch geworden und läßt sich weissagen. Nur auf Stunden, höchstens Tage, vermag die schöne Bacchantin Dubarry ihn seiner Melancholie zu entreissen. Alles um ihn zittert –, teils aus Angst, teils aus Hoffnung –, und bei manchen Leuten habe ich immer den Eindruck, als hätten sie schon heimlich ihre Koffer gepackt. Nur in den inneren Gemächern der Dauphine und im kleinsten Kreise wird noch gelacht, gespielt, getanzt. Sonst hat sich die Fröhlichkeit in die kleinen Hotels der Duthé, der Guimard, der Raucourt geflüchtet und mit ihr manche lebenslustige Dame der Gesellschaft, – nicht zu ihrem Schaden, denn erst hier lernt sie, was Vergnügen und was – Liebe ist.

Ich erinnere mich noch Ihres Erstaunens darüber, daß die Romanheldinnen, die ich Sie kennen lehrte, lauter Kurtisanen sind. Wenn Sie nicht wie eine Eingekerkerte in Ihrem alten Schlosse lebten, – die Vollendung des neuen Palais wird doch wohl noch lange auf sich warten lassen und die des Pavillons, den ich Ihnen riet für sich allein errichten zu lassen, gewiß noch länger! – so würden Sie rascher als viele andere die Ursachen begreifen lernen. Diese Mädchen sind frei; keine Scheere der Rücksichten und der Etikette beschneidet ihre Gefühle, damit sie hübsch artig in Reih und Glied stehen wie die Kugelakazien; kein Ehemann macht sie zu seinem Privatbesitz, ähnlich seinem Hunde, den er darauf dressiert, selbst wenn ihn hungert, von einem anderen kein Stück Brot zu nehmen.

In den Hotels der Raucourt, – einer unvergleichlichen Schauspielerin, die der Herzog von Argenson lanciert hat, und der im Augenblick halb Paris zu Füßen liegt, – und der Guimard, die infolge der gefährlichen Rivalin alle ihre Künste spielen läßt, all ihren Liebreiz entfaltet, traf ich wiederholt unseren gemeinsamen Freund, Friedrich-Eugen. Erfüllt wie ich von Ihnen, schönste Marquise, bin, wurde ich nicht müde, von Ihnen zu sprechen; die wortkarge Ruhe, um nicht zu sagen Gleichgültigkeit, mit der er mir zuhörte, hätte mich fast auf eine ernstere Differenz zwischen Ihnen und dem Prinzen schließen lassen, wenn er nicht mit einer mir in diesem Maße freilich auch unverständlichen Gereiztheit eine harmlose Bemerkung meinerseits, – daß die reizende Marquise das alte deutsche grämliche Froberg demnächst in einen blühenden französischen Mont de joie verwandeln würde –, als eine Beleidigung Ihrer Person betrachtet hätte. Er warf sich dabei zu Ihrem Verteidiger auf, und spielte die Rolle eines alten, einzig dazu berechtigten Freundes so täuschend, daß ich nicht wußte, was ich davon halten sollte und die kleine Guimard vielsagend lächelte.

Nur ein paar Tage lang wünschte ich Ihnen übrigens den Verkehr mit der himmlischen Tänzerin. Sie erinnert mich oft an Sie in der Art, wie sie langsam die schweren Lider von den dunklen Augen hebt und in den weichen Bewegungen ihres zarten Körpers. Nur daß er fessellos ist, der neuesten Mode Englands entsprechend, – fessellos wie ihre Hingabe, ihre Zärtlichkeit.

»Wer in der Liebe nicht verschwenden kann, ist selbst ein Bettler,« sagte sie mir neulich, und einer kleinen Gräfin, die ihr klagend von der Wankelmütigkeit ihres Liebhabers erzählte, rief sie höhnend zu: »Füttern sie ihn nur weiter mit den Almosen heimlicher Blicke und Händedrücke, dann wird er ihr ärgster Feind, ein Revolutionär, wie das frierende und hungernde Volk von Paris angesichts der brennenden Holzstöße, die die großen Herren ihnen zuliebe vor ihren Palais entzünden, und der Brosamen, die sie ihnen zuwerfen.«

Mein Brief wird Sie enttäuschen, denn ich fürchte, daß er Sie nicht einmal für eine Stunde von Ihrer Schwermut befreit, ja, daß er sie vielleicht noch vertieft. Ich bin so grausam, schönste Frau, diese Folge sogar zu wünschen, denn Sie sind so starrköpfig, – oder so sanftmütig?! – daß Sie sich erst sehr unglücklich fühlen müssen, um sich vom Unglück zu befreien.

Lucien Gaillard an DelphineParis, März 1774.

Hochzuverehrende Frau Marquise. Zwei Pferde ritt ich zu Schanden. Ob infolge der Schwere meines Buckels oder der Schärfe meiner Sporen will ich dahingestellt sein lassen. Ich habe mich weder vom Staub gereinigt, noch gegessen und getrunken. Ich bin mit der Tür ins Haus gefallen. Der Kammerdiener des Prinzen Friedrich-Eugen hat erst durch ein paar Louisd'or an meine Ehrlichkeit geglaubt.

Euer Gnaden können ohne Sorgen sein. Die Schreiberseele des Mercure de France hat natürlich die Provinz schaudern machen wollen. Es bestand keinerlei Lebensgefahr. Der Degen des Grafen Guy Chevreuse hat nur die Wange Seiner Erlaucht ein wenig zerschlitzt und ihm einige Unzen Blut abgezogen. Das dürfte nicht ungünstig sein, sondern die allzu große Hitze des Prinzen kühlen.

Über die Ursachen des Duells weiß selbst der Kammerdiener, dessen hingebendste Freundschaft ich mit einigen weiteren Louisd'or gewann, nichts Bestimmtes. Das eine nur scheint gewiß: Der Streit entstand im Hotel der Demoiselle Guimard, derselben schönen Dame, die der Prinz gestern empfing. Es scheint darnach in Paris Mode geworden zu sein, daß auch der männliche Teil der vornehmen Welt im Bett Audienz erteilt.

Ich selbst bin, da Euer Gnaden mir nicht gestatteten, den Namen derjenigen, die mich sandte, einem anderen als dem Prinzen selbst zu nennen, natürlich nicht empfangen worden. Es war nur die Folge meiner eigenen Dummheit. Morgen werde ich den simplen Gaillard mit irgendeinem sieben- oder neunzackig gekrönten Namen vertauschen und man wird nicht die Hinterpforte, sondern die Flügeltüren weit vor mir aufreißen.

Ich lasse dann sofort einen zweiten Kurier dem heutigen folgen.

Gestatten mir Euer Gnaden, meiner unvergänglichen Dankbarkeit und Ergebenheit Ausdruck zu verleihen. Ich bedaure, der Frau Marquise nicht mehr opfern zu können, als ein paar Pferdebeine.

Lucien Gaillard an DelphineAm 22. März 1774.

Hochzuverehrende Frau Marquise. Soeben verlasse ich den Prinzen. Meine Eröffnung ließ ihn vom Bett emporschnellen. Ich konnte mich von der gesunden Menge von Blut überzeugen, das seine Adern noch füllt, denn es ließ sein Gesicht wie ein Feuer glühen, als ich zuerst Ihren Namen nannte.

»Schreiben Sie Ihrer Gebieterin«, sagte er, »daß ich jetzt nichts sehnlicher wünschte, als wirklich todkrank zu sein, um von ihr und ihrer rührenden Sorge um mich dem Leben zurückgewonnen zu werden.«

Fast drei Stunden hielt er mich fest. Er hörte nicht auf, mich auszufragen, mir zuzuhören. Ich durfte mich glücklich schätzen, daß Euer Gnaden Erscheinung sich mir so unauslöschlich eingeprägt hat, und ich imstande war, jeden Blick, jedes Lächeln, jede Bewegung zu schildern, so daß Seine Erlaucht mir versicherte, die Farben Bouchers könnten nicht lebensvoller malen, als meine Worte. Eine Demoiselle Raucourt, die sich während meines Besuchs melden ließ, hat er mit einem so verächtlichen Stirnrunzeln abweisen lassen, daß sie nicht wiederkommen würde, wenn sie es gesehen hätte.

Meine »kranke« Mutter habe ich heute besucht. Ich brauche dem Herrn Marquis sonach kein Märchen aufzubinden. Ihre »Sehnsucht« war übrigens so groß wie die meine. Erst als sie sich überzeugte, daß ich nichts zu fordern kam, erwachte ihre mütterliche Zärtlichkeit gegenüber ihrer Mißgeburt. Es geht ihr übrigens vortrefflich. Von dem Gelde ihres Liebhabers, dem ich infolge eines unglücklichen Zufalls mein Leben verdanke, – daß ich ihm wirklich dafür Dank schuldig bin, weiß ich erst, seit ich Euer Gnaden dienen darf –, hat sie im Garten des Palais-Royal ein Café-Restaurant gepachtet. Die größten Räsonneure von Paris verkehren bei ihr. Ich habe in einer Stunde mehr gehört, als ich in meinem ganzen Leben gedacht habe, obwohl, wie Euer Gnaden wissen, das nicht wenig ist, da man mir ja reichlich Zeit dazu gelassen hat. War ich doch ein Bastard, also gemieden von den Herren wie von den Dienern. Aber wessen ich mich schämte, dessen werde ich mich auf Grund meiner neuen Einsicht noch rühmen können. Als »Bastarde im Geist«, bezeichnete einer der Gäste Madame Gaillards, in dem ich den einstigen Hofmeister des Prinzen Friedrich-Eugen, den Herrn von Altenau, wieder erkannte, all jene Aufklärer, Schriftsteller und Philosophen, die zwischen dem Volk und dem Adel stehen, nicht etwa als ein verbindendes, sondern als ein zersetzendes Element. Was die großen Denker, die Herren Voltaire, Rousseau, Diderot und wie sie alle heißen, – ich hörte die Namen zum erstenmal –, in ihren Werken niedergelegt haben, das verbreiten jene anderen durch die Zeitungen, durch Flugschriften und Reden jetzt im Volk. In jeder kleinen Wirtschaft, zwischen Krämern und Handwerkern, hört man infolgedessen politisieren und philosophieren. Vom König redet man, als wenn er schon tot wäre. Man erörtert eifrig das Für und Wider der Männer, die der Dauphin berufen wird. Es gibt Hoffnungsvolle, die eine glorreiche Zeit und ein Ende aller Not erwarten. Die meisten lächeln zweifelnd dazu, oder zucken nur stumm die Achseln. Für einen, der, wie ich, aus lebenslanger Einsamkeit hierher verschlagen wurde, ist das alles wie ein Fiebertraum. Wenn ich im Frühling durch die Froberger Gärten ging, hatte ich zuweilen solch ein Gefühl in den Gliedern, als stünde etwas Ungeheures bevor. Aber dann fiel mir stets rechtzeitig ein, daß das nur die Gradegewachsenen erwarten dürfte. Hier habe ich die unbestimmte Empfindung, als bedürfe es nur eines graden Geistes, um das Große, das wird, mit zu empfangen.

Euer Gnaden haben mich, den immer Schweigsamen, zuerst sprechen gelehrt, und müssen mir daher gütigst verzeihen, wenn ich nun schwatzhaft werde.

Ich erwarte, der Verabredung gemäß, Euer Gnaden weitere Befehle.

Johann von Altenau an DelphineParis, am 30. März 1774.

Verehrte Frau Marquise! Als die kleine Gräfin Laval sich in eine Marquise Montjoie verwandelte, war sie mir, offen gestanden, entschwunden, wie ein schöner Traum. Einmal, so dachte ich, würde ich wohl der Frau Marquise begegnen, aber sie wäre dann eine Fremde für mich, eine der vielen schönen Frauen, mit demselben Rouge auf den Wangen, das alle Spuren von Leid und Liebe verwischt, demselben Lächeln um die Lippen, das Freund und Feind gleichmäßig grüßt, demselben Geist, dem Himmel und Erde nichts anderes bedeutet, als einen Gegenstand der Konversation.

Und nun ließ mich ein Zufall, der sich in der dicken Wirtin des Café de la Regence verkörpert hatte, einen buckligen Menschen kennen lernen, von dem ich noch nicht weiß, ist er Ihr Hofnarr oder Ihr Kavalier, und dieser seltsame Kauz machte mich mit der Marquise Montjoie bekannt. Die Gräfin Laval ist sie nicht, – darin ging mein Vorgefühl nicht fehl –, aber sie ist auch nicht eine von den Vielen. Ich glaube fast, sie ist ein Mensch, denn sie fühlt die Qualen des Lebens.

Zürnen Sie mir darum nicht, wenn ich Ihnen mitteile, daß sich in Paris ein Mann befindet, der sich Ihnen ganz zur Verfügung stellt. Vielleicht findet er, wenn Sie nur gütigst eine Verbindung mit ihm herstellen wollen, irgend ein Mittel, das Ihre Schmerzen, wenn nicht in Freuden verwandelt, so doch betäubt.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an DelphineParis, den 3. April 1774.

Teuerste Delphine, unvergeßliche Freundin! Meinen heißen Dank für die Wohltat, die Sie mir erwiesen haben, muß ich Ihnen persönlich, nicht nur durch Ihren treuen Boten, auszudrücken versuchen. Sie können in Ihrer Reinheit nicht ermessen, was Sie für mich getan haben; Sie retteten mir vielleicht mehr als das Leben, nachdem Sie mich in einen schlimmeren Abgrund als den des Todes gestürzt hatten. Ich war auf dem Wege, mich selbst zu verlieren –, ach, ich möchte Ihnen das Alles beichten dürfen, und von Ihnen eine Absolution empfangen, die mich sicherer von allen meinen Sünden freisprechen würde, als wenn der Papst in eigener heiliger Person es täte!

Mir ist Paris verleidet; ich kann seine schwere stickige Luft nicht mehr atmen; mich verlangt nach dem kräftigen Vorfrühlingsbrodem, den die heimatliche Erde ausstrahlt. Sobald meine Verwundung die Reise möglich macht, will ich nach Montbéliard zurückkehren, und dort bleiben, bis die tiefere Verwundung meines Herzens es mir erlaubt, nach Etupes – unserem schönen Etupes! – überzusiedeln. Noch weiß ich nicht, wie sie zu heilen ist: die Vergnügungen von Paris haben sich nur als der Verband eines ungeschickten Chirurgen erwiesen, denn die Trennung von Ihnen war wie fressendes Pfeilgift, das die Vernarbung verhindert. Wird ein Wiedersehen sie schließen machen?! Einerlei! Und wenn ich im Voraus wüßte, daß ich daran verblute, ich würde keine Minute zögern, es herbeizuführen. Nur Ihre Ablehnung, meine Freundin, würde wirken, wie Königsbann. Aber ich weiß, Sie vermögen nicht, sie auszusprechen. Monsieur Gaillard wußte nicht, was höher zu preisen sei: Ihre Schönheit oder Ihre Güte! Der arme Kerl, der sich wie ein Nachtfalter am Licht Ihrer Augen die grauen Flügel verbrannte!

Ich werde Sie wiedersehen, und werde versuchen, zu vergessen, daß es die Marquise Montjoie ist, die ich begrüße.

Verzeihen Sie die zitternde Greisenschrift dieses Briefes. Sie dürfen sich darum nicht sorgen, liebste Delphine, – so sehr mich auch diese Sorge beglückt –, denn es ist weniger die Schwäche, die sie verursacht, als die Erregung. Ich weiß jetzt, wie einem Wüstenwanderer zu Mute ist, der mit ausgedörrter Kehle und zerrissener Haut, dem Tode nahe, die schattende Kühle hoher Palmen, die klaren Wellen sprudelnden Quells vor sich sieht.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an DelphineMontbéliard, 30. April 1774.

Delphine, liebste Delphine, warum antworten Sie mir nicht?! Ich wartete in Paris vergebens darauf und hoffte, hier ein Lebenszeichen von Ihnen vorzufinden. Vergebens! War ich zu vorschnell, als ich aus Ihrer Sorge um mich auf einen Rest alter Neigung schloß? Als der Graf Chevreuse vor Dirnen und Roués von dem Mont de joie erzählte, auf dem er den Palast der Venus gefunden hat, glaubte ich die ganze Frechheit seines Wortspiels zu verstehen. Daß ich es tat, war eine Beleidigung gegen Sie, – und Sie hätten ein Recht, mich deshalb keines Wortes mehr zu würdigen.

Aber um unserer Kindheit willen, Delphine, die mir hier aus jedem Busch, jedem Wasserspiegel entgegenlacht, verzeihen Sie mir! Und um meiner Liebe willen schenken Sie mir ein einziges gutes Wort. Nur Ihr Mitleid und Ihr Zorn sind mir unerträglich.

Sollte aber Krankheit die Ursache Ihres Schweigens sein, – ich wage es nicht zu denken, daß Sie leiden –, so beauftragen Sie Gaillard mit Ihrer Antwort. Ich klammere mich zu sehr an jeden Strohhalm der Hoffnung, ich fürchte mich zu sehr, daß Sie selbst ihn mir entreißen könnten, als daß ich es wagte, ein Begegnen mit Ihnen zu erzwingen.

Marquis Montjoie an DelphineParis, am 8. Mai 1774.

Meine Liebe, die Nachricht vom Tode des Königs wird meinem Briefe vorangegangen sein. Als ich am Donnerstag früh in Versailles eintraf, war die Aufregung bereits eine allgemeine. Sowohl die Partei Dubarry mit dem Herzog von Aiguillon an der Spitze, hatte sich versammelt, als die Partei Choiseul, die mit der zur höchsten Empörung des Königs aus dem Exil zurückberufenen Herzogin von Gramont bei der Dauphine zusammentraf. Ein Uneingeweihter hätte aus der unverhohlenen Angst in den Zügen der Einen, dem nicht mehr zu unterdrückenden Triumphgefühl in denen der Anderen, auf den Stand der Dinge schließen können.

Gegen Abend wurde der König aus Trianon, wohin die alles vermögende Favorite ihn entführt hatte, um ihn womöglich bis zuletzt in ihrer Gewalt zu behalten, zurückgeführt. Der Eindruck dieser Heimkehr mußte auch einen kühlen Beobachter erschüttern: es regnete in Strömen, als die goldüberladenen Karossen des Königs sich langsam wie ein Leichenzug durch den Schlamm der Straße, dem Schlosse entgegen bewegten. Die Federbüsche der Pferde hingen schwer vom Wasser an ihren Köpfen hernieder. Man hob den König aus den Kissen; sein Kopf sank vorn über, der Schweiß perlte auf seiner wachsgelben Stirn, zwischen den aufeinandergepreßten Lippen drangen hie und da gurgelnde Laute hervor, als er an seinem Hofstaat vorübergetragen wurde. Sobald er auf sein Lager gebettet war, beschwor er seine Umgebung ängstlich, ihm den Stand seiner Krankheit mitzuteilen. Wenn er auch von seinem Heldenmut viel zu reden pflegt, so fürchtete er sich doch von jeher vor nichts so sehr, als sterben zu müssen, und umgab sich auf Schritt mit einer offenen und geheimen Schutzgarde, ohne daran zu denken, daß der Tod sich von ihr nicht würde zurückhalten lassen.

Im Verlaufe der nächsten Tage wurde der König zweimal zur Ader gelassen. Als die Ärzte von der Möglichkeit eines dritten Males sprachen, wurde ihm und seiner Umgebung der Ernst der Lage erst völlig klar. Die Herzöge von Richelieu und von Aumont traten den Ärzten in meiner Gegenwart mit geballten Fäusten entgegen, um die Operation zu verhindern, und da diese ihre Stellung bedroht sahen, gaben sie nach. Am Sonnabend den 30. April bedeckte sich plötzlich der Körper des Königs mit demselben Ausschlag, unter dem er schon in seiner Jugend gelitten hatte. Die Ärzte bezeichneten ihn auch jetzt offiziell als Blattern. Während der König in einen Zustand von Apathie verfiel, gelang es der Partei Choiseul, den Zutritt von Mesdames Adélaide, Sophie und Victoire zu ihrem königlichen Vater zu erzwingen. Der Erzbischof hielt sich erwartungsvoll im Vorzimmer auf; man rechnete bestimmt darauf, durch seinen Einfluß die Ausweisung der Dubarry und ihres Anhangs durchzusetzen. Aber sobald der Kranke zu sich kam, wies er seine Töchter hinaus und verlangte heftig nach der Gräfin. Die Prinzessinnen hätten übrigens die pestilenzialische Atmosphäre im Zimmer des Königs nicht länger ertragen können, während die Gräfin ohne schwindelig zu werden, in seiner nächsten Nähe aushielt.

Kein Wunder, wenn man selbst aus der Gosse stammt!

Wie erzählt wird, soll sie die Kühnheit gehabt haben, ein Diamantenhalsband von märchenhaftem Wert, das der Juwelier Boehmer ihr zum Kauf angeboten hatte, dem sterbenden König vorzulegen und zum Geschenk zu erbitten. Er verstand kaum noch etwas davon, aber er zog das Schmuckstück immer wieder durch seine fieberheißen, von Schwären bedeckten Hände, die die kalten Steine wohltätig kühlten.

Durch Scherze und Zärtlichkeiten suchte die Gräfin den Lebensglauben des Sterbenden aufs neue anzufachen, worin der Herzog von Richelieu sie insofern unterstützte, als er den Erzbischof, der nicht von der Stelle weichen wollte, um dem König rechtzeitig die Beichte abzunehmen, fern zu halten vermochte.

»Wenn es Ihnen, Monseigneur, durchaus nach großen Sünden gelüstet,« sagte der alte Roué mit seinem ganzen Zynismus, »so nehmen Sie die meinen dafür. Ich garantiere Ihnen, Sie haben in den zwanzig Jahren Ihres Pariser Erzbistums nichts Ähnliches gehört.«

Der Kampf der Parteien um den sterbenden König wurde schließlich so heftig, daß sein Lärm bis in sein Zimmer drang. Vergebens bemühte ich mich, Ruhe zu stiften, denn so feindlich ich auch der Partei Dubarry gegenüberstehe, der König ist immerhin des großen Ludwig Nachfolger gewesen, und verdient als ein Sterbender zum mindesten den stillen Respekt, der allen gewährt wird, die dem ewigen Richter nahen. Erst von dem schon halb Besinnungslosen erreichten die Priester die Entfernung der Gräfin.

Wenige Stunden nach dem Tode des Königs kam ich nach Paris. Überall begegnete ich jubelnden Volksmassen und das »Es lebe Ludwig XVI.!« klang in allen Gassen wieder. So antipathisch mir sonst jeder öffentliche Auflauf ist, in diesem Falle fühlte ich mich durch die Gesinnung mit dem Pöbel eins.

Die erschütternden Ereignisse, die die Geschicke Frankreichs umgestalten werden, haben die persönlichen Differenzen zwischen Ihnen und mir, wie sie kurz vor meiner beschleunigten Abreise von Froberg in Erscheinung traten, in den Hintergrund gedrängt. Ich denke jetzt ruhiger darüber, da ich annehme, daß Ihr Verhalten nur eine Folge der Beschwerden ist, die Ihr Zustand Ihnen verursacht. Ich will mich bemühen, Sie wie eine Kranke zu behandeln, möchte Sie jedoch nur daran erinnern, daß es bei Frauen von guter Erziehung bisher selbstverständlich war, sich auch in der peinlichsten Lebenslage zu beherrschen. Ich verstehe noch heute nicht, wie die liebenswürdige Einladung der Fürstin Montbéliard, und mein Wunsch, durch Ihre Zusage die freundnachbarlichen Beziehungen aufrecht zu erhalten, Ihre Aufregung verursachen konnte. Die Fürstin ist Ihnen, nach Ihrer eigenen Versicherung eine zweite Mutter gewesen, sie sprach in ihrem Brief ausdrücklich von einem »stillen Landaufenthalt in Etupes,« der Ihnen geboten würde; Ihr Einwand, daß Sie sich mit Ihrer »deformierten Gestalt« nicht sehen lassen könnten, ist also in diesem Fall nichts als ein leerer Vorwand. Sie würden zu gesellschaftlichen Triumphen gar keine Gelegenheit haben, die Beeinträchtigung Ihrer Schönheit hätte also keinerlei Konsequenzen. Da Ihnen Froberg überdies so unbehaglich ist, würde Ihnen das sonnige Etupes gerade jetzt doppelt wohltätig sein, und die Fürstin würde es in ihrer Güte an hingebendster Pflege nicht fehlen lassen.

Aber die Auseinandersetzung über die Frage der Einladung war ja nur das Vorspiel der Szene, die Sie mit einem unleugbaren Talent für die Rolle einer tragischen Heldin mir dann vorzuführen die Güte hatten. Ich glaubte, Sie damit zu besänftigen, daß ich Sie an die notwendige Rücksicht auf das Kind erinnerte, aber ich warf damit nur neue Nahrung in das Feuer ihres Zorns. »Rücksicht auf das Kind?!« schrieen Sie, ohne bemerken zu wollen, daß Gaillard sich in unverhohlener Neugierde vor Ihren offenen Fenstern zu schaffen machte, »ich will – ich will kein Kind von Ihnen! Ich schäme mich dieses Kindes!«

Ich hoffe, Sie schämen sich jetzt Ihres eigenen Benehmens, das ich in ihre Erinnerung zurückgerufen habe, um es Ihnen wie einen Spiegel vorzuhalten.

Wie gesagt: ich nehme an, Sie waren von Sinnen, wie es bei jungen Frauen in gewissen Zuständen vorkommen soll, und ich verzeihe Ihnen den Affront, den ich durch Sie erleben mußte. Auch auf den Besuch in Etupes will ich nicht bestehen. Soll es doch vorkommen, daß schwangere Frauen gerade ihren Lieblingsspeisen gegenüber einen unüberwindlichen Ekel empfinden.

Ich schreibe Ihnen das Alles, weil ich wünsche, daß nunmehr von der ganzen Sache zwischen uns keine Rede mehr ist.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an DelphineMontbéliard, am 10. Mai 1774.

Angebetete Delphine! Je länger Ihre Antwort ausblieb, desto fieberhafter arbeitete meine Phantasie; Himmel und Hölle sah ich vor mir, und glaubte, alles ertragen zu können. Und doch würde mich die Wirklichkeit vernichtet haben, wenn ich nicht zwischen den Zeilen Ihres Briefes das Klopfen Ihres Herzens gespürt, die Tränen in Ihren Augen gesehen hätte.

Sie lehnen meinen Besuch ab; Sie fürchten sich vor ihm; Sie wünschen, daß ich Delphine Laval nicht vergesse, und darum Delphine Montjoie nicht wiedersehe. Sie lassen mir nur die leise Hoffnung auf eine Zeit, wo irgend eine große Wendung des Schicksals die Jugendfreundin aus dem Starrkrampf erweckt. Sie sind unglücklich, Delphine, unglücklich wie ich, und Sie gestatten mir nicht, Ihnen zu helfen! Ich beneide den Grafen Chevreuse, ja ich will mich sogar bemühen, seine leichtfertigen Reden zu vergessen, weil er imstande gewesen ist, Ihnen Stunden des Frohsinns zu schaffen.

Es gab seit dem Empfang Ihres Briefes Augenblicke, in denen der Wunsch, Ihnen helfen zu können, jedes eigennützige Gefühl erstickte. Ein solcher war es, als ich meine Mutter bat, Sie zu sich zu laden; ich hätte, Ihrem Wunsch unter allen Umständen gehorchend, Etupes helles Schlößchen ebenso wenig betreten, wie Ihre dunkle Burg.

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