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Die Liebesbriefe der Marquise
Die Liebesbriefe der Marquise

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Die Liebesbriefe der Marquise

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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Johann von Altenau an DelphineParis, am 31. Dezember 1772.

Meine liebe kleine Gräfin, da ich mich doch nur in Gegenwart einer Ihrer Gestrengen steif und zeremoniös nach Ihrem Befinden erkundigen kann, und Ihnen nach dem Ereignis der gestrigen Nacht manches zu sagen habe, was Ihnen sonst Niemand sagt, so schmuggle ich diesen Brief bei Ihnen ein.

Das war ein Zusammentreffen, wert von La Harpe in leichten Reimen, von Boufflers in einer zierlichen Erzählung geschildert zu werden:

Dunkle Nacht; große weiße Flocken schweben leise zu Boden, um sich hier allmählich in klebrigen Schmutz zu verwandeln. Da biegt in der Rue de Sève ein Mann um die Ecke, die Laterne unter dem Mantel halb verborgen. Er sieht sich scheu rings um, dann hebt er die Laterne, nun folgt ihm ein zweiter, ein dritter, und danach eine Sänfte, die dicht verhangen zwischen den Trägern schwankt. Sie gehen rasch, als wären sie auf der Flucht. Irgend ein unklarer Gedanke zwingt mich, der ich ihnen begegne, umzukehren und desselben Wegs mit ihnen zurückzugehen. Plötzlich erhellt sich der Himmel vor uns, er färbt sich glutrot; die Sänftenträger erschrecken und stellen ihre Last zu Boden. Sekundenlang erscheint ein gepudertes Köpfchen zwischen den Gardinen, zwei dunkle Augen starren entsetzt hinaus. Mit einem Aufblitzen jähen Erkennens streifen sie mich. Die Diener treiben mit rohen Worten die Träger zu ihrer Pflicht zurück. Es geht vorwärts; ich bleibe von nun an gebannt dicht hinter der Sänfte. Da –, welch tosender Lärm schlägt uns entgegen: ein Glockenläuten, das aus allen Himmelsgegenden hundertfaches Echo zu finden scheint, dazwischen Trompetensignale, und, ständig anschwellend, Menschengeschrei. Wir haben den Pont Neuf erreicht, schon ist die Seine rot überhaucht wie bei Sonnenaufgang, und von rechts her schlagen Flammen gen Himmel, als ob sie seine dunkle Wölbung sprengen wollten.

»Das Hotel de Ville brennt!«, kreischt ein altes Weib neben uns. »Mein Kind, mein Kind!« schreit verzweifelt eine andere und stürzt sich der Glut entgegen. »Zu Sartine!« ruft ein Mann und reißt einem der Diener die Laterne aus der Hand.

»Niemand kann ins Haus – die Kranken verbrennen – vierhundert Kranke!« Wir stehen erstarrt.

Und die kleine Sänfte öffnet sich und mitten in der grauenvollen Nacht erscheint eine Lichtgestalt, von weißer Seide umflossen, einen Rosenkranz auf dem gepuderten Köpfchen, goldene Schuhe an den zarten Füßen. Ihre nackten Arme, ihr kindlicher Hals leuchten im Dunkel.

In demselben Augenblick kommt es über die Brücke uns entgegen, langsam – leise, nur von Stöhnen und Wimmern begleitet; ein Zug Armseliger, Zerlumpter, halb Nackter, mit stieren Augen, fieberglühenden Wangen. Ihre Füße tragen sie kaum. Einer stützt sich am anderen –, dort die blasse Kleine an den Greis, dem der Tod schon aus den geisterhaften Zügen leuchtet, und das unselige Weib, deren Antlitz eine schwärende Wunde ist, an den Jüngling, dessen erloschene Augen die Glut nicht mehr sehen. Manche, die nicht gehen können, werden von den Leidensgenossen halb getragen, halb gezerrt. Zwei Männer, denen selbst die Kniee zittern, halten ein Mädchen unter den Armen und schleifen sie hinter sich her.

Eben will ich den Arm schützend um die schwankende Lichtgestalt neben mir legen, – da reißt sie sich los und steht schon mitten unter den Fliehenden. Man schaart sich um sie, – rohe Worte fallen –, man greift nach der Kette an ihrem Hals –, aber sie zittert plötzlich nicht mehr.

»Nehmt meine Sänfte für das Mädchen!« ruft sie, »Träger, hierher!« fügt sie herrisch hinzu, »nach l'Abbaye aux Bois!«

Alles gehorcht, niemand rührt sie an, jedes Wort verstummt. Und mit den Goldschuhen und dem weißseidenen Kleid geht die Gräfin Delphine durch den klebrigen Straßenschmutz zum Kloster zurück. Sie hängt immer schwerer an meinem Arm, sie schweigt, und schüttelt nur den Kopf auf all meine Fragen. Erst vor der Pforte steht sie still, schaut mich an mit weiten angsterfüllten Blicken: »Gibt es so etwas?! Wirklich?! – War es kein Traum?!« –

Ihre Strafe wird gelinde sein, kleine Gräfin, weil das Werk der Barmherzigkeit Sie in den Augen der Frommen entsühnte. Trotzdem bleibt Ihnen viel Zeit, nachzudenken. Sie haben zum ersten Mal der Wahrheit ins Gesicht gesehen, die man Ihnen hinter hohen Taxushecken und Klostermauern verbarg, vor die man seidene Vorhänge an die Fenster, dichte Schleier über die Augen zog. Es ist wirklich, Gräfin Delphine, und kein Traum! Von jenen Elenden, die Sie sahen, sind hunderte in den Flammen umgekommen, aber trotz dieses gräßlichen Endes sind sie, die zu vieren und fünfen in einem Bette lagen, noch nicht die Aermsten. Es gibt Hunderttausende, die der Hunger langsam zu Tode martert, die kein ander Bett besitzen, als die Steine der Straße.

Wenn sie erwachen!! O, Gräfin Delphine, dann nützt auch Ihre Barmherzigkeit nichts. –

Darf ich Ihnen nun noch den Rat eines Freundes geben? Hüten Sie sich vor dem Grafen Chevreuse. Trotz seiner achtzehn Jahre ist er ein vollendeter Vaurien, und seine Lehrmeisterin in der Liebe ist eine der berühmtesten Kurtisanen von Paris, die Tänzerin Guimard. Als Gefährtin seiner Streiche sind Sie zu schade.

Eine Antwort von Ihnen darf ich unter den jetzigen Umständen nicht erwarten, so sehr sie mich auch beglücken würde. Aber ich hoffe, Ihnen bei der Herzogin von Lavallière, in deren Kreis ich mir Eingang verschaffte, – deutsche Denker sind, seit dem Baron Holbach, zu einem notwendigen Requisit jedes wohlassortierten Salons geworden –, zu begegnen, sobald Ihre Klausur zu Ende ist.

Graf Guy Chevreuse an DelphineParis, am 30. Januar 1773.

Schönste! Beste! Sie sehen einen Verzweifelten vor sich. Zu allem Leid, das mich traf, als Sie in jener unglückseligen Nacht das Fest nicht erreichten, für dessen Glanz meine Augen blind waren, da Sie fehlten, kommt nun ein anderes, weit tieferes: man hat mich bei Ihnen verleumdet. Wenn nicht die Stärke Ihrer Empörung über meine vermeintlichen Sünden, – Clarisse sagte: sie sprüht vor Zorn –, mich hoffen ließe, daß Ihnen meine Person nicht ganz gleichgültig ist, ich würde Asche auf mein Haupt streuen und die Geißel über mich schwingen wie der bußfertigste unter den Wüstenheiligen. Aber ich weiß: die reizendste aller Klosterschülerinnen würde mich vollends entrüstet abweisen, erschiene ich im härenen Gewand des Asketen vor ihr.

Und so wage ich zu erscheinen, wie ich bin: als Kavalier der Königin, gepudert, parfümiert, im gelbseidenen Surtout –, gerade so wie ich den schönen Frauen gefalle. Vielen Frauen, holdselige Gräfin, die weniger streng sind als Sie, die es mir nicht verargen, wenn ich die Gesellschaft der Maitresse meines Bruders, – hören Sie: meines Bruders! –, nicht meide, eine Gesellschaft, die sogar Damen des Hofes mit Vergnügen teilen, weil alle guten Genien des Geistes und des Witzes, der Grazie und Laune in ihr herrschen.

Sie sehen Paris nur durch das Schlüsselloch der Klosterpforte. Tritt ein lahmer Bettler, ein schmieriger Strolch, ein zerlumptes Weib in Ihren Gesichtskreis, so meinen Sie: das ist Paris, während Sie nur ein paar Typen jenes in aller Welt verbreiteten Gesindels gesehen haben, das durch Völlerei, Arbeitsscheu und Verbrechen geworden ist, was es ist. Hier ist Verachtung, nicht Mitleid am Platz, denn jede Berührung mit solchen Elementen kann uns nur beschmutzen.

Bleiben Sie, reizende Delphine, auf den Höhen der Menschheit, für die Sie geboren sind! Traurig genug, daß Sie dem eigentlichen Leben so lange entzogen bleiben und damit auch dem treusten und ergebensten Ihrer Verehrer.

Die Pariser Geselligkeit ist glänzender denn je. Sie wissen gewiß, daß unser gemeinsamer Freund Friedrich-Eugen sich in ihren Strudel gestürzt hat. Ich hatte gerade Dienst bei der Dauphine, als er ihr vorgestellt wurde. Er gefiel nicht übel, der gute Junge, nur lächelt man ein wenig über sein unverhohlenes Staunen, das die Provinz verrät. Übrigens hat er Talent zum Pariser: Als ich ihn bei Mademoiselle Guimard einführte, riß er zwar zunächst angesichts all der durchsichtigen Gewänder reizender Frauen die ach so deutschen blauen Augen auf, um dann um so feuriger bei den kleinen Tänzerinnen den Seladon zu spielen.

Um die Zeit Ihrer Haft, an der ich leider nicht völlig unschuldig bin, verkürzen zu helfen, sende ich Ihnen M. Dorats reizenden Roman »Sacrifices de l'amour«, der viel von sich reden macht, und den Begeisterte teils mit Rousseaus Nouvelle Héloise, teils mit Crébillons Sopha vergleichen. Das Werk gibt Rätsel auf und es ist zum Gesellschaftsspiel geworden, sie zu erraten. Um für Sie, die sich daran nicht beteiligen können, seinen Reiz zu erhöhen, will ich Ihnen die richtige Lösung nicht vorenthalten: Die Vicomtesse de Senanges ist die schöne Gräfin Beauharnais. Sie wird viel umschwärmt, obwohl sie nicht die Jüngste ist, und ihre Gefühle nicht nur durch den süßen Druck der Lippen, der Hände, der Arme, – den einzigen, der für unsere Väter überzeugend war –, zu zeigen versteht, sondern auch durch Druckerschwärze. Für uns, ich wills nicht leugnen, bilden diese offenherzigen Bekenntnisse eines Weibes nur einen Reiz mehr: sie enthüllen ihre Fähigkeit zur Leidenschaft, ohne daß wir uns mit dem langwierigen Forschen danach bemühen müssen. Freilich, wenn Lebrun recht hat, der die dichtende Gräfin mit folgenden Strophen besang:

Chloë, belle et poëte, a deux petit travers:Elle fait son visage, et ne fait pas ses vers,

so dürfte sie ihre Verehrer aufs Glatteis führen. In unserm Roman tut sie es nicht. Der Chevalier de Versenay, ihr Liebhaber, ist mehr zu beneiden, als sein lebendes Vorbild, der Herr von Pezay. Auch er dichtet, er schreibt sogar seine Liebesbriefe gleich mit Rücksicht auf ihre Druckreife. Obwohl seine Mutter noch der meinen die Hemden wusch, nennt er sich Marquis, denn er kennt seinen Vorteil: der schlechteste Possenreißer ist seines Erfolges sicher, wenn er sich mindestens Baron tituliert. Hoffen wir für die Gräfin, daß ihr Anbeter seiner Herkunft wenigstens die Tadellosigkeit seiner Wäsche verdankt.

Ich sehe Sie erröten und unmutig das Köpfchen schütteln, wie damals als ich Sie auf dem Ball der Herzogin von der Last kindlichen Respekts befreite, die Sie vor jeder glänzenden Erscheinung förmlich zu Boden zwang. Damals, holdselige Delphine, blitzten in Ihren Augen, noch während Ihre Wangen glühten, schon die neckischen Geister des Spottes auf und Ihr kleiner Mund zuckte vor verhaltener Neugierde. Ich sehe mich als den eigentlichen Vollender der mehr als unzureichenden Klostererziehung an, wenn ich dafür sorge, daß Sie nicht unwissend wie ein gefangenes Vögelchen in Freiheit gesetzt werden.

In Freiheit! Horchen Sie auf, schönste Blume der Vogesen: man erzählt sich schon von einem, der Sie in seinen Garten versetzen möchte, das heißt, Sie der Sonne, der Luft, dem Leben erobern, und –, kühn wage ich es auszusprechen, – meinem von keiner Klosterregel mehr gestörtem Ritterdienst.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an DelphineParis, am 3. März 1773.

Nun bin ich zwei Monate in Paris, ohne Sie, teuerste Freundin, gesehen zu haben! Ich weiß nicht, welches Gefühl in mir stärker ist: das unbefriedigter und darum täglich heißerer Sehnsucht, oder das des Zorns über Ihren Leichtsinn, der mich Ihrer Nähe beraubt. Fürchten Sie nicht, daß ich ihn mit der Miene des Sittenrichters verurteile. Ich würde Ihren köstlichen Streich gesegnet, ihn göttlich genannt haben, wenn er nicht nur gelungen, sondern vor allem, wenn die kleine Nonne um meinetwillen bei Nacht dem Kloster entschlüpft wäre. Aber ich weiß ja nicht einmal, ob es wirklich nur die lockenden Geigen des Balls der Herzogin waren, die Sie verführten?! Guy zuckt schweigend die Achseln, wenn ich ihn auszuforschen versuche. Zuweilen jedoch hat er ein Lächeln –, ein Lächeln, bei dem mir das Blut in die Wangen steigt!

In der Hoffnung, des Glücks, Sie einmal zu sehen, teilhaftig zu werden, schmeichele ich mich bei Ihrem Vater ein. Aber es scheint, als ob der Marquis Montjoie der einzige Bevorzugte bleiben soll. Und ich bin in meinen Wünschen schon so bescheiden geworden, daß ich mich ihm aufdränge, um nur von Ihnen erzählen zu hören, und mich doch wieder ärgere, wenn der alte Roué vor Entzücken über »das reizende Kind« die Augen verdreht. Er hat recht, tausendmal recht: »alle Sterne von Versailles würden vor der süßen Unschuld ihrer Augen verbleichen«, aber ich wollte, daß es nur mir allein zustünde, das auszusprechen.

Clarisse Chevreuse sagte mir, Sie wünschten zu wissen, wie mir Paris gefällt. Lachen Sie nicht über meine Antwort, teuerste Freundin. Ich weiß nicht, ob es mir gefällt, ich weiß nur, daß es mich berauscht! Was in Montbéliard seltene Feste waren, das ist hier das Leben; und der Frühling, der uns in Etupes während einiger kurzer Wochen beglückte, den zwingt Paris Jahr aus, Jahr ein in seinen Dienst. Daß es draußen auch einmal stürmt und schneit, wer spürt es, wenn er im weichen Wagen von einem blumendurchdufteten Salon zum andern fährt; – daß es so etwas giebt, wie Entsagung, wie Alter, wer wagt es zu behaupten angesichts all dieser lächelnden Gesichter, dieser rosigen Wangen, dieser glänzenden Augen. Ich muß an meine Mutter denken, um mich zu entsinnen, daß es Frauen gibt, die nicht jung sind. Mit den weißgepuderten Haaren scheinen sie sogar keck des Alters zu spotten, das sie nicht mehr überwältigen kann, und sein äußeres Wahrzeichen zu benützen, um den Reiz ihrer ewigen Jugend zu erhöhen. Was für die Herzogin von Lavallière gedichtet wurde, das gilt für alle:

La nature prudente et sageForce le temps de respecterLes charmes de ce beau visage,Qu'elle n' aurait pu répéter.

Ach, und ihr Tanz! Wissen Sie noch, wie der Wind in Etupes über die Tulpenbeete strich? Solch ein Neigen und Wiegen, solch ein Aufglühen und Verlöschen leuchtender Farben ist er! Das Schönste schien er mir zu sein, was ich bisher gesehen hatte, bis ich noch Schöneres sah. Als sich vor mir zum erstenmal die Vorhänge der Oper teilten, und ich die entzückendste aller Sylphiden, Fräulein Guimard, aus dem weißen Wolkenbett zur Erde schweben sah, wo der große Vestris sich ihr entgegenhob, als gäbe es keine Schwere für ihn, da erkannte ich erst, daß die Tulpen noch an der Erde kleben, und die Schmetterlinge, die über Rosenhecken gaukeln, die wirklich Lebendigen sind.

An Pracht, so glaubte ich, könnte dieses Schauspiel von keinem anderen übertroffen werden. Dann kam ich nach Versailles zum Ordensfest Ludwigs des Heiligen. Frankreichs Fürsten und sein Adel waren versammelt. All die Namen schlugen an mein Ohr, von denen jeder einen Quaderstein im Tempel seines Ruhmes bildet. Und die goldstarrenden Mäntel, die schweren Kronen der Männer, die schimmernden Juwelen auf den Häuptern und um die Nacken der Frauen erschienen mir wie ein einziges Symbol seines unerschöpflichen Reichtums. Alle Glocken läuteten. Durch die Spiegelgallerie flutete ein Meer von Glanz, als ströme der Regenbogen selbst durch die offenen Türen. Es war ein Brausen in der Luft. Ich wußte nicht, rauschte es mir nur in den Ohren, oder waren es Stimmen, oder ferner Gesang. Der König erschien; von einem Himmel von Purpur überdacht, aus dem Tropfen von Gold und Perlen niederflossen. Auf seinem blauen Mantel strahlten die goldenen Lilien, jeden Schritt, den er vorwärts tat, begleitete das Funkeln der Diamanten an seinen Füßen.

Mein Vater liebt den König nicht. Selten sind die Ersten des Hofs beisammen, ohne daß Böses über ihn geflüstert würde. Wie oft hab ich selbst seines großen Ahnherrn Heldenzeit herbeigewünscht, weil ich meinte, keinem anderen dienen zu können. Das war jetzt vergessen. Eine höhere Gewalt zwang alle Nacken, sich ehrfurchtsvoll zu neigen, nicht weil es der fünfzehnte Ludwig war, der vorüberging, sondern Frankreichs Majestät. Ich habe mich ihr nun angelobt, wie meine Väter es taten.

Noch viele Bogen könnte ich füllen, wollte ich erzählen, was ich sah. Alles ist für mich ein Erleben gewesen. Nur weiß ich nicht, ob Sie, mit der ich meine Kindheit teilte, mir auch jetzt noch zuhören mögen. Kein Nichtwissen schmerzt mich so tief wie dieses. Darum bitte ich Sie, antworten Sie mir, aber, wenn es sein kann, ohne Guy Chevreuse damit zu bemühen. Ich vertrage nun einmal sein Lächeln nicht.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an DelphineParis, den 15. März 1773.

Liebste Delphine, solch einen Brief mir! Womit verdiente ich ihn? Leichtsinn, ja Treulosigkeit werfen Sie mir vor. Schon wollte ich die Zeilen die von Ihnen kamen, zärtlich an mein Herz drücken, als Ihre stacheligen Worte mich blutig rissen. Ich wäre trostloser, wenn ich nicht glaubte, daß die Langeweile Ihrer Gefangenschaft Sie so reizbar und der leidende Zustand Ihres Vaters Sie so trübsinnig macht. Die Zeit wird vorübergehen, Delphine; Ihr Vater wird sich erholen und Ihre schönen Augen werden mir wieder lachen, wenn Sie erfahren, daß selbst Ihre ungerechte Härte meine Gefühle für Sie nicht ändern kann.

Marquis Montjoie an DelphineParis 1773. Am Tage der Verkündigung Mariä.

Der kurzen Unterredung im Beisein unsers teuren Kranken lasse ich diesen Brief folgen, dessen Inhalt Ihnen die Hoffnungen meines Herzens, die zugleich die Wünsche Ihres Vaters, meines treuen Freundes sind, näher bringen sollen. Als gehorsame Tochter haben Sie der durch den Mund Ihres Vaters Ihnen übermittelten Werbung zustimmend geantwortet, Sie haben dann als Zeichen des Vertrauens Ihre kleine Hand wortlos in die meine gelegt. Seien Sie versichert, daß ich die hohe Auszeichnung, die darin liegt, zu schätzen weiß und mich bemühen werde, ihrer würdig zu sein.

Ihr Herr Vater ist über das Schicksal seiner geliebten einzigen Tochter nunmehr etwas beruhigt und auf seinen Zustand hat die Tatsache, daß er Sie in gutem Schutze weiß, auf das günstigste eingewirkt. Möchten Sie, teure Komtesse, mit ähnlichen Empfindungen einer Zukunft entgegensehen, die, soweit es an mir liegt, eine heitere für Sie sein soll. Ein junges Mädchen, – das ist mir nicht unbekannt –, träumt gern von jener Liebe, die seichte Romane so reizend zu schildern wissen. Aber auf solchen, meist flüchtigen Gefühlen sollte keine Ehe gegründet werden. Vertrauen, ruhige Zuneigung, und vor allem die Übereinstimmung der Familieninteressen, die Gleichheit der Lebensgewohnheiten, sind vielmehr ihre einzig sichere Grundlage. Darum fürchten Sie nicht, verehrte Komtesse, daß ich, der überdies an Jahren so viel reichere Mann, von Ihnen die leidenschaftlichen Empfindungen einer Julie wünsche oder erwarte. Unser Zusammenleben wird ohne sie ein würdigeres, der Vornehmheit unserer Gesinnung entsprechenderes sein.

Wie Sie wissen, sehnt Ihr Herr Vater eine baldige Trauung herbei, und da die Ärzte uns über den Ernst seines Zustandes keinen Zweifel lassen, – so sehr unsere Liebe sich gegen die schlimmste Möglichkeit sträubt, – so vereinige ich nochmals meine Bitte mit der seinigen, die Zeremonie nicht hinauszuschieben, wie es anscheinend Ihren Wünschen zunächst entsprach. Ich begreife, daß Ihre große Jugend vor dem Ernst der vollzogenen Tatsache erschrickt, aber ich gebe Ihnen demgegenüber zu bedenken, daß der Name einer Marquise Montjoie Ihnen sofort neben der Freiheit eine neue Sicherheit und eine anerkannte Position in der Gesellschaft gewähren wird. Ich habe die Absicht, meine Gemahlin nach der Trauung dem Schutze meiner Mutter anzuvertrauen. Sie werden auf Schloß Montjoie als Herrin einziehen und dabei doch der liebevollen Erziehung und Leitung einer Frau unterstehen, die Ihnen in allen Dingen Vorbild sein kann. L'Abbaye aux Bois erscheint mir nicht geignet, Sie länger zu beherbergen; ich wünsche, daß Sie Paris in Zukunft mit gefestigterem Charakter gegenübertreten.

Darf ich hoffen, daß die Ruhe der Überlegung Sie unseren Wünschen geneigter gemacht hat? Mein Kammerdiener wird morgen Ihre Antwort entgegennehmen.

Ihre Freude über das Diamantenkollier, das ich mir erlaubte, Ihnen als erstes kleines Angebinde zusenden zu lassen, war ein so willkommenes Geschenk für mich, daß ich es in der Hoffnung auf seine Wiederholung wage, Ihnen heute diese Perlenschnur zu Füßen zu legen. Möchte sie nicht nur ein Zeichen dafür sein, daß Sie sich mir verbinden, sondern Ihnen auch die Zuversicht einflößen, daß die Fesseln der Ehe Sie niemals stärker drücken werden, als diese Kette.

DIE SCHLOSSFRAU VON FROBERG

Marquis Montjoie an DelphineParis, im Juli 1773.

Meine liebe Delphine. Ihr kleiner Brief, den ich als Beilage eines längeren Schreibens meiner Mutter hier vorfand, war mir sehr erfreulich, geht doch aus ihm hervor, daß Sie den Vorsatz gefaßt haben, die ängstliche Scheu mir gegenüber allmählich abzustreifen.

Ich brauche Ihnen nicht noch einmal zu versichern, daß ich sie weder durch mein von aller schuldigen Rücksicht getragenes Benehmen verdient habe, noch daß ich sie erwarten konnte, nachdem Sie mir als eine fröhliche, ja fast allzu kecke, junge Dame bekannt geworden waren. Ihre häufigen, trüben Stimmungen, Ihre Art, sich stundenlang in Ihren Gemächern einzuschließen, durch die Sie die Würde Ihrer Stellung gegenüber den Domestiken in unstatthafter Weise gefährden, weil Sie zu allerlei Vermutungen und Geklatsch den Anlaß gaben, habe ich bisher zu übersehen versucht, da ich ihre Ursache in der Trauer um Ihren verehrten Vater zu finden glaubte. Die Marquise Montjoie, die Herrin meines Hauses, darf sich jedoch auf die Dauer solchen Empfindungen eines kleinen Mädchens nicht hingeben. Ich wünschte, daß Sie darauf bedacht sein mögen, in Ihrem Benehmen mehr Haltung zu zeigen.

Durch eine Bemerkung in dem Briefe meiner Mutter, sehe ich mich genötigt, diesem Wunsch besonderen Nachdruck zu verleihen. Sie schreibt wörtlich: 'Meine gute Schwiegertochter scheint an der Unterhaltung mit Monsieur Gaillard viel Gefallen zu finden'. Daraus schließe ich, daß Sie vergessen haben, was ich Ihnen über die Stellung Gaillards in unserem Hause gesagt habe. Mein verstorbener Bruder, dessen Sorge um diesen seinen illegitimen Sohn eine um so größere war, als dessen unglücklicher, körperlicher Zustand ihn für alle bemitleidenswert machte, sprach in seinem Testament den Wunsch aus, daß ich ihm auf Froberg eine gute Erziehung und eine dauernde Unterkunft gewähren möchte. Selbstverständlich ist es ihm dabei nicht eingefallen, irgend welche Art von Familienzugehörigkeit für Gaillard zu verlangen; meine Mutter und ich sind stets bemüht gewesen, die scharf gezogenen Grenzen des Respekts aufrecht zu erhalten, was oft nicht leicht war. So wurde Gaillard ein nicht unbrauchbarer Haushofmeister, also nichts anderes als der erste unter den Bedienten.

Nun scheint er die unerfahrene Jugend meiner Gemahlin in seinem Interesse ausnutzen zu wollen, und ich muß Ihnen demgegenüber die größte Kühle und Zurückhaltung zur Pflicht machen. Nach Abschluß des Trauerjahres wird es Ihnen an Unterhaltung nicht fehlen; bis dahin sollten Sie die Zeit benutzen, um sich unter der Leitung einer so vollendeten Dame wie meiner Mutter zu einer ihr ähnlichen Persönlichkeit heranzubilden.

Damit Sie sehen, daß ich in meiner Sorge um Sie bemüht bin, Ihnen auch eine Freude zu bereiten, die Sie zugleich auf das angenehmste beschäftigen wird, teile ich Ihnen mit, daß ich beschlossen habe, an der Stelle unseres Parks, an der Sie sich einen Gartenpavillon wünschten, ein größeres Gebäude modernen Stils errichten zu lassen. Sie hatten nicht Unrecht: Das alte Schloß mit seinen dicken Mauern und kleinen Fenstern entspricht unserem Geschmack nicht mehr, und, wenn es auch Einbildung ist, daß Sie sich darin zu fürchten behaupten, so wäre ein Palais im Stil von Trianon ein weitaus günstigerer Rahmen für Sie.

Ich habe meine freien Stunden benutzt, um mir die neuesten und berühmtesten Pariser Privat-Hotels anzusehen. Am meisten gefiel mir das der Tänzerin Fräulein Guimard, die ich übrigens nicht aufgesucht haben würde, wenn ich nicht in der Angelegenheit unseres Abbé Morelli ihre Intervention bei Monseigneur de Jarente, über den sie alles vermag, hätte beanspruchen müssen. Sie war ungemein liebenswürdig und zeigte mir ihr eben vollendetes Palais in allen Details. Es ist ein Bijou und bis auf jeden Stuhl, ja jeden Teller von erlesenem Geschmack. Die ersten Künstler haben daran mitgeschaffen, und ich betrachte es als ein Zeichen der Höhe unserer Kultur, daß sie ihre Begabungen auf diese Weise in den Dienst des täglichen Lebens stellen. Auf Empfehlung der Guimard habe ich mit den Architekten Bellisard und Ledoux Rücksprache genommen; sie dürften mit mir zusammen auf Froberg eintreffen, um an Ort und Stelle die Pläne zu entwerfen.

Leider verzögert sich meine Rückkehr noch etwas. Den Ausgang des Prozesses Morangiès, der hier alles beschäftigt und die öffentliche Meinung in jene zwei Lager teilt, die es zwar immer gibt, die sich aber leider nur zu oft verwischen: die von Hof und Adel auf der einen, von Bourgeois und Parvenüs auf der anderen Seite, möchte ich noch abwarten. Nicht nur, weil der Marquis mein Freund ist, sondern weil die ganze Angelegenheit mir für unsere Verhältnisse typisch erscheint: Eine Gesellschaft von Krämern, die einen Kavalier von ältestem Adel ehrloser Handlungen bezichtigt, ein Haufe von Schriftstellern und sogenannten Philosophen, der diesen Jägern als Meute dient, der Pöbel von Paris, der schadenfroh zuschaut, bereit, sich als erster über das Wild zu stürzen, wenn es erlegt ist.

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