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50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2
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50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2

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Innen sehen die beiden Reitschulen fast gleich aus. Die Wände sind bis über Manneshöhe mit Holz verkleidet und außerdem mit dicken Zöpfen schon tiefgelb gewordenen Strohes austapeziert. Der Grundriß ist oval im grünen Reitsaal, rechteckig im spanischen. Jetzt im Sommer werden die gedeckten Reitschulen wenig benutzt, in meinem Falle ist es aber nicht zu umgehen. Das Haupttor ist geschlossen, den Schlüssel hat der Meister in Verwahrung. Der wachehaltende Stallpage führt mir das Pferd unter einer aufgehobenen Portiere durch einen Nebeneingang hinein. Schon das Rascheln des dicken, weichen Stoffes macht das starke, hohe Pferd unruhig. Es tritt bereits mit kleinen, gespannten Sprüngen auf die Gerberlohe, die den Boden der Schule bedeckt. Ich kenne natürlich das Pferd, einen etwa hundertfünfundsiebzig Zentimeter hohen, mausgrauen, schönen Hengst mit einer Blesse, einer handförmigen weißen Stelle an der Stirn und mit gesprenkelten Vorderbeinen. Er sieht aus, als wäre er in Milch getreten. Er hat gute Rasse, Halbblut, seine mächtigen, steinharten Muskelmassen überzieht locker eine sehr feine Haut, die man mit der Nadel ritzen könnte. Stolz trägt er auf seinem schwanenartig aufgerichteten, etwas langen Halse einen dreieckigen, vorn sehr spitz in kleine zarte Nüstern auslaufenden Schädel mit aufgestellten, unruhigen, flügelartigen Öhrchen, die beim leisesten Geräusch, auch dann, wenn sein eigener Huf einen Kiesel trifft oder sein Schweif zischend die Portiere streift, aufzucken. Auffallend ist die breite, vorgebaute Brust mit den weit voneinander eingesetzten Vorderläufen und im Gegensatz dazu der zusammengepreßte, wie mit dem Hammer zusammengeschlagene Rumpf mit der ausladenden, riesigen Kruppe.

Das Pferd hält jetzt den Kopf ruhig. Es wiehert nicht, beißt auch nicht in das Gebiß. Die Augen sind fast starr. Die obere Reihe der Wimpern ist wunderbar geformt, seidenweich liegt Wimper neben Wimper, jede leicht aufgerollt wie bei einem jungen, schönen Menschen. Die untere Reihe ist aber lückenhaft, da stehen bloß ein paar starre, borstenartige Wimpern, unregelmäßig in den schwarzen Lidrand eingefügt. Der Blick des Pferdes ist auf meine Hand gerichtet. Wir machen jetzt zu zweien dem Pferd die Doppellonge fertig.

Jeder Reiter weiß, daß die einfache Longe aus Riemen besteht, die an der Brust des longierten Pferdes leicht, aber sicher befestigt werden, um das Pferd im Kreise gleichsam an der Leine laufen zu lassen. So gewöhnt man es an eine regelmäßige, taktfeste Gangart und an eine bestimmte Körperhaltung, wobei die Gliedmaßen unter dem Leib des Pferdes »versammelt« werden. Von da aus sollen die »Gänge« mit der äußersten Präzision hervorschnellen, Raum fassen im weitesten Ausgreifen; besonders die rechte Hinterhand, die von Natur aus leicht auswärts tritt, soll herangeholt und geregelt werden, damit das Reitpferd ohne Steifheiten im Genick, Rücken und Hinterhand das Reitergewicht tragen kann bei jedem Tempo und jeder Gangart. Dies ist in den Grenzen der Anlagen des Tieres und auch des Lehrers meist ohne nennenswerte Schwierigkeit im Laufe eines geregelten Dressurganges zu erreichen.

Anders die Doppellonge. Hier ist beiderseits eine Fessel um das Tier gelegt, die zwangläufig mit dem Gebiß, also dem Kopf und der Halswirbelsäule, in Verbindung steht, und zwar ist ein Teil des Riemenwerkes rechts vom Maule bis zur Brusthöhe geführt, geht von hier in meine Hand und von da zurück zum Hinterteil des Gaules. Der andere Teil der Doppellonge ist links ebenso befestigt. Er ist nutz- und kraftlos, solange das Pferd gehorcht. Versagt es aber den Gehorsam, dann tritt dieser Teil in Aktion und erzwingt sich die Gewalt über das Pferd dank einer ungeheuren Hebelkraft. Nach Ansicht des Reiters hat das Pferd ebenso Pflichten wie der Mensch, und das Tier begreift dies auch und lernt dies genauso, wie wir unsere Aufgaben und Pflichten in Onderkuhle lernen. Manchmal ist beim Pferd wie beim Menschen Zwang nötig. Wer weiß das besser als ich? Lange versucht man es mit Güte, denn das Pferd ist an sich kein wildes Tier, mit dem man kämpfen muß. Das Pferd weiß anfangs nicht, was eine Peitsche ist, und weicht vor dieser auch nicht zurück. Also im Anfang keine Peitsche! Jedes Pferd erschrickt in der Jugend vor dem ihm unbekannten Gebißdruck und versucht mit verängstigtem Gesichtsausdruck zurückzudrehen, wie man es nennt. Man versucht es daher immer vorerst im guten. Man weiß, das Maul eines jungen Tieres ist weich, sein Wesen unerfahren, kindlich naiv. Man wendet zuerst eine »bittende, weiche Hand« an, vergebens bei Cyrus. Der Rittmeister hat ganze Beete von Karotten ausgerupft und sich oft die Taschen mit Zucker gefüllt. Nichts wollte fruchten. Er hat sich heiser gesprochen. Das Tier hat sich nicht gefügt. Will es nicht? Kann es nicht? Was bleibt jetzt als Zwang? Wenn man diesen aber braucht und wo er unbedingt am Platze ist, da darf man vor keinem Mittel zurückscheuen. Bei mir persönlich könnten sich in Zeiten des T. vielleicht trotzdem Bedenken gegen die »Qual« des Bezwingens erheben, auch habe ich solche gewaltsame Mittel früher nie nötig gehabt.

Hier aber hilft Milde nichts. Jetzt im Augenblicke des höchsten Lebensglanzes werde ich erreichen, was ich will. Ich beherrsche mich, daher auch andere. Wenn je, jetzt weiß ich, daß es Kräfte gibt, denen kein lebendes Wesen sich widersetzen kann. Erleidet das Pferd Unannehmlichkeiten – man vergesse nicht, ich liebe Pferde, ich hänge mit dem ganzen Herzen an ihnen –, und doch: erleidet das Pferd Unannehmlichkeiten, Zwang und Schmerzen, so hat es sie sich in diesem Falle selbst zugefügt.

Endlich ist die Anschirrung, die durch die Unruhe des Pferdes erschwert ist und doppelt zart und schonungsvoll vorgenommen werden muß, vollendet. Ich kann den Stallpagen hinauslassen. Ich liebe Zeugen nicht. Ich muß mich mit dem Pferd allein wissen. Ich bleibe also mit Cyrus, so heißt der Gaul – sagte ich es schon? –, allein.

Es ist ziemlich dunkel in der Halle, bloß von der Decke bricht wie aus einem Kirchenfenster ein Lichtstrahl durch eine Lüftungsluke. Die Sonne hat das schwarze Negergewölk wieder verlassen. Ich begebe mich in die Mitte der Reitschule und treibe Cyrus an, erst durch Schütteln der locker gehaltenen Longenzügel, dann durch Zurufe, auf die Cyrus nur mit Spitzen der Öhrchen reagiert, und endlich durch festes Aufstampfen mit den Absätzen, die dem Gaul den Takt vormachen sollen, sich zu bewegen und mit der Arbeit zu beginnen. Das Pferd ist nicht »am Zügel«. Zwar setzt es sich in schnellen, unregelmäßigen, holpernden Trab, aber nicht rechtsherum, wie es soll, sondern nach ein paar richtigen Schritten an der Wand wendet es sich blitzschnell herum, wie es will, und versucht in der entgegengesetzten Richtung auszubrechen.

Wären wir jetzt auf der Straße, etwa auf dem Wege zum See, zwischen den Feldern, wo unerwartet Menschen, Automobile, Weidetiere auftauchen können, dann müßte ich nachgeben und Cyrus seinen Willen lassen. Denn einen Willen hat er. Er blickt mich mutig an, wendet mir seine milchfarbene Stirn zu, blinzelt mit seinen großen, steingrauen, wie geschliffenen Augen, er hebt seine weiß gefesselten Beine nur um so höher, er spritzt, während er den buschigen Schweif hoch aufgerichtet wie eine graue Fahne hinter sich herführt, seine prächtigen Bewegungen unter dem geschmeidigen, von links nach rechts sich rhythmisch zusammenpressenden Körper hervor und geht, leicht auf die Lohe klopfend, beständig den falschen Weg.

Warum ihn nicht gewähren lassen? Lohnt es sich, den Willen eines so schönen, stolzen Tieres zu brechen? Das ist die Frage jeder Erziehung, auch der meinen. Warum nicht den falschen Gang des T. hinnehmen, der doch nur uns, den Opfern, falsch erscheint, und es dabei bewenden lassen? Aber bleibt wenigstens dann dem widerspenstigen Menschen oder Tier Ruhe? Cyrus nicht. Es wird und muß dann mit ihm folgenden Weg gehen. Muß ich jetzt nachgeben, so lernt das Tier nie. Es ist, im Zuge sowohl wie unter dem Sattel, unbrauchbar, und selbst das schönste Tier wird in unserer kaufmännischen Zeit nicht nur der Schönheit wegen mit einem so großen Aufwand an Mühe und Kosten erhalten. Sondern es ist so, daß das Pferd von dem ökonomisch rechnenden Meister erschossen wird, wenn es sich nicht fügen will und wenn mein Versuch mißlingt.

Der Meister wird dann das herrliche Pferd an einen grasbedeckten kleinen Abhang führen lassen, wird einen handlichen, kaum daumengroßen Revolver aus dem Futteral ziehen, den das neugierige, mausgraue, stolze Wesen vorerst beschnuppert. Der Stallpage, zitternd vor Angst und schweißtriefend vor Erregung, wird dem Tier eine letzte Karotte vor die Zähne halten, um seine Aufmerksamkeit abzulenken, inzwischen hat der Obermeister die Waffe vorsichtig, um die Haare des Ohres nicht zu berühren und Cyrus unruhig zu machen, in das flügelartig aufgestellte Körpertor eingeführt – und während das Pferd nach der Rübe schnappt, geht mit zartem, trockenem Knall die Waffe im Ohre los. Das Tier blickt sich verwundert nach dem Schall um. Der Page glaubt, die Waffe hätte versagt. Er faßt wieder nach den Zügeln. (Man hat dem Pferd aus Sparsamkeit bloß ein elendes, abgebrauchtes Krepierhalfterwerk umgetan.) Der Meister stößt ihn aber mit Gewalt Zurück, denn schon stürzt der Gaul auf allen vieren zusammen, gleitet wie ein Stück Butter auf einem heißen Messer den Grasabhang hinab und bleibt unten so liegen, daß er den schönen, weißgestirnten, dreieckigen Kopf auf die schlank gefesselten milchweißen Vorderfüße legt, wie eine tote Heuschrecke die Glieder noch hoch aufgerichtet, wenn auch geknickt. In dieser unnatürlich gespreizten Haltung endet das Tier. Ein benachbartes Gut hat eine Knochenmehlfabrik. Man ist über alles bereits einig geworden. Der Preis für die Knochen soll die Futterkosten ersetzen. Von diesem Gute kommt ein zweirädriger, offener, langgestreckter Karren. Das Tier stirbt, der Meister rechnet.

Dieses Ende ist für ein tierfreundliches Herz schwer zu ertragen. Soll ich nicht tausendmal lieber einen Augenblick meiner höchsten Lebenslust benützen und Gewalt über das Tier erringen, damit es am Leben bleiben kann?

Kapitel Neun

Meine erste Aufgabe ist, unbeweglich, unerschütterlich und vor allem ungerührt in der Mitte des Platzes stehenzubleiben. Das Pferd windet sich wild. Es hat sich in die Zügel ohne meine Absicht, ohne System wie in Spannstricke eingeschnürt. Die feine Haut tritt in Wülsten hervor, die sich an den Rändern sofort unter der Haut mit umlaufendem Blute füllen, Striemen, die man noch nach Monaten sehen wird. Nicht zu vermeiden. Das Pferd kann sich nicht halten, es wankt, fällt, es öffnet erstaunt sein Maul. Es wiehert aber nicht, schnell will es sich wieder aufraffen. Der Boden des ovalen, hohen Raumes ist erschüttert durch den dumpfen Anprall des fallenden Pferdes. Die weißen Flecke an der Stirn blinken bei der starken Bewegung. Das Pferd beginnt sich zu wälzen, den Kopf unter der Lohe zu vergraben, aber es ist zuwenig davon da, immer wieder werden die Augen des Pferdes sichtbar, und die Augenwimpern, schon mit Schmutz bestreut, sind aus ihrer schön dichtgereihten Ordnung gebracht. Auf der Seite daliegend, wiehert es und klagt. Aber dann explodiert es förmlich, es feuert vom Boden auf, eine Wolke braunen Staubes um sich aufschüttelnd, es schlägt mit dem Kopfe um sich, gedankenlos, wütend, besinnungslos. Aber es macht sich nicht frei. Die gut geordneten und klug ausgedachten Binden spannen sich in ihren stählernen Ringen von neuem, und es ist, als wäre nichts gewesen.

In diesem Augenblicke sieht es so aus, als ob Cyrus sich fügte und nun in regelmäßigem, rechts gerichtetem Trab parieren wollte. Wenn er mich von der Seite ansieht, ist es nur, um mir meinen Willen von den Augen abzulesen. Oder habe ich mich getäuscht? Ist es nur Tücke? Hinterlist? Bei jedem zehnten Schritt erhebt sich Cyrus auf den hohen Hinterbeinen und kommt mir näher, drängt mich an die Höhlung der ovalen Wand, um dort auf mich niederzufallen. Ist es zu spät, habe ich mich schon von dem hämischen Geiste betrügen lassen? Habe ich einen teuer erkauften Augenblick lang geglaubt, ich stünde, strahlend in meinem Lebensübermute, im Mittelpunkt der Welt, herrschend, weil mein Pferd ein paar regelmäßige Touren rings um mich gemacht hat?

Jetzt ist es damit vorbei. Es springt, indem es sich mit allen vieren vom aufschäumenden, braun brodelnden Boden abstößt, in schiefen Sätzen nach links, dabei wirft es den Kopf mit einer solchen tierischen Wut zurück, daß die Stange, die es im Maule hat, gegen seine Zähne klirrt mit eisernem Getöse. Plötzlich, flach mit gebeugten Gelenken dem Erdboden angenähert, zuckt es wie ein Blitz mit scharfen Sprüngen durch die Manege hin. Es spielt mit der Doppellonge, die scheinbar alle Kraft verloren hat, wie ein Kind mit einem Bändchen am Hemd.

Durch die verglaste Öffnung im Dache dringt Licht, ein starker, mannsdicker, silbern gleißender Strahl. Ich bin für das spielende, rasende Tier nicht mehr da. Sowenig wie vor einer Stunde für meinen einzigen Freund. Mit dem Lichtstrahl spielt es, schnuppert nach ihm, taucht seine schweißesfeuchte, flatternde Mähne in den Lichtkegel. Dicht neben den schmalen weißen Vorderfesseln sprüht das versilberte Mähnenhaar, so sonderbar hat sich das Pferd gekrümmt. Aus dieser gekrümmten Haltung löst es sich unter lautem F… , reißt die Glieder an sich, springt auf, steigt aus Leibeskräften und läßt sich dann mit seinem seidenglänzenden, stark riechenden, schweißbedeckten Körper dröhnend in die Lohe niederfallen, als spiele es mit sich selber wie mit einem Ball. Ich stehe ganz still da, komme dem Pferd weder näher, noch entferne ich mich von ihm. Trotz des ohrenbetäubenden Lärmes, den der unaufhörlich wiehernde und stampfende Hengst vollführt, bin ich so ruhig wie vor einer Stunde am Bett meines kranken Freundes Titurel. Das Pferd hat sich jetzt zu einem ganz kurz gehaltenen Galopp entschlossen, wobei es mit seinem Hinterteil, das heißt mit beiden Hinterbeinen zugleich, nach der Holzwand aufsetzt, während es seinen Kopf tief zwischen die aufgestemmten Vorderbeine niedergebogen hat und bei jedem Angriff einen Teil der altersschwachen dunkelgelben Strohkränze fortreißt. Ich halte die Zügel lose. Der hohe Raum widerhallt von donnerndem Gedröhne.

Um so stiller werde ich. Ich stelle mich fest an einen noch etwas günstigeren Platz, mehr der Schmalseite zu. Ich presse meine Beine streng aneinander, um möglichst sicheren Halt zu gewinnen. Das Pferd beobachtet mich, ahmt es mir nach und hält jetzt aufatmend still. Das ist gefährlich. Steht das Pferd still, muß ich mich ihm nähern. Wenn es so klug ist, wie es scheint, kann es mir dann mit einem Schlage die Hirnschale zertrümmern. Oder es kann sich mit seinem ganzen schweren, von Schweiß triefenden, von innerer Wut und ungeheurer Gewalt erfüllten Körper auf mich werfen und mich erdrücken. Von diesem Tod habe ich einmal geträumt.

Wer sich zuerst rührt, ist verloren. Ich werde es nicht sein. Eine Viertelstunde bleiben wir unbeweglich. Nur leise scharrt das Pferd am Boden, als wolle es etwas hervorholen. Die schönen Wimpern in der oberen Reihe glänzen stark wie Seidenfäden in der Sonne, wie meine Mutter sie aus ihrer Nähschatulle oft verloren hat. – Das Pferd atmet durch die glitzernden vibrierenden Nüstern schnell und laut. Der nasse Körper trocknet rasch.

Da werfe ich plötzlich die Peitsche über den Rücken des Cyrus hin. Mit der Peitsche arbeite ich nicht. Eher mit der Überraschung. In seinem Erschrecken hat sich das Pferd hinreißen lassen, eine Bewegung zu machen. Es hat die Ruhe verloren. Und während ich freudig den Laut des Trabens höre, verkürze ich die Leine, wobei mir die Riemen trotz der guten, starken Handschuhe innen einschneiden. Aus seinem Trab ist das Pferd in seinen alten Hundegalopp linksherum verfallen; aber was hilft es ihm? Ich habe inzwischen alle vier Leinen, die von meinen Händen ausgehen, richtig geordnet. Ich spüre jede Bewegung des Tieres in meinen Händen. Ich weiß nun, daß das Pferd an der Doppellonge festhält. Nun erhebe ich beide Hände bis zur Kopfhöhe und noch höher, so weit ich nur kann.

Ich werfe meinen Körper zurück, durch den der Rhythmus des Tieres mit seiner ganzen Gewalt geht. Ich habe auf diese Art einen Hebel gebildet. Die Leine habe ich noch stärker verkürzt. So bin ich der Gefahr entgangen, mich bei dem immerhin möglichen Mißlingen meines wichtigsten und letzten Versuches in die Leinen wie in selbstgelegte Schlingen zu verwickeln. Das Tier hat mein Manöver genau gespürt. Noch rast es dahin, unter taktförmigem Wiehern und stampfendem Galoppieren den Raum durchmessend. Es zieht stets die verbotene Runde nach links. Es lebt in höchster Erregung. Die Augen funkeln hell, fast wie wolkenloser Mond. Weißer Schaum trieft zwischen seinen Zähnen, im Sonnenstrahl kräftig erglänzend. Cyrus streckt seinen Hals, wirft halb in Wut, halb in Lust seinen Kopf, als hänge dieser an einem Faden, von einer Seite zur andern. Nun mache ich eine rechtwinklige Drehung. Ich habe das Riemenwerk herabgenommen und um meine Taille geschlungen. Die Leine ist um die Hälfte verkürzt. Der Endkampf ist da.

Aber ich halte den Kampf. Ich halte das Pferd. Der innere Zügel ist lose, obwohl wir uns sehr genähert haben. Er wirkt nicht und kann nicht wirken, da das Pferd sich widersetzt. Aber dafür tritt der äußere, und zwar mit jedem Schritt des bereits langsamer galoppierenden, mit kürzeren Sprüngen hinsetzenden Pferdes, um so stärker, unwiderstehlicher in Wirksamkeit.

Es hebt sich in seinen Ketten aus Lederriemen, das kämpfende Tier. Daß es kämpft, macht es wehrlos.

Kann das sein? Doch es ist so.

Kapitel Zehn

Cyrus fühlt in mir die große Macht. Er ist verstummt. Dumpf klingt sein Huf schlag auf dem in weiten Kreisen aufgewühlten Boden der grünen Reitschule. Er blickt mit seinen hellen Augen nach dem inneren Zügel, der lose neben dem triefenden Maule herabhängt. Er schüttelt ihn wie zum Spiele, als habe er nichts von ihm zu fürchten.

Aber von der anderen Seite her, von der »gebrochnen Führung« her, wird er allmählich hereingezogen. Eine ungeheure Hebelkraft setzt mit jeder Sekunde stärker ein. Man hat eiserne Ketten in der Hand, mehr noch, man zwingt das Tier durch sich selbst. Das ist es. Denn das Pferd hat sich durch die planvolle Bindung der Riemen die Nüstern wie mit einer Stahlfeder nach rückwärts gezogen. Die Nüstern aber, von weichster Haut bedeckt, sind beim Pferd in höchstem Grade empfindlich. Jetzt hat es sich seine zarteste, seine verwundbarste Stelle durch die eigene widerwillige Kraft, durch sein Sichwehrenwollen bis ins Unerträgliche gepeinigt. Denn die Nüstern sind jetzt bis zum Kummetringe nach hinten herangerafft. Sieht man das ohne Zittern vor sich? Das arme, von sich selbst gehetzte Tier hat sich den fürchterlichsten Schmerz, hat sich die grauenvollste Verrenkung im Genick erzwungen. Heraus kann es nicht mehr, auch dann nicht, wenn es stillestehen wollte. Der geschmeidige mausgraue Nacken krümmt sich unter nie zu ahnenden und nachzufühlenden Schmerzen wie ein außerordentlich stark angespannter Bogen. Jetzt wird er und damit das ganze Tier einem zuckenden eisgrauen Hecht ähnlich, der sich, im Netze springend, aufbäumt und sich unter der Wassernot fürchterlich wehrt. Aber dies ist nur eine Erscheinung. Man sieht nur das Äußere. Das Innere des Cyrus kann man nicht sehen. Aber hören kann man ihn. Hören kann man, wie er seufzt. Unselig, herzbewegend.

Unter dem Klange des Seufzens, das dem Klange einer ziehenden Säge in frischem Holze gleicht und das keine Ähnlichkeit mit dem oft belanglosen Seufzen der Menschen hat, unter diesem unbeschreiblichen, unvergeßbaren Seufzen wendet sich der Kopf des Cyrus in die befohlene Richtung. Schüchtern und dennoch immer noch voll Kraft wendet sich der Körper, es strecken und beugen sich die Beine im mäßig schnellen Trab rechtsherum, und damit löst sich die Gewalt. Der schrecklichste Schmerz muß schwinden. Das Tier gehorcht. So vollkommen ist es in meiner Gewalt, daß ich mich des Kampfes schäme. Ich bin noch nicht ganz frei, kann aber durch eine Linkswendung meines Körpers wieder in meine frühere Position zurück, ich darf mich sogar sorglos im kleinen Kreise bewegen. Nun fängt der »banale«, der bürgerliche Zügel, möchte ich sagen, nämlich der innere, wieder an zu wirken. Ich mache meine Hände nun vollends los. Ich atme auf. Ich sehe aber Cyrus nicht an und weiß, daß er mich nicht ansieht. Unter der schweren Portiere ist der Stallpage durchgeschlichen. Er empfängt jetzt das Pferd aus meiner Hand. Es ist auf ewige Zeiten willig. Nur noch einem Herrn wird es sich nach meiner Herrschaft fügen müssen, dem T.

Habe ich die Probe bestanden? War es eine Probe auf den T.? Habe ich sie bestanden? Ist es vorbei?

Noch in der kühlen Dämmerung der Reitschule reibt der Stallbursche den Gaul mit einem Frottierlaken trocken. Dabei steckt das Pferd seine lachsfarbene, an der Spitze noch mit weißem Schaum bedeckte Zunge heraus und leckt dem Knaben, der sich an der Brust des Pferdes zu schaffen macht, die Hand.

Ich schlage mit der Reitgerte, die ich eben aufgehoben und von Staub gereinigt habe, leicht nach den beiden, treffe eben noch die Spitze der rasch zurückschnellenden Zunge des Pferdes und die Achsel des erschrocken zusammenzuckenden Knaben. Kaum ist der leichte Schlag gefallen, den man kaum richtig gehört hat, als ich schon die tiefste Scham empfinde. Aus der Oberstenloge am Kopfende der Reitschule, wo bei feierlichen Gelegenheiten, Sprungturnieren und so weiter der Direktor an der Spitze des Lehrkörpers unseren Leistungen zusieht, kommt ein leichtes Beifallsklatschen, das einem sehr verspäteten Echo meines Peitschenhiebes gleicht. Ist denn die Schule nicht leer gewesen? Habe ich in der Loge Zeugen gehabt? Aber alles ist so schnell aufeinandergefolgt, daß ich nicht weiß, ob das Beifallsklatschen der Bändigung des Cyrus gilt, über die ich jetzt am liebsten weinen möchte, oder dem unbesonnensten Schlag, den je ein von Lebensmut berauschter achtzehnjähriger Schüler und stellvertretender Rittmeister einem unschuldigen, nur durch mechanische Mittel und barbarische grobe Hilfen besiegten Tiere und einem wenn auch ungeschickten, so doch anstelligen und willigen Jungen erteilt hat. Ich blicke mich nicht nach dem Meister um. Er hat applaudiert. Es kann nichts Unrechtes hier im Hause und draußen im Gute geschehen, ohne daß er beifällig dabeisteht und mithilft nach Kräften. Viele lasterhafte Gewohnheiten der Schüler scheint er zu billigen, verschiedene, nicht ganz durchsichtige Manöver des Rendanten fördert er. Ich schäme mich seines Lobes, ich hasse seine ungewollte widerliche Zuneigung zu mir, obgleich ich ihr den kostenlosen Aufenthalt hier verdanke ich und meine armen Eltern mit mir müßten ihm auf den Knien danken.

Nichts derart. Ich bücke mich und streife mit der Rückenfläche meiner Handschuhe den Staub und die Reste von Lohe an meinen Knien ab. Cyrus hat mich vorhin, ich schämte mich, es zu sagen, bei unserm ungleichen Kampfe hingeschleudert. Er hat mich, mit meinen Zügeln um den Leib, gezwungen, auf den Knien wie auf Schlittenkufen rutschend, einen Teil seiner blitzschnellen Kreuz- und Querfahrten mitzumachen. Jetzt endlich verklingen die Schritte des müden Pferdes und des auf seinen genagelten Schuhen bäurisch einherschreitenden Stalljungen. Nun ist der ovale, überall bis in die Ecken aufgewühlte Reitplatz leer. Die Sonne bricht von oben ein in unvermindertem Glänze, ja sie scheint jetzt in diesem Augenblick, als ich, die Schultern hebend, aus der grünen Reitschule hinaustrete, an Glanz und Feuer, Größe und Blendung noch gewonnen zu haben.

Ich habe noch Lebenskraft in mir, obwohl ich fühle, daß ich diese Probe nicht bestanden habe. Ich bin jetzt entschlossen, nie mehr Pferde in solcher Weise zu bändigen. Ich will niemals Rennreiter, nicht Hindernisreiter oder Trainer werden, eher, wenn es sein muß, Knecht in einem Stalle, wo die edlen, dem Menschen an Adel vielfach überlegenen Tiere gepflegt werden. Muß ich Proben im Kampfe mit dem T. bestehen, sollen es andere sein.

Meine Kameraden haben sich, da es inzwischen Mittag geworden ist, zur Erholungspause in den großen Hof begeben. In kleinen Gruppen stehen sie umher. Von weitem sehen sie einander in ihren weiten sommerlichen staubfarbenen Uniformen alle ähnlich wie Brüder aus einem Hause oder Schafe aus einer Hürde. Mich erkennen sie von weitem, rufen mir Scherzworte zu, nicht immer der anständigsten Art. Ein kleiner Junge bittet mich (aber es ist eher Ironie) zu Hilfe, da er im Kampfe mit dem dicken Fürsten X. steht, demselben, den man bei uns Piggy (amerikanisches Schwein) nennt. Aber davon ist nicht die Rede. Ich hasse zwar Piggy, denn aus seinem Munde kam im Schlafsaale der »Fürsten« die gemeine Erzählung, die mir die Unschuld dem T. gegenüber genommen hat. Aber es wäre nicht recht, sich parteiisch in einen Kampf dieser Jungen einzulassen. Ich begebe mich mit einem stillen, verschlossenen Lächeln an ihnen vorbei in mein Zimmer, um mich zu waschen und die von Staub und Schweiß unansehnlich gewordene Uniform zu wechseln.

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