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50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2
Das erste glauben die Dörfler, das letzte nicht, denn zu sehr hat der Presi sein schönes Heim geliebt.
Das Entsetzen steigt. – Mord und Feuersbrunst in der Gemeinde – und morgen militärische Besetzung oder Untergang. – Dazu den Zorn und die Strafen der Kirche.
Der Brand, dem man nicht wehrt, wirft seine rauschenden Funkengarben auf das Dorf, Frauen und Kinder flehen die Männer auf den Knieen an, daß sie das Dorf retten, der Garde mahnt mit Thränen in den Augen zur Vernunft.
Endlich, endlich arbeitet die Feuerspritze, er kommandiert, Wasserstrahlen stiegen auf die Kirche und die nächsten Häuser. Die Nacht ist windstill, die riesige Lohe des Bären verfließt wie eine feurige Wolke im Nebel, die gewaltigen Mauern halten stand, aber aus den berstenden Fenstern zischen die Flammen und zerstören die alten Jagdtrophäen am Dachgebälk und prasselnd fällt das graue Bärenhaupt auf die Straße und zersplittert.
Aus dem Erdgeschoß ist einiges gerettet morden und nun schreit Bälzi: »Der Wein! der Wein! Laßt uns doch den Wein holen!«
Er dringt mit einigen Burschen in den Keller, sie wälzen die Fässer auf die Straße, und da man sich wegen der steigenden Hitze zurückziehen muß, zum Kirchhof hinauf.
Die Flaschen, Krüge, Becher und Gläser kreisen.
»Wenn doch St. Peter untergehen muß,« gröhlen die Männer, »so wollen wir noch trinken. Zum Wohl – zum Wohl!«
Ein gräßliches Bild! Der Brand nimmt schon ab, die Gefahr für das Darf ist vorbei, der Bären ist ein riesiger glühender Ofen, auf dem Kirchhof aber beraten die Trunkenen zwischen betenden Frauen und schreienden Kindern, was sie jetzt anfangen wollen.
Einen Augenblick ist es, als siege die Vernunft, der Garde und noch einige haben sich auf den Kaplan geworfen, haben ihn gefesselt und wollten den Tobenden abführen.
Da stiegt eine Nachricht herbei, die den letzten Funken der Besinnung löscht: »Wir sind verraten. – Die wehrfähigeMannschaft der vorderen Dörfer ist im Anzug – sie sind schon an der Brücke – sie helfen dem Rebellen – sie sind gegen die von St. Peter.«
Die Bestürzten bitten, drohen, sie kämpfen, sie machen den gebundenen Kaplan Johannes mit Gewalt frei: »Er allein kann uns jetzt helfen!« rufen sie. Er aber schreit, das Grabkreuz Seppi Blatters wieder ergreifend: »Vertraut mir, ihr Frommen. – Zu Allerheiligen erlöse ich euch alle – denn ich bin nicht Kaplan Johannes, wie ihr meint – sondern ich bin St. Peter, euer Schutzpatron, ich richte unter euch meine Kirche ein – und wer in den Himmel kommen will, folgt mir!«
Der helle Wahnsinn steht in den Augen des Schrecklichen, der sein Grabkreuz schwingt – die Hälfte der Dörfler weicht über die Gotteslästerung entsetzt von ihm zurück: »Wir haben uns einem Narren ergeben!« stammeln sie.
Zwanzig, dreißig Frauen aber, die noch in Furcht und Entsetzen an ihn glauben, scharen sich um ihn, eine Zahl Männer ahmen das Beispiel nach, doch viele unter ihnen verhalten sich schweigsam und drohend: »Wir gehen mit,« knurren sie finster, »denn nach allem, was sich ereignet hat, können wir nicht mehr zurück, aber wenn er uns ins Unglück führt, ist er der erste, der fallen muß.« – –
Siegesgewiß lächelt der wahnsinnige Kaplan: »Kommt, kommt, ihr Getreuen – an den Weißen Brettern wird sich das Glück der Gemeinde erfüllen.«
»Auch Ihr, Peter Thugi?« – Der Garde, der den Mut verloren hat, sagt es traurig und vorwurfsvoll. –
»Garde,« erwidert der junge Mann, »wenn Josi oder Binia ein Härchen gekrümmt wird, so kehre ich nicht zurück zu meinen Kleinen – mich schämt das Leben an, wenn er untergehen soll, der mich gerettet hat!«
Der Zug der Verzweiflung zieht, während es leise zu schneien beginnt, in die Nacht.
Umsonst hat der Garde noch einmal geredet – jetzt sitzt er still in seiner Wohnung und weint über seine verirrte Gemeinde.
Vroni steht tröstend bei ihm, aber ihr ist todesangst um Binia. Die alte Sage!
Eusebi kommt so lange mit der Hilfe nicht.
Da horch! Gleichmäßige, taktfeste Schritte von Männern schallen von der Straße, die sich mit dem Flaum des fallenden Schnees bedeckt. In guter Ordnung rückt die waffenfähige Mannschaft der äußeren Dörfer in St. Peter ein, die Befehle tönen ruhig durch die Nacht, im Haus des Garden atmet man auf aus grimmiger Not.
»Wo ist mein Mann, Eusebi Zuensteinen?« fragt Vroni die Ankommenden.
»Mit dem ersten Zug der Unsrigen ist er vor dem Dorf an die Weißen Bretter empor geschwenkt. – Josi Blatter darf nichts geschehen,« antworten die Männer.
Draußen im Lande weiß man es: Das Werk Josi Blatters ist gut. Mit denen von St. Peter aber, die man schon lange als harte, abergläubische Köpfe kennt, muß man scharf rechnen, sie haben mit dem, was heute geschehen ist, die Ehre des ganzen Berglandes beleidigt.
Daß Josi Blatter, der Held der heligen Wasser, ein Mörder sei, will niemand glauben; daß die von St. Peter sich unter die Anführung des verrückten Kaplans stellten, den man als einen gemeingefährlichen Vagabunden kennt, daß sie nach dem Leben eines durch seine Rechtschaffenheit und Schönheit bekannten Mädchens trachten, erfüllt die Mannschaft mit solcher Wut, daß die Führer Mühe haben, sie von unüberlegten Thaten gegen die Dörfler zurückzuhalten.
Morgen wird aber ja schon die gerichtliche Untersuchung walten, bis in die Stadt ist man durch Eusebi und den Pfarrer über den Plan derer von St. Peter unterrichtet und empört.
Wenn den zwei Liebenden ein Leid geschähe, wehe dann dem Dorf.
Nun aber sind die Männer enttäuscht – in St. Peter brennen nur wenige Lichter – wo sie eintreten, treffen sie nur betende Frauen – aber keinen Mann, der Auskunft über die Ereignisse des Tages gäbe.
Endlich greifen sie einen auf – den betrunkenen Bälzi, der in seinem Rausch den schrecklichen Ahornbund verrät. Sie sperren den Gefesselten in die Gemeindescheune.
Da bringen einige von jenen, die mit Eusebi an die Weißen Bretter emporgestiegen sind, auf einer Notbahre von Tannenreisern einen Mann. Die erste falsche Nachricht sagt, es sei Josi Blatter, der erschlagen worden sei, aber es ist der Presi, der machtlos röchelt.
»Wohin mit ihm?« fragen die Träger. – »In mein Haus,« erwidert der erschütterte Garde, und wie er in das Gesicht seines Freundes blickt, da weiß er, daß er einen vor sich hat, der nicht mehr lange leben wird.
Auf dem Weg zu seinen Kindern ist der Presi hilflos zusammengesunken.
Da liegt er nun in der Kammer des Garden, aber er kann nicht sterben: »Mein Traum,« stöhnt er, »mein entsetzlicher Traum – dazu die alte Sage, daß eine Jungfrau bluten muß, ehe St. Peter von der Wasserfron erlöst ist. Garde, seht Ihr nicht – meine arme Bini blutet.«
In schrecklichen Gesichtern lebt der Sterbende.
»Ich kann nicht selig werden, es sei denn, ich wisse meine Bini mit Josi glücklich und daß er unschuldig ist. Nur kein Fluch von mir in ein folgendes Geschlecht. – Seppi Blatter – Fränzi – macht es mir nicht zu streng.«
Der Garde hält die Hand des Bebenden, selbst ein unglücklicher Mann, fühlt er verzehrendes Mitleid mit ihm und tröstet: O Presi – es leben allerdings mächtige Wahrheiten in den alten Sagen, in Träumen wohnt tiefer Sinn, aber glaubt, eine Vatertreue, wie die Eure, vermag die verhängten Schicksale zu brechen. Es wird Euch vor Gott groß angesehen sein, daß Ihr Euer Kind in dem Augenblick, wo Ihr seiner bedurftet, dahin ziehen ließet, wo seine Sicherheit und sein Glück liegen, – daß Ihr die Folgen einer unglücklichen Stunde vor dem erregten Volk selber tragen wolltet, – daß Ihr Eure letzte Kraft dahin wandtet, wo Ihr glaubtet. Eure Kinder hätten Eures Schutzes nötig. Presi, gebt die Hoffnung nicht auf.«
So tröstet der treue Freund feierlich und unablässig und zitternd horcht der Presi.
Der Garde, der es spürt, wie das Leben seines Freundes schwinden will, sagt: »Ihr habt mehr gethan – um sie zu retten, habt Ihr das Haus, das Euch lieb war wie Euer Leben, in Brand gesteckt. Bekennt es nur!«
Aber der Sterbende verzerrt sein Gesicht und knirscht. Mit tiefem Kummer sieht es der Garde: Sein Freund ist noch der alte Presi. Er würde, wenn er seine Kinder nicht mehr sähe, mit einem schrecklichen Geheimnis ins Grab steigen und auf St. Peter den Verdacht der Brandstiftung ruhen lassen.
»Bekennt Ihr,« fragt der Garde, »wenn Josi und Binia unversehrt durch diese Thüre treten?«
Da schluchzt der Presi, aber er schweigt.
»Josi und Binia sind unschuldig – es kann ihnen nichts geschehen – jetzt nicht und vor Gericht nicht – ich werde mit ihnen kämpfen – sie müssen glücklich werden, die so viel gelitten haben!«
So mahnt und tröstet der Garde, und aus seiner vollen Brust strömt der Glaube in die Brust des Presi über, ergebungs- und hoffnungsvoll erwartet er, während seine Pulse schon schwächer und schwächer gehen, die Botschaft von den Weißen Brettern.
Ehe er weiß, wie es sich an den heligen Wassern entschieden hat, kann er nicht sterben.
Kapitel Einundzwanzig
Zu Josi!« Durch die letzten Bergastern, durch die öden herbstfalben Weiden schwankt Binia langsam empor – empor – sie folgt, ohne daß sie es weiß, dem Weg, den sie mit dem Vater gegangen ist. Oft steht sie still, dann greift ihr Fuß, indem sie flüstert: »Zu Josi!« wieder mechanisch aus. Dann blickt sie wieder zurück in die Nebel: »Vater – Vater!« Die Kindesliebe zieht sie zurück. Doch sie geht wieder vorwärts. Alle ihre Regungen sind aber fast nur Traum und die Stimmen sonniger Vergangenheit reden lauter in ihr als die Gegenwart.
Zu viel hat sie gelitten und leidet sie noch. Da erreicht sie die Stelle, wo die heligen Wasser vom Geröll auf die Weißen Bretter übergehen. Ein seltsamer Gedanke kommt ihr: In ihrem Schutz kann mir und Josi nichts geschehen! – Aber die alte Sage – sie bebt. Wird sie für Josis Werk sterben müssen?
Sie wandelt durch den Felsengang, da glänzt tief im Hintergrund ein Licht.
»Josi!« Er meißelt am Boden hingekniet und sieht sie nicht. »Josi!« schreit sie.
Er fährt auf und läßt den Hammer fallen. »Bini!« Er umarmt sie. Im flackernden Grubenlicht sieht er nicht, wie bleich sie ist.
»Bini – dich hat in dieser Stunde Gott zu mir geführt. Engel – du kommst, um mein Werk zu segnen – die Leitung vollendet sich. – Schau! – Durch dieses Bohrloch blitzt von drüben schon der Tag.«
In seinem abgezehrten Gesicht sieht sie eine fast überirdische Freude, sie schluchzt: »Josi, der Kaplan Johannes hat in der Glotter Thöni Grieg gefunden – mein Leben ist im Dorf verwirkt – meine letzte Zuflucht bist du.«
Sie legt ihre kleinen Hände in seine großen arbeitsharten und neigt ihr Köpfchen auf seine Schulter und weint bitterlich.
Da küßt er sie auf den Scheitel: »Sei ruhig, liebes Bineli – du weißt es, ich habe Thöni Grieg nicht zu fürchten – mit uns ist die Wahrheit – sei nicht so traurig; wie du einst zu mir, so sage ich heute zu dir: Glaube, vertraue – das Glück wird doch noch wahr.«
Er steht vor ihr im Vollgefühl des vollendeten Werkes. Und nun ertönt ihr kleiner Schrei: »Josi, mein Held!«
Binia geht es wundersam – Bei Josi, dem starken Manne, der ihr milde zulächelt, sinkt alles Schwere, was sie erlebt hat, wie ein wüster schwerer Traum von ihr. Ihr ist, an seiner Seite könnte sie einem ganzen Schwarm von Feinden entgegengehen, und selbst wenn alle so gräßlich wie Kaplan Johannes wären, würde ihr kein Leid geschehen.
Mit glänzenden Augen schaut sie Josi an.
»Hast du Mut, Bini?« lächelt er. »Zeige es mir. – Ich wäre glücklich, wenn du mit deiner lieben Hand die letzten Schüsse entzünden wolltest. Das wäre mir ein größeres Fest, als wenn morgen die Regierung nach St. Peter käme und mich unter Glockengeläute vom Berg holte. – Wozu das? – Für dich ist's ja gebaut und gethan! – Weihe es, Binia!« – –
Sein ermunternder Blick ruht auf ihr. Er schiebt die Patronen in die Löcher und setzt die Zünder auf. »Hier und hier – hier und hier – da und da.«
Demütig und mutig nimmt sie die Lunte und legt sie an die Zünder, die leise zu summen beginnen.
»Zurück, so weit ich dich führe, und sei stark, Bini.«
Josi zählt. – »Jetzt.« – Es kracht. – Ein Donnerwetter geht durch die Felsen, als ob das ganze Gebirge stürzen müsse – jauchzend reicht Josi Binia die Hand: »Gott segne den neuen Lauf der heligen Wasser – die Blutfron ist gelöst!«
Ueber das Nebelmeer unter ihnen rollt der Hall und rollt zurück. – Der Rauch zieht an ihnen vorbei und durch das Thor herein, das sich geöffnet hat, glänzt ein Schein des Abendrotes, das über Tremis steht.
Mit wuchtigen Hieben glättet Josi die Stelle. Doch nach einiger Zeit sagt er zu dem Mädchen, das am Rand des Wassergrabens kauert und ihm bewundernd zuschaut: »Für heute Feierabend – Bini – dir zu Ehren.«
Da wird sie wieder etwas ängstlich: »O, Josi! – wir sollten fliehen. – Wir sind selbst hier oben nicht sicher – es ist mir, es geschehe Schreckliches in St. Peter!«
Sie drängt sich schmeichelnd und Schutz suchend an den strahlenden Mann.
»Fliehen! – Ich fürchte mich nicht vor denen von St. Peter. Und den Vater verlassen wir nicht, Bini.«
»O mein Vater, – mein armer Vater! – Nein – gelt, lieber Josi, wir verlassen ihn nicht! – Wir wollen wieder zu ihm niedersteigen,« fleht sie.
»Sieh, Bini,« antwortet er tröstlich, »wir haben einen geraden Weg, den müssen wir gehen: Bevor die Wasser laufen, scheiden wir nicht von den Weißen Brettern – bevor mir wissen, ob der Vater nicht doch mit uns kommen will, gehen wir nicht von St. Peter – und bevor ich mich nicht vor dem Gericht von jedem Verdacht wegen Thöni Grieg gereinigt habe, wirst du nicht mein Weib – dann aber Glück zu, mein herzlieber, reiner Tautropfen.«
Weich und demütig erwidert sie: »Dein Weg ist mein Weg, Josi!«
In weltferner Einsamkeit hoch über den Menschen halten sie Feierabend. Ueber dem grauen Nebel der Tiefe, der wie ein See in die Berge gegossen liegt, geht der Tag zur Rüste, sie sehen nicht und hören nicht, wie unter ihnen in St. Peter der Aufruhr braust, sie sehen auch die Sterne nicht, denn Schneewolken ziehen schwerer und schwerer über das Gebirg – zwischen lauter Wolken sind sie mit ihrer Liebe allein.
Josi hat von lange her eine Felsennische heimelig eingerichtet, da flackert jetzt ein Feuer, die Milch, die der pflichttreue Bonzi wie sonst heraufgeschafft hat, siedet im Topf; auf einem Teppich, der über eine Felsenbank gelegt ist, sitzt das Paar Wange an Wange und in der stillen Felsenheimlichkeit vergißt es die armseligen Menschen, die sich in den Qualen des Aberglaubens winden, und nichts bleibt ihnen bewußt als ihre starke Liebe. Alle Stürme sind zur Stille gekommen, die Seelen der Gehetzten ruhen in seligem Traum. »Josi,« erbebt die Stimme Binias fein und weich, »eine alte Sage geht, daß über der Befreiung St. Peters aus der Blutfron eine Jungfrau sterben muß – sie hat mir meinen Gang zu dir schwer gemacht – aber jetzt ist mir, es wäre mir leicht, das Leben für dich und dein Werk hinzugeben!«
Und in unendlicher Treue hangen ihre Augen an ihm.
»Rede nicht so –, Bini,« erwidert er sanft, »nein, mir wandern ins Leben – du und ich – und wir wollen unserer Liebe im Frieden froh werden und schaffen, bis es Abend ist!«
»Ins Leben!« wiederholt sie traumhaft.
Er streichelt ihr dunkles Haar, müde läßt sie das Köpfchen an seine Brust sinken, lange Leiden fordern Auslösung, und sorglich bettet er die in einen bleiernen Schlaf Versunkene in die Felsenecke. – Das Feuerchen flackert und beleuchtet zwei Friedliche. –
Etwas Sonderbares weckt Josi aus seinem halben Schlummer. Ihm fehlt in der Morgenfrühe das leise Klingen der Glocke von St. Peter, und plötzlich erinnert er sich, daß er es auch am Abend nicht gehört hat. Nun wird er doch unruhig. Ist in St. Peter so Schlimmes geschehen, daß der alte Pfarrer seine Drohung wahr gemacht hat?
Besorgt zündet er in das Gesicht der schlafenden Binia. Sie lächelt innig im Traum und von ihren Lippen zittern die Worte: »Die Vögel, sie stiegen über Land und Meer.«
»Schlafe, armes Kind, das so viel erduldet hat, schlafe – das Rauschen der Wasser, das Schlagen des Hammers mag dich wecken.« Er geht leise davon, er schreitet sein Werk ab, im Schein der Lampe legt er da und dort noch Hand an, er setzt am äußeren Ende der Leitung das kleine zierliche Wasserrad ein, das den Merkhammer treiben soll.
Es schneit ruhig und feierlich, die Flocken fallen leis und weich ins Morgengrauen und tiefe Stille waltet ringsum. Da ist ihm doch, er höre Stimmen aus der Tiefe und klirrende Töne – aber so unbestimmt, daß er nicht klug daraus wird, was er hört.
Er wandert rasch, die ruhig schlafende Binia im Vorbeigehen betrachtend, das ganze Werk zurück – er lenkt den Auslaufkännel am Eingang der Felsen vom Abgrund zurück und hinein in die neue Leitung.
Eilig strömen die Wasser.
Da horch! – Stimmen schwellen im Schneegestöber – eine Schar Gestalten, die – sonderbar genug – Grabkreuze tragen – Männer und Weiber tauchen gespenstisch in den Flocken auf – er erkennt den schwarzen Kaplan – er hört die hohe Stimme des Glottermüllers: »Wir müssen sie totschlagen, ehe das Rad geht – vorwärts!«
Josi stellt sich ruhig einige Schritte vor dem Eingang seines Werkes auf, aber seine Hand langt in die Tasche und seine Augen funkeln.
Die Schar steht vor ihm.
»Halt – oder ich sprenge euch alle samt und sonders in die Luft.« Hochaufgerichtet, eine Dynamitpatrone in der erhobenen Hand, donnert er es ihnen entgegen. – Die Männer stutzen, aber Kaplan Johannes ruft: »Die heiligen Kreuze sind stärker als das teuflische Salz!« – Und er will mit dem erhobenen schweren Grabkreuz in wahnsinniger Wut auf Josi Ios. Da geschieht etwas Entsetzliches.
Aus dem Felsengang stürzt Binia – sie stürmt an Josi vorbei – sie läuft unter das erhobene Kreuz des Kaplans – sie schreit flehentlich: »Schlagt mich, Kaplan – aber tötet meinen Josi nicht.«
Schon saust das Kreuz gegen das junge schöne Haupt hernieder und »Josi!« schreit Binia in Todesnot.
Da sinkt der Kaplan selbst.
Er stöhnt unter den Fäusten Peter Thugis, der ihn im letzten Augenblick niedergerissen hat.
Einige der verdutzten Männer machen Miene, dem Schwarzen zu helfen, aber jetzt ist Josi neben der in die Kniee gesunkenen blassen Binia, er hält in finsterer Entschlossenheit die Patrone hoch und sein funkelnder Blick hat den Stein schon erspäht, an den er sie schleudern könnte.
»Die Waffen weg, oder ihr fliegt!« schreit er.
Ein furchtbarer Augenblick, ein Mann gegen einen Schwarm – einzelne der Gestalten tauchen, wie Gespenster verschwinden, in das Schneegestöber zurück. – Die schwarzen Kreuze und Scheiter fallen in den weißen, reinen Schnee.
Nur der Glottermüller mit einem kleinen Häuflein steht noch, aber sie wagen keine That.
Da horch – der Hammer schlägt – er schlägt rasch und rascher, laut und lauter – und rings im Gebirgskreis bleibt es still – die Lawinen fallen nicht – es schneit nur leise und feierlich. – Die letzten Kreuze sinken – aus der Tiefe tönt der Ruf: »Josi, wir kommen – Josi, halte aus – die Hilfe ist da!« – Es ist Eusebi, der ruft. – Und durch den Schnee blitzen schon Waffen und Wehr. Wie Peter Thugi die erlösenden Zurufe hört, läßt seine Faust etwas von dem sich windenden Kaplan. Der kann entfliehen und springt in gewaltigen Sätzen bergwärts. Hinter ihm die letzten Kreuzträger.
Um Josi, der die halb ohnmächtige Binia im Arm hält, und Peter Thugi, den Freund, steht die Entsatzmannschaft, und Eusebi Zuensteinen vergießt die hellen Thränen der Freude, daß sein Schwager gerettet ist.
Josi dankt Peter auf den Knieen für die rettende That.
»Wer sollte es besser wissen, Josi,« erwidert Thugi, »was du für St. Peter gethan hast, als ich.«
Andächtig horchen die hundert Männer dem Schlagen des Hammers und schütteln Josi und Binia die Hand.
Ein sonderbarer Zug bewegt sich in dem fallenden Schnee thalwärts. – In der Mitte geht Josi, nicht wie ein Held, sondern wie ein Geschlagener – er weiß es, er muß mit Binia an ein Sterbebett treten. Und Binia schluchzt herzzerbrechend. Aber daß sie noch gehen kann, ist ein Wunder.
Wer ist der größere, Josi, der die Blutfron von St. Peter genommen hat, oder der Presi, der Vater, der bis in den Tod für sein Kind gekämpft hat?
Ja, ja, arme Bini, ruhige Jahre werden dir nun wohl thun, denn zuletzt verliert auch der Stahl seine Biegsamkeit und bricht.
Sie sehen den verwüsteten Bären; Josi ist bereit, noch heute den Gerichtsbeamten, die schon eingerückt sind, Rede und Antwort zu stehen.
Das Paar tritt in die Wohnung des Garden – es sinkt an das Bett des Presi.
Man hat ihm die Fenster öffnen müssen, damit er das Schlagen des neuen Hammers an den Weißen Brettern hört. Seitdem ist er ruhig und nun richtet er sich auf vom Lager. Er schluchzt – die dünnen Thränen fließen über seine abgehärmten Wangen. – »Seppi Blatter – Fränzi – ihr habt mir's nicht zu streng gemacht. – – Und Josi, wenn du wegen Thöni Grieg etwas auf dem Gewissen hast, – so nehme ich es dir ab.«
Da antwortet Josi: »Nein, Vater, ich bin frei von Schuld. Thöni Grieg ist zehn Schritt vor mir gestürzt.«
»Garde, ich habe den Bären angezündet,« spricht der Presi laut, dann murmelt er: »Und St. Peter habe ich lieb gehabt. – Seid glücklich – Josi – Bini.« Einen Blick unsäglicher Liebe noch wendet er auf das Paar – er sinkt zurück und der Todesengel schwebt durch das Haus.
Kapitel Zweiundzwanzig
Ein Trauerspiel im Bergland. Was die von St. Peter gethan haben, erscheint dem Bergvolke selbst, erscheint der Welt unbegreiflich. Das Dorf wollte den schlagen, der ihm die größte Wohlthat erwiesen hat, den es mit Ehren wie seinen Erlöser feiern sollte. Unbegreiflich? – Als ob der Wechselruf »Hosianna!« und »Kreuziget ihn!« nicht die Jahrhunderte herab durch die Blätter der Geschichte jauchzte und klagte. Als ob es nicht bis in die blühende Gegenwart hinein der Beispiele genug gäbe, wo nicht nur ein kleines, weltfernes Dorf, sondern große mächtige, gebildete Völker sich unter dem Druck eines Zwangsgedankens verwirren und eine Weile den Weg der Vernunft nicht finden können. Als ob die Gestalt des bösen Narren, des Kaplans Johannes, der hetzend die dunklen Regungen der Volksseele mißbraucht, nicht überall auf der Lauer stehe, um seinen Bettelsack aus der allgemeinen Verirrung zu füllen und seine nächtliche Seele in den Bildern des Schreckens schwelgen zu lassen. – –
In bebender Zerknirschung liegt St. Peter.
Jahrhunderte hat sein Völklein unter dem Donner der Lawinen friedlich und still gelebt, Geschlecht um Geschlecht hat männlich getragen, was eine übermächtige Natur an Gefahren und blutenden Opfern über sein Dasein verhängte. Im Schoß des stillen Lebens blühten innige Sitten und Bräuche, die Wunderblume der Sage hielt ihre Kelche offen und atmete ihre Düfte aus. Da führte ein Feuerkopf die Unruhe, die Hast einer neuen Zeit in die Enge des Thales, in die Schmalheit der Volksanschauungen. Die Dörfler sahen, was Eltern und Altvordern groß und heilig gegolten, von einem Schwarm leichter Menschen, der kein Verständnis für ihr eigenartiges Fühlen besaß, mißachtet, in den Stimmen der Lawinen hörten die Geängstigten den Zorn des Himmels reden. Und siehe da – die Wunderblume der Sage vergiftete ihren Duft. In Fleisch und Knochen schlich sich, von einem geheimnisvollen Narren vertragen, das Fieber des Aberglaubens.
Die Stimmung ist vorbereitet. – Da geschieht das Unfaßbare, daß einer vom Dorf das Verhängnis lösen will, das wie Gottes Züchtigung darüber schwebt – da ereignet sich das Schreckliche, daß ein verborgener Mord, so glaubt das Völklein, ans Tageslicht kommt – eine tragische Folge der Umstände schaltet alle Hemmungen der Vernunft aus.
So hat das Entsetzliche geschehen können! – –
Zwei Abgesandte der Regierung sind da; der Hammer an der rettenden Leitung schlägt, von einem Fest zur Einweihung des Werkes spricht niemand.
Eine unheimliche Stille brütet über St. Peter. Mächtiger als die ernsten Patrouillen, die das Dorf auf und ab schreiten, spricht es in die Gewissen, daß das schöne alte Haus zum Bären in schwarzen Ruinen aus der weißen feierlichen Schneelandschaft ragt. St. Peter ist ohne den Bären nicht mehr St. Peter. Wer hat die Flamme hineingeworfen? – In der Gemeindescheune halten die herbeigeeilten Gerichtsbehörden an einem Tisch die Verhöre, zu denen ihnen der Verrat Bälzis die Unterlagen bietet. Mit finsteren, trotzigen Mienen kommt Bauer um Bauer und antwortet auf die Fragen. Daß er Kreuze aus dem Kirchhof ausgerissen hat, giebt jeder zu. Den Ahornbund aber verrät keiner. Und keiner nennt den Brandstifter, die Untersuchungsbeamten aber bestehen darauf, daß es irgend einer vom Bunde sei, und halten den Verdacht auf den Presi für eine Ausflucht. Sie fassen einen heißen Groll gegen das verstockte Dorf und drohen mit langen Einquartierungen auf Kosten der Gemeinde.