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50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2
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50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2

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Mit hinreißender Wärme, mit strahlendem Auge, zuletzt mit einer Bescheidenheit, die die Herzen bezwang, hat der Presi geredet und alle verwirrt. Ist das der hochmütige Mann, der dem Dorf den harten höhnischen Bescheid gegeben hat?

Sein Auge sucht Josi Blatter – ein kleines, unendlich schönes Lächeln geht um seinen Mund – ein Lächeln, bei dem Josi ist, es schmelze der Haß aller Jahre hinweg.

Er ist wonnig bestürzt über den Blick.

Nun aber hält der Glottermüller mit seiner hohen Weiberstimme auch eine Rede: »Nur nichts Neues. Die Wasserfron ist St. Peter von Gott auferlegt, daß wir nicht übermütig werden in Bosheit. Josi Blatter ist ein Aufrührer und bleibt ein Aufrührer, und wie früher gegen das Dorf, wendet er sich jetzt gegen Gott und seinen Himmel. Ich sage: Nichts Neues! – Keine Abordnung!«

»Nichts Neues! – Keine Abordnung!« fielen einige ein, andere riefen: »Fort mit der Blutfron!«

Peter Thugi saß da wie ein Gerichteter, dem man das Leben zu schenken im Begriffe steht.

Mit Hilfe seiner großen Verwandtschaft beschloß die Gemeinde, die Abordnung an den Regierungsrat zu schicken, und bestellte sie aus dem Glottermüller, zwei weiteren Anhängern des Alten, dem Garden und dem Bockjeälpler, der halb an Josi Blatter glaubte. Den Presi aber überging die Gemeinde in der Wahl.

Bis die Abordnung über die Antwort der Regierung Bericht erstatte, solle Peter Thugi bei seinem Los behaftet sein.

Ein Krieg hätte das Dorf nicht mehr aufregen können als der erstaunliche Ausgang der Losgemeinde.

»Der Presi,« höhnten einige grimmig, »hat uns mit seiner schlangengescheiten Zunge wieder einmal erwischt. Hütet euch.«

»Daß Josi Blatter mit seinem Gelübde gerade auf die Zeit zurückgekehrt ist, wo die Wildleutlawine gegangen ist, bedeutet etwas – ein großes Glück oder ein noch größeres Unglück,« meinten andere.

Nach der Losgemeinde hat Eusebi noch einen Gang zu machen. Vroni wandelt mit Josi durch das ergrünende Feld und schaut den schweigsamen Bruder mit ihren blauen treuen Augen traurig, doch mit grenzenloser Bewunderung an.

»Josi,« sagt sie, »du bist also der Mann, der uns geweissagt ist in den alten Heligen-Wasser-Sagen, die da melden: Es wird einer kommen, der stärker ist als Matthys Jul, und wird St. Peter von der Blutfron an den Weißen Brettern erlösen. Du bist also der Mann, Josi!«

»Ich hoffe es!« erwidert er mit einem bleichen Lächeln.

»O Josi,« versetzt sie, »es ist schwer, dieses Mannes Schwester zu sein – – und in den alten Sagen steht auch, es müsse eine Jungfrau über dem Werke sterben.«

Er zuckt heftig zusammen, er schlingt den Arm um die Hüfte Vronis. »Ich weiß nur, daß ich mein Gelübde erfüllen muß,« sagt er ernst, »es ist für Binia, dafür, daß sie rein und treu geblieben ist. Und wenn es sein muß, sterben wir beide für das Werk, aber gewiß nicht eines allein.«

Da sieht Vroni das grüne Feld nicht mehr, durch das Peter Thugi, der vom Los Getroffene, mit seinen Kleinen kommt. Er spricht zu ihnen: »Seht, das ist der Mann, der euren Vater retten wird;« er wendet sich zu den Geschwistern: »O Josi – könnte ich es dir einmal danken, was du an diesen Kleinen thun willst.«

»Siehst du, Vroni,« sagt Josi bewegt, »und ich kann nicht glauben, daß ein Segen zuletzt in einem Unglück endet. – Wenn es aber wäre – so thue ich doch, was ich muß.«

Kapitel Achtzehn

Der Presi sitzt im Bären auf seinem Zimmer, aber es ist nicht der Presi, der das Zünglein der Wage wie schon oft in der Gemeindeversammlung mit hinreißendem Wort geschwenkt hat, er ist ein alter gebrochener Mann. »Seppi Blatter – Fränzi,« stöhnt er, »seid ihr jetzt mit mir zufrieden? – Ob das Herz entzwei kracht, ich habe mich gewendet – ich habe für euern Josi geredet – ich will noch mehr thun, ich will ihm zu seinem Werk helfen – ich will Frieden – Frieden – mit euch und eurem Sohne Josi – den ich geschlagen habe – den ich achte und liebe.«

Seit er den jungen Mann gesehen hat, wie er sich in Bescheidenheit erhob, wie er mutig und mutiger redete, faßt er es nicht mehr, wie er Josi Blatter jemals hat gram sein können. Sein Plan ist groß. Wie er ist noch keiner im Bergland aufgestanden. Josi und Binia! Wenn's sein könnte – aber – – er brütet wieder.

Da schwankt Binia zu ihm herein, blaß, müd und auf den schmalen Wänglein doch einen Schimmer des Glücks.

O, sie ist rührend schön, die blasse Binia.

Sie nimmt die Hand des Vaters in ihre Händchen: »Vater, ich danke dir, daß du für Josi eingestanden bist.« Ein schmerzliches Lächeln geht über ihr bleiches Antlitz.

»Du liebst ihn noch, Vogel, Herzensvogel – gelt, ich kann für dich – und für Josi Blatter viel thun.« Sein Haupt zittert, sie sinkt vor ihm nieder – er streichelt ihren Scheitel: »Kind – ich möchte Frieden machen. – Bini – ich möchte noch einmal glücklich sein – und wenn es nur ein Jährchen wäre. – Bini, ich wollte, deine Mutter lebte noch. Beth, mein guter Engel. – Ich wäre mit ihr nicht so weit gekommen und das Hintersichkrebsen wäre nicht so schwer. – Josi Blatter ist ein Mann wie ein Held – ich will für ihn kämpfen. Wenn mich die von St. Peter schon nicht in die Abordnung gewählt haben, so gehe ich doch für ihn in die Stadt, und ob das Dorf mich haßt, so bin ich vor der Regierung noch der Presi von St. Peter. – Soll ich gehen, Kind?«

»Ja, Vater, ja.«

Herzzerbrechend weint die knieende Binia.

»Bini – Gemslein,« hebt der Presi wieder an, »ich kann deine blassen Wangen nicht mehr sehen – sie töten mich – Bini, bekomme rote Wänglein – laß die Geschichte von Thöni nur erst still werden – dann nimm in Gottes Namen Josi – ich habe ihn lieb – und lache wieder einmal mit deinem glücklichen Kinderlachen.«

Binia zuckt und windet sich in Qualen des Glücks – und des Elends. Wahnsinnig küßt sie die Hände des Vaters und dann schaut sie ihn an so rührend, so hoffnungslos. Und ihr Stimmchen bebt wundersam: »Vater, es ist zum Kinderlachen zu spät!«

Da wird er in gräßlicher Angst plötzlich wieder der alte, böse Presi. Er zischt sie an: »Zu spät – Bini, du hast wohl können so eine Komödie machen, bis du dich zu Thöni gefunden hast. Du bist ja doch zu weit mit ihm gekommen.«

»Nein –. Vater – nein!« Es tönt wie ein zersprungenes Glöcklein.

»Warum bist du denn so blaß – so hinfällig? – Ich habe es ja selber gesehen, wie du aus seiner Kammer gekommen bist.«

Binia wimmert nur, etwas Schweres schließt ihr den Mund. – Sie schwankt empor, sie tappt davon wie eine Trunkene.

Sie ist in ihrer Kammer, sie kniet an ihrem Bett: »Mutter – Mutter – es ist entsetzlich – das glaubt der Vater – ich hätte mich mit Thöni vergangen! – Und ich darf ihm die Wahrheit nicht sagen, warum ich mein Kinderlachen verloren habe. Er würde daran sterben.«

Und sie wimmert, wie der Engel wimmerte, den man aus dem Himmel stieß.

»Mutter – Mutter – wie sind wir unglücklich. – Aber gelt, Mutter, liebe Mutter, Josis Werk kann uns erlösen – er, der so viele erlöst, kann auch uns befreien. Ich bin an allem schuld. – Und den gräßlichen Vorwurf des Vaters muß ich tragen – Mutter – um des Vaters selber willen – hilf mir schweigen.«

Was Binia noch sonst sagt, ist stammelndes Gebet.

Der Presi aber ist noch nicht zu Ende mit seinem Zorn, die furchtbare Angst um Binia erzeugt seine Wut immer neu. Er rennt hinunter zu Frau Cresenz, er donnert sie an: »Was sagt Ihr eigentlich zu der Geschichte von den Briefen – was sagt Ihr zu dem elenden Gesichtchen meiner Bini? – Wohl, wohl, Ihr habt mir mit Eurem Neffen einen saubern Schuft ins Haus gebracht. – He, Frau Cresenz – gestupft und getrieben habt Ihr Tag und Nacht an mir, daß ich Bini dem Thöni gebe – und er hat mich getrieben, daß ich den verfluchten Neubau angefangen habe.«

Frau Cresenz, die kühle und geduldige Frau, wischt sich, wie er nicht aufhört zu wüten, mit der Schürze die Thränen ab: »Präsident,« sagt sie entrüstet, »ungerecht bleibt Ihr, bis Ihr sterbt! Ich habe auf Thöni, den Speivogel, gar nicht viel gehalten. Denkt aber an den Wintertag, an dem Ihr mit Thöni, aus Freude darüber, daß Blatter tot sei, wie toll getrunken und die Gläser miteinander ins Leere gestoßen habt: ›Zum Wohl, Seppi Blatter, zum Wohl, Josi Blatter, du Laushund.‹ Habt Ihr da nicht geahnt, daß es ein Unglück giebt?

»Schweigt!« schreit der Presi entsetzt, ihm ist, als zünde ihm jemand mit einer Fackel ins Gesicht; er ist seiner Zunge nicht mächtig, er würde sonst Frau Cresenz nicht so lange haben reden lassen.

»Als die Todesnachricht falsch war,« fährt sie fort, »und Blatter wieder schrieb, da hat der Thor, der euch alles von den Augen absah, gemeint, es sei euch ein Gefallen, wenn Blatter tot bliebe. Er hat den ersten Brief unterschlagen, dann hat er nicht mehr rückwärts können, hat falsch geschrieben und es ist gekommen, wie's gekommen ist. Daß er ein Schelm und fremd geworden ist, daran seid Ihr schuld.«

Plötzlich versteht der Presi die Handlungsweise Thönis.

Er taumelt fort, er holt im Untergaden einen mächtigen Karst, rennt damit in der beginnenden Dämmerung durch das Dorf, und erschrocken sehen es die von St. Peter.

»Was hat der Presi?« fragen sie, »was will er mit seiner Hacke?«

Er eilt zum Neubau, der bis zum ersten Stockwerk gediehen ist. Mit wuchtigem Arm schlägt er die Zinken in Mauer und Balken, er reißt vom Werk, um dessen willen er das Dorf bis ins Mark beleidigt hat, so viel ein, als seiner Wut nachgiebt, er lebt in der wilden Gier, alles zu vernichten, was ihn an den unseligen Thöni mahnt. Aus scheuer Entfernung sehen ihm die maßlos erstaunten Dorfler zu. »Er ist letzköpfig geworden!« meinen die einen, die anderen: »Nein, seht, er hat doch ein Herz für uns.« Wie er sich beobachtet spürt, stutzt er, dann ruft er den Nähertretenden zu: »Nehmt von dem verfluchten Holz, so viel ihr wollt, verbrennt es. Sagt es den armen Leuten, daß sie's holen mögen. Bringt eure Aexte und Kärste, helft mir!«

Der Garde kommt und streckt dem Presi die Hand hin: »Presi, etwas Besseres habt Ihr in Euerm Leben nie gethan!«

»Gewendet habe ich mich, Garde,« sagt er und die Dörfler staunen.

»Der Presi hat sich gewendet.« – Wenige lächeln, es ist kein Spott oder Hohn im Dorf, offen oder heimlich ist ihm jedes Herz dankbar. Wie er den Karst auf den Schultern mit dem Garden durch die Frühlingsnacht heimwärts schreitet, lüften die Dörfler, die unter den Thüren stehen, achtungsvoll die Hüte vor ihrem Presi.

»Man kann vielleicht den entsetzlichen Ahornbund abschütteln,« flüstern sie einander zu, »und für St. Peter kommt wieder eine bessere Zeit.«

Und die Frühlingssteine, die zu schimmern beginnen, sehen den zertrümmerten Bau, der nie ein Haus geworden ist.

Seltsam! – Seit langen Jahren geht durch die Brust des Presi ein Hauch des Friedens – er wütet nicht mehr, nur eine heiße Wehmut um Binia schleicht noch durch sein Herz.

»Wie – wenn Josi Blatter sie so stark liebte, daß er sie trotz allem, was vorgefallen ist, doch zu Ehren annähme!« – Um Binias willen muß er Josi Blatter den Weg zu seinem Werke leicht machen und den noch zögernden Garden überredet er mit dem Feuer eines Jünglings von der Ausführbarkeit des Befreiungswerkes, das Josi plant.

Ohne daß er es weiß, hat er dafür schon das Beste gethan.

Die Dörfler sagen: »Wenn das Wunder möglich ist, daß der Neubau des Presi durch seine Hand zergeht, so ist auch das andere möglich, daß Josi Blatters Plan gut ist.«

Das schwer erschütterte Vertrauen in die Zukunft erwacht wieder in dem geängstigten Dorf.

Es sind so wunderliche Zeitläufte in St. Peter, daß man sich aus dem Verschwinden Thöni Griegs nicht viel macht. Vor ein paar Jahren hat er schon gesagt, er gehe nach Amerika, gestern hat er es beim Glottermüller mit dem Zusatz wiederholt, es sei in der Umgebung des Presi nicht mehr auszuhalten. Jetzt ist er halt gegangen, und Binia wird froh sein.

Einige Tage später durchfliegt eine neue Kunde das Dorf und nimmt alle Teilnahme so gefangen, daß die von St. Peter vor Spannung nicht mehr arbeiten mögen.

Die Regierung ist mächtig für den Plan Josi Blatters eingenommen, der ihn selbst den Herren dargelegt hat.

Vor etwa vierzig Jahren ist einmal ein Regierungsrat nach St. Peter gekommen und hat der Einweihung einer Kirchenfahne beigewohnt. Seither hat man in der Stadt das stille St. Peter vergessen. Nun erlebt es das Dorf, daß zur zweiten Wassertröstung zwei Regierungsräte auf einmal kommen. Die liebenswürdigen, gescheiten Herren verstehen besser zu reden als der glatzhäuptige Glottermüller, der quiekende Unglücksrabe.

»Josi Blatter, der großherzige Mann,« sagen sie, »soll sein Gelübde lösen, die Leitung nach den neuen technischen Grundsätzen bauen und treulich sollen ihm Staat und Gemeinde helfen. Der Staat liefert ihm die Spreng- und Baumittel, die Gemeinde mag sich zu den Hilfstagewerken verpflichten, die nötig sind.«

»Ja, wenn die Regierung dafür einsteht,« meinen die von St. Peter, »so ist der Plan gewiß gut,« und freudig zeichnen die Bauern ihre Tagewerke.

Umsonst ruft der letzköpfige Kaplan sein »Wehe – wehe – wehe!« durchs Dorf, ihm antwortet der jubelnde Ruf: »Ab mit der Blutfron – ab – ab! – es lebe Josi Blatter, der Felsensprenger! Das Werk ist für uns, unsere Kinder und Kindeskinder.«

Eine gute That! – Sie ist selbst heiliges Wasser, das befruchtet. Die Unglückstafeln an den Weißen Brettern werden verrosten, die Losgemeinde wird eine Sage sein, frei giebt man die heligen Wasser in der Kinder, in der Enkel Hand. Und der »Ahornbund« liegt am Boden.

Josi hat die Herren aus der Stadt in den Bären begleiten müssen, aber jetzt sind sie fort.

Zum erstenmal, seit sie vom Teufelsgarten kamen, sehen sich die Liebenden wieder. Es ist ein schweres Wiedersehen!

Aber nun steht Binia doch so selig, so demütig in Josis Arm – und er küßt ihren Scheitel: »Bineli – mein Bineli.« Und »Josi« antwortet sie.

Sie vergessen einen Herzschlag lang eine blutende Wunde – sie sind am Ziel. Ihre stille Verlobung von Santa Maria del Lago gilt wieder, und er geht jetzt an das Werk seiner Dankbarkeit, auf dem ihre heißen Segenswünsche ruhen.

Aber dann freilich ist noch eine That nötig, die fast schwerer als die Befreiung St. Peters von der Blutfron ist, die Selbsterlösung aus einem Schein der Schuld, den ein übermächtiges Verhängnis auf sie geladen hat.

Nur wie ein ferner Stern, der blinkt, steht jenseits der großen Dinge vor ihnen das Glück.

Einen Herzschlag lang atmen sie auf, sie hoffen und ihre Augen glänzen ineinander.

Da kommt der Presi, sieht es – sieht es – er lächelt ihnen glücklich und mit seinem herzinnigsten Lachen zu, er meint ein Wunder zu erleben – er schwankt, ob er noch an das glauben will, was er doch mit eigenen Augen gesehen hat, daß Binia aus der Kammer Thönis trat.

Einen Blick hat sie Josi gegeben so voll Wärme, voll Treue, voll Reinheit und Unschuld, wie ihn nur das Mädchen findet, das sich in seiner Liebe treu, rein und unschuldig weiß. Diese Entdeckung blitzt wie Sonne ins Vaterherz.

Josi ist an sein Werk gegangen, dem er nun bis zur Vollendung mehr gehört als der Welt.

Da nimmt der Presi die Hand seines Kindes: »Bini – Vogel – Gemslein,« dringt er in sie, »jetzt darfst du's deinem Vater schon sagen: Hast du Thöni wirklich nie gern gehabt?«

»Du thust mir furchtbar weh, Vater!« antwortet sie schamvoll, »glaubst du, ich dürfte einem so herrlichen Mann wie meinem Josi in die Augen sehen, wenn ich mich nicht treu wüßte, meinem Josi, der nur aus Dankbarkeit gegen den Himmel an die Weißen Bretter geht, weil er mich trotz allem Gegenschein treu erfunden hat.« Und im Sturm der Wallung kann sie nicht mehr schweigen. »Als du mich aus Thönis Kammer kommen sahst, habe ich nur die Schlüssel geholt, um mich der Briefe zu bemächtigen, die er unterschlagen hat, – da sind sie.«

Sie reißt die Notschreie Josis aus dem Mieder, legt sie vor den Vater und will sich flüchten. Er aber zieht sie an seine Brust: »Vogel – Herzensvogel – und das hast du nicht gewagt, mir zu sagen, und hast mich in der verzehrenden Angst gelassen – du Grausame. – Aber jetzt rote Wänglein, Kind!«

Binia ist, das Herz zerspringe ihr, sie müsse dem Vater mehr und alles verraten, sie müsse ihm jetzt auch sagen: »Vater, uns ist ein Unglück geschehen, hilf uns in entsetzlicher Not,« aber das unendliche Glück, das in seinen Augen strahlt, schließt ihr den Mund.

»O Bini – Bini,« lacht und jubelt der Presi. »Aus Beelendung über dich bin ich so rückwärts gekrebst – gezittert und gebetet habe ich, daß Josi sich doch deiner erbarmen möge. – Und nun ist das Wunder geschehen, daß das Kind besser ist, als der Vater erhoffte. Jetzt will ich auf ein schönes, ruhiges Alter mit dir und Josi denken. – Ich mag die Unruhe nicht mehr – ich gebe das Fremdenwesen auf!«

Der Presi spricht es in einem Taumel des Glücks. Aber Binia weint bitterlich – sie schluchzt vor Leid: »O Vater, sobald Josi sein Werk vollendet hat, so wollen wir mit ihm von St. Peter fort in ein fernes Land ziehen, und dort will ich dein graues Haupt hüten und pflegen.«

Leidenschaftlich stößt sie es hervor.

»Ein sonderbarer Gedanke, Kind. Hat ihn dir Josi eingegeben?« fragt er ernst und erstaunt.

»Nein, Vater, ich mir selbst!« bebt ihr Mund.

»Was denkst du,« spricht er nach einigem Besinnen, »ich kann nicht fort von St. Peter. Wer so lange in St. Peter gelebt hat wie ich, muß in St. Peter sterben.« –

Da schaut sie ihn in unendlicher Hilflosigkeit an und geht.

»Sie ist ein merkwürdiges Kind, jetzt wie früher,« denkt der Presi, aber er ist selig über das Bekenntnis, das sie ihm abgelegt hat. Er baut Pläne des Glücks für Binia, für Josi, für sich. Er ist beinahe wieder der alte Feuerkopf.

Und er schüttelt den Kopf: »Wie ich so lange habe ein Narr sein und Josi widerstehen können!«

»Präsident,« meint Frau Cresenz, »wir sollten doch langsam auf unsere Vorbereitungen für den Sommer denken, wenn Ihr die Krone aufgegeben habt, so werden wir um so mehr zum Bären sehen müssen.« Er lacht sie nur seltsam an und sagt: »Ja, Präsidentin, ich gehe morgen nach Hospel hinaus zu Malermeister Serbiger. Er muß mir eine große Tafel malen, auf der steht: ›Pension und Hotel zum Bären in St. Peter sind geschlossen‹, und die Tafel lasse ich auf zwei hohe Pfähle am Eingang des Glotterwegs aufstellen. Auch schicke ich einen gedruckten Brief an alle früheren Gäste, daß ich das Fremdenwesen aus Altersrücksichten aufgegeben habe.«

Sprachlos schlägt Frau Cresenz die Hände über dem Kopf zusammen, dann aber jammert sie: »Wenn Ihr das thut, so gehe ich aus dem Haus – ich bin es nicht anders gewöhnt, als daß ich im Sommer eine Pension leite – und bedenkt doch, Präsident, wie man Euch, wenn Ihr jetzt dem Dorf so stark nachgebt, auslachen wird.«

»Gott's Donner, Präsidentin,« zürnt er, »ob ein paar Kälber lachen oder nicht, darauf kommt es mir nicht an, aber Euer Neffe, Herr Thöni, hat mir das Sommerleben verleidet – ich will jetzt ein wenig glücklich sein.« – – –

Frau Cresenz aber ist unglücklich – eines Tages erscheint der Kreuzwirt von Hospel im Bären, die Männer rechnen im Frieden die Reingewinne aus den Büchern des Gasthofes während der zehn letzten Jahre aus, ein Drittel der Summe zahlt der Presi Frau Cresenz in Banknoten vor und legt aus eigenen Stücken noch tausend Franken darauf: »Da, Präsidentin, ist Euer Anteil.«

Die Großmut in Dingen des Geldes gefällt dem Kreuzwirt. »Schwager,« sagt er, »es thut mir leid, daß es so ungeschickt hat gehen müssen. Wäre ich bei den Hospelern gewesen, die den Zigarren rauchenden Thöni hoch auf der Post über den Paß haben fahren sehen, hätte ich ihn heruntergelangt und ihm eine Tracht Ohrfeigen mit nach Amerika gegeben, dem Lausbuben, der seinen nächsten Verwandten nicht einmal ein Lebewohl und ›Es ist mir leid‹ gesagt hat.«

Binia, die den Rechnenden eben noch eine Erfrischung bringt, muß sich an der Stuhllehne des Vaters halten.

»Thöni über den Paß gefahren!« staunt sie. Ja, ist denn das schreckliche Erlebnis im Teufelsgarten, das ihr Tag und Nacht mit fürchterlicher Deutlichkeit vor den Sinnen steht, nur ein böser Traum?

Herzlich dankt sie der Stiefmutter, die nie hart gegen sie gewesen ist, und der Kreuzwirt und Frau Cresenz reiten gerade so vom Bären, wie sie vor elf Jahren zugeritten sind.

Eine ziemlich friedliche Ehe, die auf ein gemeinsames blühendes Geschäft aufgebaut worden ist, hat ein friedliches Ende gefunden.

Der Presi ist wieder da angekommen, wo er vor elf Jahren stand, der Bären ist wieder ein Dorfwirtshaus – mit Binia und einer Magd haust er allein.

Aber er ist es zufrieden, er spürt nichts von Heimweh nach dem lebhaften Treiben der früheren Sommer, nach dem kühlen Lächeln der Frau Cresenz, er lebt ganz in Binia, dem wiedergefundenen Kinde.

Und der Bären ist nicht öde. Aus der weiten Umgegend kommen Leute, die von dem Wunderwerk gehört haben, das an den Weißen Brettern im Glotterthal ausgeführt wird. Sie reden bei ihrem Schoppen Kluges und Thörichtes darüber. Thun sie das letztere, dann zuckt es um die Brauen des Presi: »Ta-ta-ta, wenn jemand von einer Sache nichts versteht, so soll er nicht darüber sprechen, letzte Woche sind die Ingenieure der Regierung dagewesen, sie sagen, das Werk sei vortrefflich.«

Auch die Dörfler kommen wieder in den Bären, wie eine ferne drückende Sage liegt der »Ahorn« hinter ihnen; sie begegnen dem Presi mit jener Hochachtung, die das beschämte Unrecht für den Gegner hat, der edel nachgiebt, sie freuen sich über den Sommer, der wie einst in friedlichen Prächten ins Thal zieht.

Der Garde und der Presi, die wieder versöhnten Freunde, sprechen mit wahrer Erhebung von Josis Werk.

In der größeren Wildleutfurre ist die Mauer schon erstellt, die Leitung darauf gelegt, das Schutzdach aus Holz und Stein gebaut, die Furre selbst hochhin ausgeebnet und in der kleineren Wildleutfurre geht die Arbeit auch bald zu Ende. An einem Kranseil, das vom Glotterweg bis in die entlegene Höhe der heligen Wasser reicht, steigen Hilfsarbeiter, schweben die Hölzer, die Deckplatten, die Zementsäcke zu Josi, dem Befreier, empor.

Dynamitfuhre um Dynamitfuhre kommt und Josi baut jetzt den Wasserweg durch die Weißen Bretter selbst. Er ist von der Sonne braun gesengt, er ist abgezehrt von der Arbeit, aber er liebt die Mühe und die große beständige Lebensgefahr, die sein Werk mit sich bringt. Wer um Sonnenaufgang von St. Peter nach Hospel geht, hört sein Hämmern in der fernen Höhe, wer gegen Sonnenuntergang von dort zurückkehrt, hört es noch. Wenn das Ave-Maria-Glöcklein von St. Peter verklungen ist, wenn das letzte Sonnenrot an den Firnen zergeht, dann hallen seine Sprengschüsse durch das Thal. Im Wiederhall ertönen die Bergwände; heraus, herein durch das Gebirge rollt das Echo, und wenn man es schon lange gestorben glaubt, erwacht es noch einmal grollend in einem fernen Schlund des Gebirges.

»Zum Wohl, Garde, trinken wir eins auf Josi!« lacht der Bärenwirt.

»Presi, jetzt werdet Ihr wohl keine bösen Träume mehr haben,« erwidert der Garde froh.

»Nein, ich fasse es nicht mehr, wie ich mich einmal über ein dummes Träumchen habe ängstigen können,« sagt der Presi, um den eine ganz neue Welt gesponnen ist. »Ich zähle im Kalender die Tage bis zu Allerheiligen, bis im Bären Hochzeitsleben jauchzt.«

Ein hoffnungsvolles Lächeln geht über das Gesicht des Presi. Wie der Garde aber nach Hause stoffelt, seufzt er und ist nachdenklich. Auch er zählt die Tage bis Allerheiligen, aber aus einem anderen Grund.

Mehr denn zehn Jahre hat der Presi gewütet in Gewaltsamkeit und Ungerechtigkeit wie ein Uebermensch. Eines Tages nun fällt ihm ein, glücklich zu sein. Aber steht die Vergangenheit nicht drohend hinter diesem Glück? Und um den Liebesbund Josis und Binias schwebt auch etwas so Uebermenschliches, um diese rührende Hingabe, um diese hohe Treue von langen Jahren her. Kommen wohl Josi und Binia, das herrliche Paar, wie noch keines im Bergland gewachsen ist, ein Held der That und eine Heldin der Treue, zum Ziel?

So fragt sich der Garde sorgenvoll und traut dem Dorffrieden nicht.

Josis Werk ist zu schwer, zu wuchtig für das kleine St. Peter. Wohl hat es, als die Regierung seinen Plan gutgeheißen hat, Josi zugejauchzt, und wenn einzelne Gegner wie der Glottermüller übrig blieben, so schwiegen sie. Aber seit dem Tag, da die von der Regierung gesandte Dynamitfuhre kam, regte sich im Volk wieder abergläubische Furcht. Alle, selbst die Frauen, eilten damals hinaus in den Teufelsgarten, um den Pulverwagen zu sehen. Das von vier Gendarmen bewachte Fuhrwerk, das eine schwarze Fahne mit der Aufschrift »Dynamit« trug, erschreckte sie aber. Es sei ein mächtiger Sarg gewesen, jammerten sie, umsonst erklärten die militärpflichtigen Männer, es sei ein Militärcaisson, die Vorstellung des Sarges ist geblieben. Und ein Sarg bedeutet Unglück.

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