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Durchs wilde Kurdistan
Endlich benachrichtigte mich der Haddedihn durch einen Boten, daß er zum Aufbruche bereit sei, und so hatte ich mich in aller Frühe aufgemacht, um ihn bei dem Häuptlinge der Badinankurden abzuholen. Mein Abschied von den Dschesidi war ein herzlicher, und ich mußte versprechen, auf der Rückkehr noch einige Tage bei ihnen zu verweilen. Zwar hatte ich mir jede Begleitung verbeten, aber Ali Bey ließ es sich nicht nehmen, mich wenigstens zu den Badinan zu bringen, um auch Mohammed Emin Lebewohl sagen zu können.
Jetzt also hielten wir auf der östlichen Höhe von Scheik Adi und ließen die Ereignisse der letzten Wochen an uns vorüberfliegen. Was werden die nächsten Tage bringen? Je weiter nach Nordost hinauf, desto wilder werden die Bergvölker, die keinen Ackerbau kennen und nur von Raub und Viehzucht leben. Ali Bey mochte mir diesen Gedanken von der Stirn ablesen.
»Emir, du gehst beschwerliche und gefährliche Wege,« meinte er. »Wie weit hinauf willst du in die Berge?«
»Zunächst nur bis nach Amadijah.«
»Du wirst noch weiter müssen.«
»Warum?«
»Dein Werk in Amadijah mag gelingen oder nicht, so bleibt die Flucht dein Los. Man kennt den Weg, welchen der Sohn Mohammed Emins einzuschlagen hat, um zu seinen Haddedihn zu gelangen, und man wird ihm denselben verlegen. Wie willst du dann reiten?«
»Ich werde mich nach den Umständen zu richten haben. Wir könnten nach Süden gehen und auf dem Zab Ala oder zu Pferde längs des Akra-Flusses entkommen. Wir könnten auch nach Norden gehen, über die Berge von Tijari und den Maranan-Dagh, und dann den Khabur und den Tigris überschreiten, um durch die Salzwüste nach dem Sindschar zu kommen.«
»In diesen Fällen aber werden wir dich niemals wiedersehen!«
»Gott lenkt die Gedanken und Schritte des Menschen; ihm sei alles anheimgestellt!«
Wir ritten weiter. Halef und der Baschi-Bozuk folgten uns. Mein Rappe hatte sich weidlich ausruhen können. Er hatte früher nur Balahat-Datteln gefressen und sich jetzt an anderes Futter gewöhnen müssen, war mir aber doch fast ein wenig zu fleischig geworden und zeigte einen Ueberfluß an Kräften, so daß ich ihn derb zwischen die Schenkel nehmen mußte. Ich war übrigens halb neugierig und halb besorgt, wie er sich bewähren werde, wenn es gälte, die Schneeberge Kurdistans zu überwinden.
Wir langten bald bei den Badinan an und wurden von ihnen mit gastlicher Fröhlichkeit empfangen. Mohammed Emin war reisefertig, und nachdem wir noch ein Stündchen geplaudert, geschmaust und geraucht hatten, brachen wir auf. Ali Bey gab uns allen, und mir zuletzt, die Hand. Im Auge stand ihm eine Träne.
»Emir, glaubst du, daß ich dich lieb habe?« fragte er bewegt.
»Ich weiß es; aber auch ich scheide in Wehmut von dir, den meine Seele lieb gewonnen hat.«
»Du gehst von hinnen, und ich bleibe; aber meine Gedanken werden dich begleiten, meine Wünsche werden weilen in den Spuren deiner Füße. Du hast Abschied genommen von dem Mir Scheik Khan, aber er hat mir seinen Segen mit gegeben, daß ich ihn im Augenblicke des Scheidens auf dein Haupt legen soll. Gott sei mit dir und bleibe bei dir zu aller Zeit und auf allen Wegen; sein Zorn treffe deine Feinde, und seine Gnade erleuchte deine Freunde! Du gehst großen Gefahren entgegen, und der Mir Scheik Khan hat dir seinen Schutz versprochen. Er sendet dir diesen Melek Ta-us, damit er dir als Talisman diene. Ich weiß, du hältst diesen Vogel nicht für ein Götzenbild, sondern für ein Zeichen, an welchem du als unser Freund erkannt wirst. Jeder Dschesidi, welchem du diesen Ta-us zeigest, wird für dich sein Gut und sein Leben opfern. Nimm diese Gabe, aber vertraue sie keinem andern an, denn sie ist für dich allein bestimmt! Und nun lebe wohl, und vergiß nie diejenigen, welche dich lieben!«
Er umarmte mich, stieg dann schnell auf sein Pferd und ritt, ohne sich umzusehen, von dannen. Es war mir, als sei ein Stück meines Herzens mit ihm davon gegangen. Es war ein großes, ein sehr großes Geschenk, das mir der Mir Scheik Khan durch ihn gemacht hatte. Wie viel ist über das Vorhandensein eines Melek Ta-us gestritten worden! Und hier hatte ich dieses rätselhafte Zeichen in meiner eignen Hand. Es war ein ganz ungewöhnliches Vertrauen, dessen mich der Khan würdigte, und es verstand sich ganz von selbst, daß ich mich der Figur nur im äußersten Notfalle bedienen würde.
Sie war aus Kupfer und stellte einen Vogel dar, der seine Schwingen zum Fluge entfaltete, und auf dem unteren Teile zeigte sich das Kurmangdschi-Wort »Hemdscher«, d¨ i¨ Freund oder Genosse, eingegraben. Eine seidene Schnur diente dazu, sie um den Hals zu befestigen.
Die Badinan wollten uns eine Strecke weit das Geleit geben; ich mußte es gestatten, machte aber die Bedingung, daß sie bei ihrem Dorfe Kalahoni umkehren sollten. Dieses liegt vier Stunden von Scheik Adi entfernt. Seine Häuser waren fast ausnahmslos aus Stein gebaut und hingen wie riesige Vogelnester zwischen den Weingärten hoch über dem Flußbette des Gomel. Sie erhielten ein sehr durables Aussehen durch die riesigen Steinblöcke, welche als Oberschwellen der Türen und als Ecken des Gebäudes dienten.
Hier wurde Ade gesagt, dann ritten wir zu vieren weiter.
Auf einem sehr steilen Wege, der unsern Tieren große Beschwerden bereitete, erreichten wir das kleine Dörfchen Bebozi, das auf dem Gipfel einer bedeutenden Höhe liegt. Es gibt hier eine katholische Kirche, denn die Einwohner gehören zu den Chaldäern, die bekehrt worden sind. Wir wurden von ihnen sehr freundlich aufgenommen und erhielten unentgeltlich Trank und Speise. Sie wollten mir einen Führer mitgeben; da ich dies aber ablehnte, so wurde mir der Weg zum nächsten Orte so genau beschrieben, daß wir ihn gar nicht verfehlen konnten.
Er führte uns zunächst längs der Höhe hin durch einen Wald von Zwergeichen und stieg dann in das Tal hinab, in welchem Cheloki liegt. In diesem Orte machten wir einen kurzen Halt, und ich nahm den Baschi-Bozuk vor:
»Buluk Emini, höre, was ich dir sage!«
»Ich höre es, Emir!«
»Der Mutessarif von Mossul hat dir den Befehl gegeben, für alles zu sorgen, was ich brauchen werde. Du hast mir bisher noch keinen Nutzen gebracht; von heute an aber wirst du deines Amtes warten.«
»Was soll ich tun, Effendi?«
»Wir werden diese Nacht in Spandareh bleiben. Du reitest voraus und trägst Sorge, daß bei meiner Ankunft alles für mich bereitet ist. Hast du mich verstanden?«
»Sehr gut, Emir!« antwortete er mit amtlicher Würde. »Ich werde eilen, und wenn du kommst, wird dich das ganze Dorf mit Jubel empfangen.«
Er stieß seinem Esel die Fersen in die Seiten und trollte von dannen.
Von Cheloki bis hinüber nach Spandareh ist nicht weit, aber doch brach die Nacht bereits herein, als wir dieses große Kurdendorf erreichten. Es hat seinen Namen von der großen Anzahl von Pappeln, die dort vorkommen; denn Spidar, Spindar und auch Spandar heißt im Kurmangdschi die Weißpappel. Wir fragten nach der Wohnung des Kiajah, erhielten aber statt einer Antwort nur grimmige Blicke.
Ich hatte meine Frage türkisch ausgesprochen; jetzt wiederholte ich sie kurdisch, indem ich nach dem Malkoegund, welches Dorfältester bedeutet, fragte. Dies machte die Leute augenblicklich willfähriger. Wir wurden vor ein größeres Haus geführt, wo wir abstiegen und eintraten. In einem der Räume wurde ein sehr lautes Gespräch geführt, das wir sehr deutlich hören konnten. Ich blieb stehen und horchte.
»Wer bist du, du Hund, du Feigling?« rief eine zornige Stimme. »Ein Baschi-Bozuk bist du, der auf einem Esel reitet. Das ist für dich eine Ehre, für den Esel aber eine Schande; denn er trägt einen Kerl, der dümmer ist, als er. Und du kommst herbei, mich hier zu vertreiben!«
»Wer bist denn du, he?« antwortete die Stimme meines tapfern Ifra. »Du bist ein Arnaute, ein Gurgelabschneider, ein Spitzbube! Dein Maul sieht aus wie das Maul eines Frosches; deine Augen sind Krötenaugen; deine Nase gleicht einer Gurke, und deine Stimme klingt wie das Schreien einer Wachtel! Ich bin ein Buluk Emini des Großherrn; was aber bist denn du? Ein Khawaß, ein einfacher Khawaß, weiter nichts.«
»Mensch, ich drehe dir das Gesicht auf den Rücken, wenn du nicht schweigest! Was geht dich meine Nase an? Du hast gar keine! Du sagst, dein Gebieter sei ein sehr großer Effendi, ein Emir, ein Scheik des Abendlandes? Man darf nur dich betrachten, dann weiß man, wer er ist! Und du kommst, mich hier fortzujagen?«
»Und wer ist denn dein Gebieter? Auch ein großer Effendi aus dem Abendlande, sagst du? Ich aber sage dir, daß es im ganzen Abendlande nur einen einzigen großen Effendi gibt, und das ist mein Herr. Merke dir das!«
»Höre,« begann eine dritte Stimme sehr ernst und ruhig; »ihr habt mir zwei Effendi angemeldet. Der eine hat eine Schrift vom Onsul[19] der Franken, die vom Mutessarif unterzeichnet worden ist; das gilt. Der andere aber ist im Giölgeda padischahnün; er hat Schriften vom Onsul, vom Großherrn, vom Mutessarif und hat auch das Recht auf den Disch-parassi; das gilt noch mehr. Dieser letztere wird hier bei mir wohnen; für den anderen aber werde ich eine Schlafstätte in einem andern Hause bereiten lassen. Der eine wird alles umsonst erhalten; der andere aber wird alles bezahlen.«
»Das leide ich nicht!« klang die Stimme des Arnauten. »Was dem einen geschieht, das wird dem andern auch geschehen!«
»Höre, ich bin hier Nezanum[20] und Gebieter; was ich sage, das gilt, und kein Fremder hat mir Vorschriften zu machen. Söjle-dim – ich habe gesprochen!«
Jetzt öffnete ich die Tür und trat mit Mohammed Emin ein.
»Ivari ‚l kher – guten Abend!« grüßte ich. »Du bist der Herr von Spandareh?«
»Ich bin es,« antwortete der Dorfälteste.
Ich deutete auf den Buluk Emini.
»Dieser Mann ist mein Diener. Ich habe ihn zu dir gesandt, um mir deine Gastfreundschaft zu erbitten. Was hast du beschlossen?«
»Du bist der, welcher unter dem Schutze des Großherrn steht und das Anrecht auf den Disch-parassi hat?«
»Ich bin es.«
»Und dieser Mann ist dein Begleiter?«
»Mein Freund und Gefährte.«
»Habt ihr viele Leute bei euch?«
»Diesen Buluk Emini und noch einen Diener.«
»Ser sere men at – Ihr seid mir willkommen!« Er erhob sich von seinem Sitze und reichte uns die Hand entgegen. »Setzt euch nieder an mein Feuer, und laßt es euch in meinem Hause gefallen! Ihr sollt ein Zimmer bekommen, wie es euer würdig ist. Wie hoch schätzest du deinen Disch-parassi?«
»Für uns beide und den Diener sei er dir geschenkt, aber diesem Baschi-Bozuk wirst du fünf Piaster[21] geben. Er ist der Beauftragte des Mutessarif, und ich habe nicht das Recht, ihm das Seinige zu entziehen.«
»Herr, du bist nachsichtig und gütig; ich danke dir. Es soll dir nichts mangeln an dem, was zu deinem Wohle gehört. Doch erlaube, daß ich mich eine kleine Weile mit diesem Khawassen entferne!«
Er meinte den Arnauten. Dieser hatte uns sehr finster zugehört; jetzt nun zürnte er:
»Ich gehe nicht fort; ich verlange das gleiche Recht für meinen Herrn!«
»So bleibe!« meinte der Nezanum einfach. »Wenn aber dein Gebieter keine Wohnung findet, so ist es deine Schuld.«
»Was sind diese beiden Männer, welche sagen, daß sie unter dem Schutze des Großherrn stehen? Araber sind es, welche in der Wüste rauben und stehlen und hier in den Bergen die Herren spielen – – —«
»Hadschi Halef!« rief ich laut.
Der kleine Diener trat ein.
»Halef, dieser Khawaß wagt es, uns zu schmähen; wenn er noch ein einziges Wort sagt, welches mir nicht gefällt, so gebe ich ihn in deine Hand!«
Der Arnaut, der bis unter die Zähne bewaffnet war, blickte mit offenbarer Verachtung auf Halef herab.
»Vor diesem Zwerge soll ich mich fürchten, ich, der ich —«
Er konnte nicht weiter sprechen, denn er lag bereits am Boden, und mein kleiner Hadschi kniete über ihm, in der Rechten den Dolch zückend und die Linke um seinen Hals klammernd.
»Soll ich, Sihdi?«
»Es ist einstweilen genug; aber sage ihm, daß er verloren ist, wenn er noch eine feindselige Miene macht!«
Halef ließ ihn los, und er erhob sich. Seine Augen blitzten in zorniger Tücke, aber er wagte doch nichts zu unternehmen.
»Komm!« gebot er dem Dorfältesten.
»Du willst dir die Wohnung anweisen lassen?« fragte dieser.
»Ja, einstweilen. Wenn aber mein Herr angekommen ist, dann werde ich ihn herbeisenden, und es wird sich entscheiden, wer in deinem Hause schläft. Er wird auch richten zwischen mir und diesem Diener der beiden Araber!«
Sie gingen miteinander fort. Während der Abwesenheit des Nezanum leistete uns einer seiner Söhne Gesellschaft, und bald wurde uns gesagt, daß der Ort, an dem wir schlafen sollten, für uns bereitet sei.
Wir wurden in ein Gemach geführt, in welchem mittels Teppichen zwei weiche Lager bereitet waren; in der Mitte desselben aber hatte man das Abendessen serviert. Diese Schnelligkeit und das ganze Arrangement ließen vermuten, daß der Dorfälteste nicht zu den armen Bewohnern des Ortes zählte. Sein Sohn saß bei uns, nahm aber nicht teil am Mahle; es war dies eine Respektserweisung, auf welche wir uns etwas einbilden konnten. Die Frau und eine Tochter des Vorstehers bedienten uns.
Zunächst wurde uns Scherbet gereicht. Wir tranken ihn aus sehr hübschen Findschani ferfuri[22], hier in Kurdistan eine sehr große Seltenheit. Dann erhielten wir Valquapamasi, Weizenbrot in Honig gebraten, wozu der dazu gebotene Findika[23] allerdings nicht recht passen wollte. Nun folgte ein junger Vizihn[24] mit Reisklößen, die in seiner Brühe schwammen, dazu Bera asch[25], die ihrem Namen vollständig entsprachen. Zwei kleine Braten, welche die Fortsetzung bildeten, kamen mir recht appetitlich vor. Sie waren recht schön »knusperig« gebräunt; ich hielt sie unbedingt für Tauben. Sie waren wirklich delikat, hatten aber doch einen Geschmack, der mir etwas fremd erschien.
»Ist dies Kewuk[26]?« fragte ich den jungen Mann.
»Nein. Es ist Bartschemik[27],« antwortete er.
Hm! Eine recht hübsche gastronomische Ueberraschung! Jetzt trat der Vorsteher herein. Auf meine Einladung setzte er sich zu uns nieder und nahm teil an dem Mahle, in dessen ganzem Verlaufe auf einer blechernen Platte duftendes Mastix brannte. Jetzt, da der Hausherr zugegen war, wurde die Hauptschüssel aufgetragen. Sie enthielt Quapameh, Hammelbraten in saurer Sahne gebacken, und dazu wurde Reis gegeben, der mit Zwiebeln abgesotten war. Als wir zur Genüge davon gekostet hatten, winkte der Vorsteher. Man brachte eine zugedeckte Schüssel, die er mit sehr wichtiger Miene in Empfang nahm.
»Rate, was das ist!« bat er mich.
»Zeige es!«
»Das ist ein Gericht, welches du nicht kennst. Es ist nur in Kurdistan zu haben, wo es starke und mutige Männer gibt.«
»Du machst mich neugierig!«
»Wer es genießt, dessen Kräfte verdoppeln sich, und er fürchtet sich vor keinem Feinde mehr. Rieche einmal!«
Er öffnete den Deckel ein wenig und ließ mich den Duft kosten.
»Diesen Braten gibt es nur in Kurdistan?« fragte ich.
»Ja.«
»Du irrst; denn ich habe dasselbe Fleisch bereits sehr viele Male gegessen.«
»Wo?«
»Bei den Urus und den andern Völkern, besonders aber in einem Lande, das Amerika genannt wird. Dort wächst das Tier viel größer und ist auch viel wilder und gefährlicher, als bei euch.«
»Du bist es, der sich irrt; denn nur hier in Kurdistan lebt dieses Tier.«
»Ich bin noch nie in Kurdistan gewesen und erkenne dieses Fleisch doch bereits am Geruche; also muß ich es auch schon in andern Ländern gegessen haben.«
»Was ist es für ein Tier?«
»Es ist Bär. Habe ich recht?«
»Ja wirklich, du kennst es!« rief er erstaunt.
»Ich kenne es noch besser als du meinst. Ich habe noch nicht in diese Schüssel geblickt und wette dennoch mit dir, daß das Fleisch die Tatze vom Bären ist!«
»Du hast es erraten! Nimm, und iß!«
Nun ging es an das Erzählen von Jagdgeschichten. Der Bär ist in Kurdistan allerdings sehr häufig anzutreffen, aber bei weitem nicht so gefährlich, wie der große graue Petz von Nordamerika. Zu den gedämpften Bärentatzen gab es ein dickes Mus von gedörrten Birnen und Pflaumen, dem ein gepanzertes Gericht folgte, nämlich gesottene Krebse, zu denen eine Zuspeise gereicht wurde, die mir sehr kompliziert erschien. Ich erlaubte mir, mich zu erkundigen, und die Frau des Vorstehers gab mir bereitwillig Auskunft:
»Nimm Kürbisse und koche sie zu Brei,« meinte sie. »Tue Zucker und Butter dazu, rühre klaren Käse und geschnittenen Knoblauch hinein und füge zerdrückte Maulbeeren und weich gequollene Kerne von Sonnenblumen hinzu. Dann hast du diese Speise, welcher keine andere gleich kommt!«
Ich kostete diese unvergleichliche Mischung von Kürbis und Sonnenblume, Käse und Zucker, Butter, Maulbeeren und Knoblauch und fand, daß der Geschmack derselben nicht so schlimm war, wie der Klang der Ingredienzien. Den Schluß des Mahles bildeten getrocknete Aepfel und Weintrauben, zu denen ein Schluck Raki getrunken wurde. Dann kamen die Tabakspfeifen zu ihrem Rechte.
Während wir den starken, rauhen und nur wenig fermentierten Tabak von Kelekowa in Brand steckten, ließ sich unten ein lautes Gespräch vernehmen. Der Vorsteher ging hinaus, um nach der Veranlassung desselben zu sehen, und da er den Eingang offen ließ, konnten wir jedes Wort vernehmen.
»Wer ist da?« fragte er.
»Was will er?« hörte ich eine andere Stimme in englischer Sprache fragen.
»Er fragt, wer da ist,« antwortete ein dritter, gleichfalls englisch.
»Was heißt türkisch: ich?«
»Ben.«
»Well! Ben!!!« rief es dann zum Wirte herauf.
»Ben?« fragte dieser. »Wie ist dein Name?«
»Was will er?« fragte dieselbe klappernde Stimme, die mir so außerordentlich bekannt war, daß ich vor Verwunderung über die Anwesenheit dieses Mannes aufgesprungen war.
»Er fragt, wie Sie heißen.«
»Sir David Lindsay!« rief er herauf.
Im nächsten Augenblicke stand ich unten neben ihm im Flur. Ja, da lehnte er vor mir, beleuchtet vom Feuer des Herdes. Das war der hohe, graue Zylinderhut, der lange, dünne Kopf, der breite Mund, die Sierra-Morena-Nase, der bloße, dürre Hals, der breite Hemdkragen, der graukarierte Schlips, die graukarierte Weste, der graukarierte Rock, die graukarierte Hose, die graukarierten Gamaschen und die staubgrauen Stiefel. Und wahrhaftig, da in der Rechten trug er die berühmte Hacke, welche die edle Bestimmung hatte, Fowling-bulls und andere Altertümer zu insultieren!
»Master Lindsay!« rief ich aus.
»Well! Ah, wer sein? Oh – ah – Ihr seid es?!«
Er riß die Augen auf und den Mund noch viel mehr und staunte mich mit den genannten Organen wie einen Menschen an, der vom Tode erstanden ist.
»Wie kommt Ihr nach Spandareh, Sir?« fragte ich, beinahe ebenso erstaunt, wie er.
»Ich? Well! Geritten!«
»Natürlich! Aber was sucht Ihr hier?«
»Ich? Oh! Hm! Euch und Fowling-bulls!«
»Mich?«
»Yes! Werde erzählen. Vorher aber zanken!«
»Mit wem?«
»Mit Mayor, mit Bürgermeister vom Dorf. Schauderhafter Kerl!«
»Warum?«
»Will nicht haben Englishman, will haben Araber! Miserabel! Wo ist Kerl, he?!«
»Hier steht er,« antwortete ich, auf den Aeltesten zeigend, der unterdessen herbeigetreten war.
»Ihm zanken, räsonnieren!« gebot Lindsay dem Dolmetscher, welcher neben ihm stand. »Mach Quarrel, mach Scold, sehr laut, viel!«
»Erlaubt, Sir, daß ich dies übernehme,« meinte ich. »Die beiden Araber, über welche Ihr Euch ärgert, werden Euch nicht im Wege sein. Sie sind Eure besten Freunde.«
»Ah! Wo sind?«
»Der eine bin ich, und der andere ist Mohammed Emin.«
»Moh – – – ah! Emin – – ah! Wo ist?«
»Droben. Kommt mit herauf!«
»Well! Ah, ganz außerordentlich, immense, unbegreiflich!« Ich schob ihn ohne Umstände die schmale Stiege empor und wies sowohl den Dolmetscher als auch den Arnauten, die uns folgen wollten, zurück. Bei den kurdischen Damen erregte das Erscheinen der langen, graukarierten Gestalt ein gelindes Entsetzen; sie zogen sich in die entfernteste Ecke zurück. Mohammed Emin aber, der sonst so ernsthafte Mann, lachte laut, als er den dunklen Krater erblickte, den der offene Mund des erstaunten Engländers bildete.
»Ah! Good day, Master Mohammed! How do you do – wie befinden Sie sich?«
»Maschallah! Wie kommt der Inglis hierher?« fragte dieser.
»Wir werden es erfahren.«
»Kennst du diesen Mann?« fragte mich der Herr des Hauses.
»Ich kenne ihn. Er ist derselbe Fremdling, welcher seinen Khawaß vorhin sandte, um bei dir zu bleiben. Er ist mein Freund. Hast du eine Wohnung für ihn besorgt?«
»Wenn er dein Freund ist, so soll er in meinem Hause bleiben,« lautete die Antwort.
»Hast du Raum für so viele Leute?«
»Für Gäste, welche willkommen sind, ist immer Raum vorhanden. Er mag Platz nehmen und ein Mahl genießen!«
»Setzt euch, Sir,« sagte ich also zu Lindsay, »Und laßt uns wissen, was Euch auf den Gedanken gebracht hat, die Weidegründe der Haddedihn zu verlassen und nach Spandareh zu kommen!«
»Well! Aber erst versorgen.«
»Was?«
»Diener.«
»Die mögen für sich selbst sorgen, denn dazu sind sie da.«
»Pferde.«
»Die werden von den Dienern versorgt. Also, Master?«
»Hm! War tedious, fürchterlich langweilig!«
»Habt Ihr nicht gegraben?«
»Viel, sehr viel.«
»Und etwas gefunden?«
»Nothing, nichts, gar nichts! Fürchterlich!«
»Weiter!«
»Sehnsucht, schreckliche Sehnsucht!«
»Wonach?«
»Hm! Euch, Sir!«
Ich lachte.
»Also aus Sehnsucht nach mir!«
»Well, very well, yes! Fowling-bulls nicht finden, Ihr nicht da – ich fort.«
»Aber, Sir, wir hatten doch bestimmt, daß Ihr bis nach unserer Rückkehr bleiben solltet!«
»Keine Geduld, nicht aushalten!«
»Es gab doch Unterhaltung genug!«
»Mit Arabern? Pshaw! Mich nicht verstehen!«
»Ihr hattet einen Dolmetscher!«
»Fort, weg, ausgerissen.«
»Ah! Der Grieche, dieser Kolettis ist entflohen? Er war doch verwundet!«
»Loch im Bein, wieder gewachsen. Halunke frühmorgens weg!«
»Dann allerdings konntet Ihr Euch nicht gut verständlich machen. Wie aber habt Ihr mich gefunden?«
»Wußte, daß Ihr nach Amadijah wolltet. Ging nach Mossul. Konsul gab Paß; Gouverneur unterschrieb Paß, gab Dolmetscher mit und Khawaß. Ging nach Dohuk.«
»Nach Dohuk? Warum diesen Umweg?«
»War Krieg mit Teufelsmännern; konnte nicht durch. Von Dohuk nach Duliah und von Duliah nach Mungayschi. Dann hierher. Well! Euch finden. Sehr gut, prachtvoll!«
»Aber nun?«
»Zusammenbleiben, Abenteuer machen, ausgraben! Fowling-bulls schicken, Traveller-Klub, London, yes!«
»Schön, Master Lindsay! Aber wir haben jetzt andere Dinge zu tun.«
»Was?«
»Ihr kennt doch den Grund, welcher uns nach Amadijah führt!«
»Kenne ihn. Schöner Grund, tapferer Grund, Abenteuer! Master Amad el Ghandur holen. Werde ihn mit holen!«
»Ich glaube, daß Ihr uns nicht viel Nutzen bringen würdet.«
»Nicht! Warum?«
»Ihr versteht ja nur englisch.«
»Habe Dolmetscher!«
»Wollt Ihr ihn mit in das Geheimnis ziehen? Oder habt Ihr vielleicht gar bereits davon gesprochen?«
»Kein Wort!«
»Das ist gut, Sir, sonst wären wir ungemein gefährdet. Ich muß Euch offen gestehen, daß ich gewünscht habe, Euch erst später wiederzusehen.«
»Ihr? Mich? Well, ab! Habe geglaubt, daß Ihr Freund von mir! Das aber nicht, folglich ab! Reise nach – nach – nach – – —«
»Ins Pfefferland, sonst nirgends wo anders hin! Es versteht sich ganz von selbst, daß Ihr mein Freund seid, und ebenso bin ich der Eurige; aber Ihr müßt doch einsehen, daß Ihr uns Schaden bringt!«
»Schaden? Warum?«
»Ihr fallt zu sehr auf!«
»Well, nicht mehr auffallen! Was muß ich tun?«
»Hm, das ist eine höchst unangenehme Affaire! Zurück schicken kann ich Euch nicht; hier lassen kann ich Euch nicht; ich muß Euch mitnehmen; wahrhaftig, es geht nicht anders!«
»Schön, sehr schön!«
»Aber Ihr müßt Euch nach uns richten.«
»Richten? Well, werde es!«
»Ihr jagt Euern Dolmetscher und auch den Khawaß fort.«
»Müssen fort, zum Teufel, yes!«
»Auch diese Kleidung muß fort!«
»Fort? Ah! Wohin?«
»Weg, ganz weg. Ihr müßt wie ein Türke oder wie ein Kurde gehen.«
Er sah mich mit einem unbeschreiblichen Blicke an, grad so, als ob ich ihm zugemutet hätte, sich selbst aufzuspeisen. Seine Mundstellung wäre dazu wohl nicht ungeeignet gewesen.
»Wie ein Türke? Wie ein Kurde! Horribel, schauderhaft.«
»Es geht nicht anders!«
»Was anziehen?«
»Türkische Pumphosen oder schwarzrote kurdische Beinkleider.«
»Schwarzrot! Ah, schön, sehr gut! Schwarz und rot kariert!«