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Im Lande des Mahdi II
»Das ist doch kein Verbrechen?«
»Nun, dann Menschenraub!«
»Sklaven, überhaupt Schwarze, sind keine eigentlichen Menschen. Du wirst diese Männer also frei lassen!«
Der Mann war wohl etwas über dreißig Jahre alt, hager und trug einen dunkeln, nicht sehr dichten Vollbart. Sein Gewand war weiß gewesen, jetzt aber nicht mehr von allzu reinlichem Aussehen. Der Ausdruck seines Gesichtes war streng, düster asketisch. Er stand gerade und stolz aufgerichtet vor mir, und seine Augen blickten mich fast drohend an, als ob er und nicht ich es sei, der zu befehlen hatte. Ich ahnte nicht, daß dieser Mann später als Mahdi eine so hervorragende Rolle spielen werde.
»Werde ich?« fragte ich ihn. »So! Mit welchem Recht und aus welchem Grunde erwartest du denn, daß ich dies thun werde?«
»Weil ich es sage, der Fakir el Fukara.«
»Schön! Und ich bin der Askari el Asaker und thue nur das, was mir beliebt.«
Fakir el Fukara ist Fakir der Fakire, also der beste, der vorzüglichste Fakir; darum nannte ich mich den Soldaten der Soldaten, also den vorzüglichsten Soldaten. Er schien diese Antwort nicht erwartet zu haben, denn er fragte:
»Kennst du mich denn nicht? Hast du noch nichts von dem Fakir el Fukara gehört?«
Indem er dies sagte, sah ich, daß er mit dem alten, »ehrwürdigen« Fakir, welcher gebunden am Boden lag, einen Blick des Einverständnisses wechselte. Sie kannten sich also, und so antwortete ich:
»Nein; aber meine Gefangenen kennen dich.«
»Woher weißt du das?«
»Du selbst hast es mir gesagt.«
»Ich weiß nichts davon. Wann denn?«
»Eben jetzt. Dein Auge sagte es mir. Du gabst diesem alten Abd Asl ein Versprechen, welches du nicht halten kannst.«
»Ich werde es halten. Frage deine Gefangenen, so werden sie dir sagen, daß ich mächtig bin und sehr wohl weiß, daß ich ein Versprechen, welches ich gegeben habe, auch zu halten weiß.«
»Frage sie vorher nach mir, so werden sie dir wohl mitteilen, daß in diesem Augenblicke ich es bin, der die Macht in den Händen hat. Wer und was du bist, das ist mir sehr gleichgültig. Ich stehe hier an Stelle des Reïs Effendina, also an Stelle des Khedive. Das wird dir genügen.«
»Das genügt mir keineswegs, sondern bringt eine ganz andere Wirkung hervor, als du beabsichtigt hast. Der Vizekönig ist ebenso wie der Reïs Effendina in meinen Augen nichts, und es fällt mir nicht ein, mich nach ihnen zu richten.«
Jetzt kannte ich seine Verhältnisse nicht; später erfuhr ich freilich, weshalb er sich dieses unehrerbietigen, ja geringschätzenden Ausdruckes bedient hatte. Für einige Zeit Steuerbeamter gewesen, hatte er sich gezwungen gesehen, sein Amt niederzulegen, und war Sklavenhändler geworden. Das wußte ich jetzt freilich nicht, antwortete ihm aber doch mit überlegenem Lächeln:
»Du wirst dich aber dennoch nach ihnen richten, indem du dich nach mir richtest, der ich ihre Befehle auszuführen habe.«
»Du wirst sogleich sehen, wie ich diese Befehle achte.«
Er zog sein Messer und bückte sich zu Abd Asl nieder.
»Halt!« gebot ich ihm. »Was willst du thun?«
»Diesen meinen Freund von seinen Fesseln befreien.«
»Das erlaube ich nicht.«
»Was frage ich nach deiner Erlaubnis!«
Er legte das Messer an den Riemen; ich aber legte auch, nämlich beide Hände von hinten und oben an seine Hüften, hob ihn aus seiner gebückten Haltung empor und warf ihn mehrere Schritte weit über die Gruppe der Gefangenen, bei denen Abd Asl lag, hinüber. Er hatte sein Messer festgehalten, raffte sich rasch wieder auf, erhob die Hand zum Stoße und drang auf mich mit den Worten ein:
»Du wagst, dich an dem Fakir el Fukara zu vergreifen? Da, nimm!«
Es fiel mir gar nicht ein, mich einer Waffe zu bedienen. Auch keinem der Asaker kam es bei, mir beizuspringen; nur Ben Nil fuhr mit der Hand in den Gürtel, blieb aber an seinem Platze stehen; sie wußten, daß ich mit dem Angreifer fertig werden würde. Ich gab ihm mit der Faust von unten her einen Stoß in die Achselhöhle des erhobenen Armes, und diese Parade war so kräftig, daß sie ihn aushob und wieder zu Boden warf. Jetzt zog ich den Revolver; als er wieder aufsprang, um mich von neuem anzugreifen, hielt ich ihm denselben entgegen und rief:
»Noch einen Schritt weiter, und ich schieße dich nieder!«
»Bleib stehen, sonst schießt er wirklich, denn er ist ein Giaur!« warnte ihn Abd Asl.
Der Fakir el Fukara zog den bereits erhobenen Fuß wieder zurück, ob aus Furcht vor meiner Waffe oder aus Betroffenheit darüber, mich einen Giaur nennen zu hören, das weiß ich nicht – wohl aus beiden Gründen zugleich, und fragte:
»Ein Giaur? Er ist kein Moslem?«
»Nein, sondern ein christlicher Effendi,« antwortete der Alte.
»Und dieser Hund wagt es, mich – —«
Im Nu stand Ben Nil mit der erhobenen Peitsche hinter ihm und fragte mich.
»Effendi, soll ich ihm die Haut in Streifen schlagen, da er dir den Namen eines verachteten Tieres giebt?«
»Dies eine Mal soll ihm verziehen sein, weil er in der Aufregung gesprochen hat,« antwortete ich. »Wenn er mich aber noch ein einziges Mal beleidigt, so erhält er die Bastonnade, daß er hier liegen bleiben und elend verkommen muß!«
»Allah! Mir die Bastonnade!« knirschte der Mann. »Von einem Christen! Welch ein Frevel, welch eine Kühnheit!«
»Von Kühnheit kann dir gegenüber keine Rede sein,« lachte ich ihm in das Gesicht. »Ich würde mich nicht fürchten, wenn ich zehn Personen deinesgleichen gegenüber stände; hier aber bist du allein und hast außer mir noch zwanzig Asaker gegen dich.«
»Aber sie sind doch Moslemin?!«
»Das sind sie allerdings.«
»So müssen sie doch für mich und nicht für dich sein! Wie kann ein Moslem dulden, daß einem andern Rechtgläubigen von einem Christen mit der Bastonnade gedroht wird, ja, daß dieser sich sogar an ihm vergreift und ihn zu Boden wirft?«
Da stellte sich Ben Nil vor ihn hin und antwortete an meiner Stelle:
»Höre, wir haben diesen unsern Effendi von Herzen lieb und sind bereit, für ihn gegen jedermann zu kämpfen. Zehn und hundert Fakire el Fukara wiegen ihn in unserer Achtung nicht auf, und ich sage dir, daß du nicht der erste wärst, der, weil er ihn beleidigte, die Peitsche bekommen hat. Nimm dich also sehr in acht! Die Bastonnade schwebt über deinem Haupte, und bei Allah, wenn du deinen Mund nicht hütest, senkt sie sich augenblicklich auf dich nieder!«
»Knabe!« fuhr ihn der Fakir an. »Hüte du selbst deine Zunge! Was bist du und was sind zwanzig Asaker gegen die Anhänger, welche zu mir eilen, wenn ich meine Stimme erhebe!«
»Erhebe Sie! Wir werden sehen, ob der Wald lebendig wird!«
»Das darfst zu sagen, weil ich heute niemand bei mir habe; später aber kann ich euch zerquetschen, wie man Würmer mit dem Fuße zertritt!«
Die Soldaten ließen ein zorniges Murmeln hören; er aber kehrte sich nicht daran und fuhr fort:
»Indem ihr einem Christen gegen diese Moslemin dient, verleugnet ihr den Propheten. Habt ihr ein Recht, diese Rechtgläubigen gefangen zu halten? Wenn sie Sklaven gefangen haben, wo steht denn im Kuran, daß der Sklavenhandel verboten ist?«
Seine Absicht war, die Asaker gegen mich aufzuwiegeln, und er glaubte vielleicht, daß ihm dies gelingen werde. Ich hatte gar nicht nötig, ihn durch Zwischenreden in der Ausführung dieses Vorhabens zu hindern, denn Ben Nil, welcher das Wort nun einmal für die andern ergriffen hatte, antwortete ihm:
»Du kennst die Lage der Sache nicht. Ibn Asl, der Sohn dieses alten Fakirs, hat die Beni Fessarah überfallen, viele von ihnen getötet und die jungen Frauen und Töchter davongeführt, um sie in die Sklaverei zu verkaufen. Wir aber haben sie ihm abgenommen und wieder in ihre Heimat geleitet. Aus Zorn und Rache darüber hat er uns seinen Vater mit diesen Männern entgegengesandt. Sie sollten uns hier auflauern und ermorden; dem Effendi aber sollten die Zunge und auch die Hände abgeschnitten werden. Ist es erlaubt, Rechtgläubige zu rauben und zu Sklaven zu machen?«
»Nein,« gestand der Fakir.
»Sind die Beni Fessarah Rechtgläubige oder Giaurs?«
»Rechtgläubige.«
»So hat sich Ibn Asl also einer Todsünde schuldig gemacht, und diese Menschen hier sind seine Mitschuldigen. Sie müssen dafür bestraft werden, gar nicht davon zu sprechen, daß sie Mörder sind, da sie das beabsichtigten, was ich dir mitgeteilt habe.«
Diese Mitteilung des Jünglings verfehlte ihren Eindruck nicht. Der Fakir el Fukara wendete sich an den alten Fakir Abd Asl und fragte:
»Ist das wirklich so, wie ich es jetzt gehört habe?«
»Man mag uns beweisen, daß wir diese Asaker töten wollten,« antwortete der Gefragte. »Es ist eine schändliche Lüge!«
»Leugne es nicht!« herrschte ich ihn an. »Ich habe es mit meinen Ohren gehört. Ich lag, um euch auszukundschaften, hinter dem Gesträuch, vor welchem du mit deinem angeblichen Dschelabi im Gespräch saßest.«
»Du hast dich geirrt,« meinte der Fakir el Fukara zu mir.
Ach habe richtig gehört, und es sind auch noch andere Beweise vorhanden.«
»Welche? Ich muß sie hören.«
»Du mußt? Wer hat dich zum Richter über mich gesetzt? Ich muß bloß das, was ich will, und meinen Willen werde ich dir sofort mitteilen. Ich will nämlich, daß du dich nicht weiter um diese Angelegenheit bekümmerst. Du hast dir in derselben die Hände schon so verbrannt, daß ich dir rate, dich vom Feuer fern zu halten. Du bist hier, ohne mich zu kennen, aufgetreten wie ein Gebieter. Ziehe deines Weges weiter oder lagere dich zu uns an den Brunnen, mir ist beides recht; aber sobald du fortfährst, dich in meine Obliegenheiten zu mischen, werde ich dir beweisen, daß ich infolge meiner Vollmachten der augenblickliche Gebieter an diesem Brunnen bin.«
»Wie willst du das beweisen?«
»Indem ich dich nicht länger dulde, sondern dich fortjage. Und nun kein weiteres Wort darüber! Tritt zurück! Du magst bei den Asakern lagern, bei den Gefangenen aber hast du nichts zu schaffen.«
Er sah es mir wohl an, daß ich Widerspruch nun wirklich nicht mehr dulden würde, und gehorchte; aber der Ingrimm lag wie eine wetterdrohende Wolke auf seinem Gesichte. Er sattelte sein Kamel ab und ließ es laufen, damit es weiden möge. Dann holte er sich Mundvorrat und einen Schöpfbecher aus der Satteltasche und ließ sich an dem Wasser nieder, um sein Abendbrot zu sich zu nehmen. Vorher aber holte er sein Abendgebet nach, welches er versäumt hatte, da zwischen seiner Ankunft und jetzt die Sonne untergegangen und also die Zeit des Mogreb, des vorgeschriebenen ersten Abendgebetes unbenützt verflossen war. Auch die Asaker beteten, da sie die gleiche Versäumnis begangen hatten.
Es waren vier Feuer angebrannt worden. Auf dem Raume zwischen denselben lagen die Gefangenen in voller Beleuchtung, damit wir die Bewegungen jedes einzelnen von ihnen leicht sehen konnten, und um diese herum bildeten die Asaker eine Kette, welche wieder von unsern an den Vorderbeinen gefesselten und in einem Kreise liegenden Kamelen eingefaßt wurde.
Auch ich setzte mich an den Brunnen, um zu essen. Ben Nil und der Fessarah-Führer gesellten sich zu mir. Der Fakir el Fukara saß so wenig entfernt von uns, daß er unser Gespräch hören und verstehen konnte. Ich hatte keine Veranlassung, heimlich gegen ihn zu thun; er hätte sonst vielleicht gar geglaubt, ich scheue oder fürchte mich vor ihm. Ich vermutete, daß Ben Nil nun die Gelegenheit ergreifen werde, seine Forderung in Betreff des alten Abd Asl wieder vorzubringen, und richtig, kaum hatte ich den letzten Bissen in den Mund geschoben, so sagte er:
»Effendi, ich mußte die Mahlzeit ehren; nun du aber fertig bist, hoffe ich, daß ich sprechen darf. Du hast mir den alten Fakir versprochen.«
»So ganz endgültig, wie du zu meinen scheinst, doch wohl nicht.«
»Jawohl! Du wolltest etwas von ihm erfahren, und dann sollte ich ihn bestrafen dürfen.«
»Ich habe es aber noch nicht erfahren, und es hat noch Zeit.«
»Nein. Bedenke, daß du die Auskunft, welche du von ihm haben willst, zu spät bekommen könntest. Ich weiß, du willst nicht seinen Tod, und darum zögerst du.«
»Allah wird ihn strafen!«
»Ja, aber durch mich!«
»Sieh hin! Er ist ein Greis, ein schwacher, wehrloser Mann. Kannst du es über das Herz bringen, ihm das Messer in die Brust zu stoßen?«
»Er hat es über das Herz gebracht, dich und mich in den Brunnen einzusperren, damit wir untergehen sollten. Und heute wieder war er zu einem mehr als zwanzigfachen Mord bereit. Wenn du ihn begnadigst, versündigst du dich gegen Allah, der doch auch dein Gott ist.«
»Das ist richtig,« stimmte der Führer bei. »Auch ich schwebte in Todesgefahr, jeder der Asaker ebenso. Wir alle haben also das Recht, das Blut dieses Massenmörders zu fordern!«
»Richtig! So ist es! Ganz genau so!« ertönten da die zustimmenden Rufe der Asaker.
»Hörst du es, Effendi?« fragte der Führer. »Willst du uns allen unser gutes Recht verkümmern? Dann mußt du gewärtig sein, daß wir es uns nehmen.«
Daran hatte ich auch schon gedacht. Die Soldaten waren wütend auf die Gefangenen. Nur die Achtung, in welcher ich bei ihnen stand, hatte sie vermocht, meinem Befehle zu gehorchen und die Ueberrumpelten nur zu betäuben, anstatt sie zu töten. Ich konnte ihnen keine Garantie dafür bieten, daß die Schuldigen ihre Bestrafung in Chartum wirklich finden würden, und wenn sie gegen meinen Willen Rache nahmen, was konnte ich dagegen thun? Sie mit Gewalt, durch Drohungen abhalten? Da wäre es mit meiner Autorität sofort vorüber gewesen. Besser, ich opferte einen einzelnen, als daß viele unter den Rächerstreichen fielen, und dieser eine mußte natürlich der alte Fakir sein. Schon war ich halb entschlossen, ja zu sagen, da trat der älteste der Asaker zu mir heran und meldete:
»Effendi, ich bin von meinen Kameraden beauftragt worden, dir eine Bitte vorzulegen.«
»So sprich!«
»Sage vorher, ob wir dir gehorsam gewesen sind und ob du mit uns zufrieden bist!«
»Ich kann vor dem Reïs Effendina jedem einzelnen von euch ein gutes Zeugnis geben.«
»Ich danke dir! Ja, es ist wahr, daß wir stets thaten, was du fordertest, obgleich uns dein Wille sehr oft unbegreiflich war. Wir haben uns dann immer überzeugen müssen, daß du das Richtige getroffen hattest, und darum hast du dir unsere Ehrerbietung erworben. Einen Fehler aber haben wir an dir zu tadeln, wenn du uns das erlaubst. Du bist als Christ gegen unsere Feinde stets zu nachsichtig gewesen. Feinde muß man vernichten, um sich selbst zu erhalten. Ergreife ich heute meinen Todfeind und lasse ihn aus Barmherzigkeit wieder entwischen, so wird er morgen abermals über mich herfallen. Wir waren dem Tode geweiht; deine List und deine Umsicht haben uns gerettet; die Feinde sind in unsere Hand gegeben, aber du willst nicht, daß wir uns an ihnen vergreifen. Gut, wir gehorchen dir auch dieses Mal; wir wollen sie nach Chartum schaffen und dem Reïs Effendina übergeben; einer aber soll sterben, nämlich Abd Asl; darauf bestehen wir. Wir wollen uns nicht gegen dich erheben, aber wenn du uns diese kleine Bitte nicht erfüllst, kannst du nicht hindern, daß hier und da irgend ein Messer in irgend ein Herz gestoßen wird und viele von denen, welche zu retten willst, am Morgen nicht mehr am Leben sind. Entscheide dich!«
Das war allerdings energisch gesprochen! Was sollte ich antworten? War ich als Christ denn wirklich verpflichtet, Abd Asl, das Scheusal, du retten und dadurch viele andere in Gefahr zu bringen? Aber vielleicht konnte ich meinen Zweck durch List doch noch erreichen, indem ich mich auf das gute Herz Ben Nils verließ!
Nur so lange kein Blut, als ich noch zu befehlen hatte. Was später geschah, das kam nicht auf meine Seele zu liegen. Darum antwortete ich, scheinbar auf die Forderung eingehend:
»Du hast nach euren Anschauungen ganz verständig gesprochen, aber wie kann ich über das Leben des Fakirs verfügen, da es mir nicht mehr gehört? Ben Nil ist derjenige, welcher das erste Recht zur Rache hat.«
»Aber du willst es ihm doch verkümmern, wie wir hören?«
»Nein. Er soll sein Recht haben, wenn ihr einverstanden seid und auf das eurige verzichtet.«
»Dann sind wir ja sofort einverstanden, Effendi.«
»Ihr legt also das Leben des Fakirs in Ben Nils Hände?«
»Ja.«
»So sind wir einig. Sage das den andern!«
Der Askari entfernte sich befriedigt, und Ben Nil reichte mir die Hand, indem er sagte.
»Ich danke dir, Effendi! Nun wird dem Gesetze der Wüste Genüge geschehen und zu den Schandthaten dieses Ungeheuers keine neue kommen.«
»So gehe hin, und stoße ihm, dem gefesselten Greise, das Messer in die Brust! Das ist eines tapfern Mannes würdig!«
Er senkte den Kopf und blickte vor sich nieder; ich sah, er kämpfte mit sich selbst. Dann hob er den Kopf und fragte:
»Der Alte gehört also wirklich mir und ich kann mit ihm ganz nach meinem Wohlgefallen verfahren?«
»Ja.«
»Gut, so werde ich Rache nehmen.«
Er stand auf und zog sein Messer. Da sprang auch der Fakir el Fukara auf, hielt ihn beim Arme zurück und rief:
»Halt! Das würde ein Mord sein, den ich nicht zugeben darf!«
Ben Nil schüttelte den Mann mit einer Kraft, welche ich ihm gar nicht zugetraut hatte, von sich ab und antwortete:
»Schweig! Was hast du hier zu befehlen! Ich kehre mich an deine Worte ebensowenig wie an das Summen einer Mücke!«
»Schweig du selbst, du armseliger Knabe! Wenn es mir beliebt, zerdrücke ich dich zwischen meinen Händen!«
»Versuche es doch!«
Ben Nil hatte, wie bereits erwähnt, sein Messer gezogen, und der Fakir el Fukara riß auch das seinige hervor. Ich schnellte mich zwischen beide, riß dem letzteren die Waffe aus der Hand und gebot ihm:
»Zurück, sonst hast du es mit mir zu thun!«
»Du aber auch mit mir!« rief er wütend.
»Pah! Du hast ja schon gesehen, was du gegen mich vermagst.«
»Das war Zufall. Willst du etwa mehr Mut und Geschicklichkeit haben, als ich besitze? Ein Fakir el Fukara fürchtet keinen Feind, auch den stärksten nicht, es mag sein, wer es wolle!«
Eben wollte ich antworten, da erklang ein Ton in der Ferne, infolgedessen die Entgegnung mir auf der Zunge liegen blieb. Es klang wie das ferne Rollen des Donners und doch zugleich wie das Gähnen einer in der Nähe sich befindenden und aus dem Schlafe erwachenden Hyäne. Ich kannte diesen Ton; ich hatte ihn wiederholt in ähnlicher Lage gehört, und dann hatte es sich allemal um Leben oder Tod zwischen mir und dem Könige der Tiere gehandelt.
»Fürchtest du auch diesen Feind nicht?« fragte ich den Fakir, indem ich mit der Hand nach der Gegend deutete, aus welcher das Rollen erklungen war.
»Nein, überhaupt keinen.«
»Und bist du bereit, es mit ihm aufzunehmen?«
»Ja,« lachte er. »Ich mache aber die Bedingung, daß du mich zu ihm führst.«
»So komme! Ich führe dich.«
Ich nahm meine Büchse und sah nach der Ladung derselben.
»Welch ein Held du bist!« rief er höhnisch. »Mit einer Hyäne zu kämpfen!«
»Eine Hyäne? Bist du taub oder hast du die Stimme des Herrn mit dem dicken Kopfe noch nicht gehört?«
»Des Herrn mit dem dicken Kopfe? Du meinst den Löwen?«
»Wen sonst?«
»Es war eine Hyäne. Du selbst bist taub oder so furchtsam, daß du eine Hyäne für einen Löwen hältst. Und wenn es der Herdenwürger wäre, den wir hörten, ich würde ihm mit dir entgegen gehen, um dir zu beweisen, daß – —«
Er hielt inne. Das Rollen erklang von neuem, nicht viel deutlicher als zum erstenmal. Das war ein Beweis, daß das Tier sich nur langsam näherte. Aber etwas besser war es doch zu hören gewesen, denn die Kamele begannen zu schnauben, und der Fessarah-Führer rief voller Schreck:
»Allah kerihm – Gott sei uns gnädig! Das war wirklich ein Löwe, der große Löwe von EI Teitel. Er wird uns fressen und verschlingen.«
»Ja, er hat unsere Spur gefunden und auch diejenige dieses kühnen Fakir el Fukara; darum hat er zweimal gebrüllt,« antwortete ich. »Nun aber wird er schweigen und sich heimlich nähern, um sich einen von uns zur Speise zu holen.«
»Allah bewahre uns vor den Listen dieses geschwänzten Teufels!«
»Ah, du hast Angst! Wie steht es mit unserer Wette?«
»O, Effendi, diese Wette!«
»Du wolltest doch thun, was ich thue!«
»Ja, das werde ich auch,« antwortete er; aber ich sah die Visionsflinte in seinen Händen beben.
»So komm! Dem Löwen entgegen.«
»Bist du toll!«
»Nein. Wenn ich ihm entgegen gehe, finde und töte ich ihn. Bleibe ich aber hier, so ist ein Mensch verloren.«
»Aber doch nicht gerade du oder ich!«
»Einer wird unbedingt gefressen, welcher, das bleibt sich gleich.«
»Das bleibt sich gar nicht gleich! Ob ich gefressen werde oder ob er einen andern frißt, das ist für mich ein großer Unterschied. Ich bitte dich, doch hier zu bleiben! Wenn sich jeder hinter ein Kamel versteckt, sind wir sicher.«
»Der Löwe holt sein Opfer auch hinter dem Kamele vor. Ich gehe, und dieser vortreffliche Fakir el Fukara wird mich auch begleiten.«
»Ist es dein Ernst, Effendi?« fragte der Fakir.
»Du wolltest ja mit mir zum Löwen gehen! Oder sollte ich, was du so stolz bezweifeltest, wirklich doch mehr Mut und Geschicklichkeit besitzen als du? Prahlen kann jeder Feigling; aber ein Fakir el Fukara sollte doch – —«
»Schweig!« unterbrach er mich. »Ich gehe mit.«
»So komm! Und du, Ben Fessarah?«
»Ich bleibe,« antwortete der Führer.
»Das wußte ich. Mit dem großen Maule bist du tapfer; aber ich werde deine Visionsflinte gewinnen.«
»O Allah! O Muhammed! O Abu Bekr und Osman! Meine schöne, berühmte Visionsflinte,« jammerte er.
»Wenn du zurückbleibst, ist sie verloren!«
»So – so – – so gehe ich mit, Effendi, immer hinter dir her. Geh nur voran; ich komme, ich komme!«
Er zitterte am ganzen Leibe, kam aber doch hinterdrein, doch ganz genau hinter mir, damit der Löwe nicht ihn, sondern mich erwischen möge. Er dauerte mich, und ich hätte ihn gern zurückgewiesen; aber er hatte eine Strafe verdient; außerdem war ich überzeugt, daß er schon nach wenigen Schritten abhanden kommen werde.
»Mehr Holz in die Feuer, damit die Flammen hoch steigen!« gebot ich noch; dann hatte ich den Kreis der Menschen und Kamele hinter mir.
Von den Asakern und den Gefangenen war kein Laut zu hören. Die Angst machte sie verstummen. Sie drängten sich, um Schutz zu suchen, jeder eng hinter den Leib eines Kameles. Innerlich war ich wohl der ruhigste von allen. Wenn der Augenblick der Gefahr da ist, hat jede vorher etwa vorhandene Bangigkeit aufzuhören, sonst ist man verloren. Der Fakir el Fukara hatte wohl nicht geglaubt, daß seine Großsprecherei solche Folgen haben werde; er war überzeugt gewesen, es nur mit einer Hyäne zu thun zu haben. Nun trieb ihn die Angst, für einen Feigling gehalten zu werden, hinter mir drein. Der Fessarahführer hatte ihm Platz gemacht und bildete nun den letzten. Er sah, als wir die Lichtung vielleicht halb überschritten hatten, am Rande derselben eine Bewegung im Gebüsch, duckte sich entsetzt hinter einem einzelnen Busch, an welchem wir vorüber kamen, nieder und schrie:
»Dort ist er, dort! O Allah, o Gnädiger, o Barmherziger! Ich bleibe mutig hier. Lauft fort, um euch zu retten!«
Ja, wir sollten weiter gehen, um vom Löwen gesehen und angesprungen zu werden, während er »mutig« hinter dem Strauche versteckt lag!
Auch ich hatte die Bewegung, durch welche er so in Schreck versetzt worden war, bemerkt, doch konnte sie unmöglich von dem Löwen verursacht worden sein; darum rief ich dem Feiglinge zu:
»Komm nur weiter mit, sonst ist deine Flinte verloren! Du mußt doch thun, was ich thue!«
»Nein, nein; ich bleibe hier und schieße ihn über den Haufen. Lauft nur, lauft! Und schreit recht laut, damit er Angst vor euch bekommt!«
Er forderte uns jedenfalls nur aus dem Grunde zum Schreien auf, daß wir die Aufmerksamkeit des Löwen auf uns ziehen sollten. Dieser aber konnte noch nicht da sein. Als er zum erstenmal brüllte, war er gewiß zwei englische Meilen entfernt gewesen. Darum hatte ich mir zu meinen ironischen Aufforderungen an die beiden Begleiter Zeit genommen. Jetzt mochte das Tier vielleicht drei Viertel dieser Entfernung zurückgelegt haben.
Da das Gebrüll aus Westen erklungen war, hatte ich mich natürlich nach dem dorthin liegenden Rand der Lichtung gewendet und blieb da stehen, um mir eine gute Position auszusuchen. Es war vorauszusehen, daß der anschleichende Löwe, um kein Geräusch zu machen, das Unterholz meiden werde. Da es nun hier auf dieser Seite nur eine von Büschen freie Stelle gab, so war vorauszusehen, daß er aus derselben hervorbrechen werde. Ich hatte mich also in die Nähe derselben zu postieren.
Es gab da zwei sehr starke Thalhabäume[12], deren Stämme dicht nebeneinander standen; ein üppiges Sunutgesträuch hielt den Schein der Feuer ab und warf einen tiefen Schatten auf die Stelle.