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Im Lande des Mahdi II
Da ich nun weiter nichts zu sehen und zu hören brauchte, kehrte ich zu meinen Gefährten zurück, um ihnen den guten Erfolg meiner Rekognoszierung mitzuteilen. Keiner freute sich mehr über die Anwesenheit des Fakirs als Ben Nil, welcher, kaum daß ich geendet, mir zurief.
»Hamdulillah, der Fakir, der Fakir ist da! Effendi, den mußt du mir überlassen; auf den schieße ich!«
»Es wird gar nicht geschossen,« antwortete ich. »Wir werden die Leute nicht töten, sondern dem Reïs Effendina ausliefern.«
»Auch den Fakir, der doch jedenfalls mir verfallen ist?«
»Auch mir ist er verfallen; ich verzichte aber auf die Rache.«
Ich verzichte aber nicht!«
»So sprechen wir später darüber; jetzt aber verbiete ich dir auf das allerstrengste, ihn zu töten.«
»Effendi, bedenke, daß du mich da in einem Rechte kränkst, das mir kein Mensch nehmen kann!«
»Das thue ich nicht, sondern ich beabsichtige nur einen Aufschub. Der Reïs Effendina befindet sich in einer Gefahr, welche ich nicht kenne; der Fakir kennt sie und soll mir Mitteilung machen. Wird er getötet, so erfahre ich nichts, und der Reïs ist verloren. Ich muß also unbedingt mit dem Fakir reden.«
»Wenn das ist, so will ich mich fügen; dann aber später wirst du nicht so ungerecht sein, mich zu verhindern, das Gesetz der Wüste auszuführen. Nun aber, Effendi, wie wollen wir diese siebzig Krieger überwinden, wenn wir sie nicht erschießen dürfen?«
»Wir schlagen sie mit den Gewehrkolben nieder. Stirbt einer von einem solchen Schlage, so ist es nicht zu ändern und wir werden ihn nicht beklagen. Ihr müßt aber so zuhauen, daß der Getroffene zusammenbricht und sich nicht wehren kann. Ich werde euch führen und einem jeden zeigen, nach welcher Gruppe er sich zu wenden hat, damit nicht einer den andern hindert. Ich selbst nehme den Fakir und den Dschelabi auf mich. Sobald ich durch das Gebüsch breche, folgt ihr mir. Es wird kein Kommando gegeben; keiner darf rufen oder schreien; es muß alles ganz still und lautlos geschehen, denn dann wirkt die Ueberraschung viel mehr, als wenn der Feind durch unzeitiges Gebrüll gewarnt wird. Bedenkt, daß jeder von euch drei oder vier Gegner niederschlagen muß! Ihr müßt also außerordentlich schnell arbeiten, und das ist nur dann möglich, wenn ihr euch dabei ganz stumm verhaltet. Die Kerle werden dann vor Schreck geradezu starr sein, während euer Kampfgeschrei sie sehr beweglich machen würde.«
Da unsere Kamele an den Beinen gefesselt waren, genügte ein einziger Mann zu ihrer Bewachung. Die andern gingen mit mir.
»Dein Plan gefällt mir, Effendi,« meinte der Führer, als wir aufbrachen. »Mit dem Schießen ist es bei mir nicht ganz sicher, nun aber werden diese Hunde den Kolben meiner Visionsflinte sehr zu kosten bekommen.«
Wir gelangten unbemerkt auf dem von mir ausersehenen Platze an. Es hatte sich dort nichts verändert. Nun verging eine Weile, bis ich jedem einzelnen meiner Leute gezeigt hatte, wohin er sich zu wenden habe; dann stellte ich mich an die lichte Stelle im Gebüsch, durch welche ich vorhin geschaut hatte. Die Gefährten hielten, die Augen auf ihre bestimmten Opfer gerichtet, mir zur linken Hand, wo das Gesträuch nicht schwer zu durchdringen war. Da ich sah, daß ein jeder bereit war, that ich einen Sprung durch das Gesträuch und auf die Lichtung hinaus, wendete mich rechts – zwei Kolbenhiebe, und der Fakir und der Kundschafter waren abgethan.
Hinter mir rauschte es wie Sturmwind im Gebüsch, denn meine Asaker folgten mir. Einige Schritte von den beiden genannten saßen vier Männer, welche über mein Erscheinen so entsetzt waren, daß sie mich bewegungslos anstarrten; ich hieb den ersten nieder, den zweiten; der dritte erhob zur Abwehr die Arme, ich traf ihn dennoch; der vierte wollte aufspringen, kam aber nicht dazu; ich schlug ihn zu den andern. Ich hatte aus Rücksicht auf die Getroffenen mit der breiten Seite und nicht mit der Kante des Kolbens zugeschlagen. Das betäubte nur, tötete aber nicht.
Sechs Mann – das war mein Pensum, und nun machte ich es mir zur Aufgabe, etwaige Flüchtlinge zurückzuhalten. Darum wendete ich mich gegen die Scene, welcher ich jetzt den Rücken zugedreht hatte, und legte den vielschüssigen Henrystutzen zum Schusse an.
Es war ein noch nie erlebter Anblick, der sich mir bot. Die Asaker hatten sich genau nach meiner Vorschrift gehalten; sie »arbeiteten« stumm, und die davon erwartete Wirkung blieb nicht aus; gerade dieses Schweigen vergrößerte den Schreck der Ueberfallenen; auch sie schienen stumm zu sein. Nur hier oder dort schrie einer auf oder sprang einer empor, um sich zu flüchten, was aber keinem gelang. Uebrigens hätte ich jedem, dessen Flucht zu gelingen drohte, eine Kugel in das Bein gegeben, um ihn niederzuwerfen.
Abgesehen von dem Umstande, daß das Niederschmettern von Menschen kein Vorgang ist, über welchen man entzückt sein kann, war es für ein kampfesfrohes Auge eine Freude, die Asaker zu sehen. Am gewandtesten benahm sich Ben Nil; ich glaube, er streckte sechs oder sieben Gegner nieder. Von dem Augenblicke an, in welchem ich das Gebüsch durchdrang, bis zu dem Momente, in welchem ich den letzten Feind hintenüber fallen sah, waren wohl kaum anderthalb Minuten vergangen, und von Seiten der Gegner war nicht ein einziger Schuß oder Schlag gefallen. Das war die Folge der Ueberraschung, einer so vollständigen, erstarrenden Ueberraschung, wie ich bisher noch keine beobachtet hatte.
Selbst jetzt, als wir den vollsten Erfolg vor uns hatten, blieben die Asaker still. Sie blickten alle zu mir her, um zu erfahren, was nun zu geschehen habe.
»Bindet schnell alle,« rief ich ihnen zu, »mit Riemen, Schnüren oder Fetzen, die ihr ihnen von den Kleidern reißt! Das Schweigen ist zu Ende; ihr dürft reden.«
Reden? Wie kann man in einer solchen Situation einem afrikanischen Askari gegenüber von »Reden« sprechen! Hätte ich gesagt: »ihr dürft heulen«, so wäre der Erfolg noch lange nicht dem nahe gekommen, was ich jetzt zu hören bekam. Die zwanzig Stimmen brachen in ein geradezu übermenschliches Gebrüll aus; es war, als ob hundert Teufel jauchzten. Dabei versäumten sie aber nicht, meinen Befehl schnellstens auszuführen.
Ich wendete mich natürlich zunächst zu dem Fakir und seinem Kundschafter. Sie hatten die Lippen offen und röchelten; ich band ihnen die Hände hinten und auch die Füße zusammen. Material zum Fesseln war genug vorhanden; jeder Beduine trägt während eines Rittes Schnüre bei sich, da er deren sehr oft braucht. Außerdem ist jedes Kaffije[5] und jede Kapuze mit einem Ukal, einer Schnur versehen, mit welcher die Kopfbedeckung befestigt wird, und so ein Ukal ist ein zum Fesseln höchst praktischer Gegenstand.
Es gab welche, die nur halb betäubt waren; sie waren an ihren Bewegungen zu erkennen und wurden natürlich zuerst gefesselt. In fünf oder höchstens zehn Minuten waren wir fertig und konnten nun daran gehen, zu untersuchen, ob einer oder der andere erschlagen worden sei. Leider waren die Asaker nicht so glimpflich wie ich verfahren; sie hatten mit der Schärfe des Kolbens zugeschlagen, und so gab es mehrere zerschmetterte Schädel. Es ergab sich zu meinem Leidwesen, daß acht Personen tot waren. Drei von ihnen hatte unser Führer auf dem Gewissen, denn er sagte zu mir, indem er das Blut von dem Kolben seiner Flinte wischte:
»Effendi, mein Visionsgewehr hat seine Schuldigkeit gethan, denn von den vieren, welche ich traf, wird nur ein einziger sich erheben.«
»War das deine Absicht?«
»Ja. Ich wollte auch den vierten töten.«
»Das hatte ich doch verboten!«
»Darf ich mir verbieten lassen, mich zu rächen? Oder habe ich dir versprochen, deinem Verbote zu gehorchen? Ich sah unsere Ermordeten im Sande des Bir es Serir liegen und habe jetzt eine Vergeltung geübt, welche nichts ist gegen das, was dort geschah. Du hast kein Recht, mir das meinige zu nehmen!«
Ich zog es vor, ihm nicht zu antworten, und kehrte zu dem Fakir zurück, welcher, wie ich sah, die Augen geöffnet hatte und nun den entsetzten Blick auf seine Umgebung richtete. Auch der Dschelabi war erwacht und schaute ebenso erschrocken wie der andere umher. Während die Asaker die Gefangenen und die Kamele nach Beute untersuchten, was ich ihnen nicht verwehren konnte, setzte ich mich neben dem Fakir nieder. Er schloß die Augen, ob aus Schwäche, vor Wut oder Scham, das war mir gleichgültig.
»Sallam, ia Weli el kebir el maschhur – sei gegrüßt, du großer, berühmter Heiliger!« sagte ich. »Ich freue mich, dich hier zu sehen, und hoffe, daß auch du dich glücklich fühlst, mein Angesicht zu schauen.«
»Sei verflucht!« knirschte er halblaut und ohne die Augen zu öffnen.
»Du hast dich versprochen. »Sei gesegnet!« wolltest du sagen, denn ich weiß, wie groß deine Sehnsucht nach mir war. Du sandtest doch sogar Boten aus, welche meinen Aufenthalt erforschen sollten. Leider aber sollte deine Sehnsucht eine mir verderbliche sein, denn du wolltest meine Asaker erschießen und mir die Zunge und die Hände abschneiden lassen, um mich dann an den grausamsten Negerfürsten zu verkaufen.«
»Er ist allwissend!« entfuhr es ihm, indem er die Augen öffnete und diesen Ausruf gegen seinen Gefährten richtete. Der Blick des letzteren ruhte groß, offen und mit dem Ausdrucke tödlichen Hasses auf mir. Ich nickte ihm freundlich zu und sagte:
»Du hattest vollkommen recht, als du mir sagtest, daß ich dich bald wiedersehen und dich dann kennen lernen würde. Wir sind, obgleich du nach EI Fascher wolltest, schon nach so kurzer Zeit wieder bei einander. Ich bin ganz entzückt darüber, denn es ist der Beweis, daß ich dich ganz richtig beurteilt habe. Du bist es, der den Gedanken, mir die Zunge und die Hände zu nehmen, erfunden hat, und du täuschest dich nicht, wenn du die frohe Ueberzeugung hegst, daß ich dir meinen Dank für diese Erfindung nicht vorenthalten werde.«
»Ich verstehe dich nicht!« antwortete er. »Warum bin ich gebunden? Warum habt ihr uns überfallen? Was könnt ihr uns beweisen? Ich verlange, losgebunden zu werden.«
»Diesen Wunsch wird man dir auf das bereitwilligste erfüllen, und zwar in dem Augenblicke, in welchem man dich dem Henker übergiebt.«
Er machte eine hastige Bewegung des Widerspruches und öffnete die Lippen zu einer Entgegnung; ich ließ es aber nicht zu derselben kommen, indem ich schnell fortfuhr.
»Ereifere dich nicht, und gieb dir keine Mühe! Du bist viel zu dumm, mich zu täuschen. Ein Mensch wie du sollte daheim bleiben und ja nichts anderes thun als seine eigene Albernheit beweinen. Du warst, als du heute zu uns kamst, noch nicht vom Kamele gestiegen, so wußte ich schon, weß Geistes Kind du bist. Kennst du die Fabel von der Bakkal[6], welche den Bu husain[7] überlisten wollte?«
»Was geht mich diese Fabel an, welche jedem Kinde bekannt ist!« fuhr er mich an.
»Sehr viel, denn du gleichst dieser Bakka, indem du auf den geradezu verrückten Gedanken gekommen bist, mich übertölpeln zu wollen. Das würde selbst einem tausendmal klügern Menschen nicht gelungen sein. Wie du, dessen Kopf nicht eine Spur von Gehirn enthält, annehmen konntest, daß es dir gelingen werde, mich zu täuschen, das kann ich mir nur durch deine unendliche Albernheit erklären. Du und einen deutschen Effendi überlisten! Das ist ganz genau so wie in der Fabel von der Bakka, welche sich an den Bu husain wagte.«
Es war nicht etwa Ueberhebung von mir, daß ich den Mund so voll nahm; eine weniger hochmütige Ausdrucksweise hätte ihren Zweck nicht erreicht. Der Erfolg blieb nicht aus, denn er antwortete im zornigsten Tone.
»Wie kann ein Giaur sich einem wahren Gläubigen gegenüber in dieser Weise überheben! Wärst du so klug, wie du dich dünkst, so würdest du längst von deinem Irrglauben abgewichen sein. Nimm uns sofort die Fesseln, welche durch deine Hände beschmutzt sind, ab, sonst – —«
»Schweig!« unterbrach ich ihn. »Wage nicht etwa, mir zu drohen; ich würde dir mit der Peitsche antworten! So hündisches Gezücht bekommt Hiebe, wenn es bellt. Und wenn du deine jetzige Lage so wenig begreifst, daß du es wagst, zu fordern anstatt demütig zu bitten, so werde ich sie dir auf eine Weise zur Erkenntnis bringen, daß dir der Hochmut schnell vergehen soll!«
»Das wirst du unterbleiben lassen, denn ich bin Scheik!« wendete er ein.
»Pah! Ein armseliger Beduinenscheik ist gegen das, was ich bin, gar nichts. Uebrigens hast du behauptet, ein Dschelabi zu sein, und bist nebenbei Mitglied einer Mörderbande; danach wirst du behandelt.«
»Dann wehe dir! Du wärst verloren; mein Stamm würde euch alle vernichten!«
»Was, dieser Mensch ist so frech, dich zu bedrohen, Effendi?« rief Ben Nil aus, welcher hinzugetreten war und die Worte gehört hatte. »Soll ich ihm den losen Mund stopfen?«
»Thue es!«
Er wendete ihn mit dem Fuße um, so daß sein Rücken nach oben zu liegen kam, und zog die Peitsche aus dem Gürtel. Ich wendete mich ab. Mein Auge sträubte sich, Zeuge der Züchtigung zu sein; das Ohr sagte mir aber doch, daß Ben Nil seinem Zorne in einer Weise, welche nichts zu wünschen übrig ließ, Luft machte. Indessen erteilte ich den andern die Weisung, die Gefangenen und deren Tiere nach dem Brunnen zu schaffen. Als dies geschehen war, wurden auch unsere Kamele nach demselben gebracht.
Er lag an einer Stelle, von welcher man, um Platz zum Lagern zu bekommen, die Bäume und das Gesträuch entfernt hatte; es gab da Raum für noch mehr Leute, als wir nun zusammen waren; auch Wasser war genug vorhanden.
Meine Asaker hatten sehr gute Beute gemacht und befanden sich infolgedessen in ausgezeichneter Stimmung. Es kamen auf einen jeden die Kamele, Waffen und sonstigen Habseligkeiten von wenigstens drei Gefangenen. Ich beanspruchte natürlich nichts, und Ben Nil folgte, obgleich er ein armer Teufel war, diesem Beispiele. Als ich ihn nach der Ursache dieses Verzichtens fragte, antwortete er:
»Warum nimmst du selbst nichts, Effendi? Ist es nur aus Güte gegen die Asaker, damit diese deinen Anteil mit bekommen? Oder ist es Stolz? Ich weiß von dir, daß die Krieger des Abendlandes keine Beute machen. Auch ich verschmähe es, Gegenstände zu besitzen, welche sich in den schmutzigen Händen dieser Hundesöhne befunden haben.«
Das war eine sehr brave Gesinnung von ihm, und er verdiente es, daß ich seine mir erwiesene Anhänglichkeit durch ein beinahe freundschaftliches Verhalten erwiderte.
Es war geboten, dafür zu sorgen, daß die Gefangenen uns gesichert blieben; sie wurden in die Mitte genommen und sehr scharf im Auge behalten. Für die Nacht waren Wachen vorgesehen. Jetzt war es noch Tag, doch durften wir den Anbruch des Abends in einer halben Stunde erwarten. Ich hielt es für geraten, noch vor dem Beginne der Finsternis die Umgebung des Brunnens abzuschreiten. Es war dies eine Vorsichtsmaßregel, deren Ausführung ich bei meinen Reisen nur in Fällen, in denen ich mich ganz sicher weiß, zu versäumen pflege. Darum schritt ich, um nach etwaigen Spuren zu suchen und mich überhaupt zu orientieren, den Umkreis langsam ab. Zugleich hatte ich einige Leute in den Wald nach Brennholz geschickt. Da die Zahl der Gefangenen dreimal größer als diejenige der Asaker war, mußten wir, um sie bewachen zu können, nicht ein, sondern mehrere Feuer haben. Material zu denselben wurde schnell und genug zusammengetragen. Ich kehrte von meinem Gange zurück, ohne etwas Verdächtiges gefunden zu haben. Dafür aber brachte mir einer der Holzleser zwei Gegenstände, welche unter einem Baume gelegen und notwendigerweise seine Aufmerksamkeit erregt hatten.
»Siehe doch einmal diese beiden Knochen an, Effendi,« sagte er. »Es scheinen die Ueberreste eines Kalbes zu sein, und da niemand ein lebendes Kalb, um es zu schlachten, mit in die Steppe nimmt, so müssen hier Leute, welche Rinderdiebe sind, gelagert haben.«
Ich nahm die Knochenstücke aus seiner Hand, um sie zu betrachten und erschrak. Das eine war ein halbes Schulterblatt und das andere der Fortsatz eines oberen Schenkelknochens.
»Das sind nicht Kalbs-, sondern Menschenknochen!« antwortete ich.
»Allah! So ist ein Mensch hier ermordet worden!«
»Nicht eigentlich ermordet, sondern zerrissen und aufgefressen.«
Sofort war ich umringt, und alle riefen auf mich ein, daß ich mich da wohl geirrt habe.
»Ich irre mich nicht, denn ich weiß die Knochen eines Menschen von denen eines Tieres wohl zu unterscheiden. Dieses Schulterblatt und die Schenkelröhre sind von den Zähnen eines sehr starken, wilden Tieres zermalmt worden. Sollte es in der Steppe oder etwa gar hier im Walde Löwen geben?!«
»Allah beschütze uns und segne uns mit seiner Gnade!« schrie da unser Fessarah-Führer auf »Das ist kein anderer Teufel gewesen als Chazzak ed Dschuma[8], der Löwe von El Teitel!«
»Warum wird er nach diesem Orte genannt?«
»Weil er abwechselnd alle Brunnen, welche zwischen El Teitel und dem Nile liegen, besucht.«
»Und welchem Umstande verdankt er den andern Namen?«
»Es vergeht keine Woche, in welcher er nicht einen Menschen zerreißt und frißt. Er ist schon seit länger als einem Jahr in dieser Gegend.«
»Hat man ihn denn nicht gejagt, nicht versucht, ihn zu erlegen?«
»Gejagt? Was fällt dir ein! Allah behüte jeden Menschen vor diesem gewaltigen Fresser, welcher größer als ein Ochse und stärker als ein Elefant ist!«
»Kennt man seinen Lagerplatz? Hat man ihn vielleicht mit einer Löwin oder mit jungen gesehen?«
»Nein. Darum besitzt er keine bestimmte Wohnung, schläft einmal hier und einmal dort und ist inzwischen von einem Brunnen zum andern unterwegs.«
»Ah, also ein Wahdani[9]! Ich kenne diese einsamen, weil selbst gegen ihresgleichen feindseligen Tiere. Sie sind die allerschlimmsten. Wenn ein solcher einmal einen Menschen gefressen hat, so bleibt er bei dieser Nahrung und schlägt Tiere nur im Falle des allergrößten Hungers.«
»Das ist richtig, Effendi, und so ein Menschenfresser ist dieser Vagabund von EI Teitel. Es kommt sogar vor, daß er in einer Woche zwei verschlingt. Wann mag er hier gewesen sein?«
»Vor vier oder fünf Tagen, wie ich aus der Trockenheit dieser Knochenreste ersehe.«
»O Allah, das ist schlimm! So kann er heute wieder hier sein. Wenn er gestern oder vorgestern da gewesen wäre, befände er sich heute ganz sicher anderswo; nach so langer Zeit aber kann er seine Runde schon wieder beendet haben.«
»Das hängt davon ab, wie viele Brunnen er besucht und ob er inzwischen wiederum ein Opfer gefunden hat. Er kann einen Menschen auf einmal nicht verzehren und geht erst dann, wenn er den letzten Markknochen zerschnitten hat, von dannen. Vielleicht hat er volle drei Tage hier gelegen.«
»So ist Allah uns gnädig gewesen. Der Fresser hätte uns an einem unserer letzten Nachtlager überfallen können. Die Knochen sind vier Tage alt; drei Tage war er hier, also ist er erst einen Tag fort, und wir haben nichts zu befürchten.«
»Dieser Schluß scheint richtig zu sein, kann uns aber täuschen. Der Löwe zieht, wie jedes andere Raubtier auch, den Ort, an welchem er Fraß fand, denjenigen Stellen vor, die er vergeblich aufsuchte. Er kann also leicht rascher, als du denkst, zurückkehren.«
»Das mögen sämtliche Heiligen des Kalifates verhüten! Vielleicht befindet er sich gar noch hier und liegt in einem Hinterhalte!«
»In diesem Falle hätte ich seine Spur gesehen. Dennoch müssen wir vorsichtig sein, da diese Einsiedler verschmitzt und hinterlistig sind und ihre Annäherung nicht wie andere Löwen durch Gebrüll verkünden. Sie schleichen sich vielmehr heimlich wie Panther an und springen lautlos auf ihr Opfer ein. Ich habe einst einen solchen verstockten Sünder geschossen, welcher nur einmal, und zwar vor Freude kurz aufbrüllte, als er auf unsere Fährte traf, und sich dann aber vollständig lautlos näherte.«
»Was, Effendi, du hast auf einen Löwen geschossen?«
»Schon auf mehrere.«
»Und auch getroffen?«
»Meine Kugel traf nur, als ich Anfänger im Schießen war, ihr Ziel zuweilen nicht.«
»Und hast Löwen getötet?«
»Ja.«
»Mit wie vielen Schüssen?«
»Mit einem. Nur ein einziges Mal waren zwei Kugeln nötig.«
»O, Effendi, wie schön du lügst; nein, wie schön du lügst!«
Es fiel mir gar nicht ein, ihm diesen Ausruf übel zu nehmen, denn ich kannte ja die Art und Weise, in welcher die Wüsten- und Steppenbewohner den Löwen zu jagen pflegen. Ist sein Lager aufgespürt, so versammeln sich sämtliche Krieger eines Stammes oder auch mehrerer Stämme und reiten hin. Das Lager wird umstellt und mit Steinen beworfen; dabei brüllt jeder, so sehr und viel er kann, bis der aufgejagte Löwe erscheint. Jetzt krachen, ohne daß man es mit dem Zielen genau nimmt, alle Flinten. Die Kugeln gehen daneben; vielleicht trifft zufällig eine einzige, und das verwundete Tier springt brüllend auf die Menge ein, um einen Reiter oder zwei vorn Pferde zu reißen und zu töten. Die andern springen zurück, um zu laden, bleiben dann halten und schießen wieder – mit demselben Erfolge. Der Löwe geht abermals vor und zerfetzt einen dritten. In dieser Weise folgt Salve auf Salve, bis das Tier endlich mit völlig durchlöcherter Haut und nicht tödlich getroffen, sondern vom Blutverluste erschöpft, zusammenbricht, aber auch so und so viele Menschen den unrühmlichen Sieg mit ihrem Leben bezahlt haben. Die andern fallen jubelnd über die Leiche des »Wüstenkönigs« her, schlagen sie, treten sie mit Füßen, spucken sie an und bewerfen sie mit allen möglichen und unmöglichen Schandwörtern und Schimpfreden. Das geschieht nie in der Nacht, sondern stets am Tage. Daß aber ein einzelner Europäer in dunkler Nacht den Löwen an der Tränke erwartet oder aufsucht, um ihn durch einen Schuß in das Auge oder in das Herz zu erlegen, das ist für diese Leute eine Fabel, eine vollständige Unmöglichkeit; das glauben sie einfach nicht, und so nahm ich es dem Führer auch nicht übel, daß er glaubte, ich wolle ihn mit einer »schönen Lüge« unterhalten.
»Er hat Löwen getötet!« fuhr er lachend fort. »Mit einem Schusse! Des Nachts! Und er war ganz allein! O Allah, o Muhammed, welch ein gewaltiger Held doch dieser unser Effendi ist! Ich möchte ihn einmal so als Sijad es Saba[10] sehen!«
»Wünsche dir das nicht,« warnte ich, doch nicht etwa in beleidigtem Tone. »Dieser dein Wunsch könnte nur dadurch, daß der Löwe käme, in Erfüllung gehen, und ich glaube nicht, daß du dich über dieselbe freuen würdest.«
»Sogar sehr, sehr würde ich mich freuen, meinte er, noch immer lachend. »Ich fürchte mich ebensowenig wie du vor ihm. Der Menschenfresser ist ein ungeheuer großes Tier, und wenn ich ihn nahe genug herankommen lasse, kann ich ihn gar nicht fehlen. Was ein Deutscher vermag, der nicht einmal hier geboren ist, das kann auch ich, der ich ein Sohn dieses Landes bin. Ich biete dir eine Wette an, daß ich, wenn der Löwe kommt, ganz dasselbe thue, was du unternimmst.«
»Gut! Um was wetten wir?«
»Setzest du deine Uhr und dein Fernrohr gegen meine Visionsflinte?«
»Ja.«
»Und du scherzest auch nicht?«
»Nein. Gehst du also die Wette ein?«
»Ja; ich schwöre es bei Allah und dem Barte des Propheten. Willst du etwa zurücktreten?«
»Nein. Du hast bei Allah und dem Barte des Propheten geschworen und kannst also auch nicht zurück. Erst widersprachst du mir aus Unglauben; dann kam dir das Verlangen nach der Uhr und dem Rohre. Du glaubst, dieser beiden Gegenstände sicher zu sein, da du überzeugt bist, daß ich, falls der Löwe ja erscheint, ganz hübsch und vorsichtig am Feuer sitzen werde. Aber du irrst dich.«
Er sah eine Weile vor sich nieder; dann sagte er:
»Ich will dich nicht beleidigen, aber ich glaube es dir nicht.«
»Und ich denke zwar nicht, daß das Tier kommen wird, aber falls es kommt, werde ich dir beweisen, daß du dich irrst. Die Wette gilt?«
»Ja; ich habe ja geschworen.«
»So bitte deinen Propheten, den Löwen fern zu halten. Wenn er dir diesen Wunsch nicht erfüllt, ist es um deine berühmte Visionsflinte geschehen. Jetzt wollen wir über unseren Gefangenen – —«
Ich wurde unterbrochen, denn es erschien am westlichen Rande der Lichtung ein Kamelreiter, welcher bei unserem Anblicke ziemlich betroffen halten blieb und uns betrachtete. Er schien im Zweifel darüber zu sein, ob es besser sei, an uns vorüber zu reiten oder nach dem Brunnen einzubiegen, doch entschloß er sich für das letztere, trieb sein Tier auf uns zu, stieg ab und sagte:
»Ehe ich den Sallam über meine Lippen gehen lasse, sagt mir, wer euer Anführer ist!«
»Ich bin es,« antwortete ich.
»Das sind Asaker[11]; du aber scheinst kein Askari zu sein. Wie soll ich es mir da erklären, daß du dich deren Anführer nennst?«
»Macht die Uniform den Askari?«
»Nein. Ich will dir glauben. Warum habt ihr die Leute, welche hier am Boden liegen, gefesselt?«
»Sie sind Gefangene von uns, Sklavenjäger.«