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Geister, Frauen Und Andere Einbildungen
Geister, Frauen Und Andere Einbildungen

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Geister, Frauen Und Andere Einbildungen

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„Gut“, antwortete das Schiff. „Gehe weiter zum Zentrum der Stadt. Bewege dich langsam und gehe kein Risiko ein.“

„Verstanden“, sagte Ryan, und brach die Verbindung wieder ab.

Die nächsten Gebäude waren immer noch über hundert Meter entfernt. Ryan bewegte sich sehr zielstrebig auf sie zu. Alle Sinne waren gespannt, auf der stetigen Suche nach irgendeinem Hinweis, wie unscheinbar auch immer, auf Gefahren. Nichts bewegte sich, und die einzigen Geräusche waren das Flüstern des Windes. Die Stadt hatte absolut keinen Geruch, was noch auffälliger war als ein Gestank. Ryan hatte die leise Vorstellung als betrete er eine Kristall-Burg, aber der Gedanke verschwand schnell wieder.

Er erreichte das erste Gebäude und streckte vorsichtig eine Hand aus, um es zu berühren. Es war glatt und hart wie Glas, und doch undurchsichtig. Es fühlte sich unter seinen tastenden Fingern weder kalt noch warm an, aber es erzeugte ein Prickeln in seinen Fingerspitzen. Er zog seine Hand zurück. Die Stellen, wo seine Finger angekommen waren, waren kleine, dunkle Flecken auf der sonst milchigen Oberfläche. Die Flecken verschwanden vor seinen Augen, bis die ganze Wand wieder einfarbig war.

Es gab keine Öffnungen oder Brüche nirgendwo entlang der Mauer. Ryan schritt neben der Mauer entlang, parallel zu ihr, ohne sie noch einmal zu berühren. Er hielt Ausschau nach einer Tür, oder einer Öffnung irgendeiner Art, durch die er das Gebäude betreten konnte. Die Mauer erschien glatt, hart und durchgehend, mit keinem sichtbaren Eingang. Doch plötzlich flimmerte ein Teil der Mauer und wurde zu Luft, zurück blieb ein großes Tor, das Ryan benutzen konnte. Erschrocken machte er einen Schritt zurück, dann zog er seinen Kommunikator heraus und beschrieb dem Schiff im Orbit über ihm die jüngsten Entwicklungen.

„Ist sonst irgendetwas passiert, das eine potentielle Gefahr bedeuten könnte?“ war die Antwort.

„Noch nicht. Es scheint immer noch keinerlei Anzeichen von Leben zu geben – abgesehen von der Erscheinung dieser Tür.“

„Dann musst du das Risiko eingehen, hinein zu gehen, und es zu erkunden“, sagte Java-10 emotionslos.

Klar, dachte Ryan, dir kann es ja egal sein. Es ist ja nicht dein Kopf. „Verstanden.“

Er hatte eine Taschenlampe bei sich, aber schon ein kurzer Blick hinein zeigte ihm, dass er sie nicht nötig haben würde. Das Innere des Gebäudes war hell erleuchtet, die Wände schienen selbst zu strahlen. Als er durch das Tor trat, schaute sich Ryan neugierig um.

Das Gebäude hatte keinerlei Einrichtungsgegenstände. Das einzige Element darin war eine breite Wendeltreppe, die entlang der zylindrischen Mauern hinauf führte, hinauf, und hinauf. Der Kundschafter verdrehte seinen Hals, um zum oberen Ende der Treppe empor zu sehen, aber sie schien bis in die Unendlichkeit weiter zu gehen. Alle fünfundzwanzig Stufen gab es eine große Plattform mit einem kleinen Fenster in der Wand, um auf die Stadt zu sehen. Ein Geländer aus klarem Plastik säumte die Innenseite des Treppenhauses.

Ryan bewegte sich langsam vorwärts, noch immer auf alles gefasst, was passieren könnte. Das Echo, das seine Stiefel erzeugten, als sie über den harten Steinboden schritten, war beinahe ohrenbetäubend im Vergleich zu der völligen Stille, unter der der Rest der Stadt begraben lag. Er erreichte den Fuß der Treppe und legte seine Hand auf das Geländer. Das Plastik fühlte sich kühl und irgendwie beruhigend an, als wäre er inmitten dieser Fremde einem alten Freund begegnet. Vorsichtig machte er sich daran, die Stufen zu erklimmen, einen Fuß nach dem anderen, seine Hand immer fest am Geländer. Seine Augen bewegten sich von einer Seite zur anderen, auf der Suche nach wahrnehmbaren Gefahren. Aber keine erschien. Dann ergriff ihn die Ungeduld, und er begann, die Treppen hinauf zu rennen.

Schließlich, auf der vierten Etage, blieb er stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Er war mittlerweile vielleicht sechzehn Meter über dem Parterre. Das Tor war immer noch da und wartete geduldig auf seine Rückkehr, aber aus dieser Höhe sah es viel kleiner aus. Er ging hinüber zu dem Fenster, sah hinaus und sah

New York City zu Mittag, die Gehsteige voll mit Geschäftsleuten auf ihrem Weg zum Mittagessen, Leute beladen mit Plastiktüten, die beim Einkaufen von einem Laden zum nächsten unterwegs waren

Er blinzelte und schaute noch einmal. Da war nur die fremde Stadt, die zusammengekauert und still dasaß, wartend und wartend. Still. Keine Bewegung, kein Geräusch, keine Schatten.

Mit zitternden Händen riss Ryan seinen Kommunikator regelrecht aus seiner Tasche. Er ließ seine bebenden Finger die rechteckige Form einen Moment lang streicheln, dann rief er das Schiff. „Ryan ruft Java-10. Ich habe soeben eine Halluzination erlebt.“ Er beschrieb kurz, was ihm für nur eine Sekunde vor dem Fenster erschienen war.

„Interessant“, überlegte der Computer. „Das stimmt mit den Berichten anderer Halluzinationen überein, die von deinen Vorgängern beschrieben wurden. Was auch immer mit ihnen geschehen ist, beginnt nun mit dir zu passieren. Du musst von nun an mit doppelter Vorsicht vorgehen.“

Ryan setzte sich auf eine Stufe, um wieder zu sich zu kommen. Er wünschte sich, dass sein Partner, Bill Tremain, die Möglichkeit bekommen hätte, ihn auf dieser Mission zu begleiten. Er und Bill waren schon seit der Ausbildung ein Team. Zusammen hatten sie mehr als dreißig Welten ausgekundschaftet, dem Unbekannten hatten sie sich Seite an Seite gestellt. Er würde sich nicht so einsam fühlen, das wusste er, wenn Bill hier bei ihm wäre. Aber der Computer wollte nicht noch mehr Personal riskieren als unbedingt nötig war. Außerdem, alle früheren Erkundungen waren von Teams aus zwei oder mehr Personen unternommen worden, und sie alle waren gescheitert. Vielleicht hatte ein einzelner Mann eine bessere Chance.

Aus dem Augenwinkel sah er eine Bewegung, die Ryans Aufmerksamkeit erregte. Schnell wirbelte er seinen Kopf herum, um etwas, das wie eine menschliche Figur aussah, wegrennen und unter den Treppen unter sich verschwinden zu sehen. Eine rothaarige Figur. Bill Tremains Figur. Und das war vollkommen bescheuert, denn Bill Tremain war oben an Bord des Schiffs.

Trotzdem ging Ryan langsam die Treppe zurück hinunter, um nachzusehen. Aber da war – natürlich – niemand; die Wand unter den Treppen war glatt und hart mit keinem Platz, wo sich eine fliehende Person verstecken hätte können. Nein, das Gebäude war verlassen, abgesehen von ihm selbst. Die Stille bezeugte das.

„Suchst du etwas, Jeff?“ fragte eine Stimme von oben.

***

Der Mann, der auf der dritten Plattform stand, war nicht Ryans Partner. Nein, es war Richard Bael, ein alter Bekannter aus Studienzeiten. „Oh, mach dir keine Sorgen“, lächelte Bael. „Ich bin völlig real.“

Das machte Sinn. Bael war einer der früheren sechzehn, die die Stadt betreten hatten. „Wie bist du hierhergekommen?“ stammelte Ryan.

„Oh“, machte Bael schulterzuckend, „es gibt Möglichkeiten.“ Er begann, die Stufen leichtfüßig hinab zu laufen. „Du wirst es lernen, nach einer oder zwei Wochen.“

„Ich habe nicht vor, so lange zu bleiben“, antwortete Ryan vorsichtig. Er versuchte, langsam den Kommunikator in seiner Tasche zu fassen, aber Bael sah die Bewegung.

„Oh, wirst du dein Schiff rufen? Darf ich ihnen ein paar Worte sagen?“

„Sie würden sich sehr freuen, von dir zu hören“, meinte Ryan. „Was ist mit deinem eigenen Kommunikations-Apparat passiert?“

„Ich habe ihn wohl irgendwo hingelegt und dann vergessen“, sagte Bael mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Ich dachte, dass er nicht wirklich wichtig war.“ Er stand nun neben Ryan und streckte seine Hand aus. Ryan gab ihm den Kommunikator.

„Hallo da oben, hier ist Richard Bael. Könnt ihr mich hören?“

„Ja“, antwortete die emotionslose Stimme von Java-10.

„Ich möchte einen verspäteten Bericht machen, bezüglich meiner Erkundung dieser Stadt. Ich nehme an, ihr habt alle Rekorder angeschaltet, bereit jedes Wort davon aufzuzeichnen.”

„Korrekt.”

„Gut dann, hier ist er: Schert euch zum Teufel!” Er schaltete den Apparat ab und gab ihn Ryan zurück. „Ich wollte das schon immer machen, aber ich hatte bisher nie den Mut dazu”, grinste er gutmütig.

Ryan packte den Kommunikator aus seiner Hand, leicht erschrocken von Baels Aktion. „Hier ist Ryan, Java-10 kommen. Hörst du mich?”

„Positiv. Ist Bael wirklich dort mit dir?” Die Frage war tonlos, nicht ungläubig.

„Es scheint so.”

„Ich bin in Wirklichkeit Peter Pan”, mischte sich Bael neckisch ein.

„Halts Maul!” rief Ryan.

„Kein Grund dich so aufzuregen, Jeff. Ich wollte nur helfen.”

„Frag ihn, wieso er die Stadt nicht verlässt”, beharrte Java-10.

„Oh, antworte nicht, Jeff. Ich habe es satt, die kleinen Götter-Spielchen des Computers zu spielen.“ Er bewegte sich auf die Tür zu. „Gib das dumme Ding weg. Der Tag ist zu schön, um ihn damit zu verbringen, mit einem kleinen Kästchen zu sprechen.“

Ryan zögerte.

„Schau, du kamst doch her, um die Stadt zu erkunden, oder?“ fuhr Bael fort. „Nun, ich bin bereit, dir eine Stadtführung zu geben. Worauf wartest du – eine eingravierte Einladung? Gut, bitte sehr.“

Er zog eine kleine Karte aus seiner Tasche und schnippte sie vor Ryans Füße. Ryan bückte sich und hob sie auf. In goldenen Buchstaben eingraviert waren die Worte: HR. RICHARD BAEL ERBITTET GNÄDIGST DIE ANWESENHEIT VON HR. JEFFREY RYAN FÜR EINE PERSÖNLICH GELEITETE STADTFÜHRUNG.

„Ist das gut genug für dich?“ fragte Bael fröhlich.

Ryan steckte die Karte sorgfältig zur Aufbewahrung in seine Proben-Tasche um sie später genauer zu analysieren. „Ist gut, Bael, wie du willst.” Der Kommunikator wanderte zurück in seine Tasche. „Auf geht's.”

Mit einer übertrieben einladenden Bewegung trat Bael durch die Tür, Ryan folgte ihm mit zwei Schritten Abstand. Als Ryan das Gebäude verlassen hatte, verschwand die Öffnung und die Mauer war wieder völlig undurchdringbar. Er zog es vor, sich wegen einer solchen Kleinigkeit nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Er hatte kaum Zweifel, dass die Stadt schon bald noch viel größere Überraschungen für ihn bereithalten würde.

Und er hatte völlig Recht.

***

Die beiden Männer spazierten durch die Stadt. Bael schlenderte gemütlich dahin und Ryan hatte Mühe, seine Ungeduld zu zügeln, während er das nervenaufreibend langsame Tempo des anderen einhalten musste. Es gab keine echten Straßen, denen man folgen konnte, da die Stadt scheinbar keinem erkennbaren Muster folgend angeordnet war, und es gab keine unverbauten Strecken, die breit genug für jegliche Art von Fahrzeug gewesen wären. Gebäude aller Formen, Größen und Farben tauchten überall aus dem Boden auf: hier ein Zylinder, da ein Kegel, ein bisschen weiter eine Halbkugel...es gab sogar einige, die vor Ryans Augen ihre Formen veränderte.

„Wer hat diese Stadt gebaut?” fragte er Bael. „Wieso machten sie das? Wo sind sie hin gegangen?”

„Es ist ein schöner Ort, nicht?“ Bael ignorierte die Fragen und wies auf die Stadt um sie herum.

„Das ist keine Antwort.“

„Natürlich nicht. Ich habe keine. Fragen sind unwichtig hier, also sind Antworten irrelevant.“

„Das sind sie nicht, verdammt. Ich muss wissen—“

„Korrektur: Java-10 muss wissen. Du selbst musst gar nichts, außer das Leben genießen.“ Bael schnalzte mitfühlend die Zunge. „Du armer, dummer Idiot, deine Gehirnwäsche ist so komplett, dass du die Freiheit nicht einmal erkennst, wenn sie dich ins Gesicht küsst. Lass uns hinsetzen und ein wenig plaudern.“

Zwei gemütlich aussehende Stühle erschienen hinter ihnen. Bael nahm einen und bedeutete Ryan sich auf den anderen zu setzen. Der Kundschafter probierte ihn nervös, bevor er sein ganzes Gewicht darauf niederließ. „Worüber willst du reden?“, fragte er, nachdem er es sich gemütlich gemacht hatte.

„Lass uns damit anfangen, wieso du hier bist.“

„Gleicher Grund wie du: um mehr über diese Stadt herauszufinden.“

„Wieso?“

„Hauptsächlich wegen der Technologie. Jeder, der einen Ort wie diesen bauen kann, muss uns so weit voraus sein, dass wir schon etwas lernen können, wenn wir nur die Artefakte untersuchen. Wir müssen herausfinden—”

Wir?“, unterbrach Bael. „Beziehst du dich selbst da wirklich mit ein?

Durch die Unterbrechung verlor Ryan den Faden und er konnte nur verständnislos blinzeln.

„Sei ehrlich. Warst du persönlich jemals so neugierig darauf, was es in dieser Stadt gibt, dass du riskiert hättest, deinen Verstand zu verlieren, um hierher zu kommen?“ Baels Augen leuchteten lebendig auf, während er diesen Punkt erwartungsvoll erkundete. „Hast du dich freiwillig für diese Mission gemeldet, oder hat Java-10 es dir aufgetragen? Ah, schau wie er zappelt. Das war nicht deine Idee, doch?“

„Das hat nichts zu tun damit—”

„Es hat sehr viel damit zu tun. Jeff, du bist eine Marionette, ein Sklave des Schiffs da oben. Mach deine Arbeit gut, führe diese Mission brav aus, und dann bekommst du ein Schulterklopfen, Lob, vielleicht sogar eine Medaille. Ist das alles, was dir dein Leben wert ist?“

„Ich habe Verantwortung gegenüber der Flotte, der Erde.“

„Zum Teufel mit denen! Was ist mit deiner Verantwortung gegenüber der guten alten Nummer eins? Wie wäre es damit, zu lernen, dich selbst zu vergnügen?“

„Die Erde braucht mich—”

„Klar, wie Präsident Ferguson noch ein Loch in seinem Arsch braucht.“ Bael sah sich um. „Hey, Jungs, kommt rüber, setzt euch zu uns.“

Fünfzehn weitere Männer spazierten zu dem offenen Platz, wo Ryan und Bael saßen. Sie kamen aus allen Richtungen, und ihr Gang war so gemächlich wie der von Bael gewesen war. Sie waren die anderen Forscher, die auf früheren Expeditionen in die Stadt gekommen waren. Ryan kannte die meisten von ihnen, wenn nicht persönlich, dann hatte er zumindest von ihnen gehört. Sie waren zähe, erfahrene Männer gewesen, bevor sie in die Stadt gekommen waren. Nun schienen sie sanft, entspannt und sehr zufrieden. Sie alle begrüßten Bael und lächelten Ryan freundlich zu.

„Sicher“, sagte Bael, „möchtest du jetzt deinen Kommunikator herausholen und Java-10 die gute Nachricht mitteilen, dass alle am Leben sind und es ihnen gut geht und alle hier an einem Ort versammelt sind.“

Um ehrlich zu sein, war das genau, was Ryan tun wollte. Trotz der freundlichen Gesichtsausdrücke, fühlte es sich akut gefährlich an, von sechzehn Deserteuren umgeben zu sein. Mehr denn je, wollte er nun das kalte Metall-Kästchen in der Hand halten, das ihm die warme Zuversicht gab, dass es da oben jemanden gab, der sich um sein Wohlbefinden sorgte. Aber diese Unterhaltung schien zu einem persönlichen Duell zwischen Bael und ihm selbst zu werden, und er weigerte sich, seinem Gegner die Befriedigung zu geben, Recht gehabt zu haben. Also sagte er stattdessen: „Ich kann es später berichten.“

„Hoppa, Junge!“, grinste Bael. „Du beginnst schon zu lernen. In ein paar Tagen wirst du so frei sein, wie wir alle.“

Ryan hatte das ungute Gefühl, dass er den anderen in die Falle gegangen war. „Aber ich habe keine paar Tage“, entgegnete er boshaft. „Wenn ich bis morgen Mittag hier nicht weg bin, sieht man mich als verschollen an, wie euch. Und dann wird Java-10 die Stadt bombardieren und dem Erdboden gleich machen.“

Das Lächeln der anderen Männer verschwand. Außer bei Bael, dessen gute Laune scheinbar durch nichts zerstört werden konnte. „Ich glaube nicht“, sagte er leise, „dass die Stadt das zulassen würde.“

Nun war es Ryan, der einen Moment schwieg. „Du sprichst, als wäre sie ein Lebewesen.“

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung, ob sie eins ist oder nicht. Aber wenn du hier eine Weile bist, dann fängst du an, dich das zu fragen. Sie weiß auf jeden Fall, was in unseren Köpfen vorgeht. Sie reagiert auf unsere Gedanken und erfüllt unsere Träume. Sie liebt uns Jeff, und sie wird nicht zulassen, dass uns etwas geschieht.“

Es lief Ryan kalt über den Rücken. Bael war so ernst, wie nur ein Verrückter sein konnte. Er schluckte und sagte: „Wie dem auch sei, ich möchte nicht hier sein, um diese Liebe zu testen, wenn die Bomben kommen.“

„Du bist frei, jederzeit zu gehen, wenn du willst“, erinnerte ihn Bael. „Niemand wird dich aufhalten.“

Ryan erkannte zu seiner Überraschung, dass Bael Recht hatte. Er war sicher gewesen, dass er irgendeine satanische Kraft irgendwo in der Stadt vorfinden würde, die ihn gegen seinen Willen festhalten würde. Stattdessen hatte er diese, bisher, fantastische Technologie und sechzehn freundliche Geisteskranke gefunden. Er war – noch – nicht der Verrücktheit der anderen verfallen, und er fühlte keine beängstigenden Zwänge, die ihn am Weggehen hinderten. Er war frei jederzeit zu gehen.

„Klar“, sagte Tashiro Surakami, einer der anderen Kundschafter, die Ryan vage kannte, „Java-10 wäre vielleicht nicht so ganz zufrieden mit dir, wenn du es tätest.“

Das war der Punkt. Wenn er jetzt gehen würde, würde er nicht wirklich etwas zu berichten haben. Er war hierhin geschickt worden, um herauszufinden, wieso diese Männer nicht zu ihren Schiffen zurückgekehrt waren. Bisher hatte er, abgesehen von ein paar genusssüchtigen Verallgemeinerungen, die Bael von sich gegeben hatte, keinerlei Anhaltspunkte für den Grund. Wenn er die Stadt nun verließ und zum Schiff zurückging, hätte er gleich dort bleiben können.

„Ich muss meine Arbeit noch fertig machen“, meinte Ryan dickköpfig. „Ich gebe nicht nach der Hälfte auf. Ich muss herausfinden, wieso...“ Er fuhr nicht fort.

„Wieso wir verrückt geworden sind?“ beendete Bael den Satz für ihn. „Aus unserer Perspektive ist es, wieso wir zu Verstand gekommen sind. Die Antwort ist überall um dich herum, wenn du dir nur die Zeit nimmst, danach zu suchen. Die anderen Jungs, und ich selbst, wir lenken dich wahrscheinlich ab. Vielleicht hilft es, wenn du eine Weile alleine bist. Jungs, lassen wir Jeff mal hier. Vergiss nicht, Jeff, wenn du mit jemandem sprechen willst, ruf uns einfach. Jemand wird dich hören.“

Bael und die anderen entfernten sich in gemütlichem Tempo während sie sich unterhielten und lachten. Es war, als hätte Ryan für sie plötzlich aufgehört, zu existieren. In einer Minute waren sie alle weg. Die erdrückende Stille kehrte wieder zurück und Ryan saß wieder alleine inmitten der scheinbar verlassenen Stadt.

Der Kundschafter griff schnell zu seinem Kommunikator und spuckte einen verzweifelten Bericht für das Schiff oben aus. Er hoffte auf einen Ratschlag, aber das Schiff bestätigte nur knapp den Erhalt der Nachricht und trug ihm auf, vorsichtig zu bleiben und unterbrach die Verbindung.

Erst als er wieder aufstand, sah er die Frau.

***

Er starrte einen langen Moment geradeaus, unfähig etwas zu sagen.

Die Frau hatte nicht mit diesem Problem zu kämpfen. „Hallo Jeff“, sagte sie sanft. „Erinnerst du dich an mich?“

Erinnerte er sich? Wie hätte er Dorothy vergessen können, das erste Mädchen, mit dem er jemals geschlafen hatte? Dorothy mit ihren kleinen aber weiblichen Brüsten, ihrem klingenden Lachen, ihrem lieblichen Willen, ihm zu gefallen....

„Du existierst nicht“, sagte Ryan kalt. „Du bist nicht echt.“

Dorothy verdrehte ihren Kopf in der komischen Art, wie sie es immer getan hatte, wenn er etwas sagte, das sie nicht verstand. „Bin ich nicht?“

“Ich bin nicht in der Stimmung für Frage-Antwort-Spielchen. Erst Bael und jetzt du. Was auch immer du bist, du bist nicht Dorothy. Sie ist hundert Parseks weit weg, sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Du bist nur eine Täuschung. Geh weg.“

Dorothy starrte nur auf ihre Füße und bewegte sich nicht. „Du liebst mich nicht mehr.“

„Schau“, sagte Ryan, „Ich gebe zu, du bist ein kluger Schwindel. Aber ich weiß, dass du nicht echt bist. Es ist nicht deine Schuld...du hast es versucht.“

„Nicht echt?“ Dorothy sah auf, ihre Augen rot und verweint, ihre Stimme zitterte. „Du kannst mich sehen und hören, oder? Wenn du ein wenig näher kommen würdest, könntest du mein Parfum riechen. Wenn du deine Hand ausstrecken würdest, würdest du mich berühren. Wenn du mich beißen würdest, würdest du mich schmecken. Wie echt muss ich denn sein?“ Ihr Appell grenzte an Hysterie.

Ryan zögerte. Sie musste eine Halluzination sein. Daran gab es überhaupt keinen Zweifel. Der gut ausgebildete Offizier in ihm wollte nach dem Kommunikator in seiner Hosentasche langen. Aber der Mann in ihm sagte nein. Und irgendein dritter Teil seiner Selbst wiederholte immer wieder: „Du bist ein Idiot.“ Aber welcher Teil war der Idiot? Er konnte doch nicht wirklich etwas lieben, was das Produkt seiner Einbildung war, das sich auf irgendeine Weise vor ihm materialisiert hatte. Diese Dorothy war kalt, unecht, ein Schatten-Produkt dieser mysteriösen Stadt.

Und plötzlich war sie in seinen Armen und fühlte sich sehr real an, sehr lebendig. Ihr Gesicht nach oben gedreht suchte seines. Ihre kleinen Brüste waren gegen ihn gedrückt, ihre Beine rieben fest an seinen, mit sanften Bewegungen, die eindeutig sexuell waren. Ryan versuchte, zu widerstehen, versuchte, sich selbst zu versichern, dass dies nicht passierte. Er hatte seine Lügen zur Wahl, aber die Dorothy in seinen Armen war irgendwie überzeugender. Ihre linke Hand streichelte das Haar an der rechten Seite seines Kopfes. Ihre rechte Hand fummelte gierig an den Knöpfen des Kragens seiner Uniform herum. Ihr Mund presste sich auf den seinen, öffnete sich und da schoss ihre kleine, kräftige Zunge heraus und strich über die Spitzen seiner Zähne.

Es gab nun keinen Zweifel mehr, konnte keinen mehr geben. Zur Hölle mit der Logik! Dies war echt. Es war kein Delirium seiner Sinne, sondern die echte Sache aus Fleisch und Blut. Er schwamm in einem Meer aus Gefühlen. Die beiden fielen zu Boden, der irgendwie gummiartig und widerstandsfähig wurde. Aber seine Gedanken hatten keine Chance, sich über diese Sache auszulassen, denn sein Körper ließ ihn nicht. Der Verstand hatte keine Chance gegen die Leidenschaft, wie schon immer, seit Jahrhunderten.

Er war sogar so versunken, dass er das hartnäckige Summen seines Kommunikators nicht einmal bemerkte.

***

Später stand Dorothy wieder auf. „Ich muss gehen”, sagte sie.

„Musst du?“

Sie nickte. „Aber ich komme jederzeit zurück, wenn du mich brauchst. Rufe mich einfach. Ich werde es wissen.“ Und weg war sie.

Ryan lag auf seinem Rücken und starrte hinauf in den Himmel. Er war viel dunkler als er vorher gewesen war, und schmerzte nicht so sehr in seinen Augen. Es musste später Nachmittag sein. In einigen Minuten würde er aufstehen und seine Erkundungen fortsetzen, aber im Moment war er zu gesättigt um sich zu bewegen. Selbst zu blinzeln erschien ihm wie eine gigantische Anstrengung...

„Amüsierst du dich?“ fragte eine bekannte Stimme.

Ryan drehte ruckartig seinen Kopf herum und sah Bael ein paar Meter entfernt stehen und grinsen. Rot vor Schuld, Scham und entrüstetem Ärger erhob er sich umständlich. „Was fällt dir ein, mir nachzuspionieren?“

„Tu ich nicht“, sagte Bael mit einem noch breiteren Grinsen. „Ich war nur in der Nähe und dachte, ich schaue eben vorbei. Und außerdem, ich könnte dir dieselbe Frage stellen, aber ich kenne die Antwort ja.“

Ryan war nicht sicher, was ihn mehr ärgerte – Baels Wortgewandtheit, oder seine eigene Unzulänglichkeit, wenn es darum ging, mit dem Deserteur fertig zu werden. Bevor ihm etwas einfiel, was er sagen könnte, fuhr Bael fort: „Ich nehme an, es war Sex.“

Ryans Gesichtsausdruck verriet ihn. „Das habe ich mir gedacht“, nickte Bael altklug. „Es scheint das zu sein, was die meisten von uns einsamen, männlichen Kundschafter-Typen am nötigsten brauchen. Es ist die eine Sache, die uns der Schiffscomputer nicht geben kann. Die Stadt weiß es, Jeff. Egal, wie sehr du versuchst, deine Gedanken zu verstecken, die Stadt weiß es.“

„Also glaubst du wirklich, dass sie lebt.“ Das war keine Frage.

„Ich weiß nicht. Es hängt davon ab, was du unter leben verstehst. Wenn du meinst, lebendig und atmend, das glaube ich nicht. Wenn du meinst sich dessen bewusst, was hier vorgeht, ja, das definitiv.“

„Aber wie—”

Musst du ständig diese verdammten Fragen stellen?“ Nur für einen kurzen Moment gab es einen Riss in Baels Maske, der es Ryan ermöglichte, einen kurzen Blick auf die Unsicherheit unter der Oberfläche zu erhaschen. Dann war die Ausgeglichenheit wieder hergestellt, und Bael war wieder sein ungezwungen lässiges Selbst. „Akzeptiere doch einfach, was du hast, Jeff. Diese Stadt kann dir deine Träume geben. Sie möchte dir helfen. Ich weiß nicht, wie sie es macht; es ist mir egal. Wer auch immer sie erbaut hat, hat es so gemacht, das genügt mir.“

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