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Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein
Immanuel Kant
Von der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein
Vorwort des Herausgebers
Der Geist allein lebt – Das Leben des Geistes allein ist wahres Leben.
Das Leben des Leibes muß jenem immer untergeordnet und von ihm beherrscht werden, nicht umgekehrt der Geist sich den Launen, Stimmungen und Trieben des Körpers unterordnen, wenn das wahre Leben erhalten werden soll.
Diese große Wahrheit wurde von jeher von den Weisesten dieser Welt als der Grundpfeiler aller Sittlichkeit, aller Tugend, aller Religion, genug alles dessen, was groß und göttlich ist im Menschen, und sonach auch aller wahren Glückseligkeit, betrachtet und gepredigt.
Sie kann aber nicht oft genug wiederholt werden, da es dem natürlichen Menschen immer näher liegt und bequemer ist, leiblich zu leben als geistig, noch mehr, wenn, wie in den neuesten Zeiten geschehen, selbst die Philosophie, sonst die Trägerin des geistigen Lebens, in dem Identitätssystem den Unterschied zwischen Geist und Körper ganz aufhebt, und sowohl Philosophen als Ärzte die Abhängigkeit des Geistes von dem Körper dergestalt in Schutz nehmen, daß sie selbst alle Verbrechen damit entschuldigen, Unfreiheit der Seele als ihre Quelle darstellen, und es bald dahin gekommen sein wird, daß man gar nichts mehr Verbrechen nennen kann.
Aber wohin führt diese Ansicht? – Ist sie nicht geradezu göttlichen und menschlichen Gesetzen entgegen, die ja auf jene Grundlage gebaut sind? – Führt sie nicht zum gröbsten Materialismus? Vernichtet sie nicht alle Moralität, alle Kraft der Tugend, die eben in dem Leben der Idee und ihrer Herrschaft über das Leibliche besteht? – Und somit alle wahre Freiheit, Selbständigkeit, Selbstbeherrschung, Selbstaufopferung, genug das Höchste, was der Mensch erreichen kann: den Sieg über sich selbst?
Ewig wahr bleibt das Sinnbild, den Menschen als den Reiter eines wilden Pferdes sich zu denken; einen vernünftigen Geist mit einem Tiere vereinigt, das ihn tragen und mit der Erde verbinden, aber von ihm nun wiederum geleitet und regiert werden soll. – Es zeigt die Aufgabe seines ganzen Lebens. Besteht sie nicht darin, diese Tierheit in ihm zu bekämpfen und der höheren Macht unterzuordnen? Nur dadurch, daß er sich dies Tier unterwirft und sich möglichst unabhängig davon macht, wird sein Leben regelmäßig, vernünftig, sittlich und so nur wahrhaft glücklich. Läßt er dem Tier die Oberhand, so geht es mit ihm durch, und er wird ein Spiel seiner Launen und Sprünge – bis zum tödlichen Sturze.
Aber nicht bloß für das höhere geistige Leben und dessen Gesundheit bedarf es dieser physischen Selbstbeherrschung, sondern sie dient ebensosehr zur Erhaltung und Vervollkommnung des physischen Lebens und dessen Gesundheit und wird dadurch eins der wichtigsten Diät- und Heilmittel.
Wir wollen keinesweges den Einfluß des Leiblichen auf das Geistige leugnen. Aber ebenso auffallend, ja noch größer ist die psychische Macht des Geistes über das Leibliche. Sie kann Krankheiten erregen und heilen. Ja sie kann töten und lebendig machen. Sehen wir nicht sehr häufig durch Schrecken und andere Leidenschaften, also durch geistigen Einfluß, Epilepsie, Ohnmachten, Lähmungen, Blutflüsse und eine Menge andere Krankheiten, ja den Tod selbst, entstehen? – Und woran stirbt ein solcher Mensch? Lediglich an einer gewaltsamen, dem Blitzstrahl ähnlichen, Einwirkung des Geistes in den Körper. – Wie oft sind nicht die schwersten Krankheiten durch nichts anders geheilt worden, als durch Freude, Erhebung und Erweckung des Geistes! Der lange an der Zunge gelähmte Sohn des Krösus bekommt die Sprache wieder, als man seinen Vater ermorden will. Pinel sah, daß bei der allgemeinen leidenschaftlichen Aufregung, die die französische Revolution hervorbrachte, eine Menge seit Jahren kränklicher und schwächlicher Menschen gesund und stark wurden und besonders die gewöhnlichen Nervenübel der vornehmen und müßigen Stände ganz verschwanden. – Ja, ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß der größte Teil unsrer langwierigen Nervenkrankheiten und sogenannten Krämpfe gar nichts anders ist, als Trägheit und Passivität des Geistes, die Folge des schlaffen Hingebens an körperliche Gefühle und Einflüsse.
Wer kann leugnen, daß es Wunder und Wunderheilungen gibt? – Aber was sind sie anders als Wirkungen des festen Glaubens entweder an himmlische Kräfte, oder auch an irdische und folglich Wirkungen des Geistes?
Jedermann kennt die Kraft der Imagination. Niemand zweifelt daran, daß es eingebildete Krankheiten gibt, und daß eine Menge Menschen an nichts anders krank sind, als an der Krankheitseinbildung. Ist es nun aber nicht ebensogut möglich und unendlich besser, sich einzubilden, gesund zu sein? Und wird man nicht dadurch ebensogut seine Gesundheit stärken und erhalten können, als durch das Gegenteil die Krankheit?
Als ein Beitrag zu dieser wichtigen Lehre und als Beförderungsmittel der Herrschaft und Heilkraft des Geistes über den Körper, mögen auch folgende Worte Kants, die letzten, die dieser große Geist zu uns gesprochen, dienen. Er schrieb sie auf meine Veranlassung vor 30 Jahren, wo sie in meinem Journal der prakt. Heilkunde abgedruckt wurden, und gern habe ich der Aufforderung des Herrn Verlegers zu einem neuen besondern Abdrucke gewillfahret und sie mit einigen Bemerkungen versehen. Mögen sie ihren Zweck erreichen!
Berlin im Mai 1824.
C. W. Hufeland.Ein Schreiben an Herrn Professor Hufeland zu Jena im Jahr 17971
Daß meine Danksagung, für das den 12. Dez. 1796 an mich bestellte Geschenk, Ihres lehrreichen und angenehmen Buchs »von der Kunst das menschliche Leben zu verlängern« selbst auf ein langes Leben berechnet gewesen sein dürfte, möchten Sie vielleicht aus dem Datum dieser meiner Antwort vom Januar dieses Jahres zu schließen Ursache haben; wenn das Altgewordensein nicht schon die öftere Vertagung (procrastinatio) wichtiger Beschlüsse bei sich führete, dergleichen doch wohl der des Todes ist, welcher sich immer zu früh für uns anmeldet, und den man warten zu lassen an Ausreden unerschöpflich ist.
Sie verlangen von mir »ein Urteil über Ihr Bestreben das Physische im Menschen moralisch zu behandeln; den ganzen, auch physischen, Menschen als ein auf Moralität berechnetes Wesen darzustellen, und die moralische Kultur als unentbehrlich zur physischen Vollendung der überall nur in der Anlage vorhandenen Menschennatur zu zeigen«, und setzen hinzu: »wenigstens kann ich versichern, daß es keine vorgefaßte Meinungen waren, sondern ich durch die Arbeit und Untersuchung selbst unwiderstehlich in diese Behandlungsart hineingezogen wurde«. – Eine solche Ansicht der Sache verrät den Philosophen, nicht den bloßen Vernunftkünstler; einen Mann, der nicht allein, gleich einem der Direktoren des französischen Konvents, die von der Vernunft verordneten Mittel der Ausführung (technisch), wie sie die Erfahrung darbietet, zu seiner Heilkunde mit Geschicklichkeit, sondern, als gesetzgebendes Glied im Korps der Ärzte, aus der reinen Vernunft hernimmt, welche zu dem, was hilft, mit Geschicklichkeit, auch das, was zugleich an sich Pflicht ist, mit Weisheit zu verordnen weiß: so, daß moralisch-praktische Philosophie zugleich eine Universalmedizin abgibt, die zwar nicht allen für alles hilft, aber doch in keinem Rezepte mangeln kann.
Dieses Universalmittel betrifft aber nur die Diätetik, d. i. es wirkt nur negativ, als Kunst, Krankheiten abzuhalten. Dergleichen Kunst aber setzt ein Vermögen voraus, das nur Philosophie, oder der Geist derselben, den man schlechthin voraussetzen muß, geben kann. Auf diesen bezieht sich die oberste diätetische Aufgabe, welche in dem Thema enthalten ist:
Von der Macht des Gemüts des Menschen, über seine krankhafte Gefühle durch den bloßen festen Vorsatz Meister zu sein.
Die, die Möglichkeit dieses Ausspruchs bestätigenden, Beispiele kann ich nicht von der Erfahrung anderer hernehmen, sondern zuerst nur von der an mir selbst angestellten; weil sie aus dem Selbstbewußtsein hervorgeht, und sich nachher allererst andere fragen läßt: ob es nicht auch sie ebenso in sich wahrnehmen. – Ich sehe mich also genötigt, mein Ich laut werden zu lassen; was im dogmatischen Vortrage2 Unbescheidenheit verrät; aber Verzeihung verdient, wenn es nicht gemeine Erfahrung, sondern ein inneres Experiment oder Beobachtung betrifft, welche ich zuerst an mir selbst angestellt haben muß, um etwas, was nicht jedermann von selbst, und ohne darauf geführt zu sein, beifällt, zu seiner Beurteilung vorzulegen. – Es würde tadelhafte Anmaßung sein, andere mit der inneren Geschichte meines Gedankenspiels unterhalten zu wollen, welche zwar subjektive Wichtigkeit (für mich) aber keine objektive (für jedermann geltende) enthielten. Wenn aber dieses Aufmerken auf sich selbst und die daraus hervorgehende Wahrnehmung nicht so gemein ist, sondern, daß jeder dazu aufgefordert werde, eine Sache ist, die es bedarf und verdient, so kann dieser Übelstand mit seinen Privatempfindungen andere zu unterhalten wenigstens verziehen werden.
Ehe ich nun mit dem Resultat meiner, in Absicht auf Diätetik angestellten, Selbstbeobachtung aufzutreten wage, muß ich noch etwas über die Art bemerken, wie Herr Hufeland die Aufgabe der Diätetik, d. i. der Kunst stellt, Krankheiten vorzubeugen, im Gegensatz mit der Therapeutik, sie zu heilen.
Sie heißt ihm »die Kunst das menschliche Leben zu verlängern«.
Er nimmt seine Benennung von demjenigen her, was die Menschen am sehnsüchtigsten wünschen, ob es gleich vielleicht weniger wünschenswert sein dürfte. Sie möchten zwar gern zwei Wünsche zugleich thun: nämlich lange zu leben und dabei gesund zu sein; aber der erstere Wunsch hat den letzteren nicht zur notwendigen Bedingung: sondern er ist unbedingt. Laßt den Hospitalkranken jahrelang auf seinem Lager leiden und darben und ihn oft wünschen hören, daß ihn der Tod je eher je lieber von dieser Plage erlösen möge; glaubt ihm nicht, es ist nicht sein Ernst. Seine Vernunft sagt es ihm zwar vor, aber der Naturinstinkt will es anders. Wenn er dem Tode, als seinem Befreier (Jovi liberatori), winkt, so verlangt er doch immer noch eine kleine Frist und hat immer irgend einen Vorwand zur Vertagung (procrastinatio) seines peremtorischen Dekrets. Der in wilder Entrüstung gefaßte Entschluß des Selbstmörders, seinem Leben ein Ende zu machen, macht hievon keine Ausnahme: denn er ist die Wirkung eines bis zum Wahnsinn exaltierten Affekts. – Unter den zwei Verheißungen für die Befolgung der Kindespflicht – »auf daß dir es wohlgehe und du lange lebest auf Erden« – enthält die letztere die stärkere Triebfeder, selbst im Urteile der Vernunft, nämlich als Pflicht, deren Beobachtung zugleich verdienstlich ist.
Die Pflicht das Alter zu ehren gründet sich nämlich eigentlich nicht auf die billige Schonung, die man den Jüngeren gegen die Schwachheit der Alten zumutet: denn die ist kein Grund zu einer ihnen schuldigen Achtung. Das Alter will also noch für etwas Verdienstliches angesehen werden; weil ihm eine Verehrung zugestanden wird. Also, nicht etwa weil Nestorjahre zugleich durch viele und lange Erfahrung erworbene Weisheit, zu Leitung der jüngeren Welt, bei sich führen, sondern bloß weil, wenn nur keine Schande dasselbe befleckt hat, der Mann, welcher sich so lange erhalten hat, d. i. der Sterblichkeit, als dem demütigendsten Ausspruch, der über ein vernünftiges Wesen nur gefällt werden kann – »du bist Erde und sollst zur Erde werden« – so lange hat ausweichen und gleichsam der Unsterblichkeit hat abgewinnen können, weil, sage ich, ein solcher Mann sich so lange lebend erhalten und zum Beispiel aufgestellt hat.
Mit der Gesundheit, als dem zweiten natürlichen Wunsche, ist es dagegen nur mißlich bewandt. Man kann sich gesund fühlen (aus dem behaglichen Gefühl seines Lebens urteilen), nie aber wissen, daß man gesund sei. – Jede Ursache des natürlichen Todes ist Krankheit: man mag sie fühlen oder nicht. – Es gibt viele, von denen, ohne sie eben verspotten zu wollen, man sagt, daß sie für immer kränkeln, nie krank werden können; deren Diät ein immer wechselndes Abschweifen und wieder Einbeugen ihrer Lebensweise ist, und die es im Leben, wenngleich nicht den Kraftäußerungen, doch der Länge nach, weit bringen. Wie viel aber meiner Freunde oder Bekannten habe ich nicht überlebt, die sich bei einer einmal angenommenen ordentlichen Lebensart einer völligen Gesundheit rühmten: indessen daß der Keim des Todes (die Krankheit) der Entwickelung nahe, unbemerkt in ihnen lag, und der, welcher sich gesund fühlte, nicht wußte, daß er krank war; denn die Ursache eines natürlichen Todes kann man doch nicht anders als Krankheit nennen. Die Kausalität aber kann man nicht fühlen, dazu gehört Verstand, dessen Urteil irrig sein kann, indessen daß das Gefühl untrüglich ist, aber nur dann, wenn man sich krankhaft fühlt, diesen Namen führt; fühlt man sich aber so auch nicht, doch gleichwohl in dem Menschen verborgenerweise und zur baldigen Entwickelung bereit liegen kann; daher der Mangel dieses Gefühls keinen andern Ausdruck des Menschen für sein Wohlbefinden verstattet, als daß er scheinbarlich gesund sei. Das lange Leben also, wenn man dahin zurücksieht, kann nur die genossene Gesundheit bezeugen, und die Diätetik wird vor allem in der Kunst das Leben zu verlängern (nicht es zu genießen) ihre Geschicklichkeit oder Wissenschaft zu beweisen haben: wie es auch Herr Hufeland so ausgedrückt haben will.
Grundsatz der Diätetik
Auf Gemächlichkeit muß die Diätetik nicht berechnet werden; denn diese Schonung seiner Kräfte und Gefühle ist Verzärtelung, d. i. sie hat Schwäche und Kraftlosigkeit zur Folge und ein allmähliches Erlöschen der Lebenskraft, aus Mangel der Übung; sowie eine Erschöpfung derselben durch zu häufigen und starken Gebrauch derselben. Der Stoizismus, als Prinzip der Diätetik (sustine et abstine), gehört also nicht bloß zur praktischen Philosophie als Tugendlehre, sondern auch zu ihr als Heilkunde. Diese ist alsdann philosophisch, wenn bloß die Macht der Vernunft im Menschen, über seine sinnlichen Gefühle durch einen sich selbst gegebenen Grundsatz Meister zu sein, die Lebensweise bestimmt. Dagegen, wenn sie diese Empfindungen zu erregen oder abzuwehren die Hilfe außer sich in körperlichen Mitteln (der Apotheke, oder der Chirurgie) sucht, sie bloß empirisch und mechanisch ist.
Die Wärme, der Schlaf, die sorgfältige Pflege des nicht Kranken sind solche Verwöhnungen der Gemächlichkeit.
1) Ich kann, der Erfahrung an mir selbst gemäß, der Vorschrift nicht beistimmen: »man soll Kopf und Füße warm halten«3. Ich finde es dagegen geratener beide kalt zu halten (wozu die Russen auch die Brust zählen); gerade der Sorgfalt wegen, um mich nicht zu verkälten. – Es ist freilich gemächlicher im laulichen Wasser sich die Füße zu waschen, als es zur Winterszeit mit beinahe eiskaltem zu thun; dafür aber entgeht man dem Übel der Erschlaffung der Blutgefäße in so weit vom Herzen entlegenen Teilen, welches im Alter oft eine nicht mehr zu hebende Krankheit der Füße nach sich zieht. – Den Bauch, vornehmlich bei kalter Witterung, warm zu halten, möchte eher zur diätetischen Vorschrift statt der Gemächlichkeit gehören; weil er Gedärme in sich schließt, die einen langen Gang hindurch einen nicht flüssigen Stoff forttreiben sollen, wozu der sogenannte Schmachtriemen (ein breites, den Unterleib haltendes und die Muskeln desselben unterstützendes Band) bei Alten, aber eigentlich nicht der Wärme wegen, gehört.
2) Lange oder (wiederholentlich, durch Mittagsruhe) viel schlafen ist freilich ebensoviel Ersparnis am Ungemache, was überhaupt das Leben im Wachen unvermeidlich bei sich führt, und es ist wunderlich genug sich ein langes Leben zu wünschen, um es größtenteils zu verschlafen. Aber das, worauf es hier eigentlich ankömmt, dieses vermeinte Mittel des langen Lebens, die Gemächlichkeit, widerspricht sich in seiner Absicht selbst. Denn das wechselnde Erwachen und wieder Einschlummern in langen Winternächten ist für das ganze Nervensystem lähmend, zermalmend und in täuschender Ruhe krafterschöpfend: mithin die Gemächlichkeit hier eine Ursache der Verkürzung des Lebens. – Das Bett ist das Nest einer Menge von Krankheiten.
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1
Ich übersendete mein Buch Hrn. Prof. Kant, um ihm einen Beweis der Verehrung zu geben, die gewiß jeder denkende Mensch diesem Weisen zollt, zugleich aber um ihn vielleicht zu veranlassen, über einige darin enthaltene und für das philosophische Tribunal gehörige Ideen nachzudenken, wodurch ich unsrer Kunst zugleich einen Vorteil zu verschaffen hoffte. Ich freue mich ungemein, meinen Wunsch erfüllt zu sehen und hier meinen Lesern mehrere dadurch veranlaßte Ideen und Entwicklungen mitteilen zu können, die für jeden denkenden Arzt höchst interessant sein müssen, und die zugleich über die individuelle geistige und körperliche Diätetik dieses großen Mannes sehr lehrreiche Notizen erteilen. – Was einige für mich zu schmeichelhafte Ausdrücke darin betrifft, so bitte ich zu bedenken, daß sie in einem an mich geschriebenen Briefe vorkommen, und ich hoffe dadurch jedem Vorwurf zu entgehen, der mir darüber gemacht werden könnte, daß ich sie stehen ließ, welches ich um so weniger verhindern konnte, da sonst der ganze Sinn hie und da verloren gegangen wäre, auch ich überdies offenherzig gestehe, daß ich nicht ein Wort auszustreichen wage, was ein Kant geschrieben hat.
H.2
Im dogmatisch-praktischen Vortrage, z. B. derjenigen Beobachtung seiner selbst, die auf Pflichten abzweckt, die jedermann angehen, spricht der Kanzelredner nicht durch Ich, sondern Wir. In dem erzählenden aber, der Privatempfindung (der Beichte, welche der Patient seinem Arzte ablegt), oder eigener Erfahrung an sich selbst, muß er durch Ich reden.
3
Den Kopf warm zu halten, ist gewiß immer nachteilig, und die medizinische Regel ist eigentlich: »den Kopf kühl und die Füße warm zu halten«. Es bedarf daher diese Äußerung des würdigen Verfassers einige Berichtigung. Es ist allerdings vollkommen wahr, daß, wenn wir unsere Füße von Jugend auf ebenso bloß trügen, wie unsere Hände, Gesicht, und die Weiber auch den Hals und die Brust, wir sie ebensogut gegen Kälte und Witterung würden abhärten können, wie diese, und Millionen von Menschen, welche barfuß laufen, beweisen dieses. Da aber unser Klima und unsere Lebensverhältnisse uns nicht erlauben, das Bloßtragen immer fortzusetzen, sondern die Füße bekleidet zu tragen gebieten, so entsteht dadurch schon die Möglichkeit einer Erkältung, durch Weglassung der gewohnten Bedeckung. Und da es nun überdies gar nicht zu leugnen ist, daß die Füße, besonders der Unterfuß, in einer ganz besondern antagonistischen Verbindung mit den oberen Teilen stehen, so daß durch Erkältung, das heißt, Unterdrückung der Hautthätigkeit, sehr leicht ein Krankheitsreiz auf Kopf, Brust und Unterleibseingeweide reflektiert werden kann, so folgt allerdings daraus die Notwendigkeit, dieselben nicht sowohl warm, sondern in einer gleichmäßigen Temperatur zu halten.
H.