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Frau Bovary
Frau Bovary

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Frau Bovary

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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Der Regen hörte auf. Es dämmerte. Auf den laublosen Ästen der Apfelbäume hockten regungslose Vögel, das Gefieder ob des kühlen Morgenwindes gesträubt. So weit das Auge sah, dehnte sich flaches Land. Auf dieser endlosen grauen Fläche hoben sich hie und da in großen Zwischenräumen tiefviolette Flecken ab, die am Horizonte mit des Himmels trüben Farben zusammenflossen; das waren Baumgruppen um Güter und Meiereien herum. Von Zeit zu Zeit riß Karl seine Augen auf, bis ihn die Müdigkeit von neuem überwältigte und der Schlaf von selber wiederkam. Er geriet in einen traumartigen Zustand, in dem sich frische Empfindungen mit alten Erinnerungen paarten, so daß er ein Doppelleben führte. Er war noch Student und gleichzeitig schon Arzt und Ehemann. Im nämlichen Moment glaubte er in seinem Ehebette zu liegen und wie einst durch den Operationssaal zu schreiten. Der Geruch von heißen Umschlägen mischte sich in seiner Phantasie mit dem frischen Dufte des Morgentaus. Dazu hörte er, wie die Messingringe an den Stangen der Bettvorhänge klirrten und wie seine Frau im Schlafe atmete …

Als er durch das Dorf Vassonville ritt, bemerkte er einen Jungen, der am Rande des Straßengrabens im Grase saß.

„Sind Sie der Herr Doktor?“

Als Karl diese Frage bejahte, nahm der Kleine seine Holzpantoffeln in die Hände und begann vor dem Pferde herzurennen. Unterwegs hörte Bovary aus den Reden seines Führers heraus, daß Herr Rouault, der Patient, der ihn erwartete, einer der wohlhabendsten Landwirte sei. Er hatte sich am vergangenen Abend auf dem Heimwege von einem Nachbar, wo man das Dreikönigsfest gefeiert hatte, ein Bein gebrochen. Seine Frau war schon zwei Jahre tot. Er lebte ganz allein mit „dem gnädigen Fräulein“, das ihm den Haushalt führte.

Die Radfurchen wurden tiefer. Man näherte sich dem Gute. Plötzlich verschwand der Junge in der Lücke einer Gartenhecke, um hinter der Mauer eines Vorhofes wieder aufzutauchen, wo er ein großes Tor öffnete. Das Pferd trat in nasses rutschiges Gras, und Karl mußte sich ducken, um nicht vom Baumgezweig aus dem Sattel gerissen zu werden. Hofhunde fuhren aus ihren Hütten, schlugen an und rasselten an den Ketten. Als der Arzt in den eigentlichen Gutshof einritt, scheute der Gaul und machte einen großen Satz zur Seite.

Das Pachtgut Bertaux war ein ansehnliches Besitztum. Durch die offenstehenden Türen konnte man in die Ställe blicken, wo kräftige Ackergäule gemächlich aus blanken Raufen ihr Heu kauten. Längs der Wirtschaftsgebäude zog sich ein dampfender Misthaufen hin. Unter den Hühnern und Truthähnen machten sich fünf bis sechs Pfauen mausig, der Stolz der Güter jener Gegend. Der Schafstall war lang, die Scheune hoch und ihre Mauern spiegelglatt. Im Schuppen standen zwei große Leiterwagen und vier Pflüge, dazu die nötigen Pferdegeschirre, Kumte und Peitschen; auf den blauen Woilachs aus Schafwolle hatte sich feiner Staub gelagert, der von den Kornböden heruntersickerte. Der Hof, der nach dem Wohnhause zu etwas anstieg, war auf beiden Seiten mit einer Reihe Bäume bepflanzt. Vom Tümpel her erscholl das fröhliche Geschnatter der Gänse.

An der Schwelle des Hauses erschien ein junges Frauenzimmer in einem mit drei Volants besetzten blauen Merinokleide und begrüßte den Arzt. Er wurde nach der Küche geführt, wo ein tüchtiges Feuer brannte. Auf dem Herde kochte in kleinen Töpfen von verschiedener Form das Frühstück des Gesindes. Oben im Rauchfang hingen naßgewordene Kleidungsstücke zum Trocknen. Kohlenschaufel, Feuerzange und Blasebalg, alle miteinander von riesiger Größe, funkelten wie von blankem Stahl, während längs der Wände eine Unmenge Küchengerät hing, über dem die helle Herdflamme um die Wette mit den ersten Strahlen der durch die Fenster huschenden Morgensonne spielte und glitzerte.

Karl stieg in den ersten Stock hinauf, um den Kranken aufzusuchen. Er fand ihn in seinem Bett, schwitzend unter seinen Decken. Seine Nachtmütze hatte er in die Stube geschleudert. Es war ein stämmiger kleiner Mann, ein Fünfziger, mit weißem Haar, blauen Augen und kahler Stirn. Er trug Ohrringe. Neben ihm auf einem Stuhle stand eine große Karaffe voll Branntwein, aus der er sich von Zeit zu Zeit ein Gläschen einschenkte, um „Mumm in die Knochen zu kriegen“. Angesichts des Arztes legte sich seine Erregung. Statt zu fluchen und zu wettern – was er seit zwölf Stunden getan hatte – fing er nunmehr an zu ächzen und zu stöhnen.

Der Bruch war einfach, ohne jedwede Komplikation. Karl hätte sich einen leichteren Fall nicht zu wünschen gewagt. Alsbald erinnerte er sich der Allüren, die seine Lehrmeister an den Krankenlagern zur Schau getragen harten, und spendete dem Patienten ein reichliches Maß der üblichen guten Worte, jenes Chirurgenbalsams, der an das Öl gemahnt, mit dem die Seziermesser eingefettet werden. Er ließ sich aus dem Holzschuppen ein paar Latten holen, um Holz zu Schienen zu bekommen. Von den gebrachten Stücken wählte er eins aus, schnitt die Schienen daraus zurecht und glättete sie mit einer Glasscherbe. Währenddem stellte die Magd Leinwandbinden her, und Fräulein Emma, die Tochter des Hauses, versuchte Polster anzufertigen. Als sie ihren Nähkasten nicht gleich fand, polterte der Vater los. Sie sagte kein Wort. Aber beim Nähen stach sie sich in den Finger, nahm ihn in den Mund und sog das Blut aus.

Karl war erstaunt, was für blendendweiße Nägel sie hatte. Sie waren mandelförmig geschnitten und sorglich gepflegt, und so schimmerten sie wie das feinste Elfenbein. Ihre Hände freilich waren nicht gerade schön, vielleicht nicht weiß genug und ein wenig zu mager in den Fingern; dabei waren sie allzu schlank, nicht besonders weich und in ihren Linien ungraziös. Was jedoch schön an ihr war, das waren ihre Augen. Sie waren braun, aber im Schatten der Wimpern sahen sie schwarz aus, und ihr offener Blick traf die Menschen mit der Kühnheit der Unschuld.

Als der Verband fertig war, lud Herr Rouault den Arzt feierlich „einen Bissen zu essen“, ehe er wieder aufbräche. Karl ward in das Eßzimmer geführt, das zu ebener Erde lag. Auf einem kleinen Tische war für zwei Personen gedeckt; neben den Gedecken blinkten silberne Becher. Aus dem großen Eichenschranke, gegenüber dem Fenster, strömte Geruch von Iris und feuchtem Leinen. In einer Ecke standen aufrecht in Reih und Glied mehrere Säcke mit Getreide; sie hatten auf der Kornkammer nebenan keinen Platz gefunden, zu der drei Steinstufen hinaufführten. In der Mitte der Wand, deren grüner Anstrich sich stellenweise abblätterte, hing in einem vergoldeten Rahmen eine Bleistiftzeichnung: der Kopf einer Minerva. In schnörkeliger Schrift stand darunter geschrieben. „Meinem lieben Vater!“

Sie sprachen zuerst von dem Unfall, dann vom Wetter, vom starken Frost, von den Wölfen, die nachts die Umgegend unsicher machen. Fräulein Rouault schwärmte gar nicht besonders von dem Leben auf dem Lande, zumal jetzt nicht, wo die ganze Last der Gutswirtschaft fast allein auf ihr ruhe. Da es im Zimmer kalt war, fröstelte sie während der ganzen Mahlzeit. Beim Essen fielen ihre vollen Lippen etwas auf. Wenn das Gespräch stockte, pflegte sie mit den Oberzähnen auf die Unterlippe zu beißen.

Ihr Hals wuchs aus einem weißen Umlegekragen heraus. Ihr schwarzes, hinten zu einem reichen Knoten vereintes Haar war in der Mitte gescheitelt; beide Hälften lagen so glatt auf dem Kopfe, daß sie wie zwei Flügel aus je einem Stücke aussahen und kaum die Ohrläppchen blicken ließen. Über den Schläfen war das Haar gewellt, was der Landarzt noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Ihre Wangen waren rosig. Zwischen zwei Knöpfen ihrer Taille lugte – wie bei einem Herrn – ein Lorgnon aus Schildpatt hervor.

Nachdem sich Karl oben beim alten Rouault verabschiedet hatte, trat er nochmals in das Eßzimmer. Er fand Emma am Fenster stehend, die Stirn an die Scheiben gedrückt. Sie schaute in den Garten hinaus, wo der Wind die Bohnenstangen umgeworfen hatte. Sich umwendend, fragte sie:

„Suchen Sie etwas?“

„Meinen Reitstock, wenn Sie gestatten!“

Er fing an zu suchen, hinter den Türen und unter den Stühlen. Der Stock war auf den Fußboden gefallen, gerade zwischen die Säcke und die Wand. Emma entdeckte ihn. Als sie sich über die Säcke beugte, wollte Karl ihr galant zuvorkommen. Wie er seinen Arm in der nämlichen Absicht wie sie ausstreckte, berührte seine Brust den gebückten Rücken des jungen Mädchens. Sie fühlten es beide. Emma fuhr rasch in die Höhe. Ganz rot geworden, sah sie ihn über die Schulter weg an, indem sie ihm seinen Reitstock reichte.

Er hatte versprochen, in drei Tagen wieder nachzusehen; statt dessen war er bereits am nächsten Tag zur Stelle, und von da ab kam er regelmäßig zweimal in der Woche, ungerechnet die gelegentlichen Besuche, die er hin und wieder machte, wenn er „zufällig in der Gegend“ war. Übrigens ging alles vorzüglich; die Heilung verlief regelrecht, und als man nach sechs und einer halben Woche Vater Rouault ohne Stock wieder in Haus und Hof herumstiefeln sah, hatte sich Bovary in der ganzen Gegend den Ruf einer Kapazität erworben. Der alte Herr meinte, besser hätten ihn die ersten Ärzte von Yvetot oder selbst von Rouen auch nicht kurieren können.

Karl dachte gar nicht daran, sich zu befragen, warum er so gern nach dem Rouaultschen Gute kam. Und wenn er auch darüber nachgesonnen hätte, so würde er den Beweggrund seines Eifers zweifellos in die Wichtigkeit des Falles oder vielleicht in das in Aussicht stehende hohe Honorar gelegt haben. Waren dies aber wirklich die Gründe, die ihm seine Besuche des Pachthofes zu köstlichen Abwechselungen in dem armseligen Einerlei seines tätigen Lebens machten? An solchen Tagen stand er zeitig auf, ritt im Galopp ab und ließ den Gaul die ganze Strecke lang kaum zu Atem kommen. Kurz vor seinem Ziele aber pflegte er abzusitzen und sich die Stiefel mit Gras zu reinigen; dann zog er sich die braunen Reithandschuhe an, und so ritt er kreuzvergnügt in den Gutshof ein. Es war ihm ein Wonnegefühl, mit der Schulter gegen den nachgebenden Flügel des Hoftores anzureiten, den Hahn auf der Mauer krähen zu hören und sich von der Dorfjugend umringt zu sehen. Er liebte die Scheune und die Ställe; er liebte den Papa Rouault, der ihm so treuherzig die Hand schüttelte und ihn seinen Lebensretter nannte; er liebte die niedlichen Holzpantoffeln des Gutsfräuleins, die auf den immer sauber gescheuerten Fliesen der Küche so allerliebst schlürften und klapperten. In diesen Schuhen sah Emma viel größer aus denn sonst. Wenn Karl wieder ging, gab sie ihm jedesmal das Geleit bis zur ersten Stufe der Freitreppe. War sein Pferd noch nicht vorgeführt, dann wartete sie mit. Sie hatten schon Abschied voneinander genommen, und so sprachen sie nicht mehr. Wenn es sehr windig war, kam ihr flaumiges Haar im Nacken in wehenden Wirrwarr, oder die Schürzenbänder begannen ihr um die Hüften zu flattern. Einmal war Tauwetter. An den Rinden der Bäume rann Wasser in den Hof hinab, und auf den Dächern der Gebäude schmolz aller Schnee. Emma war bereits auf der Schwelle, da ging sie wieder ins Haus, holte ihren Sonnenschirm und spannte ihn auf. Die Sonnenlichter stahlen sich durch die taubengraue Seide und tupften tanzende Reflexe auf die weiße Haut ihres Gesichts. Das gab ein so warmes und wohliges Gefühl, daß Emma lächelte. Einzelne Wassertropfen prallten auf das Schirmdach, laut vernehmbar, einer, wieder einer, noch einer …

Im Anfang hatte Frau Bovary häufig nach Herrn Rouault und seiner Krankheit gefragt, auch hatte sie nicht verfehlt, für ihn in ihrer doppelten Buchführung ein besondres Konto einzurichten. Als sie aber vernahm, daß er eine Tochter hatte, zog sie nähere Erkundigungen ein, und da erfuhr sie, daß Fräulein Rouault im Kloster, bei den Ursulinerinnen, erzogen worden war, sozusagen also „eine feine Erziehung genossen“ hatte, daß sie infolgedessen Kenntnisse im Tanzen, in der Erdkunde, im Zeichnen, Sticken und Klavierspielen haben mußte. Das ging ihr über die Hutschnur, wie man zu sagen pflegt.

„Also darum!“ sagte sie sich. „Darum also lacht ihm das ganze Gesicht, wenn er zu ihr hinreitet! Darum zieht er die neue Weste an, gleichgültig, ob sie ihm vom Regen verdorben wird! Oh dieses Weib, dieses Weib!“

Instinktiv haßte sie Emma. Zuerst tat sie sich eine Güte in allerhand Anspielungen. Karl verstand das nicht. Darauf versuchte sie es mit anzüglichen Bemerkungen, die er aus Angst vor einer häuslichen Szene über sich ergehen ließ. Schließlich aber ging sie im Sturm vor. Karl wußte nicht, was er sagen sollte. Weshalb renne er denn ewig nach Bertaux, wo doch der Alte längst geheilt sei, wenn die Rasselbande auch noch nicht berappt habe? Na freilich, weil es da „eine Person“ gäbe, die fein zu schwatzen verstünde, ein Weibsbild, das sticken könne und weiter nichts, ein Blaustrumpf! In die sei er verschossen! Ein Stadtdämchen, das sei ihm ein gefundenes Fressen.

„Blödsinn!“ polterte sie weiter. „Die Tochter des alten Rouault, die und eine feine Dame! O jeh! Ihr Großvater hat noch die Schafe gehütet, und ein Vetter von ihr ist beinahe vor den Staatsanwalt gekommen, weil er bei einem Streite jemanden halbtot gedroschen hat! So was hat gar keinen Anlaß, sich was Besonders einzubilden und Sonntags aufgedonnert in die Kirche zu schwänzeln, in seidnen Kleidern wie eine Prinzessin. Und der Alte, der arme Schluder! Wenn im vergangenen Jahre die Rapsernte nicht so unverschämt gut ausgefallen wäre, hätte er seinen lumpigen Pacht nicht mal blechen können!“

Die Freude war Karl verdorben. Er stellte seine Ritte nach Bertaux ein. Seine Frau hatte ihn nach einer Flut von Tränen und Küssen und unter tausend Zärtlichkeiten auf ihr Meßbuch schwören lassen, nicht mehr hinzugehen. Er gehorchte. Aber in seiner heimlichen Sehnsucht war er kühner; da war er empört über seine tatsächliche eigne Feigheit. Und in naivem Machiavellismus sagte er sich, gerade ob dieses Verbots habe er ein Recht auf seine Liebe. Was war die ehemalige Witwe auch für ein Weib: sie war spindeldürr und hatte häßliche Zähne; Sommer wie Winter trug sie denselben schwarzen Schal mit dem über den Rücken herabhängenden langen Zipfel; ihre steife Figur stak in den immer zu kurzen Kleidern wie in einem Futteral, und was für plumpe Schuhe trug sie über ihren grauen Strümpfen.

Karls Mutter kam von Zeit zu Zeit zu Besuch. Dann wurde es noch schlimmer; dann hackten sie alle beide auf ihn ein. Das viele Essen bekäme ihm schlecht. Warum er dem ersten besten immer gleich ein Glas Wein vorsetze? Und es sei bloß Dickköpfigkeit von ihm, keine Flanellwäsche zu tragen.

Zu Beginn des Frühlings begab es sich, daß der Vermögensverwalter der Frau verwitweten Dubuc, ein Notar in Ingouville, samt allen ihm anvertrauten Geldern übers Meer das Weite suchte. Nun besaß sie allerdings außerdem einen Schiffsanteil in der Höhe von sechstausend Franken und ein Haus in Dieppe. Aber von allen diesen vielgepriesenen Besitztümern hatte man nie etwas Ordentliches zu sehen bekommen. Die Witwe hatte nichts mit in die Ehe gebracht als ein paar Möbel und etliche Nippsachen. Nunmehr ging man der Sache auf den Grund, und da stellte sich denn heraus, daß besagtes Haus bis an die Feueresse mit Hypotheken belastet, daß kein Mensch wußte, wieviel Geld wirklich mit dem Notar zum Teufel gegangen, und daß die Schiffshypothek keine tausend Taler wert war. Folglich hatte die liebe Frau Heloise geflunkert. In seinem Zorn warf der alte Bovary einen Stuhl gegen die Wand, daß er in tausend Stücke ging, und machte seiner Frau den Vorwurf, sie habe den Jungen in das Unglück gestürzt und ihn mit einer alten Kracke eingespannt, die des Futters nicht einmal mehr wert sei.

Sie fuhren nach Tostes. Es kam zu einer Auseinandersetzung und zu heftigen Szenen. Heloise warf sich weinend in die Arme ihres Gatten und beschwor ihn, sie den Eltern gegenüber in Schutz zu nehmen. Karl wollte die Partei seiner Frau ergreifen. Aber das nahmen ihm die Alten übel. Sie reisten ab.

Diesen Schlag vermochte Heloise nicht zu verwinden. Acht Tage darnach, als sie dabei war, Wäsche im Hofe aufzuhängen, bekam sie einen Blutsturz, und am andern Morgen war sie tot.

Als Karl vom Friedhofe zurückkam, fand er im Erdgeschoß keinen Menschen. Er stieg die Treppe hinauf. Wie er in das Schlafzimmer trat, fiel sein Blick auf einen Rock Heloisens, der am Bette hing. Er lehnte sich gegen das Schreibpult und blieb da hocken, bis es dunkel wurde, in schmerzliche Träumereien versunken. Alles in allem hatte sie ihn doch geliebt …

Drittes Kapitel

Eines Vormittags erschien Vater Rouault und brachte das Honorar für den behandelten Beinbruch: fünfundsiebzig Franken in blanken Talern und eine Truthenne. Er hatte Karls Unglück erfahren und tröstete ihn, so gut er konnte.

„Ich weiß, wie einem da zumute ist!“ sagte er, indem er dem Witwer auf die Schulter klopfte. „Habs ja selber mal durchgemacht, ganz so wie Sie! Als ich meine Selige begraben hatte, da lief ich hinaus ins Freie, um allein für mich zu sein. Ich warf mich im Walde hin und weinte mich aus. Fing an, mit dem lieben Gott zu hadern, und machte ihm die dümmsten Vorwürfe. An einem Aste sah ich einen verreckten Maulwurf hängen, dem der Bauch von Würmern wimmelte. Ich beneidete den Kadaver! Und wenn ich daran dachte, daß im selben Augenblicke andre Männer mit ihren netten kleinen Frauen zusammen waren und sie an sich drückten, schlug ich mit meinem Stocke wild um mich. Es war sozusagen nicht mehr ganz richtig mit mir. Ich aß nicht mehr. Der bloße Gedanke, in ein Kaffeehaus zu gehn, ekelte mich an. Glauben Sie mir das! Na, und so nach und nach im Gang der Zeiten, wie so der Frühling dem Winter und der Herbst dem Sommer folgte, da gings eins, zwei, drei, und weg war der Jammer! Weg! Hinunter! Das ist das richtige Wort: hinunter! Denn ganz kriegt man ja so was im ganzen Leben nicht los. Da tief drinnen in der Brust bleibt immer was stecken. Aber Luft kriegt man wieder! Sehen Sie, das ist nun einmal unser aller Schicksal, und deshalb darf man nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Man darf nicht sterben wollen, weil andere gestorben sind. Auch Sie müssen sich aufrappeln, Herr Bovary! Es geht alles vorüber! Besuchen Sie uns! Sie wissen ja, meine Emma denkt oft an Sie. Sie hätten uns vergessen, meint sie. Es wird nun Frühling. Zerstreuen Sie sich ein bißchen bei uns. Schießen Sie ein paar Karnickel auf meinem Revier!“

Karl befolgte seinen Rat. Er kam wieder nach Bertaux und fand da alles wie einst, das heißt wie vor fünf Monaten. Die Birnbäume hatten schon Blüten, und der treffliche Vater Rouault war wieder mordsgesund und von früh bis abend auf den Beinen. Und im ganzen Gut war mächtiger Betrieb.

Es war ihm eine Ehrensache, den Arzt mit der erdenklichsten Rücksicht auf sein Leid zu behandeln. Er bat ihn, sichs so bequem wie nur möglich zu machen, sprach im Flüstertone mit ihm wie mit einem Genesenden, und er war sichtlich außer sich, wenn man des Gastes wegen nicht, wie befohlen, die leichtverdaulichsten Gerichte auf den Tisch brachte, zum Beispiel feine Eierspeisen oder gedünstete Birnen. Er erzählte Anekdoten und Abenteuer. Zu seiner eignen Verwunderung lachte Karl. Aber mir einem Male erinnerte er sich seiner Frau und wurde nachdenklich. Der Kaffee ward gebracht, und da vergaß er sie wieder.

Je mehr er sich an sein Witwertum gewöhnte, um so weniger gedachte er der Verstorbenen. Das angenehme, ihm neue Bewußtsein, unabhängig zu sein, machte ihm die Einsamkeit bald erträglicher. Jetzt durfte er die Stunden der Mahlzeiten selber bestimmen, konnte gehen und kommen, ohne Rechenschaft darüber geben zu müssen, und wenn er müde war, alle vier von sich strecken und sich in seinem Bette breit machen. Er hegte und pflegte sich und ließ alle Tröstungen über sich ergehen. Übrigens hatte der Tod seiner Frau keine ungünstige Wirkung auf seinen Beruf als Arzt. Indem man wochenlang in einem fort sagte: „Der arme Doktor. Wie traurig!“ blieb sein Name im Munde der Leute. Seine Praxis vergrößerte sich. Und dann konnte er nun nach Bertaux reiten, wann es ihm beliebte. Eine unbestimmbare Sehnsucht wuchs in ihm auf, ein namenloses Glücksgefühl. Wenn er sich im Spiegel betrachtete und sich den Bart strich, fand er sich gar nicht übel.

Eines schönen Tages kam er nachmittags gegen drei Uhr im Gute angeritten. Alles war draußen auf dem Felde. Er betrat die Küche. Emma war drinnen, aber er bemerkte sie zunächst nicht. Die Fensterläden waren geschlossen. Durch die Ritzen des Holzes stachen die Sonnenstrahlen mit langen dünnen Nadeln auf die Fliesen, oder sie brachen sich an den Kanten der Möbel entzwei und wirbelten hinauf zur Decke. Auf dem Küchentische krabbelten Fliegen an den Gläsern hinauf, purzelten summend in die Apfelweinneigen und ertranken. Das Sonnenlicht, das durch den Kamin eindrang, verwandelte die rußige Herdplatte in eine Samtfläche und färbte den Aschehaufen blau. Emma saß zwischen dem Fenster und dem Herd und nähte. Sie hatte kein Halstuch um, und auf ihren entblößten Schultern glänzten kleine Schweißperlen.

Nach ländlichem Brauch bot sie dem Ankömmling einen Trunk an. Als er ihn ausschlug, nötigte sie ihn, und schließlich bat sie ihn lachend, ein Gläschen Likör mit ihr zu trinken. Sie holte aus dem Schranke eine Flasche Curaçao, suchte zwei Gläser heraus, füllte das eine bis zum Rande und goß in das andre ein paar Tropfen. Sie stieß mit Karl an und führte dann ihr Glas zum Munde. Da soviel wie nichts drin war, mußte sie sich beim Trinken zurückbiegen. Den Kopf nach hinten gelegt, die Lippen zugespitzt, den Hals gestrafft, so stand sie da und lachte darüber, daß ihr nichts auf die Zunge lief, obgleich diese mit der Spitze aus den feinen Zähnen herausspazierte und bis an den Boden des Glases mehreremals suchend vorstieß.

Emma nahm wieder Platz und begann sich von neuem ihrer Handarbeit zu widmen. Ein weißer baumwollener Strumpf war zu stopfen. Mit gesenkter Stirn saß sie da. Sie sagte nichts und Karl erst recht nichts. Der Luftzug, der sich zwischen Tür und Schwelle eindrängte, wirbelte ein wenig Staub von den Fliesen auf. Karl sah diesem Tanze der Atome zu. Dabei hörte er nichts als das Hämmern seines Blutes im eignen Hirne und aus der Ferne das Gackern einer Henne, die irgendwo im Hofe ein Ei gelegt hatte. Hin und wieder hielt Emma die Handflächen ihrer Hände auf den kalten Knauf der Herdstange und preßte sie dann an ihre Wangen, um diese zu kühlen.

Sie klagte über die Schwindelanfälle, von denen sie seit Frühjahrsanfang heimgesucht wurde, und fragte, ob ihr wohl Seebäder dienlich wären. Dann plauderte sie von ihrem Aufenthalt im Kloster und er von seiner Gymnasiastenzeit. So gerieten sie in ein Gespräch. Sie führte ihn in ihr Zimmer und zeigte ihm ihre Notenhefte von damals und die niedlichen Bücher, die sie als Schulprämien bekommen hatte, und die Eichenlaubkränze, die im untersten Schrankfache ihr Dasein fristeten. Dann erzählte sie von ihrer Mutter, von deren Grabe, und zeigte ihm sogar im Garten das Beet, wo die Blumen wüchsen, die sie der Toten jeden ersten Freitag im Monat hintrug. Der Gärtner, den sie hatten, verstünde nichts. Mit dem seien sie schlecht dran. Ihr Wunsch wäre es, wenigstens während der Wintermonate in der Stadt zu wohnen. Dann aber meinte sie wieder, an den langen Sommertagen sei das Leben auf dem Lande noch langweiliger. Und je nachdem, was sie sagte, klang ihre Stimme hell oder scharf; oder sie nahm plötzlich einen matten Ton an, und wenn sie wie mit sich selbst plauderte, ward sie wieder ganz anders, wie flüsternd und murmelnd. Bald war Emma lustig und hatte große unschuldige Augen, dann wieder schlossen sich ihre Lider zur Hälfte, und ihr schimmernder Blick sah teilnahmslos und traumverloren aus.

Abends auf dem Heimritt wiederholte sich Karl alles, was sie geredet hatte, bis ins einzelne, und versuchte den vollen Sinn ihrer Worte zu erfassen. Er wollte sich damit eine Vorstellung von der Existenz schaffen, die Emma geführt, ehe er sie kennen gelernt hatte. Aber es gelang ihm nicht, sie in seinen Gedanken anders zu erschauen als so, wie sie ausgesehen hatte, als er sie zum ersten Male erblickt, oder so, wie er sie eben vor sich gehabt hatte. Dann fragte er sich, wie es wohl würde, wenn sie sich verheiratete, aber mit wem? Ja, ja, mit wem? Ihr Vater war so reich und sie … so schön!

Und immer wieder sah er Emmas Gesicht vor seinen geistigen Augen, und eine Art eintönige Melodie summte ihm durch die Ohren wie das Surren eines Kreisels: „Emma, wenn du dich verheiratetest! Wenn du dich nun verheiratetest!“ In der Nacht konnte er keinen Schlaf finden. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er verspürte Durst, stand auf, trank ein Glas Wasser und machte das Fenster auf. Der Himmel stand voller Sterne. Der laue Nachtwind strich in das Zimmer. Fern bellten Hunde. Er wandte den Blick in die Rötung nach Bertaux.

Endlich kam er auf den Gedanken, daß es den Hals nicht kosten könne, und so nahm er sich vor, bei der ersten besten Gelegenheit um Emmas Hand zu bitten. Aber sooft sich diese Gelegenheit bot, wollten ihm vor lauter Angst die passenden Worte nicht über die Lippen. Vater Rouault hätte längst nichts dagegen gehabt, wenn ihm jemand seine Tochter geholt hätte. Im Grunde nützte sie ihm in Haus und Hof nicht viel. Er machte ihr keinen Vorwurf daraus: sie war eben für die Landwirtschaft zu geweckt. „Ein gottverdammtes Gewerbe!“ pflegte er zu schimpfen. „Das hat auch noch keinen zum Millionär gemacht!“ Ihm hatte es in der Tat keine Reichtümer gebracht; im Gegenteil, er setzte alle Jahre zu. Denn wenn er auch auf den Märkten zu seinem Stolz als gerissener Kerl bekannt war, so war er eigentlich doch für Ackerbau und Viehzucht durchaus nicht geschaffen. Er verstand nicht zu wirtschaften. Er nahm nicht gern die Hände aus den Hosentaschen, und seinem eigenen Leibe war er kein Stiefvater. Er hielt auf gut Essen und Trinken, einen warmen Ofen und ausgiebigen Schlaf. Ein gutes Glas Landwein, ein halb durchgebratenes Hammelkotelett und ein Täßchen Mokka mit Kognak gehörten zu den Idealen seines Lebens. Er nahm seine Mahlzeiten in der Küche ein und zwar allein für sich, in der Nähe des Herdfeuers an einem kleinen Tische, der ihm – wie auf der Bühne – fix und fertig gedeckt hereingebracht werden mußte.

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