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Die Mumie von Rotterdam
Den Herrn Tobias van Vlieten überflog es bald heiß, bald kalt. Es war menschenleer auf dem Platze geworden und er sah sich vergebens nach einigen Leuten in der Nähe um, die ihn aus den Händen des Wahnsinnigen, für den er jetzt im Ernst den Professor zu halten begann, hätten befreien können. Von Herrn Jan durfte er wenig Beistand erwarten, denn dieser sah sich auch bereits nach der Flucht um und hatte nicht den Muth, ein Wörtchen zu verlieren, das den zwei jungen Franzosen, die sich trotzig auf ihre langen Stoßdegen stützten, hätte unangenehm seyn können. Er wagte einen großen Schritt um sich aus der Nähe des Professors zu entfernen, aber dieser folgte ihm mit einem noch weit größern und die Studenten vertraten ihm den Weg.
»Hört mich doch nur an!« begann auf’s Neue Eobanus Hazenbrook. »Ich will Euch weder kränken, noch beleidigen; ich will Euch nur einen Vorschlag machen, den Ihr als ein Mann von Einsicht, als ein Verehrer der Musen, gewißlich eingehen werdet. Ich, der hier vor Euch stehende Eobanus Hazenbrook, bin von den edlen großmögenden Heern schon vor vielen Jahren als Professor historiae naturalis und Custos theatri anatomici der erlauchten Lugduner Academie ernannt und bestallt worden. Was könnt Ihr Uebles fürchten von einem Manne in solchem Amte? Von einem Manne, dem irgend ein anderer nur unter einem wissenschaftlichen Rapporte wichtig seyn kann? Doch tretet einige Augenblicke mit mir zur Seite! Das was ich Euch zu sagen habe, muß Euch erfreuen, da es Euch eine höhere Achtung von Euch selbst einflöst, aber nur vier Ohren dürfen es hören und nur unter der dichten Hülle des Geheimnisses kann dieses Werk zum Ruhme der Universität – was sage ich? zur Glorie gesammter Generalstaaten gelingen!«
Tobias gewann bei dieser milden und schmeichelhaften Rede des Professors einigen Muth. Er überließ ihm ruhig seine Rechte, nach der jener gegriffen, und folgte ihm einige Schritte zur Seite.
»Wenn ich Euch, Myn Heer, ersuchte, Euer Testament zu machen,« hob nun der Professor in einem leisen, sehr freundlichen Ton an, »so sollte das nur eine Einleitung zu dem eigentlichen Gegenstande meiner Bitte seyn. Diese besteht nämlich darin: Ihr möchtet der illustern Universität Leyden und namentlich dem theatro anatomico daselbst ein Legat vermachen, das einem längst schmerzlich empfundenen Mangel abhelfen dürfte. Dieses Legat ist aber kein anderes, als das Euerer eigenen, hochwerthen Person!«
Wüthend wollte sich Herr van Vlieten von dem Professor losreißen, dieser aber hielt ihn fest und sah mit mildem Lächeln in das verzerrte Antlitz.
»Wie,« zürnte Tobias, dem die heftige Aufwallung des Unwillens die Sprache zu ersticken drohete, so daß er, statt zu schreien, wie er gern gewollt hätte, nur mit gepreßter Stimme reden konnte, »Ihr wagt es, mir dergleichen vorzuschlagen? Mir, der dem Doctor jährlich hundert Dukaten zahlt, daß er ihn durch Purganzen, Mixturen und Elixire noch lange am Leben erhält, sprecht Ihr von Testament und Tod? Wißt Ihr, daß dergleichen Redensarten ein Gift sind, das sich auf die edelsten Theile wirft und so den wirklichen, leibhaftigen Tod herbeiführen kann? Und dann – Ihr Schinder und Leichendieb untersteht Euch, mich für Euere Sägen und Messer zu verlangen, um mich nach meinem, will’s Gott! noch weit entfernten Hintritte, zu zerschneiden und zu zerarbeiten, wie einen Selbstmörder oder armen Sünder, mich, einen Mann, der im Rathe von Indien gesessen hat und Euresgleichen durch ein einziges Wort an den Galgen bringen konnte. Euch soll ja – «
»Ihr ereifert Euch umsonst, Myn Heer!« unterbrach mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit Eobanus Hazenbrook den Zürnenden. »Ihr befindet Euch in einem böslichen Irrthum und legt mir Absichten unter, die ich keinesweges hege. Man merkt Euch aber an, daß Ihr kein großer Philosophus seyd! Hättet Ihr dem Sprüchlein des alten Weisen: kenne dich selbst! Eingang in Euere Seele verstattet und danach Euere Gedanken geregelt, so müßte es Euch klar seyn, daß eine Figura, wie die Eurige, bei einer in usum juventutis unternommenen Section eine gar erbärmliche Rolle spielen würde. Nein, Myn Heer! Wir wollen höher mit Euch hinaus. Wir wollen Euch nicht zerstören, wir wollen Euch erhalten auf Jahrhunderte – was sage ich? – auf Jahrtausende hinaus!«
Tobias machte große Augen. Er schloß sich wieder enger an den Professor, eine schöne Hoffnung senkte sich in seine Brust, er lächelte freundlich und sagte im gefälligsten Tone:
»Wenn ich Euch jetzt recht verstehe, so habe ich Euch früher entsetzlich mißverstanden. Ihr hättet Gutes mit mir im Sinne, Ihr wolltet mich erhalten in saecula saeculorum, wie ihr Lateiner sagt? O, Myn Heer! Es kommt mir auf eine Metze voll Dukaten nicht an, wenn es ein so theueres Gut, wie das Leben gilt! Besäßet Ihr wirklich den Stein der Weisen, das Lebenselixir, das gegen den Tod stich-, hieb-, schuß- und krankheitsfest macht?«
»Allerdings,« versetzte sehr ernsthaft Eobanus, »besitze ich die Wissenschaft, Euern Körper vor den gewöhnlichen Zerstörungen, welche im Gange der Natur liegen, zu bewahren; doch erst nachdem der verehrungswürdige Geist die schlechte Hülle verlassen und sich in höhere Regionen aufgeschwungen hat. Sehet nicht finster drein, Myn Heer! Es ist auch etwas Seltenes, fortzuleben rein leiblich auf Erden, zur Bewunderung der Nachwelt. Diesen Vorzug will Euch Eobanus Hazenbrook bereiten. Höret mich noch einen Augenblick geduldig an und Alles soll Euch klar seyn. Unser museum rerum naturalium zu Leyden, dessen Custos ich zu seyn die Ehre habe, ist in allen Dingen wohl versehen und kann den ersten Sammlungen dieser Art in ganz Europa an die Seite gestellt werden. Es ist mein Alles, dieses Museum: meine Frau, mein Kind, mein Vater und Mutter, mein eigenes Ich! Nun denkt Euch meinen Schmerz, edler Herr, als vor einigen Jahren ein fremder Doctor darin erscheint, über Alles vornehm und wegwerfend hinblickt und zuletzt mit verächtlichem Tone erklärt: es sey doch Alles nur jämmerliche Rumpelwaare, da sich nicht einmal eine egyptische Mumie darunter befinde. Ich hätte dem Bösewichte einen vergifteten Pfeil von der Insel Java, den ich gerade in Händen hielt, ins Herz stoßen mögen. Aber ich bewältigte meinen Zorn, ich verschloß meinen Schmerz in diese Brust. Er hatte leider nur zu wahr gesprochen! Schon längst hatte ich den schmachvollen Mangel erkannt, aber ich gestand ihn nie und bemühete mich selbst, jeden Gedanken daran zu verbannen. Das war nun vorbei! Die Sehnsucht nach einer egyptischen Mumie nagte mir fort und fort am Herzen, ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe und verzehrte mich, wie einen schwächlichen Jüngling die erste, unerwiederte Liebe. O, Myn Heer, was liegt nicht Alles in einer egyptischen Mumie: Poesie und Geschichte in der wunderbarsten Hieroglyphik, Naturkunde einer fernen Vorzeit in köstlichen Spezereien und Balsamen, Wissenschaftslehre in deren chimischer Vereinigung und künstlicher Anwendung, Industrie eines fernen Jahrtausends in den umwickelten Webestoffen und noch so vieles Andere, das hier anzuführen die Zeit nicht erlaubt! Doch dieses Wenige, was ich hier angeführt, wird hinreichen, Euch mit hoher Achtung vor einer solchen Mumie zu erfüllen und Euch den Schmerz zu erklären, den ich empfinden mußte, als der malitiose Doctor bemerkte, ohne ein Mumienexemplar sey mein Museum eine Rumpelkammer. Mein ganzes Tichten und Trachten ging nun dahin, die gerügte, schmähliche Lücke auszufüllen. Ich schrieb Briefe, ich gab Aufträge, ich verschwendete Geld über Geld, ich schickte sogar einen eigenen Reisenden nach Egypten, daß er mir eine Mumie aus den Pyramiden verschaffen, im schlimmsten Falle stehlen sollte. Alles vergebens! Die Aufträge blieben unerfüllt, der Reisende wurde von räuberischen Arabern aufgefangen, ausgeplündert, mit Gewalt zum Islam bekehrt und dann in die Wüste geschleppt. Ich war der Verzweiflung nahe. Trostlos ging ich an den ersten Merkwürdigkeiten meines Musei vorüber, deren Anblick mich sonst in Entzücken versetzt hatte, ohne sie einer Beachtung zu würdigen. Die herrliche boa constrictor, die ich einst als meine theuerste Freundin, im süßen Wonnetaumel ans Herz gedrückt, das liebenswürdige Nilkrokodill, das ich oft durch Freudenthränen angelächelt hatte, waren jetzt für mich nicht mehr vorhanden. Ich trug nur eine Liebe, eine Sehnsucht im Herzen: die zu einer egyptischen Mumie. Da kam mir eines Abends, als ich traurig und sinnend auf dem Fußgestelle eines mir ehedem auch sehr werthen Elephantenskelett’s saß, der Gedanke, daß es wohl möglich sey, eine solche egyptische Mumie in vollkommener Aehnlichkeit, den Kennern selbst zur Täuschung, nachzumachen. Mein Herz flammte empor in neuer hoffnungsvoller Liebesgluth! Von den Flügeln der Sehnsucht und Hoffnung getragen eilte ich ins theatrum anatomicum. Hier hatte ich gerade einige der reizendsten Cadaver vorräthig, die noch je unter die Hände eines Prosectors gerathen. Ich ging ans Werk. Ich arbeitete viele Tage und Nächte, ich brachte endlich im tiefsten Geheimnisse eine Mumie zu Stande, die man keck aus dem Geschlechte der Pharaonen herdatiren konnte. Wer war glücklicher, als ich! Mit Begeisterung sah ich auf das gelungene Werk meines Fleißes. Mein Hoffen war erfüllt, mein Sehnen gestillt, das Ideal meiner Liebe war Wirklichkeit geworden. Aber, o Jammer! Nur wenige Tage währte mein süßer Traum, nur zu schnell verflog mein seliger Liebesrausch! Wie es schöne Weiber gibt, die unter der anmuthstrahlenden Hülle ein falsches, tückisches Innere verbergen, so war es auch mit meiner Geliebten der Fall. Noch entzückte mich die holdselige Gestalt, als schon die Furien von ihrem Innern Besitz genommen hatten. Die Theuere wurde mir ungetreu: sie gab sich der Verwesung hin. Ich beweinte sie lange und schmerzlich; aber ich verlor den Muth nicht. Bald erstand unter meinen Händen eine zweite Geliebte; doch ach! sie hatte dasselbe Schicksal, wie die frühere. Neue Versuche, neues Mißgeschick! Zuletzt erkannte ich mit bitterm Schmerze, daß das Wohlleben in unserm Lande, daß das Clima und noch viele andere Ursachen sich feindlich und zerstörend meinem Liebesglücke entgegensetzten. Jene heißen Winde, die in Egypten wehen, die Mäßigkeit der Einwohner, tausend andere Umstände, welche dort die Menschen schon als halbe Mumien sterben lassen, begünstigen das hohe Werk der Leibeserhaltung auf Jahrtausende hinaus. Nun sah ich mich allenthalben nach einem Menschenexemplare um, das alle Eigenschaften, alle Ansprüche, sterbend den uralten egyptischen Königsthron zu besteigen, besäße. Mein Streben, mein Wünschen, mein Sehnen waren bis heute vergebens. Aber, Myn Heer, wie wurde mir, als ich dieses gesegnete Ufer betrat, als Ihr der erste Gegenstand waret, den mein Auge traf, als ich in Euch Alles fand, was meinem liebebestürmten Herzen den alten Frieden wieder geben könnte? Per aspera ad astra! Ja, Myn Heer, Ihr seyd berufen, ein Enkel der Pharaonen zu werden und deshalb sollt Ihr Euch als Legat der illustern Lugduner Academie vermachen, daß Ihr durch meine Liebe, durch meine Kunst noch Jahrhunderte hindurch ein Gegenstand der Bewunderung und Verehrung seyd, nicht unter dem schnöden Namen eines Tobias van Vlieten, nein! unter einem erhabenen, welthistorischen, den Ihr selbst nach Belieben wählen könnt, Amenophis etwa, Tethmosis, Pherun, Cheops, Amasis, oder gar Sesostris« —
»Hol Euch der Teufel mit Euern Muhmen und Königen!« brach jetzt Tobias in überschäumender Wuth aus, indem er gewaltsam seine Hand der des Professors entriß. »Jetzt habe ich genug Eueres wahnwitzigen Geschwätzes, Euerer tolldreisten Zudringlichkeit und unverschämten Anträge. Ward dergleichen je erlebt in Europa, Asia, Africa oder in der neuen Welt? Ein Mann wie ich, ein Rath aus Indien, ein Bewindhebber in Rotterdam soll einem tollen Professor zu gefallen, nach seinem Tode eine egyptische Muhme werden? Jetzt trollt Euch Eueres Weges, Myn Heer Eobanus Hazenbrook, und wagt es nicht, Euch ferner freventlich an mich zu drängen! Dort kommt die Havenwacht und die soll mich von Euerer Gegenwart befreien, so wahr ich meinen ehrlichen Namen van Vlieten gegen keinen Amenophel, Seestritz oder Theemops vertausche!«
In der That nahete jetzt die Havenwache, die hier ein lautes Gespräch vernahm, mit schnellen Schritten. Der Professor fand nicht für gut, ihre Ankunft abzuwarten. Mit einem schweren Seufzer und den Worten:
»So lebe denn wohl, Grausamer, der ein liebevolles Herz so unempfindlich zurück stößt!« verschwand er, von seinen zwei Begleitern gefolgt, raschen Schrittes in die Abenddämmerung, die sich während seiner verunglückten Unterhandlung auf Stadt und Haven gesenkt hatte. In seinem Innern aber kam der Vorsatz zur Reife, den ersehnten Tobias immer unter geheimer Aufsicht zu halten und im erwünschten Falle seines etwaigen Ablebens, um jeden Preis und auf jeglichem Wege in seine Gewalt zu bringen.
Herr Tobias war erschöpft von dem unerwarteten, seltsamen Angriffe auf seine Person. Er nahm den Arm des Herrn van Daalen, welcher nur die Rolle eines stummen, aber verwunderungsvollen Zeugen gespielt hatte, um sich auf ihn zu stützen.
»Wenn das nicht mein Tod ist,« sagte er matt, »so bin ich von Stahl und Eisen. Ich verabschiede jeden Dienstboten, dem einmal durch Unvorsichtigkeit das Wörtchen »sterben« über die Lippe geht und wo ich einem Leichenbegängniß begegne, mache ich, wenn es seyn muß, einen halbstündigen Umweg, um nicht in seine Nähe zu kommen. O, Myn Heer van Daalen, Geld und Gut hat nur die Erde, das Himmelreich ist der Armen, wie in der Schrift steht, und in Armuth mag ich nun und nimmermehr verfallen! Führet mich nach Haus, Myn Heer! Zum erstenmale seit vielen Jahren kann ich heute die Abendgesellschaft im Prinzencollegium nicht besuchen. Was wird man dort denken von mir? Sie werden mich für krank oder gar für – schon gestorben halten!« Er sprach diese Worte mit wehmüthigem, weinerlichem Tone. Dann fügte er hinzu: »ja, kommt mit mir! Wir wollen daheim eine Schale Thee selbander trinken. Meine Clelia soll ihn bereiten. Das wird mich beruhigen, das wird mir meine Kräfte wiedergeben.«
Langsam und schweigend entfernten sich die beiden Handelsherrn vom Ufer der Maas. Herr van Vlieten mußte öfters stehen bleiben, um sich zur Fortsetzung des Weges zu stärken. So langten sie erst nach einer halben Stunde vor seiner Wohnung an, obschon diese nur in einer kleinen Entfernung vom Haven lag.
2
In der stattlichen Wohnstube des van Vlieten’schen Hauses saß Jungfrau van Vlieten allein und suchte sich, wie es gehen wollte, die Langeweile zu vertreiben. Sie zählte bald die Fensterscheiben, sie ließ einen flüchtigen Blick über die tausendmal gesehenen Figuren des chinesischen Wandgetäfels hingleiten, sie betrachtete dann auch wohl einige Momente lang die beiden Pagoden, die nickend in den Ecken des Zimmers standen, oder das große, seltsam gestaltete ostindische Götzenbild, das ihr Vater, aus einer besonderen Liebhaberei, aus Asien mitgebracht und im Hintergrunde des Gemaches aufgestellt hatte. Es begann ihr unheimlich zu werden in der wunderlichen Umgebung. Sie glaubte, das Dämmerlicht der wenigen Kerzen, die in dem Zimmer brannten, ließ ihr heute besonders die sonst gewohnten Gegenstände in neuer beunruhigender Weise erscheinen. Sie zündete noch mehr Kerzen an, sie umstellte das Götzenbild, das ihr so grauenhaft noch nie vorgekommen war, mit vielen brennenden Lichtern, sie zwang sich zu dem Muthe, in das Innere des hohlen Bildes hineinzuleuchten, um sich zu überzeugen, daß hier niemand verborgen sey. Aber weder die vermehrte Erhellung, noch die erkünstelte Verwegenheit, reichten hin, sie nur auf die kurze Dauer einer Viertelstunde gegen die furchterweckenden Eindrücke der einmal bedeutungsvoll gewordenen Gegenstände zu wappnen. Die gläsernen Augen des Schiwa oder Brama schienen drohend aus dem widrigen Menschenhaupte, das auf einem Thierrumpfe saß, auf sie herabzublicken; der Götze schien die erhabenen Arme mit den kralligen Tatzen nach ihr auszustrecken. Clelia mußte die Blicke von ihm abwenden. Zitternd schwankte sie ans Fenster und sah in den dämmernden Abend hinaus. Ein Seufzer hob ihre schöne Brust. Sie war nicht groß, aber schlank und zart gewachsen. Sie besaß eine Leichtigkeit der Bewegungen, die in einem Lande, wo sie beim schönen Geschlechte ebenso selten ist, wie beim starken, um so mehr auffallen mußte. Ihr Angesicht war regelmäßig und fein gebildet, ihre Augen waren groß und schmachtend, ihr Haar von seltener Schönheit und die rothen Rosen auf den südlich dunkeln Wangen gaben ihr einen ganz eigenthümlichen Reiz.
Sie schien jemand zu erwarten: Bei jedem Geräusche, das auf den Gängen vor dem Zimmer entstand, horchte sie aufmerksam hin. Oft wurde ihre Erwartung getäuscht. Dann zeigte sich neben dem Ausdrucke der Furcht, noch der des Unmuths in den Zügen des lieblichen Antlitzes. Endlich nahm sie ihren Platz vor dem zierlich aus Rosenholz gearbeiteten Spinnrade ein, einem Werkzeuge, das in jener Zeit, statt der bisher gebräuchlichen Spindel, bei den Damen sehr in Aufnahme gekommen war und durch sein tacktmäßiges Schnurren in der That die etwa lästig erregte Aufmerksamkeit zerstreuen und die Gedankenlosigkeit befördern konnte. Aber aus dem Angesichte der schönen Clelia wollte ein Zug, der Unruhe und Verlegenheit ausdrückte, nicht verschwinden. Sie lauschte noch immer unter dem Spinnen auf, sie schrack bei einem kleinen Geräusche zusammen, sie sah sich ängstlich um.
Da hörte sie mit einemmale einen leisen aber raschen Fußtritt auf dem Gange. Sie ließ die Hand sinken, sie blickte voll Spannung nach der Thüre. Die Rosen auf ihren Wangen wurden so glühend, daß ihr Roth das ganze Antlitz einnahm; das ungestümer schlagende Herz hob in unruhigen Bewegungen die jugendliche Brust. Der Kommende mußte mit Hoffen und Zagen, mit Wünschen und Bangen erwartet worden seyn!
»Clelia!« flüsterte eine gedämpfte Stimme durch die Thürspalte. »Darf ich eintreten?«
Das Mädchen war nicht im Stande zu antworten. Sie that schwankend einige Schritte nach der Thüre hin, ein tiefer Seufzer entrang sich der beengten Brust. Ihre Augen hafteten ängstlich an dem Eingange, in welchem jetzt mit leisem schwebendem Schritte und vorsichtig spähendem Blicke, ein schlank gewachsener junger Mann erschien, der so geschmackvoll und anständig gekleidet war, als es sich nur mit der Sitte der damaligen Zeit vertragen wollte.
»Herr Cornelius,« hatte jetzt Clelia Kraft zu stammeln. »Ihr wagt es dennoch – trotz meiner Bitte – wenn der Vater – «
»Beruhigt Euch, theuere Jungfrau,« erwiederte schnellzüngig der junge van Daalen, indem er mit einer leichten und anmuthigen Bewegung vor ihr stand. »Der werthe Vater steigt in diesem Augenblicke mit dem meinigen am Haven umher und höchst wahrscheinlich sind beide in sehr tiefsinnige Gespräche, die unser beiderseitiges Glück betreffen, verflochten. Von da spazieren die zwei wohlmögenden Handelsheern, wie es ihre auf viele Jahre hin gestellte Lebensuhr will, in’s Prinzencollegium, um dort bei einem Dutzend oder noch mehr Tassen Thee, die Franzosen zu Land und die Spanier zur See zu schlagen. Mögen Sie es thun! Mögen sie tausend Kanonen und hundert Linienschiffe erobern, ohne einen Tropfen Blutes zu vergießen, ich entsage gern dem wilden Waffenwerke, der Fahne des unruhigen Kriegsgottes, um mich zu beugen unter die Macht Amors, des freundlichen Liebesgottes. Ja, holdselige Clelia! Als ich zum erstenmale Eure anmuthige Gestalt sah, da hatte ich in einem Augenblicke alle Gedanken an Waffenruhm, an Ehre im Felde, an Lust und Jubel im Kriegslager rein vergessen. Wenn ich sonst nur immer von erschlagenen Franzosen, von angesehenen Gefangenen, von Lobeserhebungen meiner Vorgesetzten träumte, so sah ich jetzt im Traume nur Euer liebliches Bild, nur Euch, wie ich Euch aus der Kirche heimführte, als meine wohlleibliche Ehefrau, ich hörte nur Euere Stimme, die mich mit süßen, wohlklingenden Namen nannte. Aber, Ihr sagt nichts, mein theueres Bräutlein? Keine Silbe geht über Eueren Purpurmund und ich hoffe und harre vergebens eines freundlichen Grußes, eines gütigen Willkommen!«
»Kann man denn zu Wort kommen vor Euch, Herr Cornelius?« versetzte lächelnd, aber dennoch schüchtern Clelia. »Und überdem bin ich auch böse auf Euch, denn Ihr habt meinem Wunsche, nicht hierher zu kommen zu dieser Stunde, entgegen gehandelt.«
»Bei allem Glücke Oraniens!« rief mit Lebhaftigkeit der junge Mann. »Ich verehre Euch zu sehr, um selbst Euerer Rede zu trauen, wenn sie in derselben Viertelstunde das zurücknehmen will, was sie kurz zuvor gestattet. Nein, verehrte Jungfrau! Ihr könnt nicht von sträflichem Wankelmuth, von unbeständigem Leichtsinn regiert werden. Ihr sprecht wenig, aber Ihr denkt desto mehr und was Ihr einmal bedacht und überlegt habt, das ist gewißlich das Rechte und ich leiste ihm Folge, ob auch tausend Gegenbefehle kämen! Wer flüsterte mir ein trauliches Ja zu, als ich Sonntags Nachmittag an der Kirchthüre um die Erlaubniß zu diesem Besuche bat? Ihr waret es, Holdseligste! Was Ihr später, als ich Euch einige Schritte weit begleitete, gesagt habt, mag ich gar nicht gehört haben und lasse es in der Nacht der Vergessenheit begraben seyn. Ich habe mir nur einen Vorwurf zu machen. Es ist der, zu spät gekommen zu seyn. Aber da muß mein böses Schicksal, gerade als ich das Haus verlassen will, unsern Buchhalter, den alten Hoontschoten, von weiter Reise zurückführen, da nimmt mich der alte Mensch beim Kragen, jammert und heult mir Dinge vor, von denen ich kein Wort begreife, bis ich ihm endlich verständlich mache, daß mein Vater im Prinzencollegium ist, daß er dorthin gehn und seinen Jammer anbringen soll, wo er ohne Zweifel mehr Aufmerksamkeit und Begriffähigkeit dafür finden würde. Der seltsame Kauz war ganz außer sich. Ich habe ihn noch nie so gesehen und ich fürchte sehr, er wird mit seinen Litaneyen meinem Vater den beliebten Thee in betrübten Wermuthtrank verwandeln. Ach, Clelia,« fuhr der Gesprächige mit einem Seufzer fort, der ernsthaft seyn sollte, aber, indem er seinen Ursprung aus einem heitern Character nicht verleugnen konnte, eher komisch ausfiel: »welche Leiden hat doch die Liebe in ihrem Gefolge! Da ist die gespenstige Eifersucht, da ist Zweifelsucht, da ist die übele Nachrede anderer. Ja, liebwertheste Jungfrau, es giebt Leute, welche behaupten, wir paßten nicht für einander, weil Ihr viel denkt und wenig sprecht, und ich gerade das Gegentheil von diesen beiden Dingen thue. Welche Thorheit, oder gar welche Bosheit aus schwarzem Neide entsproßen! Eben um dieser Ursachen willen sind wir ganz für einander geboren. Ihr denkt für mich und ich spreche für Euch. So wandeln wir vereinigt durch’s Leben und jeder sorgt und handelt für den andern, lebt nur in diesem, vergißt sich selbst und ist so in der einzigen und wahren Liebe, welche allein die Sterblichen beglücken kann! Ach, wie viele unglückliche Ehen gäbe es weniger in der Welt, wenn jedermann in der Wahl des zu liebenden Gegenstandes so vernünftig zu Werke ginge, wie wir!«
Langsam und unter dem Scheine der Unabsichtlichkeit war indessen Clelia mit ihrem Verehrer zu der Fensternische geschritten, in der zwei Sessel standen, auf denen sie nun einander gegenüber Platz nahmen.
»Es ist wahr, Herr Cornelius,« begann jetzt Clelia in einem ruhigen und gemessenen Tone, »daß mein Vater von der Möglichkeit einer Verbindung zwischen uns beiden mit mir gesprochen hat, aber er hat mir auch nicht verhehlt, daß erst gewisse Bedingungen, die er mir nicht nennen wollte, erfüllt seyn müßten, ehe er sein Jawort in einer bestimmten Weise geben könne. Ich bin Euch von Herzen gewogen, Ihr habt ein gutes Herz, ein treues und offenes Gemüth. Ich glaube, daß ich glücklich mit Euch werden kann. Aber Ihr müßt immer bedenken, daß wir noch nicht am Ziele stehen, daß Alles noch sehr ungewiß ist. Deshalb müßt Ihr auch meinen Ruf schonen, nicht so oft an unserm Hause vorübergehn und heraufschauen, mich nicht an der Kirchthüre erwarten, auf der Straße mir nicht auflauern und geheimnißvoll zu mir flüstern. Euch recht dringend darum zu ersuchen, war allein die Ursache, daß ich Euere Gegenwart verlangte, was ich gleich nachher bereuete, da es doch auch zu übelm Leumund Anlaß geben kann. Aber ich bitte Euch recht sehr Herr Cornelius, bedenkt was ich Euch gesagt habe!«