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Geld und Erfahrung
Geld und Erfahrung

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Geld und Erfahrung

Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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So rasch ging es nun doch nicht, wie ich es voreiligerweise vermutet hatte. Die Verhandlungen dauerten drei Tage. Ich wand und krümmte mich, so gut ich konnte; Olcott hatte viel Geduld mit mir. Am zweiten Tag war ich nahe daran, in einem Anfall heiligen Zorns abzureisen; er half mir selbst meinen Koffer wieder auspacken. Ich sei furchtbar grün; das sei kein Wunder, meinte er, mich entschuldigend, bei meiner kurzen Anwesenheit in diesem großen und freien Lande; aber ich sei sichtlich ehrlich. Beides würde sich wohl mit der Zeit geben; dann könne noch ein tüchtiger Mann aus mir werden. Jedenfalls werde er meine Laufbahn mit großer Teilnahme verfolgen. Ich habe ihm vorläufig viel Spaß gemacht. Das einzige, was er bedaure, sei, daß ich mit ihm auf politischem Gebiet nicht ganz übereinzustimmen scheine. Dann formulierte er den zehnten Vorschlag eines Abkommens, das ihm die Dampfkultur Amerikas zinspflichtig machen sollte.

Schließlich waren wir am Ziel; wo ein Wille ist, findet sich ein Weg. »Oberst Olcott verpflichtet sich,« lautete die geheimnisvolle Vereinbarung, »nach Kräften dahin zu wirken, daß der Kongreß der Vereinigten Staaten von Nordamerika innerhalb der nächsten zwölf Monate die zollfreie Einfuhr von Dampfpflügen auf eine Reihe von Jahren, jedoch nicht unter drei, zum Gesetz erhebt. Für die hierdurch entstehenden Geschäftskosten und Bemühungen erhält Oberst Olcott von der durch Herrn Eyth vertretenen Firma zunächst zur Einleitung der erforderlichen Schritte tausend Dollar bar, sodann 7½ Prozent von jedem unter dem Gesetz eingeführten Dampfpflug, bis die erhaltene Summe zehntausend Dollar beträgt, und später 2½ Prozent bis zur Wiedereinführung des gesetzlichen Normalzolls für landwirtschaftliche Maschinen.« Damit konnten wir beide zufrieden sein. Ich oder vielmehr Olcott hatte mich überzeugt, daß man auch in der größten der Republiken dem Lande nicht umsonst Wohltaten erweisen kann. Ich fühlte eine gewisse Dankbarkeit gegen den Biedermann, der mit seinem offenen Lächeln der ganzen Verhandlung jeden bösen Schein abzustreifen gewußt hatte und mit Eifer an die Arbeit zu gehen versprach. Wir schieden an den Marmorstufen des Kapitols mit lebhaften Versicherungen gegenseitiger Hochachtung. Mir jedenfalls war es um tausend Dollar leichter zumute, was auch aus der Sache weiter werden sollte.

»Und seitdem haben Sie nichts mehr von Ihrem Oberst und Gesetzgeber gehört?« lachte Schmettkow etwas verächtlich, nachdem ich ihm die Geschichte zu meiner eignen Beruhigung beim dritten Male etwas ausführlicher mitgeteilt hatte. »Na, das wird schon kommen. Mit tausend Dollar ist mein Herr Kamerad im Norden nicht zufrieden. Ich kenne meine Pappenheimer.«

»Wir werden ja sehen,« meinte ich etwas kleinlaut; »unter tausend Dollar konnte ich wohl kaum erwarten, mit dieser Aufgabe durch Washington zu kommen. So weit kennen glücklicherweise auch meine englischen Freunde das Land. Im übrigen soll mich das alles wenig kümmern, wenn ich in ein paar Tagen meinen Dampfpflug zwischen die Finger bekomme. Dann sollen die Herren Amerikaner schon die Augen aufmachen.«

»Na, na!« machte der Oberst, in dessen Seele der Stolz des werdenden Yankees mit dem Ärger, in Amerika zu sein, in fortwährendem Kampfe lag. Wir hatten, wie es die Unsitte des Landes will, halb deutsch, halb englisch gesprochen und kaum bemerkt, daß sich auch am Nachbartisch jemand niedergelassen und zu frühstücken begonnen hatte: ein älterer, gutmütig aussehender Herr mit einem furchtbaren Knotenstock.

»Na, na!« sagte auch der neue Gast, sichtlich bestrebt, deutsch zu sprechen, fuhr aber dann sogleich auf englisch fort: »Entschuldigen Sie mich, Gentlemen; ich bin Mister Lawrences Bruder; Mister Lawrence, Magnoliaplantage, Plagueminegrafschaft, Louisiana – Sie kennen ihn?« –

Wir kannten nichts von all dem, glaubten ihm aber aufs Wort. Der Mann hatte ein so ehrliches, zutrauliches Aussehen, nahm seinen Knotenstock, ein wunderbares Naturerzeugnis, zwischen die Knie, stützte sein Kinn darauf und sah uns freundlich an.

»Dampfpflüge!« fuhr er nach einer Pause fort, »Dampfpflüge – das interessiert mich. Wir haben in diesem großen Land Dampfpflüge in Menge. In Vicksburg läuft einer seit drei Jahren – in Cincinnati – in Chikago –«

»Mein lieber Herr!« sagte ich etwas erregt, denn er hatte mich an einer wunden Stelle berührt, »das geht nicht! Ich bin noch nicht lange in Ihrem großen und ruhmgekrönten Land, aber eins weiß ich: den amerikanischen Dampfpflug, von dem mir jedermann erzählt, hat noch niemand gesehen. Haben Sie ihn schon gesehen?«

»In Baltimore ist einer,« fuhr Herrn Lawrences Bruder ausweichend, aber eifrig fort, »in Saint Louis hat erst vor wenig Wochen ein außerordentlich talentvoller Milchhändler einen Pflug erfunden, der mit dem Wind segelt. Warten Sie ein wenig; sehen Sie, hier!« – Er zog aus seinem geräumigen Rock ein großes, blaues Heft hervor, nachdem er sechs kleine Tüten, die mit Zuckerproben gefüllt waren, auf den Tisch gelegt hatte. Das blaue Heft enthielt zahllose, in kreuz und quer eingeklebte Zeitungsausschnitte, unter denen er eifrig nach dem gewünschten segelnden Pflug suchte.

»Haben Sie ihn gesehen?« fragte ich hartnäckig. »Nein? – Nun will ich Ihnen erzählen, wie es mir in diesem großen und erleuchteten Land damit ging. Auf der Überfahrt von Liverpool nach Boston sagte mir die ganze Schiffsgesellschaft, soweit sie amerikanisch war, daß es bei ihnen von Dampfpflügen wimmeln müsse. Ein Herr aus Boston meinte, in seiner Vaterstadt seien allein drei, wahrscheinlich in vollem Gang, denn er erinnere sich, schon als Schuljunge davon gehört zu haben. Ich hielt mich zwei Tage auf, um sie zu finden. Niemand wußte etwas davon. Aber in Philadelphia sei ein blühendes Geschäft, das sie fabriziere. Ich interessiere mich ein wenig dafür; es ist mein Handwerk. Ich gehe also nach Philadelphia und finde mit Müh' und Not die Adresse eines Herrn in New York, der einmal mit einem englischen Geschäft korrespondiert habe, um sich einen kommen zu lassen. Es wurde nichts daraus wegen des hohen Eingangszolls. Aber in Cincinnati sei ein Mister Fox; der mache amerikanische Dampfpflüge, hauptsächlich fürs Präriepflügen, höre ich in der Metropole der Welt. Ich gehe nach Cincinnati. Mister Fox war tot. In einem Schuppen fand ich eine alte Straßenlokomotive, die seiner armen Schwester gehörte und aussah, als ob sie Noah gebaut hätte. Pflüge wolle ich sehen? Nein, das sei nicht zum Pflügen; das sei ein Lastwagen mit Dampfbetrieb, erklärte mir die Schwester. Aber in Chikago: dort werden für die Maisfelder von Illinois Hunderte von Dampfpflügen gebaut. Ich war auf dem Weg nach dem Süden, aber ich ließ mich's nicht verdrießen: ich gehe nach Chikago. Die Firma Thompson & Smith, von der ich in Cincinnati gehört hatte, war bankrott. Einen Dampfpflug habe sie nie gebaut. Dagegen habe allerdings Mister Thompson einen erfunden, der zehn Morgen in drei Minuten aufbreche. Nur der Bankrott sei ungeschickterweise dazwischen gekommen, die epochemachende Erfindung auszuführen. Jetzt sei er in Kalifornien, um das Geschäft fortzusetzen. Dort werde eigentlich nur noch mit amerikanischen Dampfpflügen gearbeitet. So werde es in Louisiana wahrscheinlich auch sein, namentlich in New Orleans, seitdem die Sklavenarbeit aufgehört habe. Hier bin ich jetzt, Mister Lawrence,« schloß ich, ganz warm von meinem Bericht, »und Sie schicken mich nach Vicksburg. Bei Gott, es ist ein großes Land, Ihr Amerika! Aber die Geschichte von seinen Dampfpflügen fängt an, etwas monoton zu werden.«

Lawrence tat, als ob er mir nicht zugehört hätte, und suchte eifrig in seinem blauen Heft.

»Sehen Sie hier!« rief er triumphierend. »Vicksburg, den 2. November 1866 – na nu! Das ist eigentlich etwas andres, aber nicht weniger interessant, und zeigt Ihnen, was unsre Erfinder leisten. Ein Land mit solchen geistigen Kräften ist nicht umzubringen, darauf können Sie wetten! Hören Sie zu. ›Vicksburg, den 2. November. Wir vernehmen mit Vergnügen, daß es einem unsrer Mitbürger, einem genialen jungen Erfinder, Mr. Hodgekiß, nach langem Studium und kostspieligen Versuchen gelungen ist, einen Dampfneger zu konstruieren. Derselbe kann bereits Holz sägen, Maiskolben raspeln und Zuckerrohr kauen. In der gegenwärtigen verzweifelten Lage unsers Südens ist diese Erfindung von der höchsten Bedeutung. Der Neger ist gegen ein Eintrittsgeld von 5 °Cents zu New York, 218 Fultonstreet, zu sehen. Der geniale Erfinder ist nunmehr eifrig damit beschäftigt, auch ein Dampfmaultier anzufertigen, teilt uns jedoch in der liebenswürdigsten Weise mit, daß dies eine sehr viel schwierigere Aufgabe sei als die von ihm bereits glücklich gelöste. Es wird dies jedermann, auch der Nicht-Techniker, begreifen, wenn man bedenkt, daß ein Maultier gewöhnlich vier artikulierte Beine in Bewegung setzen muß, während der Neger nur zweibeinig ist. Mr. Hodgekiß ist übrigens noch nicht zweiundzwanzig Jahre alt und im Begriff, sich mit der reizenden Miß Evelin Sharp aus Warrenton zu verheiraten. Er geht mit dem Plane um, auf Grund seiner Erfindungen eine Dampfneger- und – maultier-Aktiengesellschaft mit beschränkter Haftpflicht zu gründen, worauf wir Kapitalisten und Freunde der Regeneration des Südens besonders aufmerksam machen.‹«

»Wieviel Aktien haben Sie genommen?« fragte Oberst von Schmettkow Herrn Lawrence, der sich siegreich umsah.

»Vorläufig noch keine«, sagte Lawrence, ohne eine Miene zu verziehen. »Mein Bruder befindet sich augenblicklich im Norden und will sich den Neger erst ansehen. Das ist jetzt nicht mehr so einfach als früher. Sie wissen, mein Bruder ist ein vortrefflicher Geschäftsmann und läßt sich nicht leicht einseifen. Man muß sich mit den Yankees in acht nehmen. Auch in der guten alten Zeit haben wir keine Neger gekauft, ohne sie anzusehen. Und wenn Sie uns Ihren Dampfpflug zeigen, wer weiß, dann läßt mein Bruder am Ende den Dampfneger fahren und läuft Ihnen nach. Es sollte mich freuen, Mister – Mister – wie heißen Sie?«

Ich befriedigte seine Neugierde.

Wir schüttelten uns heftig die Hände, während ich mich zum Fortgehen anschickte. »Mister Lawrences Bruder« gefiel mir, obgleich mir noch nicht ganz klar war, was ich aus ihm machen sollte. Jedenfalls war er ein lebender Beweis der Zuträglichkeit des Klimas von Louisiana, über das man mir in der Ferne viel Böses gesagt hatte. Sein breites Gesicht lachte harmlos, seine Äuglein blinzelten listig hinter den roten Wangen und unter den struppigen weißen Augenbrauen. Ein kindlicher Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten des menschlichen Fortschritts schien der leitende Gedanke, die Poesie seines Lebens zu sein und ihn häufig, nach Art der Poesie, in etwas nebelhafte Regionen zu entführen. Wenn jedoch von Dollars die Rede war, hatte er plötzlich festen Grund unter den Füßen. Er hoffte, mich wieder zu sehen. Wenn mein Dampfpflug ankäme, wolle er der erste sein, der seinen Ruhm in der Crescent City verkündige. Und seinen Bruder wolle er mitbringen! »Sie wissen, wir haben dreitausend Acker Land in Zucker. Das ist kein Kinderspiel ein Jahr nach dem Krieg, wenn alles die Arme hängen läßt und die verfluchten Reisesäckler1 dem Süden den letzten Blutstropfen aussaugen. – General Longstreet, sagten Sie? Sie gehen zu General Longstreet? Das ist ein Mann, wie er sein soll, Mister Eyth, unser bester Soldat und heute der ehrlichste Baumwollmakler in ganz Louisiana. Ich werde Sie begleiten. Es ist mir eine Ehre, Sie zu General Longstreet zu begleiten.«

»Passen Sie auf!« flüsterte mir Schmettkow zu, der sich's zur Lebensaufgabe gemacht zu haben schien, mich vor den üblichen Gefahren des Landes zu schützen.

Dann gingen wir in die glühende Helle der Kanalstraße hinaus.

2. Eine Generalversammlung

Die Geschäftszimmer der Firma Longstreet, Owen & Co. in der Jacksonstraße bestanden aus zwei geräumigen, hellen Gemächern mit dem freundlichen Ausblick auf einen etwas verwilderten Garten, in welchem Palmetten, Kaktusbirnen und Aloes in der weißen Vormittagssonne schimmerten. Er mußte vor fünf Jahren ein prachtvolles Bild südlicher Pflanzenüppigkeit geboten haben. Jetzt schien er sich selbst überlassen zu sein, und seine Lianen machten ernstlich Anstalt, über das Haus wegzukriechen, um sich dessen Straßenfront anzusehen. Im äußeren, größeren Zimmer hausten die zwei jungen Owen, von denen der eine Major, der andre Kapitän genannt wurde. Dies waren sichtlich keine bloßen Ehrentitel: der Major hinkte infolge eines Schusses im Bein, der Kapitän hatte einen tiefen Säbelhieb in der im übrigen rosigen Wange. Das zweite, kleinere Gelaß war das Geschäftszimmer des Generals Longstreet, den Freund und Feind im Süden mit sichtlicher Hochachtung die rechte Hand des Generals Lee zu nennen pflegten, seitdem Longstreet selbst nur noch eine linke hatte. Seine eigne Rechte lag auf dem Schlachtfeld bei Chattanooga begraben. Alle drei waren jetzt ehrsame Baumwollmakler und Generalagenten für alles mögliche, was der Süden brauchen oder nicht brauchen konnte, auch für unsre Dampfpflüge. Ich selbst bin ein Mann des Friedens, und als mich der junge Owen mit der liebenswürdigen Höflichkeit des Südländers bat, ein wenig zu warten, da sich General Beauregard und General Taylor augenblicklich bei General Longstreet befänden, wurde es mir doch etwas schwül in dieser kriegerischen Umgebung, trotz der Baumwollproben, die auf allen Tischen und Gesimsen umherstanden. Doch so ist nun einmal das amerikanische Leben. Gestern standen die drei Männer, die im Nebenzimmer das Sinken der Baumwollpreise besprachen, an der Spitze von Armeen und schrieben in blutigen Schriftzügen an der Geschichte der Neuen Welt. Beauregard hatte zur Eröffnung des großen Bürgerkriegs die ersten Schüsse bei Fort Sumter abgefeuert, Taylor war vier blutige Jahre lang der Soldatenliebling aller Damen Louisianas gewesen, und Longstreet, eine mächtige, echt ritterliche Gestalt, hatte bis zum bitteren Ende beim Appomatox-Courthouse mit seiner verstümmelten Rechten an der Seite seines großen Chefs gefochten, wobei ihm die beiden Owen als seine persönlichen Adjutanten zur Seite standen. Der Kapitän hatte mir schon davon erzählt, wie es ihm und den Tausenden seiner halbverhungerten und halbverbluteten Kameraden am Abend bei der Übergabe der Armee, die den furchtbaren Krieg beendete, zumute gewesen war, wie ihm und allen andern eine Zentnerlast vom Herzen gefallen sei, an der sie seit Monaten geschleppt hatten, und wie er in der nächsten halben Stunde sein armes, halbtotes Pferd um 32 000 Dollar in konföderiertem Papiergeld verkauft und ein Paar Stiefel um 430 Dollar gekauft habe. So stand es damals um Stiefel, Pferde und Geld. – Etwas besser war's nun doch schon geworden. Taylor war Präsident des kleinen versumpften Kanals, der von New Orleans nach dem Pont Chartrin führt, Beauregard geschäftlicher Leiter einer im Bau begriffenen Bahn nach Texas, Longstreet und seine einstigen Adjutanten Baumwollhändler. Der Major war nicht anwesend. Er sagte mir, sein jüngerer Bruder sei auch in kaufmännischen Dingen noch heute Longstreets rechte Hand. »Lauter rechte Hände,« dachte ich, »und doch ist die ›große Sache‹ schief gegangen.«

Während mein neuer Freund Lawrence sofort in lebhaftem Gespräch mit dem jungen Owen seine Zuckertüten aus der Tasche holte, sie auf den Tisch schüttete und ihn für die herrlichen Kristalle der Magnoliaplantage zu begeistern suchte, öffnete sich die Tür des Nebenzimmers, und Longstreets breites, treuherziges Soldatengesicht winkte mir zu, einzutreten. Die beiden andern Heerführer standen um ein Tischchen und zupften mit jener langsamen, sachverständigen Handbewegung Baumwollflocken auseinander, die bewies, daß sie wußten, was sie taten. Jedes Gewerbe hat gewisse zünftige Bewegungen, an denen sich die Eingeweihten sofort erkennen: man weiß, wie der richtige Getreidehändler das Korn von einer Hand in die andre rollen läßt, der Zuckersieder den zähflüssigen Zucker zwischen Daumen und Zeigefinger ausspinnt und der Gastwirt seinen Kaviar empfiehlt, indem er Daumen und Zeigefinger zusammendrückt und mit halbgeschlossenen Augen den Mund zuspitzt, als ob er küssen oder pfeifen wollte. So wußte ich nun auch, daß sämtliche drei Generale aus Familien stammten, die große Baumwollplantagen besessen hatten.

Longstreet stellte mich vor: »Herr Eyth, Ingenieur und Vertreter der berühmten Firma John Fowler & Co. aus Leeds in England; Herr Eyth ist im Begriff, Gentlemen, einen Ersatz für unsre Neger in Louisiana einzuführen, so daß die farbigen Gentlemen sich in Zukunft mit größerer Ruhe der Anfertigung unsrer neuen Konstitution widmen können.«

Beauregard, ein schweigsamer Mann mit weißen Haaren, machte ein finsteres Gesicht und zeigte keine Lust, auf Longstreets Witzchen einzugehen. Der kleine, elastische General Taylor dagegen lachte.

»Was hilft das Zähneknirschen, Beauregard?« sagte er munter. »Wir sind geschlagen. Darüber ist kein Zweifel. Man muß sehen, wie man sich daran gewöhnt. – Waren Sie schon in unserm Abgeordnetenhaus?« wandte er sich an mich. »Dorthin müssen Sie gehen. Alles schwarz. So etwas hat man nicht gesehen, seit sich der Erdball um die Sonne dreht. Mein Plantagenhufschmied, der mich seinerzeit dreizehnhundert Dollars kostete, ist erster Schriftführer. Aber reden sollten Sie den Mann hören! Alle sechs Wochen erhöhen die Herren in namentlicher Abstimmung ihre Tagegelder. Bis jetzt war dies ihre einzige gesetzgeberische Tätigkeit. Aber reden muß man sie hören. O Jerusalem!« …

»Mittlerweile müssen wir jetzt danach sehen, wie man Maulesel beschlägt«, meinte Longstreet, »und den Boden aufreißt, Kanalschiffe durch die alten Swamps schleppt und Schienen im Sand von Texas begräbt. Das ist Beauregards Spezialität. – Sie also wollen uns pflügen helfen, Herr Eyth?«

»Ich hoffe so, General«, antwortete ich mit erwachender Zuversicht und fühlte mich den drei Helden des großen Bürgerkriegs mit jeder Minute menschlich näher. »Der Dampf hat schon größere Schwierigkeiten überwunden.«

»Sie scheinen einen guten Glauben an den Dampf zu haben«, meinte Beauregard grimmig. »Vor fünf Jahren ging mir's ähnlich: mit dem Pulverdampf!«

»Wenn einmal die erste Lokomotive über seine ›Texasstrandlinie‹ läuft, wird sein Glaube wieder lebendig werden«, sagte Taylor tröstend. »Nehmen Sie ihm ein paar hundert Aktien ab, Herr Eyth, wenn Sie den alten Bären lachen sehen wollen. Ich habe leider mit dem größeren Teil meines Vermögens meinen Salon tapezieren lassen: alles echte konföderierte Tausenddollarnoten, die die Yankees für uns fabrizierten. Das müssen Sie sich ansehen, ehe Sie uns verlassen. Verstehen Sie etwas von Kanalschiffahrt? Ich nicht; und ein unbehagliches Gefühl ist es für einen Soldaten und Kanaldirektor.«

Als in diesem Augenblick Major Owen eintrat, verabschiedeten sich die Herren mir gegenüber mit allgemeinem Händeschütteln, untereinander mit halb militärischen Grüßen und kaum bemerkbaren Blicken, die jedoch erraten ließen, daß sich unter der Oberfläche einer zu lauten Heiterkeit manches regte, das der Fremde nicht zu sehen brauchte.

»Galgenhumor!« sagte Longstreet, von der Tür zurückkommend, mit einem leichten Schatten auf seinem guten, wohlwollenden Gesicht. »Taylor hat sein ganzes, großes Vermögen endgültig verloren. Er hat zwei Schwestern, vor fünf Jahren die ersten Damen von New Orleans, die eine Nähschule anfangen wollen, um zu leben. Übrigens geht es uns allen nicht viel besser. Doch es wird wieder anders kommen! Bei Gott, schlechter kann's nicht werden! – Ihr Schiff, der ›Wilde Westen‹, muß jeden Augenblick hier sein, Herr Eyth. Der Major ist auf dem Zollamt, um den Betrag des Zolls festzustellen. Er hofft, Ihren Pflug um fünfzehnhundert Dollars hereinzubekommen. Natürlich muß er erklären, daß die ganze Sendung aus rohem Gußeisen besteht. Das wird ihm um so leichter, als er noch nichts davon gesehen hat und einen Dampfpflug von einem Bienenkorb nicht unterscheiden kann, wenigstens zollamtlich. Sie sehen, wir haben schon einiges von unsern nordischen Freunden gelernt. Im schlimmsten Fall müßten Sie allerdings beschwören, daß die Angaben meines Geschäftsteilhabers ihre Richtigkeit haben.«

Ich schnappte nach Luft. Jedermann kannte Longstreet als einen Ehrenmann ohne Furcht und Tadel, und seine treuherzigen blauen Augen sahen so kindlich in die Welt hinaus, daß ihm der größte europäische Spitzbube aufs Wort geglaubt hätte.

»Aber, General, das geht wirklich etwas zu weit«, stotterte ich. »Gußeisen! Seit zehn Jahren trompeten wir in Wort und Schrift in alle Welt hinaus, daß wir den besten Stahl an Stelle jedes Stückchens Gußeisen anwenden, das durch Stahl zu ersetzen ist. Ich habe erst gestern einen Zeitungsartikel an den ›New Orleans Picayune‹ gesandt, in dem ich mit Nachdruck darauf hinweise.«

»Und ist das alles, was Sie da geschrieben haben, so ganz wörtlich zu nehmen?« fragte Longstreet, indem er mich zutraulich anblinzelte. »Sehen Sie, lieber Herr Eyth, Sie müssen sich in unsre Sitten einleben. Geschworen wird bei uns das Blaue vom Himmel herunter; an das müssen Sie sich vor allen Dingen gewöhnen. Auf dem hiesigen Zollamt werden an guten Tagen etliche fünfzig Eide geleistet. Schweinefleisch, Baumwollballen, Stockfische, Seidenkleider, Guß- und Schmiedeeisen, alles, was die Barre passiert, wird im Namen des allmächtigen Gottes für das erklärt, was es meist nicht ist. Die ganze Union ist entlang ihrer zwölftausend Meilen langen Grenze von einem Schnellfeuer von Meineiden beschützt, die jahraus jahrein ununterbrochen, außer am Sabbat, gen Himmel knallen. Das verlangt die Konstitution dieses großen und erleuchteten Landes und gehört zum Segen des Schutzzolls. Sie sehen, wir sind ein religiöses und gesetzliebendes Volk, seitdem wir wieder zur glorreichen, unteilbaren Republik gehören und ein Rudel Schwarzer unsre Gesetze macht. Auch uns, den alten Herren von Louisiana, wird es nicht immer ganz leicht, im neuen Fahrwasser zu schwimmen, das kann ich Ihnen unter der Hand versichern.«

Major Owen trat ein, ein noch junger, hübscher Mann, dem man übrigens die Strapazen einer harten Zeit deutlich ansah, und bei dem unter der höflich lächelnden Oberfläche häufiger als bei Longstreet der verhaltene Grimm, die kochende Bitterkeit gegen die Verhältnisse durchbrach, in denen wir lebten. Der kurze Gruß der beiden zeigte deutlich die soldatischen Beziehungen der kaum vergangenen Zeit und zugleich von seiten des jüngeren Mannes eine fast schwärmerische Verehrung für den älteren. Man weiß in langen Friedenszeiten so viel von der Verrohung zu erzählen, die der Krieg mit sich bringt. Mitten im Kampf und oft genug nach demselben sieht man nicht selten auch Blüten und Früchte andrer Art.

Nein, es sei nichts mit den 1500 Dollars, berichtete der Major. Der Zolldirektor, ein regelrechter Reisesackpolitiker aus dem Norden, bestehe auf dem vollen Zoll von 4200 Dollars in Gold, wenn ich nicht vielleicht bereit sei, andre Überredungskünste in Bewegung zu setzen.

»Wieviel?« fragte ich. Diese Form der Frage begann mir schon geläufiger zu werden.

»Ich denke, mit 500 Dollars ließe sich der Gußeisenzoll erreichen«, sagte der Major nachdenklich. »Das wären noch immer 2200 Dollars in Ihre Tasche. Aber bei Jupiter! das müssen Sie selbst regeln, Herr Eyth. Ich habe die Spitzbubengeschichte satt.«

»Und ich bin für eine solche Verhandlung noch nicht lange genug in Ihrem großen und erleuchteten Lande gewesen!« rief ich in einer Aufwallung moralischer Entrüstung, die beide Herren höchlich belustigte.

»Aber Sie kommen doch aus der Türkei oder aus Ägypten«, meinte Longstreet nach einer Pause.

»Wohl wahr, und ich überlege selbst gelegentlich, worin eigentlich der Unterschied liegt. Das tröstliche Wort Bakschisch erklärt ihn vielleicht teilweise. Dort, einem schmunzelnden Effendi gegenüber, hat man das Gefühl, als sei dies alles, wie es der Schöpfer gewollt hat, als habe man es mit einer andern Gattung von Säugetieren zu tun, die nun einmal nicht leben können, wenn sie nicht geschmiert werden. Hier, im Verkehr mit Herren in schwarzen Sonntagshosen, mit einem Gesicht ernst und ehrenfest und wie aus Holz geschnitzt, finde ich den richtigen Ton noch nicht.«

»Das wird kommen, Herr Eyth,« meinte Longstreet, »ich fürchte, das wird rasch genug kommen. Eine im Grunde aufrichtige Natur wie Sie findet sich bei uns bald zurecht. Man muß uns nur verstehen. Sie haben noch keinen Begriff davon, mit welcher Ehrlichkeit unsre Spitzbuben zu Werke gehen. Lesen Sie die Verhandlungen, in denen der große Boß des Tammanyrings, Mister Tweed, in New York seit ein paar Wochen glänzt. Sie kommen gerade zur rechten Zeit hierher. Wir wissen das alles schon seit fünf Jahren: für Sie ist es eine gute Anfangslektion. Bitte, beachten Sie die Ehrlichkeit, mit der der Mann seine fünfzig Millionen aus dem Steuerbeutel der New Yorker gestohlen hat. Keine Intriguen wie in der alten, verrotteten Welt, aus der Sie kommen, keine Heimlichkeiten, keine Hintertreppengemeinheiten. Alles offen und geradeaus, was man auf beiden Seiten des Wassers ›fair play‹ nennt. ›Ich greife in die Stadtkasse und hole mir eine Million heraus – ungezählt. Sie, Mister Schatzmeister, drücken die Augen zu und erhalten hierfür dreimalhunderttausend Dollars. Abgemacht?‹ sagt der eine. – ›Abgemacht!‹ sagt der andre. Das war die Formel für alle Geschäfte des großen Mannes, der New York bis gestern regierte. Möglich, daß er jetzt ins Zuchthaus wandert. Alle zwölf Jahre schüttelt sich das unglaublich faule Volk der wirklich achtbaren Leute, und das Geschmeiß fällt ab. Wahrscheinlicher ist aber, daß er das Geschäft nach einigen Monaten wieder aufnimmt. Ein andrer, wenn nicht er, tut es sicher.«

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