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Der Widerspenstigen Zähmung
Ein pensionsberechtigter Zwerg Nase wäre ihr als Gatte sympathischer gewesen als der Apoll von Belvedere, von dem es ungewiß ist, ob er eine Frau ernähren konnte.
Ach, die so nüchternen, trockenen Eheparagraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches erscheinen wie ein Hohelied auf die Liebe, verglichen mit den Eheanschauungen eines Mädchens, das erst einmal angefangen hat, »praktisch« zu denken!
»Danke schee!« sagte Adolf Borges, als Katharina mit dem Festnähen des ohnehin bereits festgenähten Knopfes fertig war.
»Haww ich Ihne aach net gestoche?« flötete Katharina und warf ihm einen
Blick zu, bei dessen Empfang der früher erwähnte Herr Meier stolz gefragt hätte: »Adolf, haben Sie den Blick gesehen? Den Blick? Ich sag
Ihnen, Adolf, wenn ich #wollt#' – aber ich will net!«
Adolf war kein Meier. Er bemerkte den Blick überhaupt nicht.
Noch stimmten die Saiten, nach deren Klang er das Tanzen lernen sollte, nicht genau, aber nur noch um kleine Schwankungen waren die Quinten unrein, und schon probierte Katharina leise, pizzikato, ob sie das Spiel wohl beginnen könne.
Sie hatte das Tablett mit dem Kaffee auf den Tisch gestellt, doch nun fand sie, daß es nicht gut stünde. Während ihr Dachzimmerherr den Schlips umband und die Jacke anzog, rückte sie an dem Tablett herum und stellte die inzwischen kalt gewordene Tasse Kaffee und das Butterbrötchen recht handlich hin.
Dabei schwänzelte sie geziert um den Tisch und ließ durch ein paar kokette Drehungen ihren gewitterfarbenen Rock ein wenig blähen, so daß der Regenbogen ihres oftgeflickten Unterrocks sichtbar ward.
Aber auch an dieser Naturerscheinung ging Adolf achtlos vorüber.
Da ließ sie ihn denn allein, stieg die Treppe hinunter und seufzte:
»Merr hat's net leicht!«
Adolf schlürfte den kalten Kaffee, griff, noch mit beiden Backen kauend, nach seiner Mütze, machte sich auf den Weg zu Herrn Feldmann, um die Geschäftsschlüssel zu holen, begab sich in die Schloßstraße, öffnete, zog die Rolläden hoch und begann die eintönige Arbeit des Aufwischens und Abstaubens.
Und seufzte: »Der liewe Gott hätt' aach gescheider die Welt in #aam# Dag erschaffe unn dann #sechs# Däg geruht, schdatt umgekehrt! Dann hätte merr sechs Sonndäg in der Woch!«
Er war noch mitten in den Aufräumungsarbeiten, da kamen schon die ersten, pünktlichsten Angestellten, und der Briefträger kam und gab die Post ab, und die Kommis suchten schnell die Privatbriefe und jene Briefe heraus, die wegen falscher Adresse zurückgekommen waren, und zuletzt kam der Herr Feldmann, und kaum war er da, da fing er auch schon an zu schimpfen und einem Kommis zu versichern: »Zum Schlafe haww ich Se net angaschiert! Schlafe kann ich selwer for mei Geld!«
Und das ganze Personal dachte: »Dhät er's nor!«
Und ganz zuletzt kamen die Herren Lehrlinge und behaupteten, ihre Uhren gingen nach.
Und Adolf Borges spielte das einförmige Rondo seiner Tagesarbeit, ein gar langweiliges Rondo, in dem die beiden Themen »Pakete schnüren« und »Gänge besorgen« ewig wiederkehrten; nur die Begleitstimmen zu diesen beiden Melodien boten ein wenig Abwechslung, denn wenn er beim Paketschnüren war, schrie der nervöse Herr Feldmann: »E halb Jahrhunnert sin Se jetz bei merr unn hawwe's immer noch net gelernt!«, und wenn er von einem Besorgungsgang zurückkam, spöttelte der gemütlicher veranlagte, dicke Herr Schröder: »Es is nor liewenswerdig von Ihne, daß Se iwwerhaapts noch zurickkomme! An Ihrer Stell wär' ich iwwer Nacht gebliwwe!«
Und Adolf dachte sich: »Grad wie nachts die Katze kreische se! Schad, daß merr kaan Bandoffel nach 'ne werfe derf!«
– Ich muß noch einmal auf den Drachen Fafner zu sprechen kommen. Der Leser wird bereits bemerkt haben, daß ich eine Schwäche für dieses Vieh besitze. In der Tat, ich habe ihn in mein Herz geschlossen und ich bedaure nur, daß man ihn nicht herausklatschen darf wie eine italienische Opernprimadonna, auf daß er da capo singe. Er ist der bestdisziplinierte Drache, den ich kenne. Geduldig liegt er in seiner Höhle und wartet auf sein Opfer. Wer ihn nicht aufsucht, den frißt er nicht.
Ganz anders Katharina. Sie hatte sich ihr Opfer ausgesucht, aus der reichhaltigen männlichen Speisekarte hatte sie gerade das Gericht Adolf Borges gewählt, sie hatte ihn sich bei dem Oberkellner Zukunft bestellt, und sie bestand mit aller Hartnäckigkeit darauf, ihn vorgesetzt zu bekommen.
Eines Abends klopfte es plötzlich an die Türe des Dachzimmerchens.
»Erei'!« rief Adolf verwundert.
Und herein trat Katharina und sprach mit einem Lächeln, das sie für sehr liebreich hielt: »Der Vadder läßt Ihne sage, ob Se net uff e Gläsi Bier bei en erunnerkomme dhäte?«
Sie hatte eine frischgewaschene weiße Bluse angezogen, die sie mit Parfüm von dem Friseur gegenüber besprengt hatte. Es war das erste mal in ihrem Leben, daß sie Parfüm gekauft hatte, und der Figaro von nebenan, der blondgelockte Herr Hippenstiel, der wie alle seine Fachgenossen ein Schlaukopf war, hatte gleich etwas geahnt und diskret gefragt: »Derf merr graduliere?«
Worauf Katharina feuerrot wurde und hauchte: »Sie könne aan werklich in
Verlegeheit bringe, Herr Hippestiel!«
Zwei Tropfen solle sie nehmen, das genüge vollauf, hatte Herr Hippenstiel sie belehrt. Aber Katharina machte es wie die Patientinnen, denen der Arzt fünf Tropfen einer Medizin verordnet hat, und die sich sagen: »Wenn schon fünf Tropfen gut tun, wie müssen da erst zehn Tropfen helfen!«
Sie hatte sich gleich das halbe Fläschchen der öligen Flüssigkeit auf die Bluse geschüttet und sie fand, daß sie nun sehr gut roch.
Auch Adolf fand das, denn er sagte: »Fräulein Bindegerst, Se rieche wie e Gewächshaus!«
Eigentlich hatte er wenig Lust, der Biereinladung Folge zu leisten. Allein seine Schüchternheit sagte ihm, es sei doch zu unhöflich, abzulehnen, und so meinte er: »Ich mach merr zwar Awends nix aus Bier, aber no, ich wer' net gleich draa sterwe!«
Und Katharina flüsterte holdselig: »Sie sin iwwerhaapts so solid, Herr
Borges! So'n solide Mann haww ich noch kaan kenne gelernt! Ach, Herr
Borges!«
Und dabei seufzte sie so tief, daß das ganze Gewächshaus sich zu heben und senken anfing.
– »Des is recht, Herr Borges, daß Se uff'n Schluck Lagerbier komme!« begrüßte Vater Bindegerst ihn und lud ihn zum Sitzen ein. »Ich habb merrsch schonn oft gedenkt: was dhut der Mensch eigentlich so allaans da drowwe in sei'm Leuchttorm? Es is net gut, daß der Mensch allaans sei, haaßt's in der Biwel. Ich habb lang net mehr drin gelese, ich les liewer Detektivgeschichte, awwer es is e wahr Wort. Wisse Se, wenn ich kaa Gesellschaft habb, dann komm ich ins Denke, unn wannn ich erscht emal ins Denke komm, dann kimmt nix Gescheides dabei eraus! No, Prost, Herr Borges!«
Adolf hob seinen Krug und stieß mit dem Drechslermeister an. Katharina hatte ihm das Bier eingeschenkt, in den schönsten Krug des kleinen Haushalts. Es war ein recht schmucker Krug, die selige Frau Bindegerst hatte ihn vor vielen Jahren ihrem Eheherrn geschenkt, erstens weil er Geburtstag gehabt hatte, und zweitens weil gerade in dem Porzellangeschäft Ausverkauf gewesen war. Eine alte Ritterburg war auf den Krug gemalt, an deren Portal ein Ritter Trompete blies. Man hätte ihn unbedingt für den Trompeter von Säckingen halten müssen, hätte nicht in goldenen Buchstaben darunter gestanden: Stolzenfels am Rhein.
Auch Katharina stieß mit an, und sie hauchte dabei: »Prost!«
Es klang wie das Piepsen eines Kanarienvogels, denn sie war, wie alle Frauen, eine Verwandlungskünstlerin. Noch hatte sie auf das Grammophon ihres Antlitzes die schmachtende Platte »O könnt ich noch einmal so lieben« aufgelegt, – aber die Radauplatte »Tararabumdieh!« lag schon bereit.
Vater Bindegerst saß auf dem Sofa, ihm gegenüber saß Adolf auf einem
Stuhl, und auf dem Nachbarstuhl blühte das Gewächshaus Katharina.
Zunächst war noch ein halber Meter Distanz zwischen ihnen, aber der
Zwischenraum verringerte sich im Laufe des Abends, obwohl Adolf kein
Millimeterchen von seinem Platz rückte.
Zunächst schickte sie ihre linke Fußspitze als Patrouille aus. Die Fußspitze sondierte das Gelände, fand es »vom Feinde frei«, und rückte vorsichtig weiter vor, bis sie ihr Ziel, die Borgessche Fußspitze, erreicht hatte.
»Entschuldige Se, Fraulein Katherina!« sagte Adolf und zog seinen Fuß zurück.
Katharina errötete, aber innerlich hatte sie sich vorgenommen: »Wenn ich ihm erst die kleine Zehe reiche, muß er das ganze Bein nehmen!«
»Des ganze menschliche Lewe is e Gemeinheit!« philosophierte Vater Bindegerst, der ins Denken zu kommen schien, denn er redete viel Unsinn. Und er fing an zu politisieren und auseinanderzusetzen, wie ungerecht es auf der Welt im allgemeinen, und in Offenbach im besonderen zuginge. Es war eine lange Rede, die er hielt, es ging ihm weder der Atem noch das Lagerbier aus, und er schloß mit der überzeugenden Wendung: »Unnn woher kimmt des alls? – Weil des ganze Lewe e Gemeinheit is!«
»Entschuldige Se, Fräulein Katherina!« sagte Adolf und zog sein Knie zurück, denn Katharina war mit ihrem Knie an das seine gekommen. Nachdem die Patrouille Fußspitze zum Truppenteil zurückgekehrt war, hatte Katharina nämlich beschlossen, eine stärkere Patrouille auszuschicken. Auch diese Patrouille wurde zurückgezogen, und die ganze Kompagnie begann nun zu manövrieren, indem sie mit ihrem Stuhl zu rutschen anfing.
Vater Bindegerst trug die Hauptkosten der Unterhaltung. Diese Kosten trägt man ja gerne, denn sie sind billig. Es fiel ihm durchaus nicht auf, daß sein Gast nur hie und da eine kurze verlegene Zwischenbemerkung machte, denn der Drechslermeister gab sich die meisten Antworten selbst und fand daher diese Antworten sehr treffend.
Sein Zimmerherr ward ihm von Viertelstunde zu Viertelstunde sympathischer, er beschloß, ihn öfters einzuladen. Gibt es doch für geschwätzige Menschen nichts Angenehmeres als ein Zwiegespräch, bei dem nur einer redet.
Er erzählte nun von seinem Geschäft und lobte dabei, wie landesüblich, die gute, alte Zeit.
»Ja, frieher«, sagte er, »frieher, da war des Geschäftslewe noch reell! Hier die Waar, hier's Geld! Awwer heut! Heut sollstde Kredit gewwe, bis De schwarz werst, heut nemme Derr die Leut de halwe Lade mit unn sage: Schicke Se merr die Rechnung! Unn wannsde se mahnst, sin se net dahaam! Merkwerdig: wannsde ihne die Waar' schickst, da sin se all dahaam, awwer wannsde Dei Geld hawwe willst, dann mache se grad en Besuch odder se sin in die Sommerfrisch odder se hawwe'n Trauerfall unn die ganz Familie erbt ebbes, – bloß Du kriehst nix!«
»Entschuldige Se, Fräulein Katherina!« sagte Adolf, denn sie lehnte ihren Arm an den seinen.
Sie saß jetzt ganz dicht neben ihm, und ihm war, als säße er mitten in einem Gewächshaus. Es war recht schwül in dem Gewächshaus, die Luft fing an, ihn leise zu benebeln.
Er zog seinen Arm nicht zurück; es tat ihm wohl, sich von den Zweigen dieses Gewächshauses fast unmerklich streicheln zu lassen.
Das war so sanft und weich, daß er gar nicht merkte, daß hier Disteln statt Rosen wuchsen.
Er hob jetzt seine Augen und besah sich die Botanik näher, und das Pflanzenreich gefiel ihm nicht so übel. Machte doch die falsche Katharina ihre schönsten Vergißmeinnichtaugen und zog ihr süßestes Lilienmäulchen, so daß man wirklich nicht mehr sehen konnte, #was# für eine Pflanze sie in Wirklichkeit war. Er fühlte sich im Palmengarten und merkte nicht, daß er im Zoologischen war.
»Kättche, hol de Quetschekuche von heut Middag!« befahl der Vater. »Der
Herr Borges werd Abbeditt hawwe!«
Ach nein, der Herr Borges hatte jetzt gar keinen Appetit. Der Magen erschien ihm jetzt als der prosaischste Körperteil, den Gott geschaffen hat. Er hatte ein ganz unbestimmbares Gefühl, so ein Mittelding zwischen Lachen und Weinen, Wonne und Schmerz, und wenn ihn jetzt ein Kassenarzt gefragt hätte: »Herr Borges, wo tut's Ihnen weh?« – er hätte es beim besten Willen nicht sagen können.
Er empfand nur, als Katharina hinausgegangen war, um den
Zwetschenkuchenrest zu holen, plötzlich eine tiefe Leere neben sich, und es kam ihm so vor, als sei die Temperatur im Zimmer plötzlich um zehn
Grad gesunken.
So ungefähr war ihm zu Mute wie damals, als er den Kopf in den Ameisenhaufen gelegt hatte. Die Ameisen kribbelten und bissen, aber als Katharina wieder ins Zimmer trat, da verwandelten sich die Ameisen in lauter kleine, goldige Leuchtkäferchen und huschten im Zimmer umher und schwirrten ihm um die Nase, und es ward so hell, daß er fast ausgerufen hätte: »Gott, was e Pracht! Die Sonn is uffgange!«
»E guter Quetschekuche is des, Herr Borges!« versicherte der Gastgeber. »Da könne Se weit laafe, bis Se so aan finne! Des Rezept schdammt noch von maaner selig Fraa! Unn von der hat's Kättche die Kochkunst geerbt. Koche kann des Mädche wie e junger Gott! Die macht Ihne aus Dreck de scheenste Pudding! No, fresse Se, – unn Se wern merr Recht gewwe!«
Ein gewöhnlicher Sterblicher hätte bei diesen Worten beide Ohren gespitzt. Denn die Liebe des Mannes geht durch den Magen, und ich bin überzeugt, Zeus wäre der solideste Ehemann gewesen, hätte ihm Hera nicht immer Nektar und Ambrosia vorgesetzt.
Aber Adolf Borges war kein gewöhnlicher Sterblicher. Dieser kleine
Konfektionsgeschäftsauslaufer war ein Gefühlsmensch, und diese
Menschengattung ist unter den Sterblichen in der verschwindenden
Minderheit. Wenn sie einen hohlen Zahn haben, ja, dann sind sie alle
Gefühlsmenschen, aber viel weiter reicht ihr Gefühl nicht.
Der Kauf des Parfüms lohnte sich für Katharina. Der Schwerenöter Hippenstiel hatte sie nicht betrogen. Adolf atmete den süßen Duft mit unbewußtem Wohlbehagen und hätte es unter keinen Umständen geglaubt, daß er selbst für zwei Mark fünfzig hätte ganz genau so gut riechen können.
Ach, die Liebe verleiht dem Menschen Schwingen, die ihn emportragen über alles Alltagsungemach, die Erde entschwindet dem Blick, der König vergißt seinen Palast, der Bettler seine Hütte, der Feinschmecker seinen Quetschekuche; im reinen Äther schwimmt er und atmet die wonnigen Düfte, die es bei keinem Hippenstiel zu kaufen gibt.
Schon fühlte Adolf die Flügel auf seinem Rücken knospen. Er spürte das
Bedürfnis, sich den Buckel zu kratzen, aber »des schickt sich doch net!«
»Fresse Se, Herr Borges!« ermunterte Meister Bindegerst.
Und auch Katharina lud ein: »Fresse Se, Herr Borges, – odder derf ich
#Herr Adolf# zu Ihne sage?«
Und um jede Antwort abzuschneiden, schob sie ihm ein großes Stück Kuchen in den Mund. Und hätten statt der süßen blauen Zwetschen dicke Rhizinuspillen auf dem Hefenteig gelegen, Adolf hätte dennoch die Gabe mit allen Zeichen des Entzückens geschluckt.
In dieser Nacht schlief der arme Adolf sehr unruhig.
Er träumte von einem Gewächshaus, darin dufteten die herrlichsten Blüten und zwitscherten die wunderlichsten Vögel. Adler sangen wie Nachtigallen, und auf einem Rosenzweig schaukelte sich eine Gans und flötete kwiwitt, kwiwitt. Und mitten in dem Gewächshaus wuchs ein großer Baum, das war der Quetschekuchebaum, und wie im Aschenbrödel ließ dieser Baum mit sich reden, und Herr Bindegerst stand davor und sang:
»Bäumche, rüttel Dich unn schüttel Dich,Werf Quetschekuche iwwer mich!«Und es erschien ihm der Trompeter aus Stolzenfels am Rhein, mit einer Pfauenfeder am Hut und frischgeputzten Stulpenstiefeln, und blies auf seinem Horn ein herzerweichendes Solo, bis sich das Burgfenster öffnete und Katharina heraussah und mit einem Putzlumpen winkte und fragte: »Herr Trompeter, derf ich zu Ihne #Herr Adolf# sage?«
Da blies der Trompeter ein so begeistertes Fortissimo, daß Adolf erschrocken aus dem Bett hochfuhr. Er hörte noch im Wachwerden das schmelzende Lied, – nur war es kein Trompetensolo, sondern es waren die verfluchten »Katzeviecher«, die gerade wieder einmal Sinfoniekonzert hatten.
Der Mann im Mond aber schüttelte den Kopf und meinte: »Schon wieder einer! Immer das Gleiche! Hoffentlich kommt mir keine Mondfinsternis dazwischen, damit ich sehn kann, wie die Geschichte ausgeht!«
Und nun begann für Adolf jener Lebensabschnitt, den Schiller als der ersten Liebe goldene Zeit bezeichnet, wobei er freilich schwerlich an einen Zweiundvierzigjährigen Offenbacher Ausläufer gedacht haben wird. Adolfs welkes Herz erblühte, und er geriet somit in jenen seltsamen Zustand, dem gegenüber selbst die erfahrensten Ärzte ratlos sind, und den nur die großen #Menschheitsärzte# beschreiben können: nämlich die Dichter.
Die Liebe ist jener märchenhafte Fortunatussäckel, aus dem man unendlich schöpfen kann, ohne ihn je zu leeren. In einer Märchenwelt taumelt der Verliebte, und in dieser Märchenwelt war Adolf Borges der verwunschene Prinz, den eine böse Hexe dazu verdammt hatte, unter Mißachtung seiner hohen Abkunft bei Feldmann & Schröder Pulte abzustauben und Pakete zu schnüren.
Woher sollten es die Herren Feldmann und Schröder wissen, daß sie einen leibhaftigen Prinzen beschäftigten?
»Adolf, Se sin e Kamel!« sagte Herr Feldmann. Und Adolf dachte sich:
»Wann des Kamel nor #glicklich# is!«
»Adolf, Se sin e Rindviech!« versicherte der dicke Herr Schröder. Und
Adolf lächelte: »O selig, o selig, ein Rindviech zu sein!«
Wie alle Verliebten fing auch er an, kindisch zu werden und selige Närrischkeiten zu treiben, und so erwischten ihn die Putzfrauen der Firma eines Morgens dabei, wie er vor einer Modellfigur auf den Knieen lag und indem er sie mit dem Federbesen abstaubte, verzückt flüsterte: »Bistde kitzlich, mei Zuckerschnutche? Ach, Kättche, was bistde for e sieß Oos!«
Und weil die Putzfrauen ebensowenig wie die Chefs wußten, daß sie es mit einem verzauberten Prinzen zu tun hatten, hielten sie sich die Bäuche vor Lachen, und – klatsch – hatte Adolf einen nassen Putzlumpen auf dem Buckel.
Abends, nach acht Uhr, aber, wenn er von der Post zurückgekommen war und die Rolläden herabgelassen hatte, wich der schlimme Zauber von ihm, er war nicht mehr das »scheppe Adolfche«, wie ihn der eklige Kassierer nannte, sondern Prinz Adolf der Liebeglühende von Träumershausen, und Seine Durchlaucht geruhten nach dero Märchenschloß zu wandeln, welchselbiges dicht unter dem Dach lag.
Der alte wackelige Stuhl war der Thronsessel, der Schrank mit dem kaputenen Schlüssel, die Schatzkammer, in der als funkelndes Geschmeide seine Sonntagshose hing. Und vom Dachfenster aus hatte der Prinz die herrlichste Aussicht auf sein Reich; da wimmelten seine Untertanen, und jeden, den er mit einem Liebchen am Arme spazieren sah, ernannte er zu seinem Pagen.
Hörte er aber jemanden das schöne Lied »Du bist verrückt, mein Kind« singen, so sagte er mit gutmütiger Selbstironie: »Des is mei Nationalhymne!«
Oh, S. Durchlaucht Prinz Adolf hatten einen großen Hofstaat! Der
Kassierer, der ihm allmonatlich seinen Gehalt auszahlte, war sein
Finanzminister, der Herr Schröder war sein Zeremonienmeister, der
Schutzmann unten an der Ecke seine Leibgarde, der Lehrling sein Hofnarr und die Aufwaschweiber seine Hofdamen.
Ein Stockwerk unter ihm aber, da war das Allerköstlichste: da residierte Prinzessin Katharina, die Märchenfee, die er zu erlösen hatte. Es ist im Märchenreich üblich, daß ein Prinz, ehe er die Hand der Holdseligsten erringt, erst einige Drachen ins bessere Jenseits befördert, – in #diesem# Märchen begab es sich leider, daß der kurzsichtige Held nicht die Prinzessin, sondern den Drachen selbst freite.
Oft des Abends sahen nun die Mainnixen den kleinen Adolf mit Katharina am Ufer auf und ab wandeln, sie kicherten zwischen den großen Kähnen hervor und zählten die Küsse nach. Es gingen dort viele verliebte Pärchen spazieren, aber auf unser Duo hatten es die Nixenfrechdächse ganz besonders abgesehen. Denn in der Maingegend haben auch die Elementargeister Sinn für Humor. Und wie oft wisperten sich im Offenbacher Stadtwald die Sträucher und Büsche verschmitzte Randbemerkungen zu, bis eine uralte Tanne sie zurechtwies: »Still, klaa Gezäppel! Is ja doch bloß der griene Neid von Euch!« Denn in der Offenbacher Gegend sprechen auch die Vegetabilien Dialekt.
Katharina war bei diesen Abendwanderungen viel zu folgsam, schweigsam und nachgiebig, als daß diese Tugenden hätten echt sein können. Wenn der kleine Adolf zu schwärmen anfing: »Kättche, lieb Kättche, guck nor de Mond! Is es net, als ob er extra als Latern hiegehenkt war, damit ich Dei sieß Schnutt besser find?« dann entgegnete sie zärtlich: »Ach ja, Adolfche, der Mond!!« Und dachte sich heimlich: »Also mondsüchtig is er #aach#! No wart nor, ich wer' Derr die Posse schonn ausdreiwe!«
Und wenn er im dunklen Stadtwald fantasierte: »Kättche, wann jedz e Räuwer kam, verteidige dhät ich Dich bis zum letzte Blutsdroppe!«, dann schmiegte sie sich dicht an ihn und hauchte: »Ich waaß es, Adolf!«
Und dachte bei sich: »Ich möcht net gucke, wiesde laafe dhätst!«
Von diesen Gedanken Katharinas ahnte der harmlose Verliebte nichts. Wohl war er in seiner Liebe ein Prinz, ja sogar ein König, – aber nur ein König auf dem Schachbrett, und Katharina war die Königin, die ihn matt setzen sollte. Die Küsse, mit denen sie die seinen erwiderte, waren zäher Leim, und an diesem Leim blieb das harmlose Vögelchen Borges hängen.
Vater Bindegerst sah die Entwicklung der Dinge mit stillem Vergnügen. Adolf war ihm lieb und wert, aber noch lieber war ihm der Gedanke, seine zänkische, bösartige Tochter auf gute Art los zu werden. Er, der seit dem Tode seiner Frau unter #Katharinas# derbem Pantoffel stand, träumte in Gedanken von einer neuen Junggesellenzeit, in der er viel Versäumtes nachzuholen gedachte.
Er redete Adolf nicht zu, aber er warnte ihn auch nicht, zumal ihm die
Erfahrung hinreichend bewiesen hatte, daß man leichter einem Nilpferd das Ballettanzen beibringt, als einem Verliebten die Wahrheit über seine
Angebetete.
Es bestand zwischen Vater und Tochter ein stillschweigendes Übereinkommen, dieser Angelegenheit ungehemmten Lauf zu lassen. Drohte, wie so oft, ein lärmender Streit zwischen Vater und Tochter auszubrechen, und fing Katharina nach ihrer Gewohnheit in den höchsten Fisteltönen zu keifen und zu schreien an, dann hob Papa Bindegerst nur mahnend seinen Finger und deutete nach oben und flüsterte: »Pst! #Er# könnt's hörn!« und sofort ging Katharina zum zartesten Pianissimo über.
Wobei ihr Talent anerkannt werden muß, auch im leisesten Tonfall die haarsträubendsten Bosheiten und Beschimpfungen von sich zu geben.
Und so kam denn der große Tag, an dem Adolf in aller Form um seiner
Erwählten Hand anhielt.
Er warf sich zu diesem Zweck in den schwarzen Sonntagsanzug, ergriff den Zylinder, und es ging ihm einen Augenblick durch den Kopf: »Es is doch merkwerdig, daß der Mensch zor Brautschau genau deselwe Aazug aazieht, wie wann er zor'rer Beerdigung geht!«
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