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Die Falkner vom Falkenhof. Zweiter Band.
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Die Falkner vom Falkenhof. Zweiter Band.

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Als der Morgen dann zu einer decenten Stunde vorgeschritten war, stieg er hinauf zu Dolores und ließ sich bei ihr melden. Er fand sie in dem Turmzimmer am Schreibtische vor, Bücher und Belege vor sich.

»Immer thätig, immer bei der Arbeit,« sagte er, und küßte ihre Hand.

»Was hilft's? Engels zwingt mich ja zu diesem reizlosen Geschäft,« lächelte Dolores und seufzte dazu resigniert. »Er giebt keine Ruhe, ehe ich nicht selbst die Bücher vergleiche und die Belege revidiere. Und dabei hasse ich nichts mehr, wie Rechnen und Zahlen. Aber ›ich bin des trocknen Tons nun satt,‹« setzte sie mit dem übermütigen Blick früherer Tage hinzu, indem sie das Buch zuklappte und ihre Hand darauf legte.

»Ich wundre mich nur, daß Sie den ›trocknen Ton‹ so lange ertragen haben,« gab Doktor Ruß zurück.

»Nun, was Mephisto konnte, wird doch von Satanella nachzuahmen sein?« sagte sie leicht.

»Wer weiß,« erwiderte er und setzte dann hinzu: »Wissen Sie, Dolores, daß Sie mich damit unbewußt auf das Thema gebracht haben, wegen dessen ich eben zu Ihnen heraufkam? Ich habe, offen gesagt, nicht recht gewußt, wie beginnen, denn ich möchte Ihr Mißtrauen nicht erwecken und nicht selber die Rolle einer mißgünstigen Rothaut in Ihren Augen spielen –« –

»Das ist ja eine schreckliche Vorrede,« lachte Dolores, sichtlich sympathisch berührt von dem Tone des Biedermanns, den Doktor Ruß so meisterhaft beherrschte.

»Eine schreckliche Vorrede, nicht wahr?« gab er mit komisch-kläglichem Tone zu, fügte aber gleich wieder ernst hinzu: »Aber sie ist noch nicht zu Ende, meine Vorrede. Denn sehen Sie, Dolores, Sie müssen mich nicht mißverstehen, nicht glauben wollen, daß ich Ihnen einen Rat aufdränge, dessen Sie nicht bedürfen und den Sie nicht wünschen, oder gar, daß ich mich von irgend welchem Übelwollen leiten lasse – von einem Übelwollen gegen Engels, der mich nicht leiden mag. Denn um Engels handelt es sich.«

»Ach bitte, sagen Sie nichts gegen ihn,« bat Dolores so treuherzig, daß ein anderer, als Doktor Ruß, sicher still gewesen wäre.

»Nein, o nein,« beeilte er sich zu versichern. »Sie müssen nicht denken, daß ich ihn verdächtigen will, denn die Offenheit, mit welcher er seine Abneigung gegen mich zur Schau trägt, gemahnt an das klassische Vorbild der Nibelungenzeiten und hat mich immer mehr ergötzt als beleidigt. Denn gegen seine Antipathie kann kein Mensch, nur daß sie in diesem Falle wirklich nicht auf Gegenseitigkeit beruhte –« –

»Jetzt fang' ich aber wirklich an, neugierig zu werden, um was es sich handelt,« sagte Dolores amüsiert.

»Ich komme schon zur Sache, aber diese Einleitung hielt ich eben für nötig, denn meine Angelegenheit ist zu ernst, um mit der Thür ins Haus zu fallen,« erwiderte Doktor Ruß. »Es handelt sich also um den guten Engels, oder, wenn Sie wollen, um den Falkenhof. Sie wissen ja, wie der verstorbene Freiherr, Ihr Onkel, stets in die Verwaltungsgeschäfte selbst mit eingegriffen hat und Engels in allem und jedem dareinredete, als wäre derselbe nichts gewesen, als ein subalterner Beamter und nicht der selbständige Verwalter eines solch' enormen Güterkomplexes wie der Falkenhof. Das aber lähmt die Thatkraft, schwächt das Selbstvertrauen, und Engels, dessen landwirtschaftliche Kenntnisse und Ansichten noch von Anno Tobak datieren, hat nichts dazu gelernt, wie ich gern zugebe, aus dem obengenannten Grunde. Und in der That ist er nichts weiter, als ein guter, tüchtiger Inspektor, dem seine Buchführung nachgerade sauer genug wird und sie, wie figura zeigt, gern teilweise auf Sie abholzen möchte.«

»Und der langen Rede kurzer Sinn ist, daß ich Engels pensionieren soll,« warf Dolores kühl und scharf ein.

»Da – hatt' ich unrecht, wenn meine ›schreckliche Vorrede‹ Ihrem Mißtrauen vorbeugen sollte?« fragte Doktor Ruß lächelnd und in ganz harmlosem Tone. »Also für's erste und letzte – nein, tausendmal nein, ich will nicht, daß Sie Engels pensionieren sollen, denn das hieße den Besitz schädigen. Was ich meine, betrifft nur die rentamtliche Verwaltung. Die hat Ihr Onkel stets besorgt, wie Sie aus den Büchern ersehen werden, und wenn Engels dazu jetzt nicht taugt, so ist's nicht seine Schuld, denn woher soll ihm plötzlich eine Wissenschaft kommen, die er nie gepflegt hat. Nun aber sind Sie, liebe Dolores, gleichfalls unerfahren in der Verwaltung eines solchen Besitzes, Sie halten Engels für Ihre beste, zuverlässigste Stütze und haben darin auch nicht unrecht. Aber Sie vergessen, daß die Kopfarbeit ihm auch über den Kopf wachsen muß, und daher halte ich es für meine Pflicht, mögen Sie es so oder so deuten, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß der Falkenhof nicht vorwärts kommen kann, wenn, bei aller Sorgfalt und Pflichttreue des Verwalters, das geistige Oberhaupt mangelt. Verstehen Sie, was ich meine?«

Dolores hatte sehr aufmerksam zugehört und antwortete nicht sogleich.

»Ich verstehe all' das vollkommen, mehr noch, ich sehe ein, daß die ganze Last für Engels zu groß ist,« sagte sie dann. »Aber nichtsdestoweniger danke ich Ihnen herzlich für den guten Rat, der mir Ihre freundschaftliche Gesinnung so warm dokumentiert.«

»Sie wälzen einen Stein von meinem Herzen, wenngleich Sie mir deshalb nicht zu danken brauchen,« erwiderte Ruß lebhaft – eine seltene Kundgebung bei ihm.

»Doch, doch,« rief Dolores. »Hat doch der König seine Räte! Aber, aber, die ganze Vorrede hat mir doch gezeigt, daß die kleine Scene drüben im Ahnensaal Sie verletzt hat, daß Sie meinen Abweis jeglicher Einmischung in persönliche Angelegenheiten falsch oder doch zu scharf aufgefaßt haben. Denn wirklich, es galt nur dem Persönlichen, galt einer delikaten Frage, welche ich abgethan und begraben wähnte –« –

»Ihre Entschuldigung beschämt mich nur noch mehr,« fiel Ruß ein und reichte ihr seine Hand herüber, in die sie flüchtig die ihre legte. »Und um nun auf unser früheres Thema zurückzukommen –« –

»O, in diesem Falle bin ich sehr stolz, daß mein Instinkt mit Ihrer Fachkenntnis und Ihrer tiefen Einsicht im Einklange steht,« unterbrach ihn Dolores freundlich, »denn ich selbst habe längst gefunden, daß die Regierungsmaschine des Falkenhofes geordnet und einer Autorität unterstellt werden muß –« –

»Ah, sehen Sie wohl –!« rief Doktor Ruß mit einem Blick des Triumphes.

»Und gewissermaßen ist diese Angelegenheit schon geordnet,« fuhr Dolores fort, nicht ohne eine gewisse, sie sehr gut kleidende Wichtigkeit in Ton und Miene zu legen. »Ich habe Engels zum Generalbevollmächtigten ernannt und werde ihm einen Inspektor speciell für den Falkenhof unterstellen und damit den Stab seiner Inspektoren um einen leitenden technischen Beamten vermehren. Die nötigen Gehilfen für Engels auf dem Rentamte wird Justizrat Müller auf meinen Wunsch anwerben und mir verpflichten.«

Sie hatte all' das mit Eifer und, wie gesagt, mit einer sehr reizenden Wichtigthuerei berichtet, und, obgleich sie sich damit direkt an Doktor Ruß wendete, nicht bemerkt, daß er um einen Schatten blässer wurde und seine, den Bart drehende, weiße und wohlgepflegte Hand plötzlich so unsicher ward, daß er sie herabnehmen mußte und, um ihr Zittern zu verbergen, tief in seine Rocktasche vergrub.

»Und nun, was sagen Sie zu diesem excellenten Plan, auf den ich sehr stolz bin?« schloß Dolores heiter.

»Ich auch,« erwiderte Ruß mit seltsam schwerer Zunge, so daß sie ihn verwundert anschaute. »Und ist alles schon legal und perfekt?« fragte er dann in seiner gewöhnlichen, gewinnenden Weise.

»Ja. Ich erwarte den Justizrat heut' oder morgen. Aber,« fuhr sie liebenswürdig fort, sichtlich bemüht, für den anscheinend so uneigennützig und bieder gegebenen Rat Dankbarkeit zu zeigen, »aber ich rechne beim Einrichten der neuen Verwaltung auf Ihren Rat. Da Sie mir die Freude machen wollen, bis zum Herbst mein Gast zu sein, so hoffe ich noch viel von Ihrem praktischen, sowie auch nicht minder von Ihrem theoretischen Wissen zu profitieren.«

Doktor Ruß verbeugte sich.

»Es macht mich stolz, mein geringes Können von Ihnen so hoch gestellt zu sehen,« sagte er mit seinem musikalischen Tonfall. »Aber,« setzte er lebhafter hinzu: »Aber ich fürchte, fürchte, daß Engels meinen Rat nicht begehren, mehr noch, nicht dulden wird –«

»Nein, da thun Sie ihm unrecht. Er ist so einsichtsvoll und weiß sehr genau, wo es ihm fehlt. Er wird sich freuen, bezüglich der Verwaltung wertvolle Winke von Ihnen zu erhalten.«

Doktor Ruß wiegte lächelnd den Kopf.

»Ich zweifle dennoch,« meinte er.

»Aber ich bitte Sie, wenn ich es wünsche!« rief Dolores, deren Widerspruch und Machtgefühl eine kleine Reizung erhielt. Doch Doktor Ruß wehrte ihr mit leisem Lachen mit beiden Händen ab.

»Ich den guten Engels unterrichten, der Vorurteile hat wie ein Italiener und eigensinnig ist wie gewisse graue Tiere – nein, liebe Dolores, so weit reicht Ihre Macht nicht. Das müßten Sie mir schriftlich geben, wenn Sie mich wünschen.«

»Nun, wenn Sie meinen, daß mein geschriebenes Wort Engels mit größerer Ehrfurcht erfüllt, so sollen Sie's haben,« lachte Dolores, auf den Scherz, für den sie das Ganze hielt, eingehend. Dabei ergriff sie einen großen Bogen Papier, warf hastig ein paar Zeilen daraus und reichte sie lächelnd Ruß herüber.

»Ich ernenne hiermit den Herrn Doktor Ruß zum Bureauvorsteher meines Rentamtes,« las er unterhalb des Datums. »Sehr gut. Sie haben nur die Unterschrift vergessen.« Und damit legte Ruß das Papierblatt wieder vor Dolores auf den Schreibtisch, welche sich höchlich über den »Spaß« amüsierte.

»Und die zwei Zeugen!« meinte sie, die Feder über den leeren Platz gleiten lassend. »Dolores Freiin von Falkner,« schrieb sie mit ihren großen, kräftigen Zügen, die so viel Charakter verrieten.

Doch als Doktor Ruß wieder nach dem Blatte griff, nahm sie es schnell fort und zerriß es noch rascher in mehrere Stücke.

»Nehmen Sie den Unsinn mit dem ›Bureauvorsteher‹ nicht übel,« sagte sie und warf die Fragmente in den Kamin.

Wieder lachte Doktor Ruß, aber diesmal ging Dolores der Ton durch und durch, daß sie zusammenzuckte.

»Was sich liebt, neckt sich,« sagte er und mußte sich räuspern, weil seine Stimme heiser geworden war. »Doch verzeihen Sie, daß ich Sie so lange belästigt habe, ja?« –

»Nein, es war ja so sehr freundlich von Ihnen,« erwiderte sie ganz überzeugt, worauf Doktor Ruß wieder ihre schlanke, feine Hand küßte und sich empfahl.

Draußen im Korridor aber kam es ein-, zweimal röchelnd aus seiner Brust, daß er den Knopf seines Leinenkragens lösen mußte, weil er ihm zu eng wurde.

»Es war der letzte Versuch,« stöhnte er. »Vom Hoffen zum Fehlschlagen, von der dann erreichten ersten Staffel in den Abgrund zurückgeschleudert – das macht die Nerven kaput. O Dolores!«

Und wieder schloß er den Knopf, denn die Selbstbeherrschung war sein oberstes Lebensprinzip.

»Ich hab's ehrlich gemeint – was kann ich dafür, wenn es nicht angenommen wurde?« sagte er im Weiterschreiten zu sich selbst.

»Ehrlich, wirklich ehrlich, denn ich bin kein Zulukafferhäuptling und kein Schusterle, dem's nur um das Abschlachten zu thun ist. Also jetzt Geduld, Geduld! Damit hat Napoleon die Welt unterjocht, und mit ihm sage ich: Tout le monde vient à celui qui sait attendre.«

O du stolze Frau Ruß, der das bloße Brot der Duldung in diesem Hause stets so hart und bitter war, dich hätte der Schlag getroffen, wenn du geahnt hättest, daß nach dem fehlgeschlagenen Versuch deines Gatten, sich zum Generaldirektor des Falkenhofs zu machen, dieser den »Scherz« der Lehnsherrin mit dem Bureauvorsteherposten für bitteren Ernst genommen hatte! »Denn,« so hatte er gerechnet, »wer das Kleine nicht ehrt, ist des Großen nicht wert,« und einmal im Nest, wäre der unbequeme Engels schon herauszudrücken, und der lockende Posten, der das Einkommen jeder Professur weit überschritt, dann dennoch sein gewesen. Denn darin machen's die Menschen nicht besser als die Tiere – es drückt einer den anderen fort, wenn er dessen Nest für das wärmere und bessere hält. »Nur die Lumpe sind bescheiden,« sagte Altmeister Goethe, und der hat das Leben doch sicher verstanden.

Daß dem Doktor Ruß nichts daran lag, den Falkenhof und mithin die Fleischtöpfe Ägyptens zu verlassen, um in einer Welt, der er fremd geworden, ein Brot zu suchen, dessen Sicherheit und Güte er durchaus nicht gewiß war, war ihm am Ende nicht zu verargen. Es schreibt sich am täglich kostenlos gedeckten Tisch, der unter dem Regimente der neuen Lehnsherrin bedeutend besser geworden war, leichter hin und wieder ein geistreich-ästhetisches Essay, als beim ängstlich eingeteilten Brot ums liebe Leben, und wenn Doktor Ruß auch zu denen gehörte, welche selbst in der Einsamkeit nicht rückwärts schreiten, weil sie den Drang zur Fortbildung in sich tragen, so wußte er doch sehr genau, daß die Zeit manche Lücken in seinem Wissen verursacht hatte, und daß es ihm blutsauer werden würde, in der Welt einigermaßen anständig fortzukommen. Andererseits aber hatte Dolores auch keinen Grund, die Familie Ruß dauernd als notwendiges Übel unter ihrem Dach zu behalten, denn wenn sein Wissen sie auch anregte und seine Person ihr nicht gerade unsympathisch war, so konnte sie an Frau Ruß doch keine Spur von Sympathie verschwenden, und im Gegenteil war ihr deren Gegenwart so antipathisch, daß sie ihr, wo nur thunlich, gern auswich. Die kalten, hellen, harten Fischaugen dieser Frau schafften ihr ein Unbehagen, das sie nicht überwinden konnte, und wenn sie sich auch gelobt hatte, späterhin wieder eine Einladung an das Ehepaar aus verwandtschaftlichen Rücksichten ergehen zu lassen, so hatte sie sich doch darauf gefreut, der Frau nicht mehr zu begegnen. Und nun wollten sie noch bis zum Herbst bleiben – mehr als ein Vierteljahr vielleicht? Dolores hatte zwar über diese gezwungene Gastfreundschaft geseufzt, sich aber fest vorgenommen, sich zu bezwingen und beiden den Aufenthalt im Falkenhof, so lange sie ihre Gäste waren, so angenehm als möglich zu gestalten und ihnen zu beweisen, daß sie hierin nicht in die Fußstapfen ihres seligen Onkels trat, der dem geduldeten Paare das Gnadenbrot gab. Sie nahm also mit ihnen ein gemeinschaftliches, spätes Mittagbrot und oft das zweite, das Gabelfrühstück ein, ohne sich gegebenenfalls in dieser Hinsicht Zwang aufzulegen. Im übrigen wurde die Bedienung des Paares bedeutend besser. – Dolores hatte, als Doktor Ruß sie droben in ihrem Turmboudoir verlassen hatte, mechanisch eine Streichholzbüchse ergriffen und die Fragmente der im Scherz ausgestellten Urkunde im Kamin entzündet. Sie wußte selbst nicht, weshalb sie es that, aber es kommt ja oftmals vor, daß die Hände etwas vornehmen, wovon der mit anderem beschäftigte Geist keine Ahnung hat. Und wie sie sich so vor den Kamin kauerte und zusah, wie die Flamme die einzelnen Papierstücke zu verzehren begann, da fiel ihr mit einem Mal der erste Teil des seltsamen Traumes ein, daß ihr neulich nachts geträumt, wie Doktor Ruß ihr das große Blatt Papier gereicht, wie sie es zerrissen und dann verbrannt. »Das ist seltsam,« dachte sie, und dann erinnerte sie sich daran, wie ihr weiter geträumt, daß Doktor Ruß durch den Kamin verschwunden sei. »Und das ist der Unsinn dabei,« sagte sie vor sich hin, doch stand sie trotzdem auf und begann den Mantel des Kamins genau zu untersuchen, hier drückend, dort zu schieben versuchend, aber ohne Erfolg. Nun überlegte sie, welcher Raum wohl an den Turm stoßen mochte, und da sie den nördlichen Flügel noch nicht betreten, so beschloß sie sofort, eine Expedition in denselben zu unternehmen – vielleicht, daß sich die seit geraumen Zeiten unbewohnten Räume irgendwie ausstatten und als Fortsetzung ihrer eigenen Zimmerflucht mit derselben verbinden ließen. Da einmal gefaßte Entschlüsse bei Dolores stets zur raschen Ausführung kamen, so läutete sie Ramo, dem sie alsbald ihren Wunsch mitteilte, und der wiederum seinerseits mit dem notwendigen Schlüsselbunde erschien, eigentlich mit nur zwei notwendigen Schlüsseln, indem er Dolores respektvoll mitteilte, Mamsell Köhler sei sehr froh, die Expedition nicht mitmachen zu müssen, da es im nördlichen Flügel umgehe, denn sie habe, auch in letzter Zeit, deutlich bei später Arbeit in den zur ebenen Erde liegenden Vorratsräumen eben dieses Flügels gehört, wie leise Schritte durch die unbewohnten Räume gegangen waren.

»Ratten,« schloß Ramo bedeutungsvoll.

»Natürlich,« nickte Dolores, »der guten Mamsell Köhler ist's ja gar nicht wohl, wenn sie sich nicht vor irgend einem Gespenst fürchten kann.«

Ramo öffnete, voranschreitend, die eiserne Thür, welche dicht neben dem Turmzimmerausgange den nördlichen Flügel beinahe hermetisch von der übrigen Außenwelt abschloß. Es bot sich ihren Augen nun vor allem ein eichengetäfelter Korridor, dessen Fenster nach dem Hofe herausgingen, wie die der anderen Korridore des Falkenhofs. Die Thüren, welche in die Zimmer selbst führten, waren aber alle fest verschlossen und widerstanden jedem Öffnungsversuche. Am Ende des Korridors endlich schloß der zweite der von Mamsell Köhler bezeichneten Schlüssel eine schmale, einfache Thür auf, und diese, in den nördlichen Turm führend, gestattete den Eintritt in den verlassenen Flügel, dessen weite und hohe Räume es sicher nicht verdient hatten, von den Herren vom Falkenhof so stiefmütterlich behandelt zu werden. Daran aber war die Überfülle an Raum schuld, welche dies feudale Schloß barg, und –

»Aber Ramo, sind das nicht die Zimmer, in denen meine Eltern wohnten?« fragte Dolores erstaunt beim Weiterdringen, während Ramo vorausging, die meist ganz verschlossenen Fensterläden zu öffnen.

»Ja, Herrin,« erwiderte der alte Diener mit einem Seufzer, in welchen Dolores einstimmte. Denn wohl waren diese Zimmer groß und teilweise sogar mit wertvollen alten Möbeln ausgestattet, aber sie entbehrten des Sonnenlichts, und eine beklemmende Moderluft lag in den Räumen, in denen die Stille des Todes herrschte.

»Arme Mutter,« dachte Dolores wehmütig, »und sie hatten keinen anderen Raum hier für dich, als diese gruftartige Zimmerflucht, in der du, des Südens sonnengewohnte Tochter, jahrelang dahinsiechen und welken mußtest –«

Sie waren jetzt in einem Gemach angelangt, das, vollkommen eingerichtet mit schweren, geschnitzten, schwarzen Eichenmöbeln, nur diesen einen Eingang zu haben schien, und durch dessen letztes Fenster ein schräger Sonnenstreifen hineinfiel, direkt auf einen tiefen gepolsterten Sessel, welcher in der Fensternische stand.

»Hier hat die Herrin immer gesessen und auf die Sonne gewartet, und die Sonne dann solange auf ihr Gesicht scheinen lassen, bis sie wieder fortging,« erklärte Ramo bewegt und deutete auf den Sessel am Fenster.

Da wurde es Dolores recht schwer ums Herz, und auch sie setzte sich an den Platz, auf dem ihre Mutter die vielgeliebte Sonne erwartet hatte, welche ihr nur einen so kurzen und spärlichen Besuch machte zur Sommerszeit, während sie im Winter diese verlorene Ecke gar nicht erreichte.

»Stößt dies Zimmer nicht an meinen Turm?« fragte Dolores nach einer Pause, und als Ramo bejahte, sprach sie die Absicht aus, die Verbindungswand durchbrechen zu lassen, um wenigstens diesen Raum mit dem von ihr bewohnten Flügel zu verbinden. Doch statt aller Antwort sagte Ramo mit einem Mal:

»Mamsell Köhler hat doch Schritte gehört, keine Ratten. Und hier sind die Fußspuren!«

Er deutete nach dem Fußboden, auf dessen Parkett, wie in den anderen Zimmern auch, dichter Staub lag; Staub, der so alt war, als die Falkners damals nach dem Streite der Brüder den Falkenhof verlassen hatten. Und in dieser dicken, grauen Decke waren in der That Fußspuren zu sehen, augenscheinlich von dem Fuße eines Mannes, der in absatzlosen Schuhen durch das Zimmer gegangen war, und zwar führten diese Spuren aus der linken Ecke der nördlichen Schmalseite des Zimmers erst planlos und vielfach durchkreuzt durch das Zimmer, dann aber nach dem Kamin zu, der, wie Dolores sich's berechnete, genau mit dem ihres Turmzimmers zusammenstoßen, und dessen Feuerstätte in denselben Schornstein münden mußte.

»Ramo, wie alt sind diese Fußstapfen?« fragte sie nach einer Weile, nicht sehr erbaut über diese ungebetene und unheimliche Nachbarschaft.

»Die sind ganz frisch,« erklärte Ramo kopfschüttelnd. »Hier sind noch mehr Spuren, aber sie sind schon wieder halb verstaubt.«

Mit diesen Worten ging er den direkt zum Kamin führenden Schritten nach und entdeckte, daß die Fußspuren sich jenseits des vergoldeten Gitters in dem weiten Feuerschlunde fortsetzten, und ein schnell entzündetes Streichholz zeigte ihm nun auch Fingerabdrücke an der verräucherten eisernen Rückwand des Feuerplatzes.

Diesen Spuren folgend, tastete er ohne Rücksicht auf seine tadellos weißen Manschetten an der Wand entlang, bis er unten einen Knopf fand, welcher, seinem kräftigen Drucke nachgebend, leise, wie frisch geölt, sich bewegte, worauf die Wand leicht und lautlos sich nach oben bewegte und, einen Raum lassend, daß ein Mensch tiefgebückt durchschreiten konnte, die Aussicht freigab auf einen zweiten Feuerplatz, der in demselben Rauchfang mündete, und von diesem in – das Turmzimmer, welches Dolores als ihre ureigenste Domäne betrachtete.

»Höre, Ramo, das ist ja eine recht unangenehme Entdeckung,« rief sie nach der ersten Pause des Erstaunens. »Wer weiß, wer mir da schon manch' ungebetenen Besuch und zu Gott weiß welchem Zweck abgestattet hat.«

Ramo betrachtete seine rußigen Hände und schüttelte den Kopf.

»Herrin,« sagte er dann, »vor allen Dingen werde ich selbst den Schlosser aus dem Dorfe holen und so hereinbringen, daß er nicht gesehen wird. Der mag die Feder hier zusammenschweißen mit der Thür, und niemand kann mehr durch – oder er mag die Thür im Zimmer der Herrin mit dem Boden zusammennieten. Dann aber will ich suchen, wo die Fußspuren hereingekommen sind.«

Dolores war damit zufrieden und dankte innerlich ihrem Schöpfer, daß sie in Ramo solch' treuen und intelligenten Wächter besaß, doch das hatte er ihr freilich nicht gesagt, daß er eines Fuchseisens Aufstellung in dem diesseitigen Kaminschlunde plante, »denn wenn man soviel entdeckt, will man den Lump doch auch haben,« meinte er voll gerechter Entrüstung.

Dolores aber dachte an ihren Traum von dem sich drehenden Kamin, und es überlief sie ein leiser Schauer, als sie die Wirklichkeit mit demselben verglich. Und da sie allzeit ein guter Denker gewesen, so trat die Figur des Doktor Ruß vor ihr geistig Auge.

Sollte ihr dadurch zur Warnung dienen, daß Doktor Ruß –?

Aber mit großer Willenskraft wies sie diesen unwürdigen Gedanken von sich, und sie schämte sich dieses momentanen Verdachtes gegen einen Menschen, der gut erzogen und gebildet wie sie selbst, ihr noch keine Beweise gegeben hatte, daß er ein feindlicher Eindringling sei, der nächtlicherweile kam, um ihre Papiere zu durchstöbern. Denn was anders hätte er wollen können? Nein, dem diese Fußspuren im Staube gehörten, er war gekommen oder wollte kommen, um zu stehlen – ein niedriger Mensch, ein Dieb, denn wenn er auch vielleicht noch nicht vollführt, was er geplant – schon der Gedanke, schon die Absicht, nicht die That allein macht zu dem, was man werden will.

Fröstelnd wendete sie sich ab, den nördlichen Flügel zu verlassen, aus dessen düsteren Räumen aller Ecken Schatten zu kriechen schienen wie Gespenster, und so stark wurde dies Gefühl des Unheimlichen in ihr, daß sie schnellen Schrittes hinauseilte und erst aufatmete, als im Korridor das helle Licht sie umwogte, und sie in die sonnengebadete Landschaft hinausblickte.

Und dennoch – sie fühlte es über sich hängen, wie die Wolke kommenden Unheils, und wenn die Sonne auch jenes eben gespürte Unbehagen fortscheuchte aus ihrem Herzen, die Wolke blieb, die hatte sie mitgebracht aus den verlassenen Räumen, in denen das Verbrechen einherschritt und sein lichtscheues Wesen trieb.

Aber sie schalt sich selbst ernsthaft wegen dieser Ahnung nahenden Unheils, sie nannte sich hysterisch, unvernünftig, thöricht. Freilich, der Wille thut's auch nicht immer, und die Wolke blieb, und sie sah nach ihr aus, wie der Landmann, der einen vernichtenden Hagelschlag fürchtet und die drohende Angst nicht los werden kann.

Und wie sie am Fenster ihres Schlafgemaches stand, in welchem ihr die früher ganz ungekannte Gewohnheit des Träumens gekommen war, da sah sie Alfred Falkner von Monrepos herüberkommen, mit festem Schritt, hoch, stolz, jeder Zoll der Sproß eines edlen Hauses. Und es kam ihr die Frage an das Schicksal: »Warum hat er mich hassen gemußt, daß ich den Panzer des Stolzes wider ihn anlegen mußte? Er, der einzige Mensch, an dessen Liebe mir gelegen gewesen wäre? Warum? Warum?«

Und sie versank in ein Grübeln und dachte darüber nach, was sie gethan haben mußte, das zu verscherzen, was sie ihr Glück genannt hätte –

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