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Durchs wilde Kurdistan
Durchs wilde Kurdistan

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Durchs wilde Kurdistan

Язык: Немецкий
Год издания: 2016
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»Wurm, der du bist, antworte auf meine Fragen, sonst lasse ich dich schlachten!« befahl mir der Oberst.

»Wurm?« fragte ich ruhig. »Nimm und lies!«

Er blitzte mich wütend an, ergriff aber doch den großherrlichen Ferman. Als er das Siegel erblickte, drückte er das Pergament an seine Stirn, aber nur leicht und beinahe verächtlich, und überflog den Inhalt.

»Du bist ein Franke?«

»Ein Nemtsche.«

»Das ist gleich! Was tust du hier?«

»Ich kam, um die Gebräuche der Dschesidi zu studieren,« antwortete ich, indem ich den Paß wieder in Empfang nahm.

»Wozu das! Was geht mich dieses Bu-djeruldi an! Warst du in Mossul beim Mutessarif?«

»Ja.«

»Hast du von ihm die Erlaubnis, hier zu sein?«

»Ja. Hier ist sie.«

Ich reichte ihm das zweite Blatt entgegen; er las es und gab es mir wieder.

»Das ist richtig; aber – – —«

Er hielt inne, denn es prasselte jetzt drüben am Abhang ein sehr kräftiges Gewehrfeuer los, und zu gleicher Zeit vernahmen wir den Hufschlag schnell gehender Pferde.

»Scheïtan! Was ist das da oben?«

Diese Frage war halb an mich gerichtet; daher antwortete ich:

»Es sind die Dschesidi. Du bist umzingelt, und jeder Widerstand ist vergebens.«

Er richtete sich im Sattel auf.

»Hund!« brüllte er mich an.

»Laß dieses Wort, Miralai! Sagst du es noch einmal, so gehe ich!«

»Du bleibst!«

»Wer will mich halten? Ich werde dir jede Auskunft erteilen, aber wisse, daß ich nicht gewohnt bin, mich unter einen Miralai zu stellen. Ich habe dir gezeigt, unter welchem Schutze ich stehe, und sollte dies nicht helfen, so weiß ich mich selbst zu schützen!«

»Ah!«

Er erhob die Hand, um nach mir zu schlagen.

»Halef!«

Mit diesem lauten Rufe drängte ich mich zwischen die Pferde hindurch; die Türe öffnete sich, und kaum hatte ich sie hinter mir zugeschoben, so knirschte die Kugel einer Pistole im Holze. Der Miralai hatte auf mich geschossen.

»Das galt dir, Sihdi!« meinte Halef besorgt.

»Komm herauf!«

Noch während wir die Treppe erstiegen, vernahmen wir draußen ein wirres Rufen, untermischt mit Rossegestampf, und als ich oben anlangte, sah ich die Nachhut der Dragoner hinter der Krümmung des Tales verschwinden. Es war der reine Wahnsinn, sie gegen die Geschütze zu jagen, die nur durch einen Schützenangriff von den Seiten des Berges aus hätten zum Schweigen gebracht werden können. Der Miralai war sich über seine Situation ja gar nicht klar, und ein Glück war es für ihn, daß Ali Bey das Leben der Menschen schonen wollte; denn droben am Heiligtume und auf den Pfaden bis zur halben Höhe des Berges standen die Türken so dicht, daß jede Kugel der Dschesidi ein oder gar mehrere Opfer finden mußte.

Da erdröhnte der Donner der Kanonen von neuem. Die Kartätschen und Granaten mußten, wenn gut gerichtet war, eine fürchterliche Verwüstung unter den Reitern hervorbringen, und dies bestätigte sich nur gar zu bald; denn der ganze untere Teil des Tales bedeckte sich mit fliehenden Reitern, laufenden Dragonern und reiterlosen Pferden.

Jetzt war der Miralai ganz steif vor Wut und Entsetzen; aber es mochte ihm dabei die Erkenntnis kommen, daß er anders zu handeln habe. Er bemerkte meinen Kopf, der nach unten schaute, und winkte mir. Ich erhob mich wieder.

»Komm herab!«

»Wozu?«

»Ich habe dich zu fragen.«

»Und auf mich zu schießen?«

»Es galt nicht dir!«

»Nun wohl, so frage! Ich werde dir von oben antworten; du hörst dann meine Worte ebenso deutlich, als wenn ich bei dir stünde. Aber« – und dabei gab ich Halef, der mich sofort verstand, einen Wink – »aber siehst du diesen Mann? Er ist mein Diener; er hat die Büchse in der Hand und zielt auf dich. Sobald sich eine einzige Waffe gegen mich erhebt, erschießt er dich, Miralai, und dann werde ich grad so sagen wie du, nämlich: Es galt nicht dir!«

Halef kniete hart am Rande der Plattform und hielt seine Büchse auf den Kopf des Obersten gerichtet. Dieser wechselte die Farbe, ob vor Angst oder vor Wut, das weiß ich nicht.

»Tut das Gewehr fort!« rief er.

»Es bleibt!«

»Mensch, ich habe fast zweitausend Soldaten hier; ich kann dich zermalmen!«

»Und ich habe diesen einen bei mir; ich kann dich mit einem Winke zu deinen Vätern senden!«

»Die Meinen würden mich fürchterlich rächen!«

»Es würden viele von ihnen zugrunde gehen, ehe es ihnen gelänge, in dieses Haus zu dringen. Uebrigens ist das Tal von viertausend Kriegern umschlossen, denen es ein Leichtes ist, euch innerhalb einer halben Stunde aufzureiben.«

»Wie viele, sagst du?«

»Viertausend. Schau hinauf auf die Höhen! Siehst du nicht Kopf an Kopf? Dort steigt ein Mann hernieder, der mit seinem weißen Turbantuche weht. Es ist gewiß ein Bote des Bey von Baadri, der mit dir verhandeln soll. Gewähre ihm ein sicheres Geleite, und empfange ihn der Sitte gemäß; das wird zu deinem Besten dienen!«

»Ich brauche deine Lehren nicht. Die Rebellen sollen nur kommen! Wo sind die Dschesidi alle?«

»Laß dir erzählen! Ali Bey hörte, daß du die Pilger überfallen solltest. Er sandte Boten aus und ließ die Truppen aus Mossul, Diarbekir und Kjerkjuk beobachten. Die Frauen und Kinder wurden in Sicherheit gebracht. Er stellte deinem Anzuge nichts in den Weg, aber er verließ das Tal und schloß dasselbe ein. Er ist dir weit überlegen an Anzahl der Krieger und auch in Beziehung auf das Terrain. Er befindet sich in Besitz deiner Artillerie mit ihrer ganzen Munition. Du bist verloren, wenn du nicht freundlich mit seinem Abgesandten verhandelst!«

»Ich danke dir, Franke! Ich werde erst mit ihm verhandeln und dann auch mit dir. Du hast das Bu-djeruldi des Großherrn und den Ferman des Mutessarif und machst doch gemeinschaftliche Sache mit ihren Feinden. Du bist ein Verräter und wirst deine Strafe finden!«

Da drängte Nasir Agassi, der Adjutant, sein Pferd zu ihm heran und sagte ihm einige Worte. Der Oberst deutete auf mich und fragte:

»Dieser wäre es gewesen?«

»Er war es. Er gehört nicht zu den Feinden; er ist zufällig ihr Gast und hat mir das Leben gerettet.«

»So werden wir weiter darüber reden. Jetzt aber kommt in jenes Gebäude!«

Sie ritten nach dem Tempel der Sonne, stiegen vor demselben ab und traten ein.

Mittlerweile war der Parlamentär von Fels zu Fels springend, in grader Linie herab in das Tal und über den Bach herübergekommen. Er trat auch in den Tempel ein. Kein Schuß fiel; es herrschte Ruhe, und nur der Schritt der Soldaten ertönte, welche sich von dem oberen Teile des Tales, wo sie sich zu sehr bloßgestellt sahen, mehr nach unten ausbreiteten.

Wohl über eine halbe Stunde verging. Da trat der Parlamentär wieder in das Freie, aber nicht allein, sondern er wurde – geführt. Man hatte ihn gebunden. Der Miralai, welcher auch am Eingange des Gebäudes erschien, blickte sich um, sah den Scheiterhaufen und deutete auf denselben. Es wurden zehn Arnauten herbei gerufen; diese nahmen den Mann in ihre Mitte und schleppten ihn zum Holzstoß. Während mehrere ihn hielten, griffen die anderen nach ihren Gewehren – er sollte erschossen werden.

»Halt!« rief ich zum Obersten hinüber. »Was willst du tun? Er ist ein Abgesandter, also eine unverletzliche Person!«

»Er ist ein Rebell, wie du. Erst er, dann du; denn nun wissen wir, wer die Artilleristen überfallen hat!«

Er winkte; die Schüsse krachten; der Mann war tot. Da aber geschah etwas, was ich nicht erwartet hatte: durch die Soldaten drängte sich ein Mann. Es war der Pir Kamek. Er erreichte den Scheiterhaufen und kniete bei dem Toten nieder.

»Ah, ein zweiter!« rief der Oberst und schritt hinzu. »Erhebe dich, und antworte mir!«

Weiter konnte ich nichts hören, denn die Entfernung wurde zu groß. Ich sah nur die feierlichen Gesten des Pir und die zornigen des Miralai. Dann bemerkte ich, daß der erstere die Hände in den Haufen steckte, und einige Sekunden später züngelte eine Flamme blitzschnell an demselben empor. Eine Ahnung durchzuckte mich. Großer Gott, sollte er ein solches Opfer, eine solche Strafe, eine solche Rache an dem Mörder seiner Söhne und seines Weibes gemeint haben!

Er wurde ergriffen und von dem Haufen weggerissen, aber bereits war es zu spät, die Flamme zu löschen, die in dem Erdpeche eine furchtbare Nahrung gefunden hatte. In der Zeit von kaum einer Minute war sie bereits zur hellen Lohe geworden, welche hoch zum Himmel schlug.

Der Pir stand umringt und fest gehalten; der Miralai schien den Platz verlassen zu wollen. Da aber kehrte er um und ging zu dem Priester zurück. Sie sprachen zusammen, der Oberst erregt, der Pir aber ruhig und mit geschlossenen Augen. Doch plötzlich öffnete er sie, warf die zwei, welche ihn hielten, von sich und packte den Oberst. Mit der Körperkraft eines Riesen hob er ihn empor – zwei Sprünge, und er stand vor dem Scheiterhaufen; noch einer – sie verschwanden in der lohenden Glut, die über ihnen zusammenschlug. Eine Bewegung im Innern derselben ließ vermuten, daß die beiden dem Flammentode Geweihten miteinander kämpften; der eine, um sein Leben zu retten, der andere, um ihn sterbend festzuhalten.

Es war mir, als sei ich bei der grimmigsten Winterkälte in das Wasser gestürzt. Also darum war dieser Tag »der wichtigste seines Lebens«, wie er, der Priester, zu mir gesagt hatte! Ja, der wichtigste Tag des Lebens ist derjenige, an welchem man dieses Leben verläßt, um sich den brandenden Fluten der Ewigkeit anzuvertrauen. Also diese fürchterliche Rache an dem Miralai war das »letzte Wort«, welches seine Hand verzeichnen sollte in jenes Buch, darinnen verzeichnet steht die blutige Geschichte der Dschesidi, der Verachteten und Verfolgten? Also dieses Feuer war das »Element«, in dem sein Leib begraben werden sollte, und dem er darum auch sein Kleid überlassen wollte?

Schrecklich! Ich schloß die Augen. Ich mochte nichts mehr sehen, nichts mehr wissen; ich ging hinunter in die Stube und legte mich auf das Polster, mit dem Gesicht an die Wand. Noch einige Zeit lang war es draußen verhältnismäßig ruhig, dann aber begann das Schießen von neuem. Mich ging das nichts an. Wenn mir Gefahr drohte, würde mich Halef ganz sicher benachrichtigen. Ich sah nur die langen weißen Haare, den wallenden schwarzen Bart und die goldblitzende Uniform in dem Brodem des Scheiterhaufens verschwinden. Mein Gott, wie wertvoll, wie unendlich kostbar ist ein Menschenleben, und dennoch, – dennoch – dennoch – – —!

So verging eine geraume Zeit; da hörte das Schießen auf, und ich vernahm Schritte auf der Treppe. Halef trat ein.

»Sihdi, du sollst auf das Dach kommen!«

»Weshalb?«

»Ein Offizier verlangt nach dir.«

Ich stand auf und begab mich wieder hinauf. Ein einziger Blick belehrte mich über den Stand der Dinge. Die Dschesidi hielten nicht mehr die Höhen besetzt, sie waren vielmehr nach und nach hernieder gestiegen. Hinter jedem Stein, hinter jedem Baum oder Strauch hielt sich einer verborgen, um aus dieser sichern Stellung seine Kugel zu versenden. Im untern Teile des Tales hatten sie sogar, durch die Geschütze gedeckt, bereits die Sohle erreicht und sich in dem Gebüsch am Bache eingenistet. Es fehlte nur noch eins: wenn die Geschütze nur eine kurze Strecke noch herauf avancierten, so konnten mit einigen Salven sämtliche Türken vernichtet werden.

Vor dem Hause stand Nasir Agassi.

»Herr, wirst du noch einmal mit uns sprechen?« fragte er.

»Was habt ihr mir zu sagen?«

»Wir wollen einen Boten zu Ali Bey senden, und weil der Miralai, dem Allah das Paradies schenken möge« – er deutete dabei nach dem noch immer qualmenden Scheiterhaufen – »den Boten der Dschesidi getötet hat, so kann keiner von uns gehen. Willst du es tun?«

»Ich will. Was soll ich sagen?«

»Der Kaimakam wird es dir befehlen. Er führt jetzt das Kommando und ist in jenem Hause. Komm herüber!«

»Befehlen? Euer Kaimakam hat mir nicht das mindeste zu befehlen. Was ich tue, das tue ich freiwillig. Der Kaimakam mag kommen und mir sagen, was er mir zu sagen hat. Dieses Haus steht ihm offen, aber nur ihm und höchstens noch einer zweiten Person. Wer sich sonst naht, den lasse ich niederschießen.«

»Wer ist außer dir im Hause?«

»Mein Diener und ein Kawaß des Mutessarif, ein Baschi-Bozuk.«

»Wie heißt er?«

»Er ist der Buluk Emini Ifra.«

»Ifra? Mit seinem Esel?«

»Ja,« lachte ich.

»So bist du der Fremdling, welcher den arnautischen Offizieren die Bastonnade erlassen hat und die Freundschaft des Mutessarif erlangte?«

»Ich bin es.«

»So warte ein wenig, Herr! Der Kaimakam wird gleich kommen.«

Es währte wirklich nur kurze Zeit, so trat der Kaimakam drüben aus dem Tempel und kam auf das Haus zu. Nur der Makredsch begleitete ihn.

»Halef, öffne ihnen, und führe sie in die Stube. Die Tür schließest du wieder, und dann kehrst du hierher zurück. Sollte sich ein Unberufener dem Hause nähern, so schießest du auf ihn!«

Ich ging hinab. Die beiden Männer traten ein. Sie waren hohe Beamte; das durfte mich jedoch nicht kümmern; ich empfing sie daher in sehr gemessener Haltung und winkte ihnen nur, sich niederzulassen. Als sie dies getan hatten, fragte ich, ohne sie besonders willkommen zu heißen:

»Mein Diener hat euch eingelassen. Hat er euch gesagt, wie man mich zu nennen hat?«

»Nein.«

»Man nennt mich hier Hadschi Emir Kara Ben Nemsi. Wer ihr seid, weiß ich. Was habt ihr mir zu sagen?«

»Du bist ein Hadschi?« fragte der Makredsch.

»Ja.«

»Du warst also in Mekka?«

»Ja. Siehst du nicht den Kuran an meinem Halse hangen und das kleine Fläschchen mit dem Wasser des Zem-Zem?«

»Wir glaubten, du seist ein Giaur!«

»Seid ihr gekommen, mir dies zu sagen?«

»Nein. Wir bitten dich, in unserem Auftrage zu Ali Bey zu gehen.«

»Werdet ihr mir sicheres Geleite geben?«

»Ja.«

»Mir und meinen Dienern?«

»Ja.«

»Was soll ich ihm sagen?«

»Daß er die Waffen strecken und zum Gehorsam gegen den Mutessarif zurückkehren möge.«

»Und dann?« fragte ich, neugierig, was noch kommen werde.

»Dann soll die Buße, welche der Gouverneur über ihn verhängt, so gnädig wie möglich sein.«

»Du bist der Makredsch von Mossul, und dieser Mann ist Kaimakam und Befehlshaber der Truppen, welche hier stehen. Er ist es, welcher mir seine Aufträge zu erteilen hat, nicht aber du.«

»Ich bin bei ihm als Beauftragter des Mutessarif.«

Der Mann mit der Stößerphysiognomie warf sich bei diesen Worten so viel wie möglich in die Brust.

»Hast du schriftliche Vollmacht?«

»Nein.«

»So giltst du hier so wenig wie jeder andere!«

»Der Kaimakam wird es mir bezeugen!«

»Nur eine schriftliche Vollmacht kann dich legitimieren, sonst nichts. Geh, und hole dir dieselbe. Der Mutessarif von Mossul wird nur einem Manne von Kenntnissen erlauben, ihn zu vertreten.«

»Willst du mich beleidigen?«

»Nein. Ich will nur bestätigen, daß du kein Offizier bist, von militärischen Dingen nichts verstehst und hier also schweigst.«

»Emir!« rief er, indem er mir einen wütenden Blick zuwarf.

»Soll ich dir die Wahrheit meiner Worte beweisen? Ihr seid so eingeschlossen, daß kein einziger von euch entkommen kann; es bedarf nur einer kleinen halben Stunde, so seid ihr hilflos in die Erde hineingeschossen. Und bei einem solchen Stande der Dinge soll ich dem Bey sagen, daß er die Waffen strecken soll? Er würde mich für wahnsinnig halten. Der Miralai, dem Allah gnädig und barmherzig sein möge, hat fünfzehnhundert wackere Krieger durch seine Unvorsichtigkeit in das Verderben geführt. Dem Kaimakam fällt die ehrenvolle Aufgabe zu, sie diesem Verderben zu entreißen; wenn ihm dies gelingt, so hat er wie ein guter Offizier und wie ein Held gehandelt. Mit hochtrabenden Worten aber, hinter denen Furcht und Heimtücke lauern, wird es ihm nicht gelingen. Ich habe nur mit ihm zu reden. In militärischen Angelegenheiten soll nur ein Krieger zu bestimmen haben.«

»Und doch sollst du auch mich anhören!«

»Ich wüßte nicht, worin!«

»Es sind auch Dinge zu verhandeln, welche das Gesetz betreffen, und ich bin ein Makredsch!«

»Sei, was du willst! Du kannst mir keine Vollmacht zeigen, und darum sind wir miteinander fertig!«

Ich hatte einen entschiedenen Widerwillen gegen diesen Menschen, aber es wäre mir nicht eingefallen, demselben einen so kräftigen Ausdruck zu geben, wenn er anders aufgetreten wäre und ich nicht eine sehr deutliche Ahnung gehabt hätte, daß er die meiste Schuld an den gegenwärtigen Verhältnissen trage. Warum hatte sich dieser Gerichtsmensch überhaupt der Expedition angeschlossen? Doch wohl nur, um den Dschesidi nach ihrer etwaigen Ueberwindung auf dem Wege des moslemitischen Gesetzes die Uebermacht der Osmanly fühlbarer zu machen.

Ich wandte mich nun an den Kaimakam:

»Was soll ich dem Bey sagen, wenn er mich fragt, warum ihr Scheik Adi überfallen habt?«

»Weil wir uns zwei Mörder holen wollen, und weil die Dschesidi den Haradsch[12] nicht regelmäßig bezahlen.«

»Er wird sich über die Gründe sehr wundern. Die Mörder müßt ihr bei euch selbst suchen; das wird er euch beweisen, und den Haradsch konntet ihr auf einem andern Wege erlangen. Was soll ich ihm von deinen jetzigen Entschlüssen sagen?«

»Sage ihm, daß er mir einen Mann senden möge, mit dem ich über die Bedingungen verhandeln kann, unter denen ich abziehe!«

»Und wenn er mich nach der Grundlage dieser Bedingungen fragt?«

»Ich verlange im Namen des Mutessarif unsere Geschütze zurück; ich verlange für jeden unserer Toten oder Verwundeten ein Sühnegeld; ich verlange den verweigerten Haradsch, und ich verlange die Auszahlung einer Summe, die ich noch bestimmen werde, als Brandschatzung.«

»Allah kerihm, Gott ist gütig! Er hat dir einen Mund gegeben, welcher sehr gut zu fordern weiß. Du brauchst mir weiter nichts zu sagen; es ist genug, und das übrige magst du Ali Bey selbst mitteilen. Ich werde sofort zu ihm gehen und euch die Antwort entweder selbst bringen oder sie euch durch einen Boten wissen lassen.«

»Sage ihm nur noch, daß er unsere Artilleristen frei lassen und ihnen ihren Schreck vergüten muß!«

»Ich werde ihm auch dies noch mitteilen; aber ich befürchte, daß er von euch auch eine Vergütung der Ueberraschung verlangt, welche ihr ihm bereitet habt. Jetzt sind wir fertig; ich werde mich aufmachen, warne euch aber vorher noch in einer Beziehung: Wenn ihr in Scheik Adi Schaden anrichtet, dann wird der Bey gegen euch keine Schonung kennen.«

Ich stand auf. Sie taten dasselbe und gingen.

Jetzt rief ich Halef und Ifra herab, welche die Tiere satteln mußten. Dies nahm nur kurze Zeit in Anspruch. Dann verließen wir das Haus und stiegen auf.

»Haltet hier; ich komme gleich zurück!«

Nach diesen Worten ritt ich zunächst ein Stück das Tal hinab, um die Wirkung der Geschütze in Augenschein zu nehmen. Sie war eine grauenhafte, doch wurde sie dadurch gemildert, daß die Dschesidi die verwundeten Türken aufgehoben hatten, um ihnen möglichst Hilfe angedeihen zu lassen. Wie anders wäre es wohl gewesen, wenn den Osmanly ihr Ueberfall geglückt wäre! Ich wandte mich ab, trotzdem mir die Sieger von ihrer Verschanzung her erfreut zu riefen, nahm Halef und Ifra auf und ritt nun am Bache hinan, um auf den Weg nach Baadri zu gelangen; denn da oben auf dieser Seite mußte ich den Bey vermuten.

Als ich an dem Tempel vorüberkam, stand der Kaimakam mit seinem Stabe vor demselben. Er winkte mir, und ich ritt zu ihm hin.

»Sage dem Scheik noch, daß er eine Summe bezahlen muß als Sühne für den Tod des Miralai!«

»Ich glaube sehr, daß der Makredsch von Mossul sich große Mühe gibt, immer neue Forderungen zu entdecken, und ich vermute, daß der Bey eine sehr bedeutende Sühne verlangen wird für seinen ermordeten Parlamentär. Doch werde ich ihm deine Worte sagen.«

»Du hast einen Baschi-Bozuk bei dir?«

»Wie du siehst!«

»Wer hat ihn dir gegeben?«

»Der Mutessarif.«

»Brauchst du ihn noch?«

»Ja.«

»Wir brauchen ihn auch.«

»So hole dir einen Befehl vom Gouverneur. Wenn du mir diesen vorzeigst, werde ich dir den Buluk Emini zurückgeben!«

Ich ritt weiter und kam an lauter finsteren Gesichtern vorüber. Gar manche Hand zuckte nach dem Dolche, aber Nasir Agassi begleitete mich, bis ich in Sicherheit war, dann aber nahm er Abschied.

Der Abschied war kurz, denn die Zeit drängte.

»Effendi, werden wir uns wiedersehen?« fragte Nasir Agassi.

»Allah weiß alles, auch dieses, wir aber nicht.«

»Du bist mein Retter; ich werde dich nie vergessen und danke dir. Sollten wir uns einmal wiedersehen, so sage mir dann, ob ich dir dienen kann.«

»Gott schütze dich! Vielleicht sehe ich dich einmal als Miralai; dann möge deiner ein besseres Kismet warten, als das des Omar Amed!«

Wir reichten einander die Hände und schieden. Auch ihn habe ich zu einer Zeit wieder gesehen, wo ich am wenigsten an ihn dachte.

Nur wenige Schritte weiter empor trafen wir hinter einem Busche den ersten Dschesidi, welcher sich so weit heran gewagt hatte, um beim Wiederbeginn des Kampfes ein sicheres Ziel zu haben. Es war der Sohn Seleks, mein Dolmetscher.

»Emir, bist du wohl erhalten?« rief er mir entgegen.

»Ganz wohl. Hast du das Buch des Pir Kamek bei dir?«

»Nein. Ich habe es an einem Ort versteckt, an dem es keinen Schaden leiden kann.«

»Aber wenn du gefallen wärest, so wäre es verloren gewesen!«

»Nein, Effendi. Ich habe Mehreren offenbart, wo es liegt, und diese hätten dir es mitgeteilt.«

»Wo ist der Bey?«

»Oben auf der Klippe, von welcher aus man das Tal am besten überblicken kann. Erlaube, daß ich dich führe!«

Er nahm das Gewehr über die Schulter und schritt voran. Wir erreichten die Höhe, und es war von Interesse, hier hinabzublicken auf die Verstecke, hinter denen die Dschesidi standen, saßen, hockten und lagen, ganz bereit, bei dem Zeichen ihres Anführers den Kampf nun im vollen Ernste zu beginnen. Hier kam man noch besser als unten zu der Ueberzeugung, daß die Türken verloren wären, wenn es ihnen nicht gelänge, mit ihren Gegnern einig zu werden. Hier an derselben Stelle hatte ich mit Ali Bey gestanden, als wir die vermeintlichen Sterne beobachteten, und jetzt, nur wenige Stunden später, stand die kleine Sekte, welche es gewagt hatte, den Kampf mit den Truppen des Großherrn aufzunehmen, bereits als Sieger da.

Wir ritten nun links weiter, bis wir zu einem Felsen gelangten, der sich ein weniges über den Rand des Tales hervor streckte. Hier saß der Bey mit seinem Stabe, welcher nur aus drei barfüßigen Dschesidi bestand. Er kam mir erfreut entgegen.

»Ich danke dem Allgütigen, der dich gesund und unversehrt erhalten hat!« sagte er herzlich. »Ist dir Uebles begegnet?«

»Nein, sonst hätte ich dir das Zeichen gegeben.«

»Komm her!«

Ich stieg ab und folgte ihm auf den Felsen. Man konnte von hier aus alles deutlich sehen, das Heiligtum, das Haus des Bey, da unten die Batterie hinter der Verschanzung und die beiden Seitenwände des Tales.

»Siehst du die weiße Stelle auf meinem Hause?« fragte er.

»Ja. Es ist der Shawl.«

»Wäre er verschwunden, so hätte ich ein Zeichen gegeben, und fünfhundert meiner Leute wären Sturm hinabgelaufen, unter dem Schutze der Kanonen, welche den Feind zurückgehalten hätten.«

»Ich danke dir, Bey. Es ist mir nichts geschehen, als daß der Miralai einmal nach mir schoß; aber ohne mich zu treffen.«

»Das soll er büßen!«

»Er hat es bereits gebüßt.«

Ich erzählte ihm alles, was ich gesehen hatte, und berichtete ihm auch die Worte, in denen der Abschied des Pir von mir enthalten war. Er hörte aufmerksam und in tiefster Bewegung zu; aber als ich geendet hatte, sagte er nichts als:

»Er war ein Held!«

Dann versank er in ein tiefes Sinnen, aus welchem er erst nach einer Weile wieder erwachte.

»Und was sagst du? Sie haben meinen Boten getötet?«

»Sie haben ihn hingerichtet, erschossen.«

»Wer hat den Befehl dazu erteilt?«

»Jedenfalls der Miralai.«

»O lebte er noch!« knirschte er. »Ich ahnte, daß dem Boten etwas widerfahre. Ich hatte ihm gesagt, daß ich den Kampf wieder beginnen werde, wenn er binnen einer halben Stunde nicht zurückgekehrt sei. Aber ich werde ihn rächen; ich werde jetzt das Zeichen geben, daß nun endlich Ernst gemacht werden soll!«

»Warte noch, denn ich habe vorher mit dir zu reden. Der Kaimakam, welcher jetzt das Kommando führt, hat mich zu dir gesandt.«

Ich erzählte ihm nun wortgetreu meine ganze Unterredung mit dem Oberstleutnant und dem Makredsch. Als ich nun den letzteren in Erwähnung brachte, zog er die Augenbrauen finster zusammen, doch hörte er mich ruhig bis zu Ende an.

»Also der Makredsch ist dabei! O, nun weiß ich, wem wir das alles zu verdanken haben! Er ist der schlimmste Feind der Dschesidi; er haßt sie; er ist ihr Vampyr, ihr Blutsauger, und er hat auch jenem Morde die Wendung gegeben, welche zur Handhabe geworden ist, durch diesen Ueberfall eine Kontribution von uns zu erzwingen. Aber meine Gesandtschaft, welche nach Stambul gegangen ist, wird auch zum Anadoli Kasi Askeri[13] gehen, um ihm einen Brief von mir zu überbringen, den mir der Pir Kamek noch geschrieben hat. Beide kannten sich und hatten sich lieb, und der Pir ist lange Zeit sein Gast gewesen. Er weiß die Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden und wird uns Hilfe bringen.«

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