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Von nichts kommt niemand
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Von nichts kommt niemand

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Rainer Strack ist damit einer der ganz wenigen Deutschen, die bei TED. com überhaupt aufgenommen wurden. Und sein Vortrag wurde bereits mehr als 340.000-mal aufgerufen. Er ist zwölf Minuten lang und laut TED ein „data-filled and quite charming talk“ (Quelle: www.uni-wh.de).

2. Hände weg – den will ich!

In vielen Städten und Gemeinden unseres Landes werden mittlerweile Ausbildungsmessen veranstaltet. Wo man früher seinem potenziellen Kunden das Waren- und Dienstleistungsangebot präsentiert hat, buhlen die Betriebe heute um Auszubildende. Längst haben mittelständische Unternehmen und größere Handwerksbetriebe erkannt, dass sie nur an geeigneten Nachwuchs kommen, wenn sie selbst aktiv werden. Die mittleren und kleinen Betriebe stehen dabei massiv im Wettbewerb mit der Industrie. Dort arbeiten ganze Abteilungen daran, Schulabgänger für sich zu gewinnen. Mit durchgestylten Hochglanzbroschüren, Kampagnen in Tageszeitungen, Zeitschriften und Radio werden Ausbildungsplätze schmackhaft gemacht.


Große Investition für ein motiviertes Team | Foto: Udo Herrmann

Bei uns im Ort ist ein Sanitärgroßhandel mit 210 Mitarbeitern ansässig. Dieser hat ein neues Betriebsgebäude errichtet. Während der Bauphase war dort ein Großflächenplakat mit der Aufschrift „Wir bauen für unsere Mitarbeiter“ zu sehen. Das Unternehmen hat ca. 6 Mio. Euro investiert, um seinen Mitarbeitern ein angenehmes Arbeitsumfeld zu bieten. Sie können den Gymnastikraum nutzen, in dem an manchen Tagen auch kostenlose Rückenschulungen angeboten werden. Fitnessgeräte und Leihfahrräder stehen bereit für die sportliche Betätigung in den Pausen oder vor und nach der Arbeitszeit. Tischkicker, Tischtennisplatten und Billard fördern den Teamgeist. In der Cafeteria werden gesunde Gerichte zubereitet. Wer danach müde ist, tankt seinen Körper im eigens eingerichteten Ruheraum beim Power-Napping auf. Stell dir vor, ein Bewerber kommt zu dir und hat vorher bei dem beschriebenen Unternehmen einen Rundgang mit dem Personalchef gemacht. Ich glaube, dann musst du als Chef eines kleinen Handwerkbetriebes ziemlich überzeugende Argumente in der Schublade haben, um diesen potenziellen Mitarbeiter für dich zu gewinnen. Mittlerweile sind die Mitarbeiter in das Gebäude eingezogen. Überall, wo sich Jugendliche treffen, sprechen sie über diesen Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern so vieles bietet. Auf der Facebook-Seite des Unternehmens wird seit der Einweihung ständig positiv über die Arbeitsplätze berichtet. Für neue Bewerber steht ein Prospekt mit Infos zum Download auf der Webseite bereit. Beide Plattformen sind für die Zielgruppe Jugend ansprechend gestaltet. Das gilt sowohl für die dort gezeigten Bilder als auch für die überlegt formulierten Texte. Die Terminvereinbarung für ein Vorstellungsgespräch ist für die Interessierten nur einen Mausklick entfernt.

Weiteres Beispiel: Im Nachbarort stellt eine Patisserie in handwerklicher Qualität süße Desserts mit über 70 Mitarbeitern her. Diese hat einen besonderen Raum eingerichtet und beschreibt ihn in ihrem Web-Blog mit folgenden Worten: „Je besser die Ausbildung, desto höher die Kompetenz, desto höher die Motivation, desto größer unser aller Erfolg.“ Wir wissen alle, was gerne einmal zu kurz kommt, z. B. Neues sehen, auf neue Ideen kommen, überlegen, experimentieren, über Dinge nachdenken, die nicht in zwei Wochen wichtig sind, sondern vielleicht in zwei Jahren. Wir wissen, dass solche Sachen entscheidend sind. Wir müssen ihnen Raum geben. Im wörtlichen Sinne: die Patisserie-Lehrwerkstatt, ein Raum zum Zaubern, Experimentieren und Lernen. Wer bekommt bei so einem emotionalen Text nicht Lust, diesen Raum anzuschauen?

Praxistipp

Biete etwas für Jugendliche, das es in anderen Handwerksbetrieben nicht gibt.

Beispiel: Leihfahrrad oder Billardtisch. Als persönliches Geschenk kommt ein Gehörschutz mit eingebautem Radio gut an!


Eine Werkstatt zum Zaubern, Experimentieren und Lernen | Foto: Udo Herrmann

2.1 Warten reicht nicht mehr

Zu Beginn dieses Kapitels habe ich die Ausbildungsmesse genannt. Mein Freund ist Firmengründer und Geschäftsführer der Firma Procase. Er ist Jahrgang 1968 und hat im Alter von 19 Jahren alleine begonnen, mobile Transportgehäuse für Musikequipment herzustellen. Mittlerweile beschäftigt sein Unternehmen 55 Mitarbeiter an zwei Produktionsstandorten, davon sind 10 in der Ausbildung. Der Altersdurchschnitt des ganzen Teams beträgt 32 Jahre.


Jugend wirbt Jugend auf Ausbildungsmesse | Foto: T. Schweighart

Regelmäßig präsentiert sich Procase auf Ausbildungsmessen. Doch den Chef sucht man auf dem Messestand vergeblich. Die Auszubildenden selbst entwerfen, organisieren und errichten den Stand. Während des Messebetriebs sind sie diejenigen, die potenziellen Nachwuchs ansprechen und über die verschiedenen Berufsbilder, Anforderungen und Aufstiegschancen informieren. Das kommt gut an und schafft gleichzeitig bei den am Stand aktiven Jugendlichen ein hohes Zugehörigkeitsgefühl zu „ihrem“ Betrieb. Die Ausbildungsbeauftragten und der Chef halten sich ganz bewusst im Hintergrund und stehen ihren jungen Teammitgliedern nur beratend zur Seite. Bisher ist es bei jeder dieser Messen gelungen, junge Messebesucher zur Betriebsbesichtigung in das Unternehmen einzuladen. Bei dieser Betriebsbesichtigung werden dann strategisch diejenigen Talente ausgesucht, die einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen. Solche Beispiele aus meiner unmittelbaren Umgebung zeigen mir, wie sehr sich Unternehmen jetzt schon bemühen, für junge Talente attraktiv zu sein.

Praxistipp

Präsentiere deinen Betrieb auf Ausbildungsmessen als besonderen Arbeitgeber im Handwerk.

Setz deine jüngsten Mitarbeiter und Auszubildende als Standpersonal ein.

Die Bundeswehr produziert aufwendige Videoclips, um die offenen Ausbildungsstellen zu besetzen. Die Ansprüche an die Qualität der Bewerber wachsen ständig. Die Regierung investiert viel, um die Attraktivität der Bundeswehr für junge Leute zu erhöhen. Kindertagesplätze abgestimmt auf die Dienstzeiten der Eltern, Unterstützung bei der Pflege von Familienangehörigen, Mithilfe bei Umzug und vieles mehr klingen verlockend. Der Mittelstand und das Handwerk haben diese Mittel nicht bzw. nur sehr begrenzt zur Verfügung, um so intensiv am Ausbildungsmarkt die Werbetrommel zu rühren. Hier ist wieder eine wichtige zusätzliche Aufgabe für den Handwerkschef entstanden. Wer sonst außer ihm kann sich im kleinen Betrieb mit 1 bis 15 Beschäftigten darum kümmern, dass geeignete Arbeitskräfte nachrücken? Je besser er aber diese Aufgabe meistert, umso erfolgreicher wird der Betrieb in Zukunft am Markt agieren können. Er selbst in seiner Person steht hierbei im Wettbewerb mit den Personalentscheidern der größeren Betriebe. Dazu kommt noch der harte Wettbewerb zwischen den einzelnen Gewerken des Handwerks.

2.2 Der Kampf um die Talente

Derzeit gibt es insgesamt 345 anerkannte Ausbildungsberufe. In der Gesellschaft, gerade bei den Schülern, Eltern, aber auch den Lehrkräften, sind folgende zehn Berufe bekannt: Einzelhandelskaufmann, Verkäufer, Bürokaufmann, Kfz-Mechatroniker, Industriekaufmann, Großhandelskaufmann, medizinische Fachangestellte, Industriemechaniker, Bankkaufmann, zahnmedizinische Fachangestellte. Okay, Bäcker und Metzger kennt man auch noch. Aber dann? Welche sind dann die restlichen 333 Berufe? Diese Problematik haben einige Fachverbände erkannt und für ihre Mitgliedsbetriebe Strategien entwickelt, um die Bekanntheit des jeweiligen Gewerkes in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Das Schreinerhandwerk ist mit farbenfrohen Plakaten am Start: „Du hast's drauf? Mach was draus!“ oder „Born-2BSchreiner“. Es werden Events vorbereitet, z. B. der Wettbewerb „Tischler vs. Schreiner“, und aufwendige Werbevideos gedreht.

Praxistipp

Nutz die professionellen Werbemittel, die von den Berufsverbänden entwickelt und für ihre Mitglieder bereitgestellt werden.

Das bodenlegende Handwerk hat nachgezogen und wirbt mit den Slogans „Teamwork und Selbstständigkeit“ und „In welche Fußstapfen willst Du treten? Der Boden macht den Raum“. Kleinstbetriebe können diese Werbemittel über die Verbände beziehen, denen sie angeschlossen sind. Die Plakate, Banner, Flyer und Give aways werden in entsprechend großen Auflagen hergestellt. Damit werden sie für die einzelnen Mitglieder erschwinglich. Für die einzelnen Betriebe ist es oftmals undenkbar, selbst die Kosten für Werbegestalter, Drucksachen oder Image-Videoclips in Kleinauflagen zu finanzieren. Die Anstrengungen der einzelnen Fachverbände verdeutlichen, dass auch die Handwerksgewerke untereinander bereits massiv um Talente kämpfen. Schließlich möchte man nicht einen Lehrling drei Jahre ausbilden, ohne dass er auf lange Sicht auch zum Erfolg des Betriebes beiträgt. Man will deshalb die Besten des Jahrgangs gewinnen und nicht diejenigen, die mehr schlecht als recht einen Hauptschulabschluss hinbekommen.

Im vorigen Kapitel habe ich beschrieben, wie heute im Ausbaugewerbe Baustellenaufmaße erstellt werden. Schon das macht deutlich, dass durch den Einzug von neuer Technik auch der Anspruch an die Qualität der Bewerber gewachsen ist. Bei einer 2014 vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) durchgeführten Online-Unternehmensbefragung gaben 71 % der Betreibe, die keinen Erfolg bei der Besetzung des Ausbildungsplatzes hatten, an, dass keine geeigneten Bewerbungen vorlagen. „Bewerber“ ist übrigens schon jetzt die falsche Bezeichnung. Eigentlich müsste es die „Interessierten“ heißen. Denn begabte Jugendliche müssen sich nicht mehr bewerben, sondern sie suchen sich die Jobs und Arbeitgeber aus, bei denen sie sich ausbilden lassen wollen.

Im Jahr 2004 habe ich zusammen mit verschiedenen Handwerksmeistern eine Handwerkskooperation gegründet. Wir arbeiten beim Wareneinkauf, der Kundenaquise und Baustellenabwicklung Hand in Hand. Von dieser engen Verzahnung der Betriebe aus den Gewerken Schlosser, Fliesenleger, Maler, Elektriker, Schreiner, Parkettleger, Bodenleger, Sanitär und Heizung und Gartenbauer profitieren wir alle.

Das gilt auch für die Rekrutierung von Auszubildenden oder für gemeinsame Schulungsveranstaltungen, in denen unsere Mitarbeiter trainiert werden.


Mitarbeiterschulung der Kooperation Meister-im-Handwerk e. V. | Foto: A. Balles

Ein Schüler aus der Realschule stellt sich in der Schlosserei vor. Er möchte bei einem Praktikum herausfinden, ob ihm der Beruf im Metallhandwerk liegt und Spaß macht. Nach dem zweiwöchigen Praktikum ist der Chef der Schlosserei begeistert. Der Jugendliche war stets pünktlich und hat die übertragenen Aufgaben zügig und in guter Qualität erledigt. Der Schüler hat sich aber die Bearbeitung des Werkstoffes Metall ganz anders vorgestellt. Er möchte deshalb bei einem weiteren Praktikum in einem anderen Berufszweig noch einmal etwas anderes probieren, um dann eine Entscheidung zu treffen. Nun greift der Vorteil unserer Kooperation. Der Praktikant wird an einen anderen Mitgliedsbetrieb in der Gruppe weiterempfohlen. Letztendlich ist er vom Werkstoff Holz begeistert und beginnt seine Lehre in der Schreinerei. So ist das Talent zwar im ersten Moment nicht für den eigenen Betrieb gewonnen, aber hat seinen Platz bei einem Partnerbetrieb gefunden. Das System funktioniert natürlich auch umgekehrt. So wird aus dem Interessenten für das Schreinerhandwerk später vielleicht ein tüchtiger Maler. Denkbar ist so eine „Weitergabe“ von Talenten z. B. auch in regional aktiven Gewerbevereinen, in denen mehrere verschiedene Unternehmen organisiert sind. Die Plattformen von Kooperationen und Gewerbevereinen lassen sich auch gut nutzen, um gemeinsam Talente zu entdecken. So kann ein ganzer Ort an einem Tag alle Werkstätten für Schulabgänger öffnen. Sie und ihre Eltern könnten so in die verschiedenen Unternehmen und die dort angebotenen Ausbildungsberufe hineinschnuppern und sich einen ersten Eindruck verschaffen. Schließen sich hier mehrere Firmen zusammen, lässt sich auch ein attraktives Rahmenprogramm mit Bewirtung, musikalischer Unterhaltung, Fachvorträgen und Vorführungen organisieren. Noch fehlt es in vielen Kommunen an Wertschätzung gegenüber denen, die etwas unternehmen wollen und bereit sind, dafür finanzielles Risiko zu tragen. Ihnen werden oft mehr Steine in den Weg gelegt als beseitigt. Ich denke hier z. B. an die langwierigen Baugenehmigungsverfahren, wenn eine Betriebserweiterung durch den Bau eines gewerblichen Gebäudes ermöglicht werden soll. Oder an den zermürbenden Kampf der kleinen Betriebe, um an schnelle Datenleitungen angebunden zu werden.

Praxistipp

Schließ dich einem regionalen Netzwerk aus verschiedenen Gewerken an. Such mit ihnen gemeinsam nach Jugendlichen mit handwerklicher Begabung. Talente in der Kooperation halten, untereinander vermitteln!

Bei uns im unterfränkischen Bürgstadt, einem Weinort mit ca. 4.200 Einwohnern, sitzen bereits Bürgermeister, Schuldirektoren und Unternehmer an einem Tisch, um entsprechende Konzepte auszufeilen. Hier wird erkannt, dass leistungsfähige Kommunen auf erfolgreiche Betriebe angewiesen sind. Umgekehrt werden Arbeitgeber interessanter, wenn die ganze Infrastruktur des Ortes für Arbeitnehmer attraktiv ist. Schließlich sollen sich auch die Familien der Fachkräfte in der Region rund um den Arbeitsplatz wohlfühlen. Nicht zuletzt macht dieses Beispiel auch deutlich, dass der bevorstehende Fachkräftemangel eine neue Dimension bekommt. Nur mit vereinten Kräften von Politik, Fachverbänden, Schulen und Unternehmen besteht die Chance, dass Kommunen und Betriebe weiter so funktionieren, wie wir das aus vergangenen Jahren kennen.

3. Zwei linke Hände

Seit einigen Jahren beobachte ich einen Wandel der Werteeinstellung von den Menschen in meinem Umfeld. Früher habe ich öfter in Verbindung mit dem Handwerk gehört: „Wer macht sich schon gerne die Hände schmutzig?“ oder „Ich habe zwei linke Hände, das muss jemand anderes machen.“ Immer mehr habe ich den Eindruck, dass hier ein Umdenken in der Gesellschaft stattgefunden hat und gerade stattfindet. Wohlhabende Kunden verbringen ihre Freizeit im Garten und bauen dort Küchenkräuter und Gemüse an. Sie schrauben selbst an ihrem Oldtimer, polieren ihn mühevoll auf Hochglanz und sind stolz, wenn sie das gleichmäßige Brummen des alten Motors ihren Freunden vorführen können. Mit schmutzigen Fingern kommen sie aus ihrem Garten oder der bestens eingerichteten Hobbywerkstatt. In Facebook habe ich ein Bild mit ungewaschenen Händen entdeckt. Darauf ist folgender Text zu lesen: „Dreckige Hände sind ein Zeichen für sauberes Geld.“ Ich glaube, dass seit der Bankenkrise wieder dem produzierenden Handwerk mehr Wertschätzung entgegengebracht wird. Ich habe von Philipp Riederle in München anlässlich der Branchenveranstaltung „roomy 2014“ einen Vortrag gehört, dessen Titel lautete „Wer wir sind und was wir wollen“. Darüber hat der 19-Jährige ein tolles Buch geschrieben. Er beschrieb bei seinem Referat eindrucksvoll, was die junge Generation, die vor dem Eintritt in das Berufsleben steht, wirklich möchte. „Wir wollen etwas, das uns Sinn gibt und erfüllt. Es ist wichtig, dass wir unsere Talente entfalten können. Die Bezahlung dafür steht bei uns nicht an erster Stelle.“ Seine Aussagen haben auch meine Beobachtungen bestätigt. „Lerne erst einmal einen handwerklichen Beruf. Die Kenntnisse, die du dabei erwirbst, kannst du in deinem ganzen Leben brauchen. Da kann kommen, was will. Eine handwerkliche Ausbildung ist für alles gut. Da sieht man wenigstens, was man tagsüber geschaffen hat, und kann stolz auf sich sein.“ Immer öfter höre ich solche Sätze, im Freundes- und Bekanntenkreis, aber auch bei Vereinen. Vielleicht tragen dazu auch langsam die Imageprogramme und Kampagnen aus den verschiedenen Handwerksbereichen bei.

In der aktuellen Broschüre einer schwedischen Automarke habe ich folgenden Bericht entdeckt: Supermarkt Stockholm. Zuhause bei Handwerkern. Berichtet wird hier über Hutmacher, Schuster, Uhrmacher und einige andere. Die Reportage (von Ulrika Hammnin und Jens Lorrenson) startet mit folgender Lobeshymne auf das Handwerk: „Lernen Sie Handwerkskünstler kennen, die sich der Massenproduktion verwehren. Es gibt eine Welt der Tradition, in der die Zeit stillzustehen scheint und in der die Qualität der Handwerkskunst die höchste Währung ist.“

Bemerkenswert finde ich, dass diese Beschreibung in einer Kundenzeitschrift der Automobilindustrie zu lesen ist.

Solche Veröffentlichungen tragen dazu bei, dem Ansehen von handwerklichen Tätigkeiten und den Menschen, die solche Berufe ausüben, einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft einzuräumen. Der kann anpacken. „Der verdient gutes Geld mit guter Arbeit“ oder „Von Nichts kommt nichts“. Auch diese Sprüche höre ich immer häufiger.

3.1 Bleibende Werte mit eigenen Händen schaffen

Warum beschreibe ich meine Eindrücke in diesem Buch? Ich glaube, einen positiven Trend für das Handwerk zu erkennen. Einen Trend, den wir für die Gewinnung von Talenten für das Handwerk nutzen sollten. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hat deutsche Verbraucher nach ihrem Vertrauen in bekannte Branchen gefragt (GFK Global Trust Report).

Mit großem Abstand zu den zehn anderen Branchen, z. B. Autoindustrie oder Banken, landete das Handwerk mit 85 % mit Abstand auf Platz eins.

Das Vertrauen der Deutschen in Branchen


Quelle: „Global Trust Report 2015“ des GfK Vereins

Schon heute brechen viele Studenten das Studium ab, um als Quereinsteiger im Handwerk etwas mit ihren Händen zu schaffen. Sie haben erkannt, wie bereichernd und erfüllend es sein kann, vor einem selbst realisierten Werk zu stehen. Genau das kann Handwerk bieten! Handwerk braucht junge Menschen, die das verstanden haben und eine hohe Qualifikation mit in unsere Betriebe bringen. Das Vorurteil, dass Studienabbrecher oder Schulabgänger mit Abitur zwei linke Hände haben, kann ich nicht bestätigen. Bisher haben wir in unserem Betrieb zwei junge Männer mit Abitur ausgebildet. Sie sind nicht nur durch eine überlegte Arbeitsweise aufgefallen, sondern waren auch flink und fingerfertig. Sie haben ihre Gesellenprüfungen mit Bestnoten abgeschlossen und sind beide auch noch erfolgreich im Handwerk tätig. Sprüche gegenüber den Auszubildenden wie z. B. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ sollten wir uns im Handwerk schleunigst abgewöhnen. Das wirkt abschreckend und demotivierend. Mehr und mehr ist jetzt ein sensibler Umgang der Ausbildungsverantwortlichen mit den jungen Menschen gefragt.

3.2 Handwerk durch Frauen stärken

Auch das Vorurteil, ein handwerklicher Beruf ist nichts für Frauen, ärgert mich. Ich kenne einige Frauen, vor allem im Malerhandwerk, die ihren männlichen Kollegen in Leistung und Qualität in nichts nachstehen. Da auch Frauen bei der Gestaltung von Wohnung oder Heim immer mehr die Entscheidungen treffen, werden auch Frauen im Handwerk immer wichtiger. Sie kommunizieren oft viel treffender und auf „einer Wellenlänge“ mit Kunden. Ich kenne Malerbetriebe in der Region, bei denen von vielen Kundinnen ausschließlich weibliche Fachkräfte für das Bauvorhaben angefordert werden.

Vom Schlosser aus unserer Handwerkskooperation habe ich eine Aussage gehört, über die ich viel nachgedacht habe. „Seitdem wir eine Schlosserin bei uns ausbilden, benehmen sich unsere männlichen Mitarbeiter viel besser.“ Ich finde das eine interessante Beobachtung. Ein weiter Weg, neben der Gewinnung von Abiturienten oder Studenten, wird es sein, zur Behebung des Fachkräftemangels mehr Frauen ins Handwerk zu bringen. 2012 lag die Frauenquote bei den Auszubildenden im Handwerk gerade einmal bei 22,7 %. Hier steckt echtes Potenzial!


Frauen im Handwerk | Foto: Udo Herrmann

Die Industrie hat das längst erkannt. „Wir brauchen Nachwuchs mit Leidenschaft für Technik. Hier zählen wir verstärkt auf Mädchen, denn sie haben genauso viel Talent dafür wie Jungen.“ So die Aussage von Dietmar Omert, Leiter des Audi-Bildungswesens (www.audi.com/​karriere). Im Rahmen einer bayernweiten Initiative des Bildungswerkes der Bayerischen Wirtschaft e. V. (bbw) wird am Standort Ingolstadt ein Technik-Camp speziell für Mädchen veranstaltet. An fünf Tagen bauen sie unter Anleitung von Trainern und Auszubildenden ein Audi-A4-Modell inklusive Motor, Beleuchtung, Felgen und Bereifung. Teamspiele, Kommunikationstraining und ein vielseitiges Rahmenprogramm runden das Camp ab. Früh bindet Audi so den weiblichen Nachwuchs an das Unternehmen, der während der Woche in die Berufsbilder beispielsweise von Elektronikerin und Mechatronikerin hineinschnuppern kann. 14 weitere Unternehmen beteiligten sich 2012 ebenfalls an der Initiative „Mädchen für Technik-Camp“. Unterstützt wird das von der bayerischen Metall- und Elektroindustrie sowie dem bayerischen Staatsministerium. Audi beteiligt sich bereits seit dem Jahr 2001 an der Maßnahme und bringt damit die Vielfalt technischer Berufe den Mädchen näher. Für einige rückt dann das Berufsfeld tatsächlich in die engere Wahl. Ich finde, das ist ein tolles Modell, um junge Frauen für das Handwerk zu begeistern. Handwerkskammern, Fachverbände oder Kommunen wären aus meiner Sicht geeignet, um gemeinsam mit Handwerksunternehmen so ein Projekt regional für die verschiedenen Handwerksgewerke auf die Beine zu stellen.

Praxistipp

Veranstalte ein Werkstatttag nur für Mädchen. Bereite eine Übungsaufgabe vor, mit dem Schwerpunkt Gestaltung und Dekoration.

Beispiel: Schlosserei – Skulptur schweißen; Raumausstatter – Materialkollage für eine Raumgestaltung anfertigen; Bäckerei/​Konditor – Torte für einen Geburtstag verzieren

3.3 Immigranten machen das deutsche Handwerk vielfältiger

Ich liebe es zu reisen, andere Kulturen und fremde Menschen kennenzulernen. Die kulturelle Vielfalt in Deutschland finde ich bereichernd. Ich kann es nicht verstehen, wie manche über Migranten schimpfen und gleichzeitig überlegen, ob man zum Chinesen oder in die Pizzeria essen geht. Derzeit leben etwa 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Land. Fast jedes 3. Kind unter 15 Jahren hat statistisch gesehen ausländische Wurzeln (IHK Unternehmensbarometer 2012, www.dihk.de). Wenn der Begriff Zuwanderer fällt, denken viele an die Gastarbeiter, die in den 60er- und 70er-Jahren einfache Arbeiterjobs in Deutschland übernahmen. Eine Studie des Deutschen Instituts der Wirtschaft belegt, dass fast 30 % der Menschen, die in den vergangenen 10 Jahren nach Deutschland gekommen sind, einen Hochschulabschluss haben. Etwa die Hälfte aller Fußballprofis in der Bundesliga sind Sportler aus dem Ausland. Einige der Spieler mit Migrationshintergrund sind fester Bestandteil unserer Nationalmannschaft. Auch im Handwerk muss es uns gelingen, aus Inländern und Menschen mit Migrationshintergrund ein erfolgreiches Team zu formen. Wenn das im Sport geht, warum nicht auch im Handwerk? Ich denke, viele der zu uns kommenden Immigranten bringen schon eine gute praktische Qualifikation mit. Arbeitsweisen, Techniken und Umgang mit speziellen Werkzeugen können im Betrieb oder bei externen Weiterbildungen vermittelt werden. Auch fachtheoretisches Wissen, das meiner Meinung nach in dem dualen Ausbildungssystem in Deutschland sehr gut vermittelt wird, kann nachgelernt werden. Grundvoraussetzung dafür ist natürlich eine gute Kommunikationsmöglichkeit. Das Erlernen der deutschen Sprache ist deshalb Grundvoraussetzung für ein verständnisvolles Miteinander. Ich denke, viel schwieriger für die Menschen aus anderen Ländern wird es sein, sich unserer Kultur und den im Ausland vielgeschätzten deutschen Tugenden anzupassen.

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