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Pearls of Bulgarian Folklore
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Im Frühjahr 1942 spricht einiges dafür, den Hebel im Süden anzusetzen. Die Kräfte- und Geländekonstellation spielt dem Angreifer hier viel mehr Trümpfe in die Hand. Zumal die Heeresgruppe Süd in der Winterschlacht geringere Abgänge verzeichnet als ihre nördlichen Nachbarn, wie die Verluststatistiken von Dezember 1941 bis April 1942 zeigen:
Heeresgruppe Nord: 195.650 (Gefallene, Verwundete, Vermisste, Kranke)
Heeresgruppe Mitte: 483.100
Heeresgruppe Süd: 152.900
Dazu kommt das speziell für Panzer vorteilhafte Operationsgelände im Süden der Sowjetunion. Die ausgeprägten Steppengebiete begünstigen weiträumige Bewegungen motorisierter Großverbände ganz besonders. Und genau hierin liegt die unerreichte Stärke und Überlegenheit der Wehrmacht. Nicht zuletzt spielt die Dislozierung der russischen Kräfte den deutschen Absichten in die Hände …
Ihren Optimismus für die neue Großoffensive schöpfen Hitler und Halder aus der Hoffnung, dass die Sowjetunion an der Grenze ihrer militärischen und ökonomischen Leistungsfähigkeit angekommen sei. Eine grandiose Fehleinschätzung! Halders euphemistische Lagebeurteilung gipfelt bereits während der Winterschlacht in einer Aussage, die denn auch unverkennbare Züge von Zweckoptimismus trägt:
„Wir sind überlegen, der Russe macht es nur mit der Masse.“
Die sowjetischen Verbände „seien nicht mehr viel wert“, prognostiziert der OKH-Chef im Februar 1942.
Richtig daran ist, dass die quantitativ unterlegene Wehrmacht immer noch genug Kampfkraft besitzt, der zahlenmäßig überlegenen Roten Armee wuchtige Schläge zu versetzen, sofern Witterung und Gelände die Bewegungen der operativ entscheidenden Panzerkorps nicht nachhaltig einschränken. Andererseits ist die Masse natürlich auch ein strategischer Faktor ersten Ranges, der angesichts der gewaltigen Frontausdehnung in Russland auf Dauer zum Tragen kommen muss. Bei allen deutschen Qualitäten ist das Gesetz der Zahl natürlich auch Halder bewusst.
Tatsächlich muss man schon Optimist sein, um an eine erfolgreiche Umsetzung der Operationspläne im Süden zu glauben. Das Hauptziel, die Ölstadt Baku an der Küste des Kaspischen Meeres, liegt nicht weniger als 1.400 Kilometer Luftlinie von den Ausgangsstellungen entfernt. Zudem unterschätzen die deutschen Planer die wachsende Bedeutung der amerikanischen Hilfslieferungen im Rahmen des Leih- und Pachtgesetzes („Lend-Lease-Act“). Roosevelt lässt Stalin vor allem Öl und Nahrung zukommen. Der deutsche Generalstab dagegen behandelt wirtschaftliche Probleme stiefmütterlich, desgleichen die Feindaufklärung.
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Und der große, unbekannte Gegner, wie schätzt er die deutschen Absichten ein? Am 28. März 1942 beschließt das Staatliche Verteidigungskomitee unter Vorsitz von Stalin grundsätzlich den Übergang zur strategischen Defensive. Ausgenommen von einigen Präventivschlägen, die der Diktator persönlich anregt. Zum Beispiel bei Charkow. Hier sieht der Amateur-Stratege im Angriff die beste Verteidigung. Er fürchtet, dass die Deutschen ihre geschwächten Verbände während des Frühlings ungestört auffrischen können. In der Folge rechnet Stalin mit feindlichen Großangriffen in zwei strategischen Richtungen: Den Hauptstoß auf Moskau plus eine Nebenoffensive im Süden, Richtung Kaukasus. Und wenn sich insbesondere die gefürchteten Panzerverbände der Wehrmacht erst reorganisiert haben, so sein Kalkül, treten sie 1942 aus der Tiefe des bereits 1941 gewonnenen und behaupteten sowjetischen Raumes an. Denn die Erfolge der russischen Winteroffensive können nicht die Tatsache überstrahlen, dass Moskau nicht allzu weit hinter der Front liegt. Die Spitzen der Heeresgruppe Mitte stehen kaum 200 Kilometer vom Kreml entfernt. Gefahr für Moskau kann indes ebenso vom Nordflügel der Heeresgruppe Süd drohen.
Stalin entscheidet sich de facto für die „aktive strategische Defensive“. Den Schwerpunkt seiner Kräfte belässt er konsequenterweise vor Moskau, wo freilich gar keine akute Gefährdung droht. Hier wirkt sich Hitlers viel kritisierter Haltebefehl im Hinblick auf die Verschleierung des deutschen Hauptangriffes im Süden positiv aus. Ein ganz entscheidender, verschiedentlich unterbewerteter Faktor, der zur strategischen Überraschung der Sowjets führen soll. Darauf muss ein an Zahl unterlegener Angreifer seine Hoffnungen bauen. Eine erneute Großoffensive der Heeresgruppe Mitte hätte dagegen einen wohl vorbereiteten Gegner gesehen und wäre vorwärts Moskau auf ungleich stärkere Gegenwehr gestoßen.
Ein Jahr später, im Rahmen der Operation „Zitadelle“, macht Hitler genau diesen Fehler, als er den Angriff ausgerechnet auf das stärkste Bollwerk der Roten Armee, den Kursker Frontbalkon, befiehlt. Nein, wenn der Führer 1942 sein Heil in der Offensive sucht, muss er den Hebel bei der Heeresgruppe Süd ansetzen. Aber bleibt hier wirklich nur der lange Marsch an die untere Wolga und in den Kaukasus? Bietet sich nicht viel eher die umgekehrte Richtung an, nämlich ein nördlich ausholender Schlag der Heeresgruppe Süd auf Moskau? Dafür scheint der Aufmarschraum Kursk prädestiniert, um nach erfolgtem Durchbruch in Anlehnung an den Don schließlich im Zusammenwirken mit dem Südflügel der Heeresgruppe Mitte, der Orel als Absprungbrett dienen kann, die Hauptstadtverteidigung aufzurollen. Doch genau diese südliche Flankierung Moskaus fürchtet, erwartet Stalin. Entsprechend starke Kräfte, darunter mehrere Panzerkorps, sind im Abschnitt der Brjansker Front disloziert. Auch in diesem Fall würde bald Schwerpunkt gegen Schwerpunkt stehen und den Angreifer ebenfalls in Ermangelung des Überraschungseffekts benachteiligen. Zumal der linke Flügel der Heeresgruppe Mitte aufgrund des ungünstigen Frontverlaufs und Kräftemangels als nördlicher Zangenarm ausfallen muss.
So viel zu den kursierenden Moskau-Spekulationen. Auf gesicherten Fundamenten steht dagegen eine ganz andere Erkenntnis: Das größte Plus der Sowjets und zugleich die böseste Überraschung für die Deutschen bilden die starken strategischen Reserven in Stärke von einem Dutzend Armeen, darunter zwei gepanzerte.
Ironie der Geschichte: An diesem schicksalhaften 28. März 1942, an dem Stalin großen Kriegsrat im Kreml hält, legen Hitler und Halder im rund 1.000 Kilometer entfernten ostpreußischen Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ die Grundzüge der Sommeroffensive fest. Aus dieser Besprechung resultiert die am 5. April diktierte Führerweisung Nr. 41, Deckname „Fall Blau“. Darin heißt es :
„Das Ziel ist es, die den Sowjets noch verbliebene lebendige Wehrkraft endgültig zu vernichten und ihnen die wichtigsten kriegswirtschaftlichen Kraftquellen so weit als möglich zu entziehen […]
Unter Festhalten an den ursprünglichen Grundsätzen des Ostfeldzuges kommt es darauf an, bei Verhalten der Heeresmitte [...] zunächst alle greifbaren Kräfte zu der Haupt-Operation im Süd-Abschnitt zu vereinigen, mit dem Ziel, den Feind vorwärts des Don zu vernichten, um sodann die Ölgebiete im kaukasischen Raum und den Übergang über den Kaukasus selbst zu gewinnen.“
Aus Mangel an deutschen Kräften verfügt Hitler die Flankensicherung durch ungarische, italienische und rumänische Verbände von zweifelhaftem Kampfwert. Weiter heißt es in der Weisung:
„Die nächsten Aufgaben sind es, auf der Krim die Halbinsel Kertsch zu säubern und Sewastopol zu Fall zu bringen.“
II. Ouvertüren im Süden
08.05.-03.07.1942
„Heute vor einem Jahr sind wir in Rußland hineingefahren. Ich kann Euch sagen, das war damals ein langer Tag. Um 9 Uhr fuhren wir über den Bug. Und jetzt sind wir nun schon 1 Jahr im Arbeiter-Paradies. Wer hatte das damals gedacht? Wie viele andere, hatte ich auf ca. 4 Wochen Krieg getippt. Und wie anders ist alles gekommen. Mit so einer militärischen Macht Rußland hatte keiner gerechnet. Ich glaube, wenn uns am 22.6. 41 jemand gesagt hätte: „Ihr seid in 1 Jahr noch in Rußland“, die hätten wir bestimmt für verrückt erklärt. Es ist nun einmal Wirklichkeit geworden. Wir stehen immer noch in Rußland. Und wer weiß, wie lange noch.“
Aus einem Feldpostbrief des Gefreiten Gustav Böker4, Angehöriger der Panzerjägerabteilung 111 der 111. Infanteriedivision, vom 22. Juni 1942, dem Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion.
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„Diese Katastrophe, gemessen an ihrem ungünstigen Ergebnis, ist vergleichbar mit Rennenkampfs und Samsonows Katastrophe in Ostpreußen.“5
Stalin in einem Schreiben an die Südwestfront vom 26. Juni 1942. Den Hintergrund bildet der krachend gescheiterte Präventivschlag gegen die deutsche Heeresgruppe Süd.
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„Von der Härte des Kampfes zeugt das Schlachtfeld: An den Brennpunkten ist der Boden, soweit das Auge reicht, mit Kadavern von Menschen und Pferden so weit bedeckt, daß man nur mit Mühe eine Gasse für seinen PKW findet.“
Generaloberst Kleist am 29. Mai 1942 in Ergänzung zu einem Fernschreiben des III. Panzerkorps nach der Vernichtungsschlacht bei Charkow.
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„In einem Bunker, 2 km nordostwärts des »Stalin«, der sich zwei Tage hinter den deutschen Linien gehalten hatte, mußte die Besatzung buchstäblich einzeln erschlagen werden.“
Aus einem Gefechtsbericht des Infanterieregiments 47, das im Verband der 22. Division im Juni 1942 auf der Krim das Fort Stalin im Vorfeld der Seefestung Sewastopol stürmt.
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Ausgangslage auf der Krim
Alea iacta est – die Würfel sind gefallen. Mit der Führerweisung Nr. 41 steht fest, dass die großen militärischen Entscheidungen an der russischen Südfront ausgefochten werden. Damit rückt zunächst ein Brennpunkt ins Blickfeld des Geschehens, an dem sich die Deutschen seit Monaten blutige Köpfe holen: die Krim. Die Festung Sewastopol an der Südwestspitze ist trotz Belagerung unbezwungen geblieben, die Halbinsel Kertsch im Osten gar von der Roten Armee Ende Dezember 1941 zurückerobert worden. Für die Sowjets manifestiert sich die geostrategische Bedeutung der Krim in dreierlei Hinsicht, nämlich als:
1. Stützpunkt der Schwarzmeerflotte;
2. Bedrohung der deutschen Südflanke;
3. „Flugzeugträger“ gegen die rumänischen Ölquellen.
Den Großteil des enormen Treibstoffbedarfs für seine Kriegsmaschine bezieht das Reich aus dem Fördergebiet im Raum Ploesti. Für die Wehrmacht bildet die Krim das natürliche Sprungbrett zum Kaukasus, nämlich über die Straße von Kertsch. Jene Meerenge, die an ihrer schmalsten Stelle nur vier Kilometer breit ist. Dort führt die Straße von Kertsch hinüber zur Taman-Halbinsel, ins Vorfeld des Kaukasus.
Die deutschen Streitkräfte auf der Krim führt Generaloberst von Manstein. Der geniale operative Kopf muss mit seiner 11. Armee eine harte Nuss knacken. Es gilt, einen im Verhältnis 3:1 überlegenen Gegner, noch dazu verschanzt in stärksten Befestigungen, aus dem Feld zu schlagen. Aufgrund seiner limitierten Kräfte bleibt Manstein von Anfang an nur die Möglichkeit, beide Ziele, die Eroberung von Kertsch und Sewastopol, nacheinander anzugehen, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Um die Seefestung mit aller Macht angreifen zu können, muss zuerst Rückenfreiheit gewonnen werden. Vor allem aber ist Eile geboten. Die Operationen auf der Krim müssen zu einer Entscheidung gebracht sein, bevor die deutsche Südfront nördlich des Asowschen Meeres zum Hauptschlag ausholt. Nicht zuletzt deshalb, weil die 1942 bereits stark limitierten Kräfte der Luftwaffe nur ausreichen, um das Heer an einem Teilabschnitt der Heeresgruppe Süd wirksam zu unterstützen.
Aus dieser strategisch brenzligen Lage entwickelt Manstein seinen Schlachtplan. Den Auftakt soll die Operation „Trappenjagd“ bilden. Der Deckname bezeichnet den deutschen Angriffsplan zur Vernichtung der sowjetischen Deckungskräfte auf Kertsch und anschließenden Eroberung der Halbinsel. Als Voraussetzung werden die Luftstreitkräfte schwerpunktmäßig für Mansteins Großoffensive zusammengezogen. Das VIII. Fliegerkorps unter Generaloberst Wolfram von Richthofen soll mit seinen 460 Maschinen das schützende Dach für die Angreifer bilden und Vernichtung über die Verteidiger auf Kertsch bringen.
Mansteins Plan sieht vor, im Norden zu täuschen und im Süden zu schlagen. Eine richtige Beurteilung der eigenen Möglichkeiten und ebenso korrekte Einschätzung der feindlichen Absichten. Denn rund zwei Drittel der sowjetischen Streitkräfte stehen im Norden der kaum 20 Kilometer schmalen Parpatsch-Stellung, die von drei Armeen der Krimfront, der 47., 51. und 44., verteidigt sowie vom Asowschen Meer im Norden und Schwarzem Meer im Süden begrenzt wird. Genau hier erwartet Generalleutnant Koslow den Angriff von Mansteins 11. Armee plus rumänischen Unterstützungstruppen. Ein Stoß in die Flanke der nördlichen Ausbuchtung der Parpatsch-Stellung scheint die nahe liegende Option zu sein. So würden es die Russen selbst gemacht haben. Aber Manstein denkt überhaupt nicht daran, ausgerechnet an der Stelle des stärksten Widerstandes, ebendort wo ihn der Gegner erwartet, anzugreifen. Noch dazu mit zahlenmäßig unterlegenen Kräften. Nein, der überragende operative Kopf des Zweiten Weltkriegs, richtet seinen scharfen Blick nach Süden. Zwar muss der Kampf hier mehr oder minder frontal geführt werden, aber dafür gegen einen wesentlich schwächeren Feind. Schließlich disloziert das Oberkommando der Krimfront an diesem Abschnitt der Parpatsch-Stellung nur ein Drittel seiner Streitmacht. Damit hat Koslow bereits den ersten falschen Zug gemacht, noch bevor der erste Schuss der Operation „Trappenjagd“ gefallen ist.
Die Verteidiger haben sich in den vorangegangenen Wochen hinter einem zehn Meter breiten und fünf Meter tiefen Panzergraben verschanzt. Dazu kommen starke Feldbefestigungen. Als angriffsführenden Großverband bestimmt Manstein das XXX. Armeekorps unter Generalleutnant Fretter-Pico. Der Kommandierende befehligt über die 28. leichte, 50. und 132. Infanteriedivision. Den Durchbruch in die Tiefe des feindlichen Verteidigungssystems soll schließlich die 22. Panzerdivision unter Generalmajor Wilhelm erzwingen. Die Weichen für die Eröffnung der Schlacht um Kertsch sind gestellt. Und wenn die Halbinsel im Rücken der Krim fällt, wird der Endkampf um Sewastopol unweigerlich folgen. Ein hoher Einsatz für die Herren Strategen. Den Preis zahlen Iwan und Fritz auf dem Schlachtfeld.
Operation „Trappenjagd“ – der deutsche Angriff auf Kertsch
Die Operation „Trappenjagd“ beginnt am 8. Mai um 3 Uhr 30. Eine Batterie der Sturmgeschützabteilung 1976 soll zusammen mit dem II.Bataillon/Infanterieregiment 121 der 50. Division den Durchbruch erzwingen. Kurzes, aber heftiges Artillerie- und Werferfeuer leitet den Angriff ein. Im Dämmerlicht des frühen Morgens rasselt das Batterieführer-Geschütz auf eine Minensperre. Zwei der Sprengladungen detonieren unter dem Kampfwagen. Als der Chef vom fahruntüchtigen Sturmgeschütz klettert, kommt eine Handgranate geflogen. Die Explosion reißt dem Batterieführer das linke Bein am Oberschenkel ab. Als der Unteroffizier Drohne ausbootet, knallt eine Panzerabwehrkanone (Pak). Die rasante Granate zischt dem Deutschen in den Rücken. Für ihn kommt jede Hilfe zu spät. Aber den schwerverwundeten Chef will der Unterwachtmeister Burde unbedingt aus dem Feuer tragen. Da trifft ihn das glühende Eisen eines Granatsplitters. Der messerscharfe Zacken reißt seinen Unterleib auf. Schließlich knallt noch ein Panzerbüchsentreffer aus nächster Nähe. Das Geschoss durchschlägt die Panzerung des Kampfwagens. Dabei werden der Wachtmeister Reydt tödlich und der Gefreite Andree, der als Fahrer fungiert, am Arm verwundet. Das kleine, schlimme Schicksal einer Sturmgeschützbesatzung gleich zu Beginn der Großoffensive. Dennoch wird bis zum Abend das Tagesziel der Batterie, die Höhe 63,8, genommen.
Der Unteroffizier Josef Wimmer7 von der 50. Infanteriedivision berichtet über das gefürchtete deutsche Nebelwerferfeuer: „Allein schon die psychologische Wirkung dieser so grässlich heulenden Geschosse muss für den Gegener schrecklich gewesen sein. Die Einschläge liegen gut, und der Erdboden bebte unter unserer Brust.“
Mit dem ersten Artilleriefeuerschlag stürmen der gebürtige Oberschlesier und seine Kameraden von der 3. Kompanie/Pionier-Bataillon 71 Richtung Niemandsland, um der nachfolgenden Infanterie Gassen durch Stacheldrahtverhaue und andere Sperren zu sprengen. Inmitten des Schlachtenlärms sieht Wimmer „zwischen den aufspritzenden Erdfontänen plötzlich in nicht allzu weiter Entfernung einen Russen, der mit seinem Gewehr in meine Richtung zielte – und schoss. Fast gleichzeitig spürte ich einen stechenden Schmerz im rechten Oberarm.“ Der Pionier-Unteroffzier hat Glück im Unglück, es ist nur ein „Durchschuss“. Auf Fortune und Wagemut baut auch der Oberbefehlshaber der 11. Armee seinen Schlachtplan zur Eroberung Kertschs auf.
Um den Hauptstoß im Süden der Parpatsch-Stellung nicht rein frontal zu führen, hat Manstein eine besondere Überraschung ausgeheckt. Ein Bataillon des Infanterieregiments 436 der bayerischen 132. Division fährt mit Sturmbooten vom Schwarzen Meer her in den Panzergraben. Mit diesem Manöver haben die Verteidiger nicht gerechnet! Die taktische Überraschung glückt vollkommen.
Am nächsten Tag rollt die 22. Panzerdivision in die geschlagene Bresche. Schwerer als der Feinwiderstand macht den Angreifern ein Gewitter zu schaffen. Doch der Durchbruch gelingt. Die 44. Armee wird geworfen. In der Folge schwenken die motorisierten Verbände nach Norden, in den Rücken der Verteidiger, dem Dauerregen und morastigen Gelände zum Trotz. Damit sind zehn Sowjetdivisionen eingeschlossen. Bereits am 21. Mai hat die 11. Armee, nicht zuletzt dank überlegener Führung und totaler Luftherrschaft, die Schlacht gewonnen. Wenigen gegnerischen Einheiten gelingt die Flucht auf dem Seeweg über die Straße von Kertsch. Aber der leuchtende Sieg Mansteins wirft auch dunkle Schatten, nicht nur auf dem Schlachtfeld. Noch während der Kampfhandlungen um die Stadt Kertsch im Osten der Halbinsel rückt ein Teilkommando der Einsatzgruppe D ein, um die Juden zu ermorden. Die SS „nahm sofort die Arbeit auf“, heißt es in einem Bericht.
Auf dem Schlachtfeld ist das blutige Handwerk indes getan. Die Bilanz fällt eindeutig aus: Fast 170.000 Rotarmisten geraten in Gefangenschaft, rund 28.000 bezahlen die Fehler ihrer Vorgesetzten mit dem Leben. Der Verteidigung ermangelte es nicht zuletzt an Tiefe. Nach dem Durchbruch der Deutschen fehlten den Russen befestigte rückwärtige Stellungen, auf die sich die ausmanövrierten Truppen hätten absetzen, wieder Front machen und festbeißen können. Im offenen Steppengelände der Halbinsel, die kaum natürliche Hindernisse bietet, waren Koslows Armeen dagegen den schweren Schlägen des VIII. Fliegerkorps mehr oder minder schutzlos ausgeliefert. So gelang Manstein mit zahlenmäßig bescheidenen schnellen Verbänden, der 22. Panzerdivision und einer motorisierten Vorausabteilung unter Oberst Groddeck, die erfolgreiche Verfolgung und schließlich Überflügelung des Gegners. Das XXX. Armeekorps gewann das Wettrennen auf die Hafenstadt Kertsch und verhinderte ein „russisches Dünkirchen“.
Daneben büßen die Sowjets 258 Panzer und 1.133 Geschütze ein. Von Januar bis April verliert Generalleutnant Koswlows Krimfront 352.000 Mann. Nur Schukows Westfront erleidet in dieser Zeitspanne höhere Verluste. Für Koslow hat das Fiasko auf Kertsch auch persönliche Folgen. Er wird zum Generalmajor degradiert.
Über die Verluste der siegreichen 11. Armee kursieren widersprüchliche Angaben. Sie reichen von 600 bis zu den 7.588 (!) Gefallenen, die das werk „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“8 ausweist. Sollte letztgenannte Zahl tatsächlich stimmen, erscheint es umso bemerkenswerter, dass die Divisionen der 11. Armee nur zweieinhalb Wochen nach diesem fürchterlichen Aderlass schon wieder gegen Sewastopol antreten! Wahrscheinlicher sind allerdings Gesamtverluste in Höhe zwischen 7.000 und 8.000 Mann, also inklusive der Verwundeten. Diese wohl berechtigte Annahme stützt auch Feldmarschall Bock, seinerzeit Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd. Sein Kriegstagebuch weist einen „blutigen Gesamtverlust“ von „rund 7000 Mann“ aus, also Gefallene plus Verwundete. Fest steht, dass Manstein die erste Runde im Kampf um die Krim klar gewonnen hat. Ein bemerkenswerter Triumph, den die 11. Armee in nicht einmal zwei Wochen erringen konnte.
Operation „Störfang“ – Mansteins 11. Armee erobert Sewastopol
Viel Zeit zum Feiern bleibt den Siegern nicht. Schon läuft das Räderwerk zur nächsten, noch gewaltigeren Angriffsschlacht an. Operation „Störfang“ soll Sewastopol zu Fall bringen. Die Festung hält General Petrows Küstenarmee mit sieben Schützendivisionen in einer Gesamtstärke von über 100.000 Mann. Im Schlachtverlauf werden noch Verstärkungen auf dem Seeweg zugeführt. Den Verteidigern stehen gut 600 Geschütze, über 1.000 Granatwerfer, aber nur ein paar Dutzend Panzer und kaum mehr als 50 Flugzeuge zur Verfügung. Ihr gegenüber ist die 11. Armee mit siebeneinhalb deutschen und eineinhalb rumänischen Divisionen, zusammen rund 200.000 Mann, aufmarschiert. Dazu kommen überlegene Flieger- und Artilleriekräfte. Insgesamt warten 1.300 Geschütze auf den Feuerbefehl, darunter 600 großkalibrige Rohre. Auf deutscher Seite ist es die stärkste Konzentration an Artillerie während des gesamten Zweiten Weltkriegs. Ein unglaublicher Aufwand, zu dem der Gegner gezwungen hat. Die Russen haben die Zugänge zur Stadt massiv befestigt. Zahllose Bollwerke im Vorfeld müssen erst sturmreif geschossen werden. Manstein erkennt: Dafür reicht das übliche Vorbereitungsfeuer von Stunden oder gar Minuten nicht aus. Der Oberbefehlshaber der 11. Armee setzt vielmehr auf die Wirkung einer tagelangen Kanonade. Geplant ist eine nachhaltige Zerstörung.
So beginnt die Operation „Trappenjagd“ am 2. Juni mit einem fünftägigen Artilleriebeschuss und Luftbombardement. Richthofens Geschwadern stehen insgesamt 600 Maschinen zur Verfügung. Die totale Luftherrschaft der Deutschen bleibt auch in den Tagen des „Störfang“ unangefochten. Das VIII. Fliegerkorps fliegt bis zu 1.200 Einsätze pro Tag. Mit der überwältigenden Feuerkraft, die Heer und Luftwaffe entfesseln, sollen Hunderte Betonwerke, bestückt mit schwersten Batterien, breite Bunkergürtel und 350 Kilometer Schützengräben systematisch eingeebnet werden.
Unter den deutschen Geschützen wirken drei einzigartige Riesenrohre: der Gamma-Mörser im Kaliber 42,7 Zentimeter. Aus dem 6,72 Meter langen Rohr können 923 Kilo schwere Geschosse bis zu 14,25 Kilometer weit verschossen werden. Der Mörser „Karl“, auch „Thor“ genannt, hat ein Kaliber von 61,5 Zentimeter. Er verfeuert aus seinem fünf Meter langen Rohr 2.200 Kilo schwere Granaten auf Entfernungen bis zu fünf Kilometer. Die Geschosse durchschlagen zweieinhalb Meter dicken Beton beziehungsweise 45 Zentimeter starken Stahl. Noch weitaus monströser wirkt das Eisenbahngeschütz „Dora“. Das Ungetüm ist 43 Meter lang, sieben Meter breit, 12 Meter hoch und 1.350 Tonnen schwer. Dieses größte Geschütz der Welt, Kaliber 80 Zentimeter, verschießt Riesengeschosse im Gewicht von 4.800 beziehungsweise 7.000 Kilo. Die 7,80 Meter langen Granaten erzielen, je nach Art der Munition, Reichweiten von 38 bis 47 Kilometern. Zur Bedienung gehören nicht weniger als 4.120 Mann, die drei Schuss pro Stunde abfeuern können. Das Megageschütz durchschlägt bis zu acht Meter dicken Eisenbeton respektive 32 Meter gewachsenen Boden. Eine wahnsinnige Schöpfung durchgeknallter Rüstungsfachleute.
Der Luftwaffensoldat Kurt Kull9, Angehöriger der Flakbatterie 293, wird Zeuge der monströsen Veranstaltung. Seine Zwei-Zentimeter-Flak ist zum Schutz des Eisenbahngeschützes „Dora“ eingesetzt. Der blutjunge Frankfurter berichtet über den großen Knall:
„Der Schuss war ein umwerfendes Erlebnis: Die Detonation war so gewaltig, dass es uns zu Boden riss. Die zurücksausende Lafette konnte durch elastische Puffer erst nach mehreren Hundert Metern aufgefangen werden.“
Kull und seine Kameraden können sogar den „Austritt des Geschosses aus dem Riesenrohr“ genau verfolgen. Die einschlagenden Granaten reißen Löcher von der Größe eines Wohnhauses.
Während seines Einsatzes auf der Krim wird Kull allerdings auch Zeuge eines anderen niederschmetternden Ereignisses. Als die Flak-Kanoniere neue Stellungen schanzen, stoßen sie auf ein Massengrab mit männlichen Leichen. Kull und seine Kameraden erhalten Befehl, die Toten wieder mit Erde zu bedecken und sich ihre Deckungslöcher woanders zu graben …