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Die Mumie von Rotterdam
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Die Mumie von Rotterdam

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Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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Georg Döring

Die Mumie von Rotterdam / Erster Theil

1

Am Haven von Rotterdam herrschte ein buntes Gewimmel von Geschäftigen und Müßiggängern. Einige von jenen, mit schweren Lasten beladen, schoben langsam aber nachdrücklich diese, die eitle Neugierde oder Langeweile hierher geführt hatte, zur Seite; andere, Papiere in der Hand tragend, Schiffsconsignationen oder Frachtbriefe, drängten sich rasch und lebendig durch die Menge, um die Zeit der Ankerlichtung irgend eines Fahrzeuges nicht zu versäumen.

Eben stimmten die Glockenspiele der Stadt ein Liedchen an, das die sechste Abendstunde bezeichnete, als zwei Männer, denen die Meisten der Anwesenden mit allen Beweisen von Hochachtung und Ehrfurcht auswichen, am Ufer der Maas erschienen. Es waren die zwei Handelsherrn Tobias van Vlieten und Jan van Daalen. Beide wurden für die reichsten Leute der Stadt gehalten, beide wußten das und fanden deshalb nicht für nöthig, die zahlreichen, an sie gerichteten Begrüßungen zu erwiedern. Am Starrsten und Unbeweglichsten schritt Herr Tobias van Vlieten durch die Raum gebende Menge hin. Seine hagere Gestalt ragte fast um Kopfeshöhe über die Nebenstehenden empor und sein braungelbes Angesicht, mit der scharf hervorstehenden Nase und den großen, todten grauen Augen, bot, unter der umfangreichen, weißgepuderten Perücke, einen abschreckenden Anblick. Er trug einen langen, zimmetfarbenen Tuchrock, der trotz des sehr warmen Abends vom Kopf bis auf die Füße zugeknöpft war. Die Knöpfe aber bestanden aus Doppelducaten und erregten, indem sie im Abendsonnenstrahle weithin glänzten, die Begehrlichkeit manches armen Taglöhners, der hier mit schwerer Arbeit wenige Stüber erwarb.

Herr Tobias hatte viele Jahre seines Lebens in Ostindien zugebracht. Aber diese Zeit war für ihn keine verlorene gewesen. In dem Handel mit feinen Spezereien hatte er Millionen gewonnen und während die ungesunde Luft Batavia’s seine besten Kräfte aufzehrte und ihn zu einer lebendigen Mumie ausdörrte, vermehrte sich die Zahl seiner Geldsäcke im wohlverwahrten Gewölbe auf das Ansehnlichste, stiegen von Posttag zu Posttag die Summen, die er nach dem Vaterlande übermachte, daß sie dort sicher und gute Zinsen tragend, angelegt würden. Er hatte auch in Batavia geliebt und in einem kurzen Ehestande gelebt. Die Liebe überschlich ihn, als er vernahm, daß die bleiche alternde Jungfrau Cypriana Hoogendöbel, welche ihm in einer Theegesellschaft gegenüber saß, seit gestern die Erbin von hunderttausend Stück Dukaten geworden sey und ganz allein und verlassen in der Welt stehe, ohne Brüder und Schwestern, ohne Vettern und Basen, die an dem reichen Erbe mitzehren könnten.

Es war ihm zu Muthe, als habe er von der berauschenden Wurzel Bang gegessen, da er dieses vernahm. »Cypriana Hoogendöbel muß die Meine werden!« gelobte er sich selbst mit heißem Schwure. Er näherte sich; er wurde freundlich angesehen und aufgenommen. Besaß denn Tobias nicht auch schon ein Vermögen von mehr als hunderttausend Dukaten? Und hatte denn Cypriana seit gestern nicht das Ansehen und die Bedeutung, welche ein solcher Besitz gab, gehörig schätzen und würdigen gelernt? Der Wunsch, sie nach dem Theeschmause in seinem Wagen nach ihrer Wohnung zu bringen, wurde dem glücklichen Tobias gewährt. Auf diesem Wege sprengte die neu erwachte Leidenschaft ihre Fesseln. Er erklärte sich und ward verstanden, er warb um Cypriana’s diamantenfunkelnde Hand und sie ward ihm gewährt. Wie nun Herr Tobias van Vlieten einen jahrelangen, glücklichen Ehestand mit seiner Hausfrau verlebt, indem er während dieser Zeit fast immer auf Handelsreisen von ihr fern gewesen, das sey hier nur flüchtig berührt. Am Ende dieses Jahres schenkte ihm Cypriana ein Töchterlein; sie selbst aber starb wenige Tage nach der Geburt des Kindes. Ganz Batavia bewunderte die Standhaftigkeit des jungen Wittwers bei diesem Trauerfalle. Niemand sah ihn eine Thräne vergießen. Er verbarg den Gram so tief in seiner Brust, daß seine Freunde ihn nicht einmal ahneten, er besaß Selbstbeherrschung genug, statt der Falten des Kummers, eine zufriedene Heiterkeit auf seiner Stirne zu zeigen. Nur sein schwarzer Anzug, die Trauerflöre, mit denen er reichlich umhangen war, verriethen sein Leid. Die Neugeborene ward nach dem Willen der verewigten Cypriana, die in den letzten Monaten ihres Lebens einige nach Ostindien verirrte französische Schäferromane mit großem Interesse gelesen hatte, Clelia genannt. Clelia hatte eben das achte Jahr zurückgelegt, als ihr Vater, den das Clima zu einer Leiche auszudörren drohete, sich entschloß, nach Europa zurückzukehren. Die liebe Geburtsstadt Rotterdam, mit dem buntbemalten Standbilde des Erasmus auf dem großen Markte, stieg plötzlich in einem Zauberglanze in der sonst öden Phantasie des Herrn van Vlieten empor. Er sah sich selbst, der als ein armer Jüngling die Heimath verlassen, nun als den reichsten ihrer Bürger in den breiten Straßen der Buitenstad auf- und niederwandeln, im vornehmen Dukaten-beknöpften Rocke, mit stattlichem spanischem Rohre, begrüßt und geehrt von jedermänniglich; er sah sich am Nieuwe- und Leuwen-Haven, am Blaak und am Boompjes, am Wynkracht und am Haringvliet, und an allen Orten flüsterte es um ihn: »Seht, das ist Myn Heer Tobias van Vlieten, der dickste Mann von Rotterdam!« Und wie er es prophetisch vorausgesehen im Geist, so geschah es auch. Er wandelte nun schon seit acht Jahren in den Straßen und in den Havenplätzen der Heimathstadt in derselben Weise, die ihm die Ahnung gezeigt, auf seinen Wegen blieben die Leute stehen und raunten denjenigen, die es noch nicht wußten, mit wichtiger Gebehrde ins Ohr, dieses sey der dickste – nämlich der reichste – Mann der Stadt. Wenn dann ein Fremder, dem es unbekannt war, wie bei den Holländern dick mit reich gleichbedeutend sey, die Mumiengestalt des Herrn Tobias van Vlieten mit erstaunten Blicken maß und ungläubig lächelnd den Kopf schüttelte, so konnte wohl sein von Natur phlegmatischer holländischer Freund in Feuer gerathen und Hab und Gut zur Wette anbieten: daß dieses die Wahrheit sey. So war es denn nach und nach gekommen, daß man Herrn Tobias nur schlechtweg und vorzugsweise den Dicksten nannte. Sein Töchterlein Clelia war indessen zu einer anmuthigen und begehrenswerthen Jungfrau herangewachsen.

Der Mann, in dessen Geleit uns Herr van Vlieten zum erstenmale am Ufer der Maas begegnet, war in seinem ganzen Aeußeren der lebendigste Gegensatz zu dem Wesen des erstern. Herr Jan van Daalen maß wenig über vier Fuß, hatte durch die sorglichste Pflege seines Leibes nach und nach einen körperlichen Umfang gewonnen, der ihm, nächst seinen Geldsäcken einen doppelten Anspruch auf die Ehrenbenennung eines Dicken gab, und sah aus dem immer lächelnden runden, weißen und rothen Antlitze jeden mit den nichtssagenden Blicken der gläsernen Augen so geringschätzig an, als seyen alle übrigen Menschen Nullen, er aber und sein Begleiter vielleicht nur allein Zähler in der Seelenliste der Einwohnerschaft von Rotterdam. Seine Kleidung war schlichter und geschmackvoller, als die des Herrn van Vlieten; aber das ächte spanische Rohr, mit dem großen porzellanenen Knopfe oben, prangte auch in seiner Rechten und die stattliche Perücke umgab, wie eine Wolke, die obere Hälfte seiner gedrängten Gestalt. Sein Fuß hatte nie das Weichbild von Rotterdam überschritten. Er hatte das ansehnliche Vermögen, das er von seinem Vater ererbt, durch kluge, wenn gleich geheimnißvolle Speculationen, so bedeutend vermehrt, daß er unter den dicken Leuten der Generalstaaten einen der ersten Plätze einnahm. Immer aber blieb die Art, wie er dazu gekommen, jedermann ein Räthsel. Er hielt keine Schreibstube und keine Gehülfen. Alle Schreibereien machte er selbst hinter verschlossenen Thüren ab. Niemand, sein einziger Sohn Cornelius nicht ausgenommen, durfte sein Schreibgemach betreten. Nur ein alter Buchhalter, den Herr van Daalen als ein Erbstück mit von seinem Vater übernommen hatte und der schon seit vierzig Jahren in die Geschäfte des Hauses eingeweiht war, schien das Vertrauen seines Prinzipals zu besitzen. Der alte Herr Hoontschoten war aber fast immer abwesend, niemand wußte, wo? Oft ließ er sich in Jahresfrist und manchmal auch in noch größeren Zwischenräumen in Rotterdam nicht sehen. Erschien er dann endlich, so strahlte Herrn Jan’s Antlitz in unverkennbarer Freude und immer wurden, wenige Tage nach seiner Ankunft, große und gewichtige Geldsäcke in das van Daalensche Haus geschafft. An seinem Sohne Cornelius hatte der alte Herr bisher wenig Freude erlebt. Statt frühe die Feder zu gebrauchen, um im Rechnen und Copieren sich zu dem höheren Wirken im Handelstreiben vorzubereiten, hatte Cornelius das Schwerdt ergriffen und war, allen Abmahnungen des Vaters zum Trotz, unter König Wilhelm gegen die Franzosen zu Felde gezogen. Herr Jan zürnte ihm lange und wollte nichts von ihm wissen. Als er aber einige Jahre nach dem geschlossenen Frieden in das väterliche Haus trat, zu einem kräftigen, blühenden Manne geworden, bekleidet mit der Würde eines Hauptmannes, da erfreuete sich doch des Vaters Auge an ihm; als er aber gar nach einiger Zeit erklärte, daß er dem Kriegshandwerk gänzlich entsagen, um als ein guter Ehemann und Hausvater daheim zu leben, und daß die holdselige Jungfrau Clelia van Vlieten es sey, die er zum Gattengespons erwählet, da schloß ihn Herr Jan gerührt in die Vaterarme und meinte in seinem Innern, der Apfel falle doch nicht weit vom Stamme und die Speculation auf das liebliche Töchterlein des Dicksten sey in der That eines van Daalen würdig. Cornelius konnte versichern, daß Clelia ihn mit Blicken betrachte, die keinesweges gleichgültig zu nennen waren. Er verschwieg, daß er bei günstiger Gelegenheit schon das Geständniß seiner Liebe gegen sie gewagt habe, daß dieses nicht allein gütig aufgenommen, sondern sogar mit jungfräulicher Schüchternheit erwiedert worden sey. Die Aussicht, das ungeheuere Vermögen des Herrn Tobias mit dem seinigen zu vereinen, den Vater Clelias vielleicht zu einer Compagniehandlung zu bewegen, war für den alten van Daalen schon höchst lockend; die Hoffnung aber, daß nun Cornelius auch Neigung zu kaufmännischen Geschäften fassen und dereinst auf dem geheimnißvollen Wege, den er mit Glück gewandelt, weiter schreiten werde, erfreuete ihn fast eben so sehr. Er äußerte das auch seinem Sohne. Dieser aber versicherte ihn ganz trocken: daran denke er nicht, es sey ihm im Gegentheile nichts in einem so hohen Grade zuwider, als Schreiberei und Handelschaft und er trage nichts anders im Sinne, als mit seiner künftigen Ehefrau Clelia dermaleinst in Fülle und Wohlleben von den Zinsen der Capitale zu leben, die ja die beiden Väter in Ueberfluß für ihre Kinder zusammengebracht und gespart. Herr Jan sah ihn auf diese Rede mit den gläsernen Augen starr und schweigend wohl eine Viertelstunde lang an; dann wandte er sich mit einem schweren Seufzer von ihm ab und begab sich zu Herrn van Vlieten, um mit diesem die Freierei-Unterhandlungen zu eröffnen, die nun mit aller Bedächtlichkeit und Vorsicht, welche zwei so kundigen Geschäftsmännern zugetraut werden konnten, betrieben wurden.

Dieses war der Stand der zwischen den beiden Handelsherrn obwaltenden Angelegenheiten, als wir sie zum erstenmale stolz und im Bewußtseyn ihres Metallwerthes durch die treibende Menge im Haven von Rotterdam hinschreiten sahen.

»Ihr wißt meinen Entschluß, Myn Heer van Daalen,« sagte Herr Tobias in einem herben und strengen Tone, indem er bedeutungsvolle Blicke auf einige ihm zugehörende, in der Maas ankernde Schiffe warf und dann ebenso bedeutungsvoll auf einige andere zurücksah, die im Canale, zunächst seiner Wohnung, lagen. »Fünfmalhunderttausend Stück Dukaten ist ein artiges Sümmchen, aber siebenmalhunderttausend ist noch artiger. Wir sind beide dick, aber Ihr seyd nicht der dickste! Nur gleich und gleich gesellt sich gut und erst, wenn Euer Cornelius so schwer geworden, wie meine Clelia, so können die Glockenspiele der Binnen- und Buytenstad ein lustiges Stückchen zu ihrer Hochzeit aufspielen. Schade, daß wir nicht in Batavia sind! Da hat mich’s bei solcherlei Festen am Meisten ergötzt, die schwarzen Sklaven und Sklavinnen, Abends, wenn sie des Tages Last und Arbeit hinter sich hatten, einen lustigen Tanz aufführen zu lassen. Sanken sie dann wohl vor Müdigkeit oder Trägheit zu Boden, so war gleich des Aufsehers Peitsche bei der Hand, die sie wieder in die Höhe zum Tanzen trieb und der Hauptspaß war es nun, sie mit verzerrten Gesichtern, heulend und schreiend, springen und hüpfen zu sehen. Dergleichen Vergnügungen giebt es nicht in Europa, Myn Heer van Daalen

In diesem Augenblicke hemmte Tobias plötzlich seinen Schritt. Seine Blicke waren starr auf einen Punkt gerichtet. Es schien, als mache irgend ein Gegenstand ihn stutzig, als sey er über irgend eine sonderbare Begegnung betroffen und unwillig.

Zwei junge Leute in Studententracht waren aus einer landenden Barke ans Ufer gesprungen. Ihre ersten Blicke fielen auf die hagere und ausgetrocknete Gestalt des Herrn Tobias van Vlieten, der in seinem canelfarbigen Rocke und mit dem zusammengedörrten bräunlichen Antlitz, laut und lachend von ihnen der ungeheuerste Zimmetstengel genannt wurde, der jemals aus Ostindien herübergekommen sey. Ganz im Gegensatze zu ihnen stand ein ältlicher Mann, der zwischen beide getreten war, dessen Blicke mit einem Ausdrucke der Verzückung auf Herrn van Vlieten ruheten und der nun mit hohem Ernst in seinen Mienen, mit schnarrender Stimme und in der die Worte abwägenden Weise eines Pedanten rief:

»Ruhig, meine Söhne! Ruhig, ihr Kindlein der Musen! Habt Ihr je ein so herrliches Exemplar einer egyptischen Mumie gesehen, wie das hier im zimmetfarbenem Rocke und mit spanischem Rohre umherwandelnde? Schweigt von Eurem schnöden Zimmetstengel! Ein Sproße aus pharaonischem Geschlechte, ein königlicher Bewohner der Pyramiden zeigt sich Euerm erstaunten Blicke. Er wandelt hier am Ufer der Maas, er schnupft Tabak und trägt Dukaten auf dem Rocke! O wie köstlich, wenn wir ihn hätten im theatro anatomico zu Leyden, schön eingepackt im egyptischen Sarge, den wunderdeutsamen Ibis zu seinen Füßen, ihn selbst eingehüllet in balsamische Stoffe, hieroglyphisch übermalet – o Isis und Osiris! die Begeisterung reißt mich fort und verleitet mich, würdige Handelsherrn der Gegenwart für Gestalten einer heiligen Vorzeit zu halten! Verzeihet, Myn Heer,« wandte er sich nun zu dem immer finsterer blickenden Tobias, »wenn Euch diese junge Leute durch unziemlichen Scherz beleidigt! Meine Bewunderung wird Euch hoffentlich zu einigem Ersatz dienen und solltet ihr jemals nach Leyden kommen, so seyd höflich eingeladen, in dem Hause des Professor Eobanus Hazenbrook einzusprechen.«

Mit diesen Worten nahm der Professor seine zwei jungen Leute, die nun etwas ernster geworden, unter den Arm und schlenderte ruhig weiter, indem er jedoch dann und wann einen gleichsam verliebten Blick nach Herrn van Vlieten zurücksandte.

Dieser murmelte einige unverständliche Laute für sich hin, welche eben nicht die freundlichste Begrüßung aussprechen mochten. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf Herrn Van Daalen, der von dem Professor und seinen Zöglingen nichts gewahr geworden war und schon ein Weilchen ohne Antwort zu erhalten, auf seinen Begleiter eingeredet hatte.

»Alles wird sich zu Euerer Zufriedenheit ausgleichen,« fuhr Herr Jan fort, »und ich kann Euch die feste Zusicherung geben, daß vielleicht schon morgen oder übermorgen mein Cornelius so schwer oder auch noch schwerer ist, wie Euere Clelia. Heute schreiben wir den achtundzwanzigsten Oktober 1702. Jeder Augenblick kann mir die frohe Nachricht bringen. Wo ich gehe und stehe ist es mir, als hätte ich glühende Kohlen unter den Füßen und denke ich einmal zu ruhen im gemächlichen Großvatersessel, so treibt mich’s in die Höhe, als prickelten mich tausend Stecknadeln. O Myn Heer, Ihr seyd glücklich mit Euern Speculationen auf Zucker und Caffee! Aber unser eins – die Sorgen – die ängstlichen Nachtwachen – die Zweifel – die Erwartungen.« —

»Was treibt Ihr denn eigentlich?« unterbrach ihn neugierig sein Begleiter, indem er stehen blieb und die todten grauen Augen forschend auf Herrn van Daalen heftete. »Ihr seyd reich geworden, man weiß nicht wie, Ihr vermehrt Euere Capitalien von Jahr zu Jahr, man weiß nicht woher! Myn Heer, es gehen allerlei seltsame Gerüchte von Euch, denen ich keinen Glauben beimessen mag. Viele sprechen, Ihr hättet einen Bund mit dem Bösen, der Euch das liebe Geld und Gut zutrüge in der Sylvesternacht, aber darüber lache ich, denn ich bin aufgeklärt. Andere meinen wieder, Ihr säßet Nachts im geheimen Kämmerlein und kochtet Gold, wie Ihr es aus einem zufälliger Weise aufgefundenen Recepte des berühmten Paracelsus erlernt, doch auch das scheint mir nicht glaubwürdig, denn hätte der berühmte Paracelsus die Goldmacherkunst verstanden, so wäre er nicht elend und jämmerlich durch vieler Herrn Länder gezogen, als ein Pillendoctor und Wurmsamenhändler. Was aber, Myn Heer van Daalen, möchte wohl von den Gedanken derjenigen zu halten seyn, bei denen Ihr in dem Verdachte steht, Ihr wäret ein allzu guter Freund der Feinde Eures Vaterlandes, Ihr wüßtet denjenigen, die es bekriegen, den Franzosen und Spaniern, auf geheimen Wegen Pulver und Blei, Waffen und Mundvorrath zuzuführen? He! Myn Heer, was sagt Ihr dazu?«

Herr Tobias hatte bei diesen Worten die dürren Knochenfinger seiner Rechten um den Arm des Herrn van Daalen gekrallt. Dieser konnte während der bedeutungsvollen Rede seines Nebenmannes seine Verlegenheit nur schlecht verbergen. Er hielt den Porzellanknopf des spanischen Rohres bald gedankenbrütend an die Nase, bald versuchte er, gleichsam um die innere Angst zu bewältigen, die Knöpfe seines Kleides zu zählen, bald lachte er dumm und nichtssagend den Herrn van Vlieten an.

»Schufte und Neider sind es,« brach er endlich mit mühsam errungener Fassung los, »die mir so niederträchtige Dinge nachsagen! Ich bin ein so guter Patriot, wie Hugo Grotius, und würde gegen die Feinde ebensowohl zu Felde ziehn, wie Oranien und Horn, wenn ich anders die Courage dazu hätte. Wenn Ihr dermaleinst meinen Handel kennen lernt, Myn Heer, und das sollt Ihr, sobald das Geschäft mit der Heirath zu Stande gebracht worden – dann werdet Ihr sagen, der Jan van Daalen ist ein schlauer Kauz und ein Vaterlandsfreund, wie es wenige gibt. Ihr werdet bekennen müssen, daß er vom Feinde, wenn auch keine Schlachten und Festungen, dennoch werthvolle Dinge genommen, daß er ihm Abbruch in seinem Besten gethan und die Grundfesten seines ganzen Staatsbaues erschüttert hat.«

»Große Worte, schöne Sentenzen!« erwiederte ungläubig Herr van Vlieten. »Ueber die Sache müssen wir im Reinen seyn, ehe wir weiter etwas abschließen. Gebt mir ein vernünftiges Journal, ein aufrichtiges Cassabuch in Händen: das ist mir lieber, als die wohlklingendste Redensart! Ich muß wissen, was Euer Cornelius in Handelsdingen von Euch zu erwarten hat, ehe ich nur ein Härchen von dem Haupte meiner Clelia in die Heirathslotterie mit ihm setze. Ich will Euch in meine Keller und Gewölbe führen. Ihr sollt die Menge von Zuckerhüten und Caffeeballen, die Hügel von feinen Gewürzen, die wundersamen Gebäude von Theekisten dort bewundern. Dann will ich Euch die Geheimnisse meines Comptoirs erschließen, Ihr sollt sehen, was in Cassa befindlich und was auf gute Zinsen ausgeliehen ist, Ihr sollt Euch aus den Büchern, die ich vertrauungsvoll vor Euch aufschlagen werde, überzeugen, daß ich meine Zeit in Europa und Asia wohl angewandt habe. Aber Alles unter der Bedingung, daß Ihr Tags darauf ein Gleiches thut, ohne allen Vorbehalt und Hinterlist!«

Herr Jan van Daalen hätte in diesem Augenblicke lieber an jedem andern Orte der Welt, als in Rotterdam, an der Seite des Dicksten und daher angesehensten Mannes daselbst, seyn mögen. Er bewegte unruhig die Füße, er warf das spanische Rohr bald unter den rechten, bald unter den linken Arm, er steckte beide Hände in die Taschen, er wußte nicht was er sagen sollte.

Da erschien zu seinem großen Troste ein Befreier aus dieser Bedrängniß in der Person des Leydenschen Professors, Eobanus Hazenbrook. Dieser trat, sich verlegen die Hände reibend, wiederum gerade auf Herrn Tobias zu. Die beiden Studenten folgten ihm in einiger Entfernung, kicherten und flüsterten unter einander.

»O Myn Heer,« schnarrte der Professor, »ich muß Euch anreden im Namen der Musen und als ein Vormund der Wissenschaften in den vereinigten Niederlanden. Freilich werde ich Euch von Dingen sprechen, die gewöhnlichen Menschen nicht angenehm sind, aber Ihr, Myn Heer, seyd kein gewöhnlicher Mensch, Ihr tragt das Gepräge des Außerordentlichen in Euerm Antlitze, wie in Euerer Figura, und deshalb darf ich schon wagen, zum Nutzen und Frommen der Wissenschaft eine Frage an Euch zu richten. Habt Ihr bereits Euer Testament gemacht, Myn Heer?«

Tobias blickte den seltsamen Frager mit einer Mischung von Zorn und Erstaunen an. Mechanisch hob sich das spanische Rohr in seiner Hand und es gewann für einige Augenblicke das Ansehn, als sey Herr van Vlieten gesonnen, die Antwort auf eine so unverschämte Frage, auf eine nachdrücklichere Weise, als die gebräuchliche, zu erwiedern. Da naheten sich aber mit drohender Miene die zwei Begleiter des Professors, Herrn Tobias Rohr neigte sich zur Erde und er begnügte sich, in einem heftigen Tone zu antworten:

»Ihr seyd ein Unverschämter oder ein Wahnsinniger! Für beide Fälle rathe ich Euch, diesen Platz schleunigen Schrittes zu verlassen. Es giebt hier der Leute genug, die auf einen Wink von mir, Euch packen und Euere Unverschämtheit im kalten Bade der Maas von Euch abwaschen oder, wie ich es ihnen gebiete, Euch, wohl gebunden und bewacht, in’s Narrenhaus abführen. Trollt Euch Euerer Wege und reizt mich nicht ferner! Ihr müßt wissen: ich bin Heer Tobias van Vlieten, der dickste Mann in Rotterdam

Die beiden Studenten, junge Franzosen, die auf der damals weitberühmten Universität Leyden den Wissenschaften oblagen, schlugen ein schallendes Gelächter auf.

»Que dites vous de cet embonpoint?« fragte der eine den andern, indem er mit einer spöttischen Gebehrde sein Schnupftuch zur Hand nahm und Miene machte, den Umfang des Herrn van Vlieten zu messen.

»Morgué!« erwiederte der andere; »il l’a volé à une squelette et il tâche à le vendre. C’est pour cela qu’il s’en vante.«

Der Professor aber trat dem zurückweichenden Tobias noch einige Schritte näher, und sagte mit großer Kaltblütigkeit:

»Ich könnte Euch injuriarum belangen, Myn Heer, darüber, daß Ihr Euch ermesset, einen professorem ordinarium der illustern Academie von Leyden als einen unverschämten Gesellen oder gar als einen sinnverwirrten Menschen zu erklären. Aber Ihr habt mir mein Herz gestohlen durch Euere absonderliche Liebenswürdigkeit und eine Sehnsucht in meiner Brust erweckt, die jahrelang darin geschlummert. Ja, Myn Heer, ich liebe Euch! Und wenn das ein junger Fant mit tausend Schwüren seiner Liebsten versichert, so will das bei Weitem nicht soviel heißen, als mein einfaches, unumwundenes Geständniß. Ich liebe Euch wissenschaftlich. Und deshalb wünschte ich: Ihr machtet Euer Testament!«

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