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Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten
Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten

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Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten

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Язык: Немецкий
Год издания: 2017
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»Jesses,« flüsterte Röse, »wenn ich nicht gleich aufpaß! Mich freut's grad so wie dich, wenn sie spukt; vielleicht noch mehr!«

Der noch nicht offizielle Bräutigam hörte die beiden zankend miteinander tuscheln.

»Ich denke, die Demoisellen sind immer ein Herz und eine Seele?«

»Sind wir auch!« sagte Röse.

Er lächelte und sprach eifrig mit seiner jungen, zukünftigen Braut; etwas würdig, wie er es mit jedem jungen Mädchen that, aber jedes Wort bebte und zitterte und war beladen mit allem möglichen, und die Blicke beider hingen aneinander, – forschend, ergründend und scheu den Anblick genießend.

Draußen fauchte in langen Zügen unvermindert der Wind und trug jetzt, wie es schien, einen merkwürdig hellen, rhythmischen Pfiff auf seinen Flügeln.

Röse, die eben im lebhaftesten Gespräche mit ihrem Anbeter war, spitzte die Ohren, erhob sich wie im Traume, ging dem Fenster zu, blieb aber zögernd, wie unverrichteter Sache stehen und begab sich wieder auf ihren Platz.

Der junge Thon beobachtete sie.

»Schaf!« flüsterte Marie ihr zu. »Wenn sie's merken, lassen sie uns bei dem Wetter nicht fort!«

Es war etwas übermütig Glückseliges in Röses Gesicht gekommen.

Die Ratsmädel kniffen sich gegenseitig versteckt in die Arme.

Frau Rat aber hatte auch den Pfiff gehört und dachte bei sich: »Das war ja Budangs Pfiff; was lauert denn der?«

Jetzt schellte es unten.

Das sind sie! dachten Röse und Marie gleichzeitig erschreckt und sprangen beide auf, um die Hausthür zu öffnen. Was ihnen denn nur einfiele! Waren sie denn des Kuckucks!

Sie trafen aber ganz etwas andres, als sie vermuteten.

Die Schopenhauerin schickte als Dessert nach dem Fasanenschmaus für Röse ein weißsamtenes Ridikül mit Perlenstickerei und mit einem Veilchenbouquet daran gebunden, etwas unsagbar Schönes, Bräutliches. Sie hatte jedenfalls nicht anders gedacht, als daß die Verlobung doch bei einem Gläschen Wein trotz alledem feierlich abgesprochen worden sei.

Röse und Marie wußten nicht recht, was sie damit beginnen sollten; sie beratschlagten und hielten sich deshalb ziemlich lange auf der Treppe auf. Marie kam auf den schlauen Gedanken, das wundervolle Ding mitsamt den Veilchen in ihr Schnupftuch zu wickeln; so wollten sie es aufheben, bis die Gäste fort wären, denn beide fürchteten, es möchte dem Vater nicht recht sein, wenn sie das Verlobungsgeschenk der Schopenhauerin jetzt mit hereinbrächten. Und es geschah so, wie sie sich vorgenommen.

»Was war denn?« fragte Frau Rat ernst, als die Mädchen wieder eintraten.

Röse errötete und flüsterte ihrer Mutter etwas ins Ohr.

Der junge Thon fand, daß die beiden Mädchen seit einiger Zeit von einer merkwürdigen Unruhe befallen waren. Es war ihm, als müsse er mit Röse ein feierliches, großes Wort reden.

Eine bange Unruhe überfiel ihn. Liebte sie ihn auch wirklich? War er ihrer sicher?

Die beiden Mädchen hielten sich, während sie ganz vernünftig und liebenswürdig sprachen, unter dem Tisch an den Händen fest.

»Heut wär' eine schöne Nacht für meinen Fuchs!« dachte der junge Thon mitten in seinem Herzensrausch. Er hat bereits gestern die halbe Nacht platt auf dem Bauche vergeblich vor dem Fuchsbau gelegen und sieht sich schon, wie er an der nur ihm bekannten Stelle abermals auf den Fuchs paßt. Er hört im Geiste die knospenden Bäume über sich rauschen, fühlt wohlthätig den kühlenden, weichen Sturm. Und das Lauern, das scharfe Hinhorchen, – das Spannen, – die Naturlaute, die nachts hie und da geheimnisvoll auftauchen, – da wird's ihm wohl werden!

Die Gäste empfehlen sich zur Bürgerstunde. Alle machen Frau Rat Kirsten Komplimente über das splendide Gastmahl, und Frau Geheimderat Thon drückt Röse mütterlich zärtlich an sich und flüstert ihr etwas ins Ohr. Röse errötet tief und küßt ein wenig zaghaft und verlegen die Hand ihrer künftigen Frau Schwiegermutter.

Und wieder ist sie durchschauert von etwas Ungeahntem, Unbekanntem, als Ottokar Thon ihr zum Abschied die Hand drückt, so erregt und bewegt, als wäre dieser einfache Händedruck eine heilige Handlung.

Als alle fort waren, fällt sie ihrer Mutter in die Arme und küßt sie und lacht, und dabei glänzen ihr die Thränen in den Augen.

Die Mädchen müssen noch mit aufräumen, alles an Ort und Stelle bringen; sie sind zu diesem Behuf aus ihren weißen Kleidern in die grauen Ginghamalltagskleider geschlüpft und wirtschaften mit wahrem Feuer und so ordentlich und vernünftig, daß Frau Rat ihre Freude hat und bei sich denkt: »Was für ein paar flinke Mädchen sind sie doch, pflichttreu und brav!«

»Jesses, Röse,« flüstert Marie, »mach zu! Wenn du so trödelst, wann denkst du denn, daß wir fortkommen?«

»Erst müssen doch alle im Bett sein,« sagt Röse bang, »was hilft's denn sonst? – Poltere doch nicht so!« Marie ging darauf hin auf den Fußspitzen.

Drüben bei Thons war schon alles dunkel.

»Ach Gott!« brummte Marie, »weshalb dauert's denn bei uns so lang?«

Die Magd schlürfte noch draußen herum; der Vater sah nach diesem und jenem; die Mutter schloß das gespülte und geputzte Silberzeug in den Schrank.

Röse beguckte sich noch einmal nachdenklich die silbernen Füße und Hälse der Fasanen.

Nach und nach zog aber auch in das Kirstensche Haus Dunkelheit und Nachtruhe ein.

Die beiden Mädchen waren hinauf in die Kammer geschickt; die Magd, Vater und Mutter, jedes war schlafen gegangen, und keine Maus rührte sich.

Es schlug elf Uhr. – Da war es, als wenn auf der dunklen Treppe sich vorsichtig etwas bewege. Es knarrte eine Stufe; es huschte und schlich etwas. Zwei Stimmen wisperten vorsichtig. »Ach Gott im Himmel,« sagte Röse tief erregt, dicht am Ohr Maries, »mir ist's ordentlich angst, – so was haben wir noch nie gethan! Glaubst du, daß der Vater bös sein würde?«

»Röse,« erwiderte Marie mit Herzklopfen und verhaltenem Atem, »jetzt ist's zu spät! – Mach nur leise, – du trampelst ja!«

»Na,« murrte Röse, »wenn das Trampeln is! Gar nich!« Aber da krachte die alte Stufe so entsetzlich. Den beiden kam es wie ein Kanonenschuß vor. – Sie standen ganz starr und hatten nicht den Mut, sich wieder zu regen. – »Ach Gott!« klagte Marie.

Dann aber schlichen sie langsam und vorsichtig weiter.

»Ich höre da draußen wen,« brummte Herr Rat in seinen Kissen.

Frau Rat war schon am Einschlafen und entgegnete undeutlich: »Der Wind; auch wohl die Katze.«

Das leuchtete Herrn Rat ein, denn der Wind rasselte draußen an den Dachrinnen, klirrte mit den Fensterscheiben, sang und jodelte in den Schornsteinen. Es war eine wilde, stürmische Osternacht. Zerrissene Wolken fuhren über den Himmel.

Unten an der Hausthür fingerten jetzt ein paar ängstliche, zitternde Händchen vorsichtig, um den großen Hausthürschlüssel geräuschlos ins Schlüsselloch zu stecken.

Röse und Marie hatten diesen Schlüssel, pochenden Herzens, aus der Mutter Speisekammer stibitzt.

Nun standen sie draußen, im Sturm aufatmend, und schauten mit ängstlichem Blicke nach dem Fenster oben. Sie seufzten beide tief, denn es war ihnen nicht geheuer zu Mute. Sie hätten's nicht thun sollen! So heimlich fortzuschleichen war das Rechte nicht, das fühlten sie. Und sie dachten beide mit einem Gefühl bangen Seelendruckes an Frau Geheimderat Thon, vor der sie den denkbar größten Respekt hatten. Was die wohl dazu meinen würde?

»Donnerstag!« rief Röse, »ist das ein Wetter! – Himmlisch!«

Sie faßten sich an den Händen und ließen sich von dem Winde treiben. »Glaubst du wirklich, daß es was gibt, wenn sie's oben merken?« fragte Röse.

Marie antwortete nicht. Der Wind hatte ihren wollenen Longshawl gefaßt und sich darin verfangen.

»Weißt du,« sagte sie nach einer Weile, »ich glaub' schon. Aber wenn alles gut ausgeht, und wir haben sie wirklich gesehen, und wir sagen's, dann – dann …«

Der Wind nahm ihr den Atem.

Sie wollten nicht quer über den Markt laufen, sondern lieber gedeckt, wie die Diebe an den Häusern hin; und so eilten sie Hand in Hand vorwärts. Ihre engen Kleiderröcke flatterten wild im Westwinde; die Stirnlöckchen, selbst die schweren hängenden Zöpfe wehten und peitschten um sie her. »Diese Scheusäler!« brummte Röse, als ihr Maries Zopf übers Gesicht gefahren war.

Jetzt mußten sie am »Elefanten« vorbei. Aus der Gaststube schimmerte Licht in die Dunkelheit; es trat jemand aus der hellerleuchteten Thorfahrt. Röse und Marie drückten sich atemlos, erschreckt in den Schatten an die Mauer. Dann liefen sie weiter, mit halb zugekniffenen Augen, weil der Sturm Sand und Staub aufrührte.

Das Wolkengeschiebe riß auseinander, und der Vollmond schaute auf einen Augenblick ungeheuer glänzend, als wäre er von den Wolken eben erst wieder blank gewischt worden, auf die dunkle, windgepeitschte Erde hinab.

»Gucke, der Mond!« bemerkte Röse im Rennen.

Als sie am Schlosse vorbei zur Burgmühle kamen und die Ilm nächtlich an ihnen vorbeirauschte, blieben sie stehen und lauschten ins Dunkel hinaus.

Ihre Herzen hämmerten, ihre Wangen glühten; der Sturm hatte sie wie ein paar Rosenbüsche zerzaust.

»Die andern werden in der Fähre stecken,« flüsterte Marie, »wenn sie uns nur nicht erschrecken!«

Ja, sie fürchteten sich sehr! Das grelle, plötzlich hervorbrechende und wieder verschwindende Mondlicht, die schweren, schwarzen Wolken, der Sturm, der in den hohen Bäumen sauste, und dazwischen die unheimliche Stille, ohne menschlichen Laut, nur von entferntem Hundegebell unterbrochen, das Kreischen der uralten, verrosteten Wetterfahne auf der Mühle, – alles bedrückte sie!

Röse versuchte einen kleinen rhythmischen Pfiff, dem ähnlich, den der Wind vorhin durch die Wünschengasse getragen hatte; aber er kam so zaghaft zu stande, daß er wie ein Hauch verflog.

»Bis hierher wird sie doch nicht kommen?« fragte Marie kaum hörbar.

»Ach gar!« wehrte Röse mit geheucheltem Mute, und beide schmiegten sich fest aneinander.

»Sie sitzen gewiß in der Fähre und schaukeln sich,« meinte Marie. »Wir müssen ein bißchen näher. Ob der Müller ihnen wohl die Fähre los gemacht hat?«

Sie gingen vorwärts, aber sehr, sehr langsam.

»Wie die Ilm rauscht!« sagte Marie.

Jetzt pfiffen sie beide. Budang würde erklärt haben: »Scheußlich falsch.«

»Oho!« hörten sie laut rufen.

Und es kam wirklich aus der Fähre. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, da standen ihre drei Freunde Budang, Horny und Ernst Schiller vor ihnen.

»Trödelbüchsen!« rief Budang.

»Gottlob, daß ihr da seid!« sagte Marie aufatmend.

Horny und Budang halfen den Mädchen auf die dunkle Fähre. Das Ilmwasser rauschte und gluckste um die groben Bretter und schien eine eisige Kälte zu verbreiten.

Budang und Ernst Schiller stießen vom Ufer, die Fähre zwischen den geteerten Tauen lenkend. Die vier Räder, woran die schweren Taue liefen, schnurrten; der Wind klappte und rasselte damit. Röse und Marie saßen aneinander gedrängt. Wie dünkte ihnen ihre alte gute Fähre heute sonderbar und bedrohlich, einem Riesenungetüm ähnelnd, dem man nicht trauen durfte. Wie sie über das klatschende Wasser schlich, wie sie schwankte, ruckte und zuckte! Der Sturm erschwerte die Ueberfahrt außerordentlich.

»Wie schaurig die Ilm sein kann!« wisperte Röse wieder, – »so schwarz!«

Budang rief: »Na, ihr fürchtet euch wohl?«

Keine Antwort.

Die jungen Burschen lachten nur kurz auf, denn sie waren gerade dabei, die Fähre am andern Ufer anzulegen, und mußten aufpassen.

Beim Aussteigen waren die Ratsmädchen noch immer schwer und bang gestimmt. Alle miteinander schritten in einer Reihe den aufwärts führenden Weg hinan. Den breit ausladenden Westwind hatten sie jetzt in der Seite. Man konnte sich ordentlich dagegen stemmen. Der Mond war einmal wieder hinter den Wolken verschwunden, die Dunkelheit pechschwarz.

Röse fragte Budang zaghaft bittend: »Einhäkeln?«

»Ja, aber so schwer mußt du dich nicht wieder machen!«

»Budang,« kam es schüchtern von Röses Lippen, »in der Osternacht da stehen die Toten aus ihren Gräbern auf.«

Marie, die sich an Röse hielt, fuhr zusammen.

»Nu ja,« meinte Budang kaltblütig, »deshalb gerade, denke ich, gehen wir doch!«

Tiefe Stille.

Marie ergänzte Röses Wissen: »Und die Tiere sprechen miteinander und die Sonne tanzt, wenn sie aufgeht!« Es durchrieselte sie selbst bei ihren Worten.

»Ach Budang,« begann Röse wieder, »es gibt so fürchterliche Dinge! Am Tage denkt man nicht daran, aber nachts, da sieht alles so wie in einer alten schrecklichen Geschichte aus. Weißt du von dem Fährmann, der die Toten über ein großes schwarzes Wasser setzte; – so wie wir vorhin, fuhren sie von allem fort, was sie kennen und was sie lieb haben. – So hat es gewiß gerauscht, – und so kalt wird's gewesen sein, und die Taue haben so geklappt, und die Räder geschnurrt; und alles pechschwarz, Sturm, nie wieder Sonnenschein! – Und da haben sie auch so auf der Bank gesessen und sich gefürchtet, – und sind auf Nimmerwiedersehen fortgefahren! – Budang, wie mir die Göchhausen leid thut! – Glaubst du denn wirklich, daß sie kommt? – Und wie ist's denn nur, daß sie gerade kommt, und die andern nicht? – Ach, Budang, wer so was wissen könnte! Ob sie wohl recht unglücklich ist?«

Marie bemerkte zu Ernst Schiller: »Und daß sie wie aus einer Flasche spricht, – so fiept, – das ist gräßlich!«

Sie gingen jetzt durch die breite Allee von Kastanien, alle Hand in Hand.

Der Wind schlug die Zweige mit den dicken, glänzenden Blätterknospen aneinander; es klappte und sauste, und über die kahlen Felder kam es unheimlich angebraust.

Röse wisperte: »Kahle Bäume sind die Gerippe, und die Blätter werden erst das Fleisch daran.« Dabei hielt sie sich an Budang fest vor Grauen. Und Marie flüsterte bebend: »Pfui Röse!«

»Jetzt haben wir's,« sagte Budang, »jetzt fürchten die sich!«

Aber sonderbar, sie gingen alle etwas aneinander gedrängt; ganz geheuer war es keinem von der Gesellschaft zu Mute.

»Ich weiß noch gar nicht, wie das werden wird, wenn sie wirklich kommen sollte! Was machen wir denn da mit Röse und Marie –?« meinte Ernst Schiller.

Röse ließ ihn nicht aussprechen: »Da sei du nur ohne Sorge, wenn es darauf ankommt, fürchte ich mich gar nicht! – Ich rede sie an!«

»Oho,« rief Budang, »ihr wißt, daß ihr nicht prahlen sollt!«

»Budang,« zürnte Röse, »das geht jetzt nicht mehr, so darfst du uns nicht behandeln! – Weißt du, wir sind so gut wie verlobte Mädchen!«

»Jawohl,« antwortete Budang halb ironisch, halb ärgerlich, »laß die dummen Witze!«

Röse fuhr empört auf. »Nein, jetzt glaubt er's nicht! – Haben wir je gelogen?«

Die ganze Karawane stockte mit einem Ruck. Sie standen alle zusammengedrängt wie in einem Nest, und der Wind schnob um sie her und trieb sie noch näher zu einander.

»Beide?« fragte eine sonderbare Stimme, von der niemand sogleich wußte, wem sie angehörte. Sie klang so fremd, so unterdrückt, als wenn der Frühlingssturm selbst mit einemmal eine leise, ängstliche Frage gethan hätte.

Franz Horny sah beim grellen Mondlicht eine sonderbare Veränderung in dem Gesichte seines Freundes Ernst Schiller.

Ja, er und Ernst Schiller hatten mit den beiden Mädchen Götzendienst getrieben; für sie gab es nichts Schöneres, nichts Lieblicheres als diese Geschöpfe. Aber Horny war kühlen Herzens geblieben, sein ganzes erstes Jugendfeuer gehörte seiner Kunst. Und nun fragte er ruhig, wenn auch seines Freundes wegen innerlich erregt: »Beide?«

»Nein,« sagte Marie, »nur Röse; aber sie darf's ja noch nicht sagen!«

»Nun, – weshalb sagst du dann: beide?«

»Ich weiß nicht,« meinte Röse beschämt. Da hatten sie sie doch auf einer Lüge ertappt, die Bengel!

Es war ihr aber so entwischt, weil noch nie eine etwas gehabt hatte, was die andre nicht auch besaß. Es mochte ihr neu sein, daß sie Einzelwesen waren. Es verdutzte sie völlig. Beide gehörten so eng zusammen. Sie waren sogar merkwürdigerweise in ein und demselben Jahre geboren, als gute Kameraden so ganz nah aufeinander gefolgt; das wissen wir ja.

Im Webicht peitschte der Wind das Gestrüpp der Büsche durcheinander. Er sauste durch die Tausende schlanker Ruten und Zweige, wie durch ein Riesensieb.

Ein Schrei von einem Käuzchen! Fern brömselte ein andres schwatzend und klagend, frühlingshaft spitz und grell vor sich hin. Auch ein Liebespärchen, das sich lockte und schalt, koste und sich beklagte!

Wenn man genau hinhörte, fiepte und klatschte es da und dort: unbestimmbare Nachtlaute. Ganz fern ein Vogelaufkreischen!

»Guten Appetit!« sagte Horny, »da ist einer über eure Fasanen gekommen, – vielleicht ein Fuchs.«

»Wie waren sie denn?« fragte Budang, der an Röses Verlobungsgeschichte nicht glauben wollte und sich doch nicht recht zu fragen getraute.

»Gut,« sagte Röse. »Sie hatten auch silberne Köpfe und silberne Füße aufgesteckt bekommen. Sie sahen prachtvoll aus.«

Die Karawane setzte sich wieder in Bewegung, jetzt ganz still.

Röses Verlobung lag über allen wie etwas Unbegreifliches.

»Röse,« wagte Budang nach einer Weile sich zu erkundigen, »ist denn deine Verlobung wirklich wahr?«

»Ja, Budang.«

»Mit dem Thon, der euch die Fasanen geschickt hat?«

»Ja.«

»Herr Gott!« sagte Budang, »glaubt der, daß du eine vernünftige Person bist? Thust du's denn freiwillig? Verlobst du dich denn gern? Ich begreif's nicht! Wieviel jünger bist du denn als ich?«

»Anderthalb Jahr,« gab Röse wie im Examen Auskunft.

»Stell dir vor,« fuhr Budang fort, »wenn ich mich in anderthalb Jahren verheiraten wollte. – Lächerlich!«

»Ja,« bestätigte Röse aufrichtig.

»Und du weißt's, daß du verlobt bist, – seit heute erst, – und bist doch mitgerannt! – Du bist aber gedankenlos! Da muß man doch, dächt' ich, ganz erschüttert sein?«

»Ach,« meinte Röse betreten, »ich bin ja auch noch nicht ganz verlobt! – Und glaubst du etwa, ich denk' nicht immer dran? – Immer! – Nein, weißt du, mir ist's auch viel lieber, daß ich mit euch hier renne; zu Haus war mir's manchmal ganz angst und bange vor Glück.«

»Weiß denn der Thon, daß du hier mitläufst?«

»Nein.«

»Na, mir scheint, du denkst wirklich über gar nichts nach! Wie bist du nur!«

»Ach geh!« wehrte Röse ab.

Der Sturm hatte nachgelassen.

Sie bogen jetzt ins Dorf ein.

Die Kirchturmuhr schlug zwölf: die Geisterstunde!

»Da kommen wir ja gerade recht,« meinte Horny.

Marie that einen tiefen Seufzer. »Wenn ihr so sprecht, geh' ich wenigstens nicht mit,« protestierte sie leise, aber heftig.

»So seid ihr Mädchen: ›Wasch mich, mach mich aber nicht naß!‹« rief Budang. »Ich habe es immer gesagt, Röse und Marie denken nicht; sie thun's nur!«

»Nein,« sagte Röse, »da irrst du dich!«

Sie gingen jetzt auf einem schmalen Wege, der an der Ilm vorüberführt. Und die Ilm gluckste und rauschte auch hier geheimnisvoll nächtlich, und der Wind pfiff noch gespenstischer durch die riesig hohen Ulmen. »Wenn sie hier käme,« flüsterte Marie zitternd, »da könnten wir doch nirgends ausweichen, – so zwischen der Mauer und der Ilm. – Ich stürb' auf der Stelle, wenn sie mich anfaßte!«

»Fällt ihr nicht ein,« zürnte Budang; »wie soll sie darauf kommen, dich anzufassen? Schließlich war sie doch eine vornehme Dame, und die wird sich doch nicht im Grabe solche Handgreiflichkeiten angewöhnt haben!«

»Laß doch,« meinte Ernst Schiller, »sie mag das nicht hören!«

Marie war jetzt im Grund ihres Herzens tief erregt; das nächtliche Ausreißen von daheim, die dumpfe Sorge, daß sie doch etwas Unrechtes thäten, das schauerliche Ziel, die vermutliche Nähe des Entsetzlichen, – all das hatte sie überwältigt, und sie brach in Thränen aus.

Seele und Körper erschauerten ihr. Sie suchte eine Stütze; Röses Hals umklammernd, weinte sie bitterlich.

»Marie,« schalt Budang, »sei doch vernünftig!«

Die drei Freunde standen um die Ratsmädchen her und wußten nicht, was beginnen.

»Laßt sie nur!« sagte Röse. Und beide Mädchen steckten ihre blonden Köpfe ganz dicht zusammen, und die jungen Körper schmiegten sich fest einer an den andern.

Der Mond schien hell über sie hin.

»Röse,« bat Marie schluchzend, »nicht wahr du, wir verlassen uns doch nicht?«

»Nein,« sagte Röse, »gewiß nicht.«

»Die arme Göchhausen!« schluchzte Marie wieder, »wie muß der zu Mute sein! – Und wie schrecklich, daß sich die Leute so vor ihr fürchten!«

»Wir wollen sie anreden,« ermutigte Röse, »und wollen sie fragen. Vielleicht können wir ihr helfen. Komm, Marie!«

Die guten Herzen der beiden überwanden das Grauen.

Sie hielten sich noch eine Weile umschlungen, während Röse leicht beschwichtigend auf Maries Rücken klopfte. »Nun gehen wir weiter,« sagten sie dann, und sie hingen sich wieder ein in die Arme ihrer Freunde.

»Der Mond hat sich wieder versteckt,« meinte Marie bedenklich.

In der großen, tiefen Stille, die durch kein Geräusch gestört war, nur die Ilm plätscherte, und der Wind fuhr durch die Baumkronen, da hörten sie etwas! – Was war das?

Sie befanden sich noch auf dem schmalen Weg. – Von fern ein Scharren, – ein Laufen, – ein Huschen, – Schritte, – aber merkwürdige Schritte, – in Sätzen, – etwas ganz Unvermutetes, Unvernünftiges, Menschenunwürdiges!

Sie standen alle bewegungslos, lautlos.

Wenn sie das wäre, so wär's grauenhaft, so ein unwürdiges Hupfen und Huschen!

Ihre Herzen klopften zum Zerspringen. Es kam näher, – grad auf dem Wege kam es auf sie zu, – näher, – immer näher, auf dürren Blättern gehend, dann hopsend! Ja, wenn sie das wirklich wäre, dann überstiegen diese Laute alle Phantasie! Der entsetzlichste Kobold hätte nicht widersinniger rennen, hüpfen und stehen bleiben können, als es das that, was da ankam! – Und zu denken, daß diese arme Seele eine vornehme, geistreiche Hofdame war, wenn auch mit einem etwas boshaften Mundwerk gesegnet und mit einem Buckel! – Ein Mensch! Eine Hofdame!! – so heruntergekommen, so urweltlich sich aufführend, – so ungeheuerlich!

Die junge, starke Phantasie der fünf Nachtwandler wurde mächtig bestürmt. Sie standen wie Schatten an die Gartenmauer angedrückt, – totenstill. Wie mußte erst das Aussehen des Spukes sein, nach solchen Lauten! – Sie hatten sich alle eine unbestimmte Vorstellung von der Begegnung mit der Göchhausen gemacht, etwas Geisterhaftes – Nebelhaftes – Huschendes – Fiependes, – und daß sie wie aus einer Flasche sprechen würde; aber nicht so – um Gottes willen nicht so!

Der Mond war hinter eine zerfetzte Wolke gekrochen, deren Ränder versilbernd.

Da sahen sie sich etwas bewegen, – etwas Ungestaltes, Niederes; – es glühten zwei Augen, da war gar kein Zweifel, – und zwei unbegreifliche, wackelnde Hörner zeigten sich und hoben sich gespenstig vom dunklen Hintergrund ab! Diese wackelnden Hörner, was sollten die? Was wollten die?

Röse und Marie waren gelähmt vor Entsetzen.

Da mit einemmal ein Zappeln, ein Strampfen, ein Bocken und Stampfen, und wie aus einer Trompete, ein urweltlicher, scheußlicher Ton, und – ein Gelächter! Budang war's, der lachte.

Der Mond hatte sich jetzt durch seine Wolken gearbeitet und beleuchtete – ein kleines, graues Ungetüm, das verdutzt auf vier hohen, sparrigen Beinen stand und seinen Riesenkopf mit seinen Riesenohren vor sich hin streckte und horchte.

»Jesses, ein Esel!« rief Röse erlöst.

Durch die Stimmen erschreckt, machte das kleine junge Scheusal hopsend und stolpernd Kehrt und jagte wieder mit vorgestrecktem Kopf in die Nacht und in den Park hinein.

»Weiß Gott,« sagte Budang, »das war der kleine ›Muffel‹, der ist dem Pächter entwischt!«

Sie blieben alle still und betreten, also müsse noch was kommen; zu einem wirklichen herzhaften Gelächter brachten sie es nicht. Es lag etwas in der Luft, so etwas Rauschendes, Werdendes, – so etwas Banges, Wehes. – Auf Windesflügeln fuhr es durch die hohen Bäume und sauste schwer über die uralte Erde hin; es klopfte und pochte überall an, an die schwellenden Knospen, an die Herzen, an die Gräber, – denn es war heilige Osternacht, wo die Toten auferstehen!

Fern fiepte es wieder: Fledermäuschen, – Käuzchen, – verliebtes Nachtgetier.

Jetzt zogen sie über die großen, weiten Parkwiesen. Die Schritte waren unhörbar auf dem moosigen Rasenboden. Eine moderige Feuchtigkeit stieg auf.

Sie gingen immer noch in einer Reihe, Hand in Hand.

»Ist's wahr,« erkundigte sich Röse bang, »daß vor Goethes Gartenhaus alle Morgen gekehrt wurde? Daß ein wunderschönes Mädchen dort gekehrt hat? – Glaubt ihr das?«

Sie unterhielten sich alle mit halber Stimme. Die Wucht der stürmischen, feuchten Frühlingsnacht lag über ihnen.

Marie sagte leise: »Goethe hat das Mädchen selbst einmal gesehen; die Schopenhauern hat's erzählt, und die weiß auch, wer's gewesen ist. Beim ersten Morgenschimmer hat er das Mädchen getroffen, wie sie gekehrt hat, – und da hat sie aufgeschrieen wie eine arme Seele und ist zusammengesunken wie ein Wisch; und eine alte Frau, die wie ein Schatten war, hat sie mit sich genommen und hat etwas gemurmelt, wie: ›Ach, wenn ma auch immer alleinig is!‹ Dann sind sie nie wieder gekommen, und das Kehren war aus!«

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