Geister, Frauen Und Andere Einbildungen
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Ryan zögerte.
„Schau, du kamst doch her, um die Stadt zu erkunden, oder?“ fuhr Bael fort. „Nun, ich bin bereit, dir eine Stadtführung zu geben. Worauf wartest du – eine eingravierte Einladung? Gut, bitte sehr.“
Er zog eine kleine Karte aus seiner Tasche und schnippte sie vor Ryans Füße. Ryan bückte sich und hob sie auf. In goldenen Buchstaben eingraviert waren die Worte: HR. RICHARD BAEL ERBITTET GNÄDIGST DIE ANWESENHEIT VON HR. JEFFREY RYAN FÜR EINE PERSÖNLICH GELEITETE STADTFÜHRUNG.
„Ist das gut genug für dich?“ fragte Bael fröhlich.
Ryan steckte die Karte sorgfältig zur Aufbewahrung in seine Proben-Tasche um sie später genauer zu analysieren. „Ist gut, Bael, wie du willst.” Der Kommunikator wanderte zurück in seine Tasche. „Auf geht's.”
Mit einer übertrieben einladenden Bewegung trat Bael durch die Tür, Ryan folgte ihm mit zwei Schritten Abstand. Als Ryan das Gebäude verlassen hatte, verschwand die Öffnung und die Mauer war wieder völlig undurchdringbar. Er zog es vor, sich wegen einer solchen Kleinigkeit nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Er hatte kaum Zweifel, dass die Stadt schon bald noch viel größere Überraschungen für ihn bereithalten würde.
Und er hatte völlig Recht.
***
Die beiden Männer spazierten durch die Stadt. Bael schlenderte gemütlich dahin und Ryan hatte Mühe, seine Ungeduld zu zügeln, während er das nervenaufreibend langsame Tempo des anderen einhalten musste. Es gab keine echten Straßen, denen man folgen konnte, da die Stadt scheinbar keinem erkennbaren Muster folgend angeordnet war, und es gab keine unverbauten Strecken, die breit genug für jegliche Art von Fahrzeug gewesen wären. Gebäude aller Formen, Größen und Farben tauchten überall aus dem Boden auf: hier ein Zylinder, da ein Kegel, ein bisschen weiter eine Halbkugel...es gab sogar einige, die vor Ryans Augen ihre Formen veränderte.
„Wer hat diese Stadt gebaut?” fragte er Bael. „Wieso machten sie das? Wo sind sie hin gegangen?”
„Es ist ein schöner Ort, nicht?“ Bael ignorierte die Fragen und wies auf die Stadt um sie herum.
„Das ist keine Antwort.“
„Natürlich nicht. Ich habe keine. Fragen sind unwichtig hier, also sind Antworten irrelevant.“
„Das sind sie nicht, verdammt. Ich muss wissen—“
„Korrektur: Java-10 muss wissen. Du selbst musst gar nichts, außer das Leben genießen.“ Bael schnalzte mitfühlend die Zunge. „Du armer, dummer Idiot, deine Gehirnwäsche ist so komplett, dass du die Freiheit nicht einmal erkennst, wenn sie dich ins Gesicht küsst. Lass uns hinsetzen und ein wenig plaudern.“
Zwei gemütlich aussehende Stühle erschienen hinter ihnen. Bael nahm einen und bedeutete Ryan sich auf den anderen zu setzen. Der Kundschafter probierte ihn nervös, bevor er sein ganzes Gewicht darauf niederließ. „Worüber willst du reden?“, fragte er, nachdem er es sich gemütlich gemacht hatte.
„Lass uns damit anfangen, wieso du hier bist.“
„Gleicher Grund wie du: um mehr über diese Stadt herauszufinden.“
„Wieso?“
„Hauptsächlich wegen der Technologie. Jeder, der einen Ort wie diesen bauen kann, muss uns so weit voraus sein, dass wir schon etwas lernen können, wenn wir nur die Artefakte untersuchen. Wir müssen herausfinden—”
„Wir?“, unterbrach Bael. „Beziehst du dich selbst da wirklich mit ein?
Durch die Unterbrechung verlor Ryan den Faden und er konnte nur verständnislos blinzeln.
„Sei ehrlich. Warst du persönlich jemals so neugierig darauf, was es in dieser Stadt gibt, dass du riskiert hättest, deinen Verstand zu verlieren, um hierher zu kommen?“ Baels Augen leuchteten lebendig auf, während er diesen Punkt erwartungsvoll erkundete. „Hast du dich freiwillig für diese Mission gemeldet, oder hat Java-10 es dir aufgetragen? Ah, schau wie er zappelt. Das war nicht deine Idee, doch?“
„Das hat nichts zu tun damit—”
„Es hat sehr viel damit zu tun. Jeff, du bist eine Marionette, ein Sklave des Schiffs da oben. Mach deine Arbeit gut, führe diese Mission brav aus, und dann bekommst du ein Schulterklopfen, Lob, vielleicht sogar eine Medaille. Ist das alles, was dir dein Leben wert ist?“
„Ich habe Verantwortung gegenüber der Flotte, der Erde.“
„Zum Teufel mit denen! Was ist mit deiner Verantwortung gegenüber der guten alten Nummer eins? Wie wäre es damit, zu lernen, dich selbst zu vergnügen?“
„Die Erde braucht mich—”
„Klar, wie Präsident Ferguson noch ein Loch in seinem Arsch braucht.“ Bael sah sich um. „Hey, Jungs, kommt rüber, setzt euch zu uns.“
Fünfzehn weitere Männer spazierten zu dem offenen Platz, wo Ryan und Bael saßen. Sie kamen aus allen Richtungen, und ihr Gang war so gemächlich wie der von Bael gewesen war. Sie waren die anderen Forscher, die auf früheren Expeditionen in die Stadt gekommen waren. Ryan kannte die meisten von ihnen, wenn nicht persönlich, dann hatte er zumindest von ihnen gehört. Sie waren zähe, erfahrene Männer gewesen, bevor sie in die Stadt gekommen waren. Nun schienen sie sanft, entspannt und sehr zufrieden. Sie alle begrüßten Bael und lächelten Ryan freundlich zu.
„Sicher“, sagte Bael, „möchtest du jetzt deinen Kommunikator herausholen und Java-10 die gute Nachricht mitteilen, dass alle am Leben sind und es ihnen gut geht und alle hier an einem Ort versammelt sind.“
Um ehrlich zu sein, war das genau, was Ryan tun wollte. Trotz der freundlichen Gesichtsausdrücke, fühlte es sich akut gefährlich an, von sechzehn Deserteuren umgeben zu sein. Mehr denn je, wollte er nun das kalte Metall-Kästchen in der Hand halten, das ihm die warme Zuversicht gab, dass es da oben jemanden gab, der sich um sein Wohlbefinden sorgte. Aber diese Unterhaltung schien zu einem persönlichen Duell zwischen Bael und ihm selbst zu werden, und er weigerte sich, seinem Gegner die Befriedigung zu geben, Recht gehabt zu haben. Also sagte er stattdessen: „Ich kann es später berichten.“
„Hoppa, Junge!“, grinste Bael. „Du beginnst schon zu lernen. In ein paar Tagen wirst du so frei sein, wie wir alle.“
Ryan hatte das ungute Gefühl, dass er den anderen in die Falle gegangen war. „Aber ich habe keine paar Tage“, entgegnete er boshaft. „Wenn ich bis morgen Mittag hier nicht weg bin, sieht man mich als verschollen an, wie euch. Und dann wird Java-10 die Stadt bombardieren und dem Erdboden gleich machen.“
Das Lächeln der anderen Männer verschwand. Außer bei Bael, dessen gute Laune scheinbar durch nichts zerstört werden konnte. „Ich glaube nicht“, sagte er leise, „dass die Stadt das zulassen würde.“
Nun war es Ryan, der einen Moment schwieg. „Du sprichst, als wäre sie ein Lebewesen.“
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung, ob sie eins ist oder nicht. Aber wenn du hier eine Weile bist, dann fängst du an, dich das zu fragen. Sie weiß auf jeden Fall, was in unseren Köpfen vorgeht. Sie reagiert auf unsere Gedanken und erfüllt unsere Träume. Sie liebt uns Jeff, und sie wird nicht zulassen, dass uns etwas geschieht.“
Es lief Ryan kalt über den Rücken. Bael war so ernst, wie nur ein Verrückter sein konnte. Er schluckte und sagte: „Wie dem auch sei, ich möchte nicht hier sein, um diese Liebe zu testen, wenn die Bomben kommen.“
„Du bist frei, jederzeit zu gehen, wenn du willst“, erinnerte ihn Bael. „Niemand wird dich aufhalten.“
Ryan erkannte zu seiner Überraschung, dass Bael Recht hatte. Er war sicher gewesen, dass er irgendeine satanische Kraft irgendwo in der Stadt vorfinden würde, die ihn gegen seinen Willen festhalten würde. Stattdessen hatte er diese, bisher, fantastische Technologie und sechzehn freundliche Geisteskranke gefunden. Er war – noch – nicht der Verrücktheit der anderen verfallen, und er fühlte keine beängstigenden Zwänge, die ihn am Weggehen hinderten. Er war frei jederzeit zu gehen.
„Klar“, sagte Tashiro Surakami, einer der anderen Kundschafter, die Ryan vage kannte, „Java-10 wäre vielleicht nicht so ganz zufrieden mit dir, wenn du es tätest.“
Das war der Punkt. Wenn er jetzt gehen würde, würde er nicht wirklich etwas zu berichten haben. Er war hierhin geschickt worden, um herauszufinden, wieso diese Männer nicht zu ihren Schiffen zurückgekehrt waren. Bisher hatte er, abgesehen von ein paar genusssüchtigen Verallgemeinerungen, die Bael von sich gegeben hatte, keinerlei Anhaltspunkte für den Grund. Wenn er die Stadt nun verließ und zum Schiff zurückging, hätte er gleich dort bleiben können.
„Ich muss meine Arbeit noch fertig machen“, meinte Ryan dickköpfig. „Ich gebe nicht nach der Hälfte auf. Ich muss herausfinden, wieso...“ Er fuhr nicht fort.
„Wieso wir verrückt geworden sind?“ beendete Bael den Satz für ihn. „Aus unserer Perspektive ist es, wieso wir zu Verstand gekommen sind. Die Antwort ist überall um dich herum, wenn du dir nur die Zeit nimmst, danach zu suchen. Die anderen Jungs, und ich selbst, wir lenken dich wahrscheinlich ab. Vielleicht hilft es, wenn du eine Weile alleine bist. Jungs, lassen wir Jeff mal hier. Vergiss nicht, Jeff, wenn du mit jemandem sprechen willst, ruf uns einfach. Jemand wird dich hören.“
Bael und die anderen entfernten sich in gemütlichem Tempo während sie sich unterhielten und lachten. Es war, als hätte Ryan für sie plötzlich aufgehört, zu existieren. In einer Minute waren sie alle weg. Die erdrückende Stille kehrte wieder zurück und Ryan saß wieder alleine inmitten der scheinbar verlassenen Stadt.
Der Kundschafter griff schnell zu seinem Kommunikator und spuckte einen verzweifelten Bericht für das Schiff oben aus. Er hoffte auf einen Ratschlag, aber das Schiff bestätigte nur knapp den Erhalt der Nachricht und trug ihm auf, vorsichtig zu bleiben und unterbrach die Verbindung.
Erst als er wieder aufstand, sah er die Frau.
***
Er starrte einen langen Moment geradeaus, unfähig etwas zu sagen.
Die Frau hatte nicht mit diesem Problem zu kämpfen. „Hallo Jeff“, sagte sie sanft. „Erinnerst du dich an mich?“